Auch die BVB Tigers, ein Fanclub aus Belgien, waren schon hier. In der Nordstadt, da wo 1909 der Ballspielverein Borussia im „Wildschütz“ das Licht der Welt erblickte. Heute ist dort die Pommesbude Rot-Weiß, an der die geschichts- und geschichtenträchtige Tour „Weiße Wiese“ selbstverständlich vorbeiführt, ebenso wie an Hoesch und der Weißen Wiese selbst. Auf diesem Rasen haben sie angefangen, damals, direkt am Borsigplatz. Annette Kritzler leitet diese und viele andere Touren durch die Nordstadt. „Lecker is’ datt“ kann man bei ihr buchen, „Nordmarktgeschichten“ oder auch „Glaubensvielfalt“.
Die Geographin lebt seit mehr als zwanzig Jahren im Dortmunder Norden. In derselben Wohnung in der vierten Etage eines liebevoll gepflegten Jugendstilhauses um die Ecke vom Borsigplatz. Aufgewachsen ist sie in Brechten, noch viel weiter im Norden von Dortmund, wo es mehr Bauernhöfe als Pommesbuden gibt. Auf Dauer war das nichts für sie, daher suchte Annette Kritzler ein multikulturelles Umfeld und eine günstige Miete. Beides fand sie zwischen Hafen, Nordmarkt und Borsigplatz. Ursprünglich hatte sie Buchbinderin gelernt, fand nach der Ausbildung keinen Job, war dann am Fließband gelandet. Um schnell festzustellen, dass es das nicht gewesen sein kann. So machte sie doch noch Abitur, ging an die Uni und beschäftigte sich dort mit Industriekultur und Tourismus. Schon während des Studiums machte sie Führungen im Schiffshebewerk Henrichenburg. „Da wusste ich dann, das ist meins.“ Führungen durch die Henrichshütte in Hattingen, das Hoesch-Museum und die Zeche Zollern kamen hinzu.
Annette Kritzler fühlt sich in der Nordstadt ausgesprochen wohl und geriet deswegen immer wieder in Erklärungsnot. Weil viele denken, im Stadtteil der Gestrandeten und Gestrauchelten stolpert der unbescholtene Bürger direkt hinter der S-Bahnlinie über eine Schnapsflasche, rutscht aus auf gebrauchten Kondomen, um kopfüber in der Heroinspritze zu landen. Das brachte Kritzler zu der Erkenntnis: „Die Nordstadt ist viel, viel schöner als die meisten annehmen. Daher muss man sie einladen, sich das hier anzugucken.“ Das war die Gründungsidee der „Borsigplatz-VerFührungen“. Seit fünf Jahren gibt die kleine Firma inzwischen. Die Nordstadttouristen können sich dem Stadtteil historisch, fußballerisch, künstlerisch, gastronomisch oder religiös nähern.
Bei der Tour „Glaubensvielfalt“ lernen die Teilnehmer drei Gotteshäuser kennen, eine evangelische Kirche, eine russisch-orthodoxe Kirche und eine Moschee. „Viele Moscheen sind sehr besucherfreundlich und man kann sie auch einfach alleine besuchen. Aber oft haben die Menschen Schwellenängste und nutzen lieber eine geführte Tour“, ist Kritzlers Erfahrung. Sie will Parallelen und Unterschiede zwischen den Religionen zeigen. So hat die Lutherkirche zum Beispiel eine besonders enge Verbindung zu Hoesch. In der russisch-orthodoxen Kirche spielt die Ikonographie eine große Rolle, und weil das Einzugsgebiet so groß ist, kommen fünfhundert Gläubige zur Ostermesse. In der Moschee gibt es keinerlei Bilder, dafür digitale Uhren, die die Gebetszeiten anzeigen. Die Ausrichtung nach Mekka, die vielen Teppiche, die Trennung von Männern und Frauen im Gottesdienst, das Kopftuch, um all dies geht es bei der Moscheebesichtigung.
„Die Moscheen haben enge Bindungen an ihre Quartiere, dort gibt es zum Beispiel eigene Fußballclubs“, erzählt die Geographin. Sie berichtet vom jährlichen interreligiösen Fußballturnier im Hoeschpark, bei dem Pfarrer gegen Imame kicken. Kritzler spricht ein paar Brocken türkisch und macht neben ihren Führungen auch Seminare für Moscheelotsen, denen sie museumspädagogisches Know-how vermittelt. So läuft das in der Nordstadt. Einfach mal selber gucken.
Die Touren dauern in der Regel zwei Stunden und kosten pro Person zehn Euro. Die festen Termine stehen auf der Internetseite, für Gruppen ab acht Personen bieten Annette Kritzler und ihre Kollegin auch individuelle Führungen an.