selbst.mord.

guertel KLEINGewalt, Knast, Suizid – ein junger Mann erzählt vom Wendepunkt seines Lebens. Eine Geschichte aus dem aktuellen Ruhrbarone-Bookzine. Protokolliert von Sascha Bisley. Illustrationen: Nils Küter

Ich bin das erste Mal in so einer Situation. Diese Welt, in der ich mich gerade befinde, macht mir Angst. Wirkliche, echte Angst. Angst den Verstand zu verlieren, verrückt zu werden, Angst vor dem, was da noch kommen kann und Angst vor mir selbst. Ich bin im Gefängnis. Das erste Mal. Und ich habe einen Entschluss gefasst. Ich bin nicht stark genug, um das hier durchzustehen, ich gebe auf. Ja, ich bin mir jetzt ganz sicher…, morgen werde ich mich umbringen.

Das Sondereinsatzkommando klingelt um 11.43 Uhr an der Tür meiner elterlichen Wohnung. Meine Mutter ist mit einer Freundin auf einer Kaffeefahrt in Holland, Heizdecken kaufen. Ich war den Abend davor so besoffen, dass ich erst nach dem dritten Klingeln reagiere. Mit verklebten Augen, in Boxershorts mit Morgenlatte, öffne ich die Tür.

Ein Faustschlag trifft mich mitten ins Gesicht, lässt mich in den Flur taumeln und zu Boden gehen. Ich bekomme das Bein eines Stuhls zu fassen und versuche damit auf die Eindringlinge einzuschlagen, vergebens. Breitbeinig steht eine Gestalt in olivem Overall über mir, entreißt mir den Stuhl und schreit mich an. Jetzt erst erkenne ich die Aufschrift „POLIZEI“ auf seinem Helm, und dass er eine Maschinenpistole auf mich gerichtet hat.

„Schöne Waffe, Heckler & Koch MP5, hab ich auch schon mit geballert“, denke ich. Ich muss lachen. Die Situation ist so skurril, dass ich nur an heute Abend denken kann. Das wird mir keiner glauben, ich hab auf jeden Fall die beste Story auf der Party.
Blut läuft aus meiner Nase. Geschätzte acht Leute in Uniform stehen um mich herum und brüllen gegen mein Grinsen an. Ich habe keine Angst, es ist nicht das erste Mal, dass mir jemand eine Waffe an den Kopf hält, und die hier ist nicht mal vollautomatisch. Außerdem bin ich mir mittlerweile sicher, dass der Typ nicht abdrücken wird, das war beim letzten Mal nicht so.
Ich muss mir keine Sorgen machen, ich bin im Recht und die scheiß Bullen sind auf jeden Fall in der falschen Wohnung. Es gibt keinen akuten Grund, warum das SEK meine Bude stürmen sollte, jedenfalls fällt mir keiner ein. Mir fällt aber auch nicht mehr ein, wie ich gestern nach Hause gekommen bin…, verdammt.

bulle KLEINDie Wohnung wird immer voller, das Gebrüll etwas weniger. Irgendwer soll irgendwelche Hunde reinholen und sich den Keller vornehmen, zwei Bullen helfen mir unsanft auf die Beine, drücken mich an den Makramé Teppich, der neben der Tür an der Wand hängt und von meiner Mutter eigenhändig geknotet wurde. Meine Arme werden mir von den beiden Jungs auf dem Rücken fixiert, und die Kabelbinder an meinen Handgelenken flüstern mir jetzt schon ins Ohr, dass die Blutzufuhr für meine Hände ab jetzt in ihrem Ermessen liegt. Die Situation wird ernster, ich fühle die Kälte und die Ohnmacht, werde geschubst und gehalten, getreten und vornüber gebeugt. Das Grinsen ist weg. Die Morgenlatte auch. Vorteilhaft, weil es jetzt durch das Treppenhaus nach unten geht, schnell und ruppig. Ich erwische nur jede dritte Stufe, das Tempo geben Toto und Harry vor, oder wie immer die beiden auch heißen mögen, die sich unter meinen Achseln eingehakt haben. Vor der Haustür unseres Mietshauses mit sechs Parteien wird es etwas langsamer, die Jungs bugsieren mich seitlich durch den Türrahmen ins Freie und, obwohl sie meinen Kopf durch ihren festen Transportgriff immer wieder nach unten drücken, kann ich sehen, was vor unserem Haus los ist.
Entlang meiner Straße stehen etliche Polizeiwagen, Einsatzwagen und Feuerwehr. Die Kanaldeckel vor unserem Haus sind offen und aus ihnen ragen Beamtenoberkörper mit Scharfschützengewehren hervor. Das gesamte Haus ist umstellt von maskierten Typen mit Maschinenpistolen, und auf der anderen Straßenseite steht die komplette Nachbarschaft im Halbkreis und schüttelt den Kopf, einige applaudieren, als ich zum Streifenwagen geführt werde. Sie sind sichtlich froh, mich endlich loszuwerden. Ich würde ihnen gerne zurufen, dass ich morgen wieder da bin und ihnen für den Applaus die Schädel einschlagen werde, aber dessen bin ich mir jetzt gar nicht mehr so sicher.
Die Tür des grün-weißen VW Passats schließt sich hinter mir und die Szenerie der Heimatentwurzelung verpisst sich durch die Heckscheibe, bis sie nicht mehr sichtbar ist. Ich habe tausend Fragen im Kopf, die ich gerne den beiden Bullen auf den Sitzen vor mir stellen würde. Ich tue es nicht. Ich sitze auf dem Rücksitz, fühle wie meine Hände durch den Blutstau dicker werden und bemerke dieses eigenartige Gefühl, dass sich langsam in meinen Bauch schleicht, mir sagt, dass es zu Recht dort ist und dort bleiben wird, bis mir eingefallen ist, warum ich es verdient habe, mich gerade jetzt genau so zu fühlen. Es dämmert mir. Langsam, undeutlich, aber ich erinnere mich…

(die ganze Story über Mord, Verzweifelung und den letzten Ausweg hier)

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