Selbstverständlich ist es besser, schlecht zu regieren als nicht zu regieren!

Christian Lindner Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / Stefan Röhl Lizenz: CC-BY-SA 2.0

Ganz ehrlich: Wenn ich die Wahl zwischen irgendwelchen demokratischen Koalitionen hätte, würde ich immer eine bevorzugen, in der die FDP nicht dabei ist. Und natürlich habe ich politische Ansichten und Prioritäten. Aber im Großen und Ganzen ist mir egal, welche der demokratischen Parteien die Regierung stellt. Es dürfen keine Antidemokraten oder politischen Laien sein. Es müssen halbwegs intelligente Menschen sein, die sich Mühe geben, die Probleme zu lösen. Dann kommt sowieso ein Kompromiss dabei heraus.

Ich halte den Klimawandel und den Krieg für die mit Abstand größten Probleme. Alle anderen Fragen spielen keine Rolle mehr, wenn das Land weggespült oder in Grund und Boden gebombt wurde. Aber selbstverständlich kann man diese Probleme besser angehen, wenn es der Wirtschaft dabei gut geht. Und selbstverständlich geht es der Wirtschaft auch besser, wenn die Menschen eine gewisse Kaufkraft haben. Selbstverständlich braucht es sozialen Frieden und wir können nicht Millionen Kranke, Alleinerziehende und Arbeitslose unterhalb des Existenzminimums darben lassen. Und selbstverständlich muss es umgekehrt auch einen Anreiz zum Arbeiten geben. Selbstverständlich kann der Staat nicht einfach Fantastilliarden Schulden machen und alles bezahlen, was sich jemand wünscht. Und genauso selbstverständlich ist es nicht der Selbstzweck eines Staates, eine schuldenfreie Entität zu sein. Er muss zunächst mal funktionierender Staat sein und seine Aufgaben erfüllen. Schuldenfrei ist meines Wissens auch Atlantis.

Es gibt ein breites, aber doch begrenztes Spektrum an politischen Möglichkeiten, die sich durch diese Selbstverständlichkeiten ergeben. Auch die CDU kann die Klimaziele nicht ignorieren (das können nur Radikale wie Bolsonaro). Auch die Grünen können die Klagen der Wirtschaft nicht ignorieren. Jede Konstellation wird mit den gleichen Beschwerden, Lobbyanfragen, bürokratischen Hindernissen, juristischen Vorgaben konfrontiert. Egal, wer regiert, solange überhaupt regiert wird und tatsächlich Handlungsbereitschaft besteht, wird es nicht in Extremen enden. Wichtiger als die exakte Ausrichtung eines Gesetztes innerhalb der politischen, bürokratischen und sozioökonomischen Zwänge ist, dass es überhaupt Gesetze gibt, die durch die demokratische Mangel gegangen sind und mit denen Dinge geregelt werden, die derzeit zu regeln sind.

Es ist Folge der zunehmenden Polarisierung und der allgemeinen Arroganz, dass jeder zu meinen scheint, die eigene Meinung sei so weltbewegend richtig, dass Abweichungen nicht zu tolerieren sind. Dabei funktionieren die Details in jedem Land anders. Dabei weiß die breite Masse der Menschen sowieso nicht, wie das genau geregelt ist. Am Ende sieht die Lösung sowieso nicht mehr so aus, wie das, was ursprünglich vorgeschlagen wurde. Und wie es dann umgesetzt wird, ist noch mal etwas anderes. Dieses gewaltige Gebilde „Gesellschaft“ besteht aus Abertausenden von Zahnrädchen und eine Legislatur schraubt immer nur an wenigen davon herum. Wie sonst ist zu erklären, dass es international so unterschiedliche Baurechte gibt und trotzdem überall Gebäude stehen? Unterschiedliche Gesundheitssysteme und trotzdem überall Krankenhäuser? Unterschiedliche Bildungssysteme und trotzdem können französische und deutsche Kinder gleichermaßen schreiben?

Der Satz „Es ist besser nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“ offenbart, wie egoistisch Lindner denkt. Es ist nämlich nur – wenn überhaupt – aus Sicht seiner Partei besser. Er ist ein Spieler und überlegt, wie er für seine Partei am besten pokert.
Für das Land ist es immer besser, es gibt Leute, die einen halbwegs passablen Kompromiss finden, als wenn gar nichts passiert. Der Eindruck, dass die Politik nichts zustande bringt, ist ja gar nicht falsch. Und dass ist viel fataler, als wenn die Politik einen Kompromiss zustande bringt, der vielleicht nicht allen passt, aber am Ende eines der Zahnrädchen wieder in Gang bringt. Politiker, die sich nicht einigen können, sind für das Ansehen der Demokratie tausend Mal gefährlicher als Politiker, die sich auf einen schalen Kompromiss einigen. Irgendwie funktioniert der schon, das funktioniert doch sowieso alles nur irgendwie.

Rein emotional gönne ich der FDP, bei der Neuwahl krachend aus dem Bundestag zu fliegen. Aber ihre Kompromissunfähigkeit färbt auf alle Parteien ab. Wenn die FDP rausfliegt, könnten AfD und BSW eine Sperrminorität gewinnen. Wenn die FDP rausfliegt, gibt es noch weniger Optionen für Koalitionen. Das nehme ich ihnen wirklich übel.

Eine FDP, die einfach irgendwie regiert, wäre wirklich viel besser gewesen, als eine, die nicht regiert. Und nicht regiert hat sie auch schon, als sie noch Teil der Regierung war.

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