Dieter Asselhoven war immer da. Immer präsent. Immer gut gelaunt, kämpferisch, wach. Für Jahrzehnte prägte er das linke politische Leben an der Kölner Universität. Und außerhalb, in libertär-antikapitalistischen Kreisen, für die Alternative Liste, später dann im Umfeld Jutta Ditfurths. Nun hat er seinen Kampf gegen den Krebs verloren. Vor drei Wochen, am 23. März, ist Dieter 60 geworden. Danach ist er gegangen, friedlich, die Endlichkeit akzeptierend. Und doch hätte er so gerne weiter gelebt. Von unserem Gastautor Uri. D.
Die radikale, undogmatische Linke, die sich ihrer Sympathie für den jüdischen Staat Israel sicher ist, viele Freundinnen und Freunde haben einen ihrer unbeugsamsten, eigenwilligsten, kreativsten, optimistischsten Köpfe verloren. Ich vermisse ihn, diesen weißhaarigen, sehr klugen, belesenen, lächelnden, humorvollen, verschmitzten Mann. Gerne hätte ich ihn noch einmal getroffen.
Vor wenigen Monaten: ein Anruf auf meinem AB. Die Stimme war mir sehr vertraut – auch wenn ich sie wohl 20 Jahre lang nicht mehr gehört hatte. Eine freundliche, zögernde, wohlformulierte Frage: Ob ich der Uri … sei. Vielleicht könne ich mal zurück rufen. Ich war überrascht. Das hätte ich nicht erwartet.
Ein Telefonanschluss an der im Aufbau befindlichen „inklusiven“ Universitätsschule. Ich wusste, dass er dort eine – zeitlich befristeten – Stelle hatte, bei einem meiner früheren Hochschullehrer, den ich immer geschätzt habe. Für dieses „realpolitische“ Projekt schlug nun sein Herz. Leidenschaftlich. Dieter genoss es nun, für ihn selbst wohl überraschend, einer geregelten „Lohnarbeit“ nachzugehen. Die „inklusive Pädagogik“ wurde das Objekt seiner Liebe, seiner Leidenschaft. hierfür versuchte er, viele Studentinnen und Studenten zu begeistern.
Alles war wieder da, mir wieder vertraut, von Anfang an. Dies ist nicht immer so bei mir. Er habe viele Beiträge von mir gelesen, meinte Dieter, auf haGalil, in der Jüdischen Allgemeinen – Dieter musste lachen. Ja, er wolle mir sagen, wie begeistert er von meinen Texten sei, wie sehr er sich dafür interessiere. Und er sei auf der Suche nach seinen jüdischen familiären Wurzeln. Dieter lachte erneut. Die Jüdische Allgemeine las er regelmäßig, dieses „Neue“ interessierte ihn. Nebenbei erwähnte er seine schwere Krebskrankeit, von der ich nichts wusste. Im April 2009 hatte er die Diagnose erhalten, mit sehr schlechter Prognose. Und doch machte Dieter weiter. Er „kämpfte“ nicht gegen den Krebs, er akzeptierte ihn – neben der medizinischen Behandlung – als seinem Körper und seiner Seele zugehörig. Dieter war im Gespräch nicht niedergedrückt, aber nun spüre ich unsere gemeinsame Trauer, über die wir nicht sprachen. Manches hat uns verbunden. Dies ist nun vorbei. Und doch nicht.
Sehr gerne denke ich an meine zahlreichen Besuche in seiner alten WG zurück, während des Studiums, übrigens ganz in der Nähe der Synagoge gelegen. Dieter war seinerzeit derbasisdemokratische Aktivist, bundesweit bekannt, der kämpferisch-libertäre Redner gegenüber allen dogmatischen studentischen Strömungen. Eine Szene: Gemeinsam hatten sie die Mauer zwischen ihren beiden WGs entfernt, sechs Menschen wohnten zusammen, und ein Junge. Eines Tages meldete sich die Vermieterin an, die Mauer wurde zugemauert, der Junge zu einem Ausflug eingeladen – dann ging das gemeinsame Leben weiter, noch ein paar Jahre.
Dann die Suche nach gemeinsamen Freunden. Er nutze nun gelegentlich einen Rollstuhl, wenn ihm das Gehen, krankheitsbedingt, zu schwer falle. Ab und zu gehe er nun zu einer kleinen jüdischen Gruppe, von der ich wusste. Im kleinen jüdisch-israelischen Spektrum Kölns kannte er sich ein wenig aus, verfolgte dieses jedoch mehr von außen. Zwischendurch unterbrach Dieter das Gespräch, er musste sich in die Speischale übergeben, die Krankheit – dann war er lachend wieder da. Wenn er etwas tun könne, öffentlich, zum Beispiel für den Bau des Jüdischen Museums, als bekennender Linksradikaler – dann sei er jederzeit dabei, soweit er hierzu gesundheitlich noch in der Lage sei, betonte er. Im Rahmen der Universität organisierte er mehrere Veranstaltungen zu diesen Themen. Für Dieter war es eine Herzensangelegenheit.
Ende der 1980er Jahre war Dieter Asselhoven für die Grünen im Kölner Stadtrat, aber dies konnte nicht lange gut gehen. Der damalige „traditionalistisch“-langweilige SPD-Oberbürgermeister Burger (der seinerzeit noch, erfolglos, in Tel Aviv versuchte, die Ehrung einiger Kölner Edelweißpiraten in Tel Aviv durch eine geschichtsblinde Rufmordkampagne zu verhindern) vermochte Dieters Auftritte – mit kurzer Sporthose auf den Ratssitzungen – nicht zu ertragen. Aber auch die „Realos“ unter den Grünen wollten den unbeugsamen Rebellen so rasch wie möglich loswerden.
Wenig später trat Dieter aus den Grünen aus, die Entwicklung hin zu einer „Realpolitik“ war mit ihm nicht zu machen. Sehr wach war er bereits seinerzeit für jegliche Anzeichen von Antisemitismus: Texte von Sartre, Adorno und Jean Amery über Antisemitismus fanden sich immer wieder in der Zeitung der Alternativen Liste. In seinen letzten Lebensjahren, im Wissen um seine unheilbare Krebskrankheit, wurde ihm die Instrumentalisierung seiner Person als „radikaler politischer Aktivist“ zunehmend bewusst.
Ich denke, dass er all die Jahre auch immer ziemlich gefährdet war. Dass ihn die staatlichen Überwachungsbehörden observierten war ihm schon vor 30 Jahren klar. Man wusste sich zu schützen. Aber auch von den Rechtsradikalen drohte ihm ernste Gefahr. Dessen bin ich mir sicher. Er hat diese sehr reale Gefährdung wohl verleugnet, so mein Eindruck.
Wie wird man revolutionär?
Wenige Jahre später entdeckte Dieter gemeinsam mit zwei Freunden ein lustiges Betätigungsfeld: Wenn die Mehrheitsgesellschaft von Jauchs Quizsendung „Wer wird Millionär“ schwärmte wollte er gerne gesellschaftlich hierzu beitragen – in seiner Weise.
Im Internet entwarfen sie einen linksradikalen Quiz, der sich in rasanter Geschwindigkeit verbreitete. Der angehende Revolutionär vermochte nun sein Wissen zu messen, in aufsteigendem Schwierigkeitsmaß: “Welchen Verlag wollten die 68er enteignen – Bauer, Läufer, Springer oder Turm?” Oder: „Welcher Literaturnobelpreisträger saß wegen Wehrdienstverweigerung im Knast.“ Oder auch: „Wie hieß der Hamburger Law-and-Order-Politiker, der dieses Jahr so erfolgreich bei der Landtagswahl war? Otto Schill? Oder Ronald Schily?“
Als sie in einem Jahr 130.000 Klicks auf ihrer Website zusammen hatten erkannten sie die „Marktchance“: Der Quiz erschien als Buch, erlebte gleich eine Zweitauflage.
Wir hatten noch einige mal Mailaustausch. Vor wenigen Tagen schickte ich ihm eine Einladung für eine Gartenfeier. Es kam die automatische Mailantwort, dass er z. Z. wegen seiner schweren Krankheit nicht antworten könne. Dann die Nachricht von seinem Tod.
Am 15. April ist Dieter Asselhoven in der Paliativstation im Kölner Universitätskrankenhaus, umringt von seiner Ehefrau, Freundinnen und Freunden, verstorben. Die Beisetzung seiner Urne ist am 28. April, Treffpunkt ist um 13.25 Uhr an der Trauerhalle des Melatenfriedhofs, Eingang Piusstraße.
Dieter war ein streitbarer Geist. Ich habe ihn sehr gemocht.
Shalom Dieter, mach´s gut! Viele vermissen Dich. Ich vermisse Dich. Gerne hätte ich noch ein paar Sachen gemeinsam mit Dir gemacht, Deinen Sprachwitz geteilt. Du warst und bleibst als Mensch ein Vorbild.
„Der Tod ist der Grenzstein des Lebens, aber nicht der Liebe. Wohl bist du meinem Auge fern, aber meinem Herzen nah.“
notiert AWP 2001, Jüdischer Friedhof Breslau
Der Artikel erschien bereits auf Hagalil