Shōgun: Warum man sich den Emmy-Rekord-Gewinner anschauen sollte

Der mächtige Bushō Yoshii Toranaga bei der Falkenjagd. Foto: FX
Der mächtige Bushō Yoshii Toranaga bei der Falkenjagd. Foto: FX

Die Serie Shōgun gewann bei den diesjährigen Emmy Awards insgesamt 18 Trophäen – Rekord. Filmbarone-Host Robert Herr schreibt, warum das absolut verdient ist und man die Serie unbedingt gesehen haben sollte.

In der 2024er-Adaption von Shōgun ist Osaka mehr als nur eine Stadt – es ist ein Geisteszustand, ein Gefängnis der Erwartungen, aus dem jede Figur verzweifelt zu entkommen versucht. Die neue Adaption ist weniger eine Neuauflage von James Clavells Roman als vielmehr eine Neuinterpretation – ein Schritt weg von der bekannten Geschichte hin zu einem Terrain, in dem historische Verwicklungen und kulturelle Nuancen nicht nur widerwillig eingeräumt werden oder Teil des Bühnenbildes sind, sondern im Vordergrund stehen. Diese Serie ringt mehr als ihre Vorgänger mit dem starken Arm kultureller, gesellschaftlicher und politischer Determinismen, während die Charaktere darum kämpfen, sich von den Fesseln ihrer Zeit und ihrer Umgebung zu befreien. Das spiegelt Themen wider, die man in der klassischen japanischen Literatur findet, etwa in Chikamatsu’s Stücken, wo die Figuren ähnlich von gesellschaftlichen Erwartungen gefesselt sind. Shōgun bringt dieses Konzept jedoch durch den Kontrast mit John Blackthornes westlichem Individualismus noch schärfer in den Fokus.

Eine der auffälligsten Veränderungen in dieser Adaption ist die Entscheidung, die Romanze zwischen Blackthorne und Lady Mariko in den Hintergrund zu rücken. In der Miniserie von 1980 war diese Beziehung ein zentraler Handlungsstrang, eine verbotene Liebe, die sich sowohl unvermeidlich als auch zum Scheitern verurteilt anfühlte. Auch Clavells Roman räumte dieser Affäre viel Platz ein und erforschte die emotionalen und kulturellen Spannungen, die sie erzeugte. Die Version von 2024 behandelt ihre Romanze jedoch mit viel leichterer Hand, fast so, als wolle sie suggerieren, dass in einer Welt, die so gründlich von Pflicht, Ambition und Überlebenswillen geprägt ist, Liebe ein viel zu kostspieliger Luxus ist. Marikos Loyalität zu Toranaga, ihr Pflichtgefühl und die schiere Kraft ihrer Umstände überwältigen ihre persönlichen Wünsche und spiegeln das übergreifende Thema der von ihren gesellschaftlichen Rollen gefangenen Individuen wider. Diese Entscheidung verstärkt die allgemein deutliche Zurückhaltung in der Serie und macht die seltenen Momente der Zärtlichkeit zwischen ihnen umso ergreifender.

Starke Charaktere gespielt von Darstellern in der Form ihres Lebens

Marikos Charakter ist inspiriert von der historischen Figur der Hosokawa Gracia, einer Frau, deren Leben von Unsicherheit und Tragik geprägt war. Geboren als Akechi Tama war sie die Tochter des berüchtigten Verräters Akechi Mitsuhide, der Oda Nobunaga verriet – eine Tat, die letztlich ihr ganzes Leben überschatten sollte, das sie weitestgehend eingesperrt in einer Villa in Osaka verbrachte. Zum Christentum konvertiert und in den Hosokawa-Clan eingeheiratet, wurde Gracia zu einem Symbol für das komplexe Zusammenspiel von Politik, Religion und persönlicher Überzeugung während der späten Sengoku-Zeit. Ihr Ende war so tragisch wie sinnbildlich für die Epoche – gefangen im Kreuzfeuer der Samurai-Ehre und der brutalen Machtkämpfe der Zeit, zog sie den Tod der Entehrung vor (oder der Tod wurde der Entehrung für sie vorgezogen, wenn wir eher den jesuitischen Quellen glauben wollen), ähnlich wie viele der Charaktere in Shōgun, die sich unlösbaren Zwickmühlen gegenübersehen, die die Kräfte widerspiegeln, die auch Hosokawa Gracia an Osaka banden.

Die neue Adaption sticht auch durch ihre dunklere, komplexere Darstellung von Lord Toranaga hervor, meisterhaft gespielt von Hiroyuki Sanada. Im Gegensatz zu Toshiro Mifunes Darstellung in der Adaption von 1980, wo Toranaga ein schlauer, aber jovialer Stratege war – ein Fuchs in einem Hof voller Löwen – ist Sanadas Toranaga eine machiavellistische Figur, ein Caesar, der am Rande seines Rubikon taumelt. Er ist getrieben, berechnend und sich der Unsicherheit seiner Position zutiefst bewusst. Seine Ambitionen sind groß, seine Methoden rücksichtslos und seine Vision klar: Überleben und Macht, um jeden Preis. Diese Darstellung verleiht seinen Interaktionen mit anderen Charakteren zusätzliche Spannungsebenen, insbesondere mit Blackthorne, dessen eigene Naivität und dessen Ungestüm in starkem Kontrast zu Toranagas kaltem Pragmatismus stehen.

Tadanobu Asanos Darstellung des Kashigi Yabushige ist ein weiterer Höhepunkt. Yabushige wird mit einer Nuance porträtiert, die oberflächliche Loyalität, Ambition und eine allgegenwärtige unterschwellige Frustration vereint – ein Mann, gefangen zwischen seiner Pflicht und seinen eigenen mächtigen Begierden, so verzweifelt darauf aus, Osaka zu verlassen, dass er Verrat wagt und dabei alles aufs Spiel setzt. Asano verleiht Yabushige eine zurückhaltende Intensität, die seine Momente des Handelns und der Reue noch eindrucksvoller macht. Es ist eine Darstellung, die den Kern des thematischen Herzens der Serie trifft: den Kampf, dem Schicksal zu entkommen, das Osaka repräsentiert.

 

Osaka verlassen

Und Osaka – ach, Osaka. Die Stadt ist mehr als nur ein Schauplatz, sie ist ein Symbol für die Gefangenschaft, der jede Figur gegenübersteht. Von Blackthornes verwirrten Versuchen, sich in ihren Straßen und ihrer Politik zurechtzufinden, über Toranagas absurde Charade innerhalb ihrer Mauern bis hin zu Marikos stillen Kämpfen gegen ihr eigenes Schicksal – Osaka zu verlassen ist nicht nur ein physischer Akt, sondern ein existenzieller Kampf. In einer Welt, die von starren Hierarchien, kulturellen Erwartungen und politischen Machenschaften beherrscht wird, ist jeder Ausbruch aus Osaka ein Moment des Trotzes, eine kurze Rebellion gegen das scheinbar unausweichliche Schicksal.
Letztendlich ist Shōgun eine Meditation über die Kräfte, die unser Leben formen. Die wiederholten Versuche der Charaktere, Osaka zu verlassen, sei es körperlich, geistig oder ideell, spiegeln unsere eigenen Kämpfe gegen die Determinismen – kulturell, politisch, persönlich – wider, die uns binden. Und wie sie stellen wir fest, dass das Verlassen von Osaka keine leichte Aufgabe ist. Es ist eine Reise voller Gefahren, bei der jeder Schritt vorwärts mit dem Widerstand von Kräften jenseits unserer Kontrolle beantwortet wird, die uns dazu zwingen, Opfer zu bringen. Doch es ist im Versuch, im Kampf um Befreiung, dass wir das wahre Maß unseres Charakters nehmen. Und das macht diese neue Adaption vielleicht nicht nur zu einer Nacherzählung, sondern zu einer Neuerfindung – ein Shōgun für unsere Zeit, eine Geschichte über das Verlassen von Osaka.

Hinweis: In Deutschland kann man Shōgun auf Disney+ schauen.

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