In den vergangenen Tagen machten Bilder von Plakaten die Runde, die Besucher eines Bochumer Parks dazu auffordern, die Oberkörperbekleidung anzubehalten. Sinn der Aktion sei es, Solidarität mit jenen zu zeigen, die sich mit nacktem Oberkörper unwohl fühlen oder gar von sexuellen Übergriffen bedroht wären. Insbesondere der Hinweis auf die möglichen Übergriffe, denen sich nackte Frauen ausgesetzt sehen könnten, ist Zynismus in seiner reinsten Form. Vergleichbare Plakate gab es in den vergangenen Monaten unter anderem in Hamburg.
Zunächst, bei den Plakaten handelt es sich, trotz vermeintlich „professioneller“ Gestaltung, um Fakes. Sie stammen, weder in Hamburg noch in Bochum, von öffentlichen Stellen. Und sie wären eigentlich auch gar keinen Kommentar wert, gäbe es nicht ein durchaus erschreckendes Maß an Zustimmung, insbesondere in sozialen Netzwerken. Ziel der linksextrem Identitären ist jedoch keineswegs „Fun für alle“, sondern die aus Dekadenz und Überheblichkeit geborene und in der repressiven Ideologie verortete Verklärung von freiheitlichen Idealen und Werten, die seit der Aufklärung erkämpft wurden. Es ist Ausdruck eines Zeitgeists, der konfliktscheue und politisch korrekte Konformität zum Ziel einer angeblich toleranten Gesellschaft erklärt. Hierbei leisten sie konservativ-repressiven Rechten Schützenhilfe, die eine klar nach Rollen geteilte Gesellschaft forcieren.
Nacktheit als Scham war über große Teile der Menschheitsgeschichte ein Unterdrückungsinstrument herrschender Klassen und Kleriker. Kleidung, als diskriminierende Vorgabe, war und ist Ausdruck religiöser, sexistischer und hierarchischer Gewalt. Dass der Mensch frei über das eigene Aussehen, die Sexualität und den Körper entscheiden kann, ist eine Erkenntnis, die erste seit der Neuzeit im Zuge der sexuellen Aufklärung erkämpft wird und zuletzt in Kampagnen gegen Bodyshaming Ausdruck fand.
Es erschrickt, wie billigend derartige Aktionen Opferumkehr betreiben. Die Verantwortung für Übergriffe trägt immer der Täter, nie das Opfer. Völlig egal, ob oder in welcher Form das Opfer gekleidet ist. Die Idee, dass die Frau qua Kleidung zum Freiwild wird, entspringt einer in sich verwahrlosten, häufig religiös dominierten Sexualerziehung, die Sexualität und Nacktheit als verpönt verklausuliert und den Wert einer Frau über den Grad an Züchtigkeit definiert.
Wer an freiheitlich liberale Werte glaubt, darf vor einer derartig repressiven Aussagelogik nicht dadurch kapitulieren, dass der Verzicht auf Freiheit gepredigt wird.
Der Philosoph Robert Pfaller bezeichnet dies als „Beuteverzicht“ des egozentrischen, postmodernen Menschen, der um den Preis, sich nicht mit ernsthaften Problemen beschäftigen zu müssen, im Zweifel gewillt ist, Errungenschaften aufzugeben. Nicht die Freiheit der Gesellschaft, sondern die Inszenierung des eigenen Egos und der geistig-inzestuös aufgestellten Peergroup stehen im Mittelpunkt.
Sexuelle Übergriffigkeit, Bodyshaming und Gewalt sind Probleme, die in der Lösung zu unangenehmen Konflikten mit großen Gesellschaftsgruppen führen werden. Umgehen wir diesen Konflikt, vergehen wir uns aber an allen, die für heutige Freiheitsrechte gekämpft haben und riskieren im Ergebnis eine Gesellschaft, die, Zitat Pfaller, von stumpfsinnigem Globalnarzissmus geprägt ist und wesentlich mehr zu verspielen droht, als „nur“ das Recht auf sexuelle Selbstbestimmtheit.
Mit autoritärem Bedürfnis, zu strafen, und Kompensation von Theoriefeindlichkeit durch "Privileg!"-Geschrei schafft man bestimmt ganz schnell die befreite Gesellschaft herbei.
Steht fest, daß das nicht von einem AfD-nahen Umfeld gestreut wird, um alle Anflüge einer irgendwie multikulturellen Gesellschaft zu diskreditieren?
Falls eine "links-identitäre" Urheberschaft definitiv fest stehen sollte, würde mich dies in meiner Grundannahme, daß es keine linke identitäre Haltung geben kann, und es sich darum in Wirklichkeit um eine extreme, neurechte politische Gesinnung mit rotem Coating handelt, bestätigen.