Sich fördern lassen von der AfD? Die Kultur, der Betrieb, das bisschen Hass

Roßmarkt Frankfurt aM Januar 2024 by conceptphoto.info cc 2.0

Der Kulturbetrieb nennt sich gern „Die Vielen“, er will nicht wirklich, was er fordert: eine Brandmauer zur Höcke-Partei.

Entschieden lehnen sich Kulturakteure dagegen auf, dass staatliche Mittel gebunden werden könnten daran, Judenhass zu wehren und nicht zu fördern. Eine Klausel gegen Antisemitismus, heißt es, sei „Gesinnungsprüfung“. Wäre es anders, stünde eine Klausel gegen die antisemitische AfD zur Diskussion? Eine ohne Prüfung, ohne Ankreuzen, ohne Zwang? Nur dass, wer Fördermittel empfängt, aus freien Stücken erklärte, er nähme keinen Cent entgegen, wenn den die AfD mitbeschlossen hätte? Es wäre eine öffentliche Selbstverpflichtung, die klarstellte, dass sich die Brandmauer zur AfD nicht allein durch Parlamente zieht, auch durch die Kulturlandschaft. Den AfD-Anteil aus einer Fördersumme herausrechnen ist schnell getan, er entspricht den AfD-Stimmen im zuständigen Kulturausschuss. Mit dem nicht verausgabten Geld ließen sich Projekte stärken, die Judenhass bekämpfen „in allen seinen Formen“. Ist das realistisch? Beispiel: „DIE VIELEN“

eine bundesweite Initiative mit österreichischem Ableger, Ende 2018 in Berlin von zunächst 140 Kultureinrichtungen gegründet, ihr Ziel: öffentlich erkennbar gegen AfD einstehen, Strategien gegen einen rechtspopulistischen Mainstream entwickeln, sich wechselseitig vor Übergriffen schützen. Etwa 3750 Kulturinstitute, Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, 341 davon aus NRW haben sich angeschlossen und eine „Selbstverpflichtung“ unterzeichnet, dass sie die Ziele des Vereins mit „Aktionstagen, Dialogforen und Mobilisierung zu Demonstrationen“ öffentlich vertreten: „Es geht um Alle“, heißt es in ihrem gemeinsamen Aufruf, „um jede*n Einzelne*n als Wesen der vielen Möglichkeiten!“

Ende 2022 dient der euphorische Jargon mit Sternchen dazu, den Verein aufzulösen, jetzt heißt es, „DIE VIELEN sind wir alle!“  –  Betonung auf sind  –  und das Ende der Kampagne sei „der Anfang“ dafür, dass der „Glanz unserer Bewegung“ erhalten bleibe „gerade jetzt, wo wir uns so sehr an die Anwesenheit Rechtsextremer in Parlamenten gewöhnt haben“. Ein weiteres Jahr später ist wiederum mit der Gewöhnung Schluss, „keine Normalisierung von rechtsextremer Politik in den demokratischen Parlamenten“ lautet die jüngste Forderung, der Verein gründet sich neu.

Eine eigenartige Unschlüssigkeit, die nicht passen will zu der Entschiedenheit, mit der „Die Vielen“ auftreten  –  sich selber stellen sie als #wirsinddiebrandmauer vor  –  und auch nicht dazu passt, dass es, den Recherchen des Journalisten Peter Laudenbach zufolge, der eng mit „Die Vielen“ zusammengearbeitet hat, zwischen November 2016 und Oktober 2021 mehr als 100 „rechte Angriffe auf die Kunstfreiheit“ bundesweit gegeben hat, sie reichen von Propagandadelikten und Kleinen Anfragen der AfD im Bundestag über gesottene Hassmails und detaillierte Morddrohungen bis hin zu Brandstiftungen und Sprengstoffanschlägen. „Der Zusammenhang zum Aufstieg der AfD ist dabei evident“, schreibt Laudenbach und beruft sich auf eine Studie der Universität Kassel, sie hatte diverse Verbände und Initiativen des Kulturbetriebs befragt: „‘Je höher der Zweitstimmenanteil der AfD im jeweiligen Bundesland ist, desto eher sehen die Verbände eine Gefahr für die eigene Organisation.‘“ Die neue Rechte, so Laudenbachs Summar, habe „Kultur als Kampffeld für sich entdeckt“, sie bearbeite es „mit einigem Aufwand“.

„Rechte Einflugschneisen“

Nur gibt die Studie dies keineswegs her. In „Einfallstor für rechts?“ hat das Kassler Team um den Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder in 2021/22 acht zivilgesellschaftliche Subsysteme empirisch und vergleichend untersucht und insgesamt 1100 Verbandsakteure  –  ua auch „Die Vielen“  –  nach ihren Erfahrungen, Reaktionen und ihrer Selbstwahrnehmung befragt, das Resümee: „Der Kulturbereich ist kein Brennpunkt rechter Aktivitäten“, zur Zielscheibe seien vielmehr die Freiwilligen Feuerwehren (100 %), Kirchen (92 %) und Gewerkschaften (86 %) geworden, der Fußball (66 %), Wohlfahrtsverbände (64 %) und Naturschutz (56 %) lägen im Mittelfeld, ihnen folge das Schützenwesen (43 %) und schließlich die Kultur mit 23 %.

Ein erstaunliches Ranking auch deshalb, weil sich der Kulturbetrieb selber als besonders resilient vorstellt, er sieht sich als homogene Angriffsfläche: 88 % der Befragten erklären, unter ihresgleichen, den im Kulturbetrieb Beschäftigten, kämen rechte Einstellungen „überhaupt nicht“ vor. Zum Vergleich: im Fußballbetrieb erklären dies 24 % von sich selbst.

Die wenigsten Angriffe von außen, die wenigsten Nazis inside, diese Selbstwahrnehmung des Kultursektors mag erklären, dass in der Einschätzung der Gefahr, die ihm von rechtsextremer Seite droht, „gewisse Uneinigkeiten“ bestehen, die sich, so die Studie, nicht auf die Ost-West-Achse umlegen lasssen: „Während 40 % der Bundesverbände (im Kultursektor; ähnlich die Zahlen auf Landesebene; thw) die Phänomene als ‚sehr gefährlich‘ einstufen, bewerten 60 % die Situation als ‚wenig gefährlich‘.“

Schlagen „Die Vielen“ also falschen Alarm? Klar ist, die Situation ist örtlich verschieden, sie sortiert sich weder nach dem Muster von Stadt/Land noch nach dem von Ost/West, und wo die Kultureinrichtungen reagieren, tun sie es vor allem „inhaltlich-kommunikativ“. In Bochum etwa hat Johan Simons die Correctiv-Recherche über AfD-Pläne für „Re-Migration“ inszeniert, aber nicht im geschlossenen Haus, sondern im städtischen Raum en passant.

Klar ist aber auch: „Die Vielen“ sind nicht „alle“ und das „Kampffeld“ Kultur –  noch einmal die Kassler Studie  –  „kein Epizentrum rechter Aktivitäten“. Unklar, warum das so ist. Zweifellos ist die AfD eine extrem rechtspopulistische Partei, zu wesentlichen Teilen  –  ihren thüringischen, sächsischen und sachsen-anhaltinischen Verbänden  –  wird sie von den Behörden als gesichert rechtsextrem gewertet, die Übergänge sind fließend. Kulturpolitisch zerfließt die Partei vollends, ein Blick ins Wahlprogramm der Thüringer AfD:

Dutzende Male ist darin von „Identität“ die Rede, ihretwegen verspricht die Höcke-Sektion „den Erhalt und die Fortentwicklung des bewährten Theater- und Orchesternetzes“, das allerdings frei sei von „politischer Instrumentalisierung“, weil erst in der „kritischen Distanz des Kulturbetriebes gegenüber der Politik“ sich die „gesellschaftskritische Funktion der Kunst“ entfalten könne, der ihrerseits ein „reiches Vereinsleben“ zur Seite gestellt werde sowie „die vielen (!) Institutionen und Orte der Volkskultur“, damit sich ein „freies und uneigennütziges Engagement“ entwickele usw.

Streckenweise liest sich, was die AfD kulturpolitisch offeriert, wie ein Forderungskatalog der Grünen aus den 80ern, hier allerdings betitelt mit „Alles für Thüringen“ und, falls wer den Wink nicht kapiert, mit einer weiteren Deutungshilfe versehen: Vorgeschaltet ist dem Wahlprogramm das Gedicht eines glühenden Nazis und eingefleischten Antisemiten, der, darauf hat Frederik Schindler jetzt in Die Welt aufmerksam gemacht, Hitler deshalb gehuldigt hat, weil der die „deutsche Kunst“ von „fremdrassigen Schunderzeugnissen“, von „Spottgeburten entarteter Gehirne“ und einem „verkommenen Untermenschentum unter semitischer Führung“ gereinigt habe. Das Gedicht selber  –  „Rauscht ihr noch ihr alten Wälder hoch vom Rennstieg euren holden Sang?“  –  reimt sich Felder auf Wälder zusammen und Klang auf Sang und tümelt dem Ende zu wie ein Kameradschaftsabend im Kyffhäuser.

Wenn die Brandmauer nicht hält: Luftschutzbunker in Bochum-Dahlhausen by Simplicius cc 3.0

Natürlich wird einem blümerant, dann in Höckes Programm zu lesen, dass ein „erster Schritt in die richtige Richtung“ darin bestehe, „die Spielräume und die Möglichkeiten der kommunalen Kulturförderung zu vergrößern und kulturpolitische Verantwortung stärker lokal und regional zu verankern.“ Um hier die wesentlichen Zahlen anzureichen: Laut des jüngsten Kulturfinanzberichts gaben Bund, Länder und Gemeinden in 2020 gesamt 14,5 Milliarden Euro für Kultur aus, davon entfielen 22,4 % auf den Bund (mit stark steigendem Anteil), mehr als drei Viertel hingegen auf Länder (38,6 %) und Kommunen (39,1 %). Der Förderhahn als Stellschraube, der Dreh ist effektiv, von allen Kultureinrichtungen ist der größte Teil  –  bei den „Die Vielen“ dürften es so gut wie alle sein  –  unmittelbar und gänzlich abhängig von staatlichen Zuwendungen und somit von den Wahlergebnissen in Kommunen und Ländern. Und das, sagt Holger Bergmann, Vorstand von „Die Vielen“  –  kuratorisch ist Bergmann großgeworden im Ringlokschuppen Ruhr, seit 2016 ist er Geschäftsführer einer der großen Förderfonds des Bundes  –  „das ist eine konkrete Gefahr, dass in Kommunen, in denen Verantwortung in die Hände der AfD gerät, sich eine andere Kultur ergeben wird.“

Das „Kampffeld“ wird, wenn man so will, nicht von rechts nach links, sondern von unten nach oben aufgerollt. Dass sich eine solche Möglichkeit überhaupt ergibt und der AfD diese Karte in die Hand gespielt wird, ist das eigentliche Versagen des Kultursektors. Es rächt sich jetzt, dass der so diskursiv aufgestellte Betrieb, als sich 2012 eine breite öffentliche Diskussion über „Der Kulturinfarkt“ entspann  –  vier kulturpolitische versierte Autoren hatten die unterhaltsame Frage gestellt, wie frei sich Kultur entwickeln könnte, würde man die Hälfte der dinosaurischen Einrichtungen schließen  – , alles daran gesetzt hat, das Gedankenspiel wie einen Brandherd auszutreten. Und dass bereits fünf Jahre zuvor, Ende 2007, die Enquete-Kommission des Bundestages „Kultur in Deutschland“ den steuerabhängigen Kultureinrichtungen einen „Mentalitätswechsel“ empfohlen hatte und einen Blick ins „angelsächsische Ausland“: In Großbritannien etwa werde die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen „an die Bedingung geknüpft, einen Eigenanteil in Höhe von 40 Prozent des jeweiligen Etats selbst zu erwirtschaften“.

40 % Unabhängigkeit?

Es hat damals keine Die Vielen gegeben, die eine Selbstverpflichtung eingegangen wären, dass sie sich schrittweise ablösen wollten von einer Versorgungsmentalität, von der sie weiterhin glauben, sie bedeute Freiheit. „Es bedarf hier aus Sicht der Enquete-Kommission“  –  der Ratschlag aus dem Bundestag ist knapp sechs Jahre älter als die AfD  –  „eines umfassenden Wandels im Selbstbild der Kulturschaffenden.“ Es gab ihn nicht, inzwischen sind selbst Schützenvereine eine härtere Nuss für die Höcke-Partei. Auf dem „Marsch durch die Organisationen“  –  so ein AfD-Strategiepapier aus 2019, das sich offensichtlich am Werdegang der 68er-Generation durch die Institutionen orientiert  –  stehen die Türen der Kultur keineswegs offen, sind aber auch nicht verriegelt, Beispiele:

  • Mitte der 80er bereits hatte Alain Finkielkraut die Vorstellung von kultureller Identität als die „moderne Übersetzung von Volksgeist“ demaskiert: Links wie rechts diene die Vokabel Kultur als „humanistische Standarte für die Einteilung der Menschheit in kollektive, unüberwindbare und irreduzible Gebilde“, so der französische Philosoph 1986 in Die Niederlage des Denkens. Den Siegeszug identitären Denkens, sei es essenzialistisch gegründet oder strategisch konzipiert (Gayatri Spivaks Can the Subaltern speak erschien zwei Jahre später), hat kürzlich Bernd Stegemann nachgezeichnet: „Identitätspolitik“, so der Professor für Dramaturgie und Kultursoziologie, „spricht die archaischen Instinkte der Urhorde an“, sofern sich darin überhaupt eine emanzipatorische Kraft zeige, sei sie „unberechenbar, die Waffen bleiben niemals im Besitz nur einer Seite“. Im Waffengang geübt ist längst auch die AfD, die mal eine „thüringische Identität“ beschwört und mal eine „gegebene“, mal eine „sächsische“ und mal „aufgegebene“, mal eine „kulturelle“ und dann „nationale“, mal eine „angestammte“ und dann „deutsche“, dann eine „kollektive“ und eine „unsere“ und zugleich „persönliche“  –  und die schließlich den „Zerfall der Gesellschaft in immer mehr Teilidentitäten“ bejammert. Entkommen kann solchem Identitätsfuror nur, wer die identitäre Denke selber drangibt, im Kulturbereich sind dafür keine Mehrheiten in Sicht: Solange die Gender-Denke denkt, sie stehe der AfD gegenüber, arbeitet sie ihr entgegen.
  • Auch in den Formen, in denen „Identität“ behauptet wird, fallen sich AfD und weite Teile des Kulturbetriebs in die Arme: Carsten Brosda (SPD) beispielsweise, Hamburger Kultursenator und Mitbegründer von „Die Vielen“, tischt immer wieder ein Zitat von Heinrich Böll aus dessen „Wuppertaler Rede“ von 1966 auf: Kunst müsse „zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf“. Die Provo-Pose, in der Brosda Böll erstarren lässt, unterscheidet sich nicht von der, die Höcke einnimmt, wenn der die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Nur dass Böll in seiner „Rede für die Freiheit der Kunst“ gleich dreimal klargestellt hat: Wer mit der Kunst zu tun habe, „braucht keinen Staat“. Damit hat Böll der Kunst die rote Linie eingezogen: dass sie nichts braucht, nicht einmal Freiheit, was sie „einzig und allein“ brauche, sprach Böll, „ist Material  –  Freiheit braucht sie nicht, sie ist Freiheit“. Brosda dagegen wischt Böll ausdauernd weg, er will  –  und wäre beinahe Staatsminister geworden damit im Kanzleramt  –  die Provo-Pose mit Tarifvertrag. Das Sagbare verschieben? Ist das, was er fordert, wenn er fördert.
  • „Das Theater macht, was die Regierung will.“ Der Satz stammt von Hans-Thomas Tillschneider, kulturpolitischer Sprecher der AfD im sachen-anhaltinischen Landtag, der Mann zählt zur Rechtsextremen. „Abweichende Meinungen werden, inspiriert durch den Staat, öffentlicher oder individueller Gewalt ausgesetzt“, der Satz stammt von Oliver Frljić, Hausregisseur am Maxim Gorki Theater in Berlin, es ist Teil der „Die Vielen“. Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Frljić, Teil auch der künstlerischen Leitung des hochsubventionierten Hauses, über „Zensur in Deutschland“  –  es klingt „wie eine rechte Wutbürgerrede“, schreibt ein entgeisterter Peter Laudenbach in der SZ, „wie der Versuch, nahtlos an das Weltbild von Reichsbürgern anzuschließen“. In der Kassler Studie über „Einfallstore von rechts“ wird Frljić als prominentes Beispiel nominiert für einen „Auseinandersetzungsprozess“, den die Kulturbranche mit „rechten politischen Dynamiken“ führe.
  • Im Auseinandersetzungsprozess mit antisemitischen Dynamiken wiederum behaupten Kulturakteure landauf landab, dass sie, sollte Antisemitismus als Förderzweck tatsächlich einmal ausgeschlossen werden, einer „Gesinnungsprüfung“ unterlägen, es klingt wie „Gesinnungstheater“, wie jenes Etikett, das die AfD nicht zuletzt aufs Maxim Gorki münzt. Als schließe sich ein Kreis.
„Gegen jede Form des Antisemitismus“: Olaf Zimmermann auf der Frankfurter Buchmesse 2018 by Martin Kraft cc 4.0

Brandmauer gegen rechts? Bis Mitte Oktober 2023 sammelten „Die Vielen“ ihre Erstunterzeichner ein für ihren Neustart, seit Ende Oktober treten sie wieder öffentlich auf  –  und kein Wort, kein einziges zu 10/7, zum Bruch der Zivilisation, den Hamas währenddessen begangen hat. Kein Wort zu den Demokraten, die zerstückelt wurden, zu den 364 Besuchern des Nova-Festivals, den 40 vom Musikfestival entführten Geiseln. Bis heute nicht. „Gerade jetzt werden wir uns gegen jede Form des Antisemitismus einsetzen“ textet die Branche frei von jeder Scham wenige Tage nach 10/7, gerade jetzt „spannen wir tausende Schutzschirme“  –  darunter nicht eine Geste des Mitgefühls, keine der Sorge um die Entführten, keine des Beistands für die, die sich, weil mitten in Deutschland bedroht, zurückziehen aus einer Öffentlichkeit, die sie, „Die Vielen“, für sich selber reklamieren. Wie sowas passiern kann? Es hat erneut mit Selbstwahrnehmung zu tun, „Die Vielen“ phantasieren sich selber als die wahren Opfer:

„Als Aktive der Kulturlandschaft in Deutschland“, erklären sie, „stehen wir nicht über den Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden“, so eröffnet ihr Gründungsdokument: „In diesem Land wurde schon einmal Kunst als entartet diffamiert und Kultur flächendeckend zu Propagandazwecken missbraucht. Millionen Menschen wurden ermordet oder gingen ins Exil, unter ihnen auch viele Künstler*innen.“

Ein Holzkopf weiß, wie gelogen das ist und wie gelegen es kommt, die allermeisten Aktiven der Kulturlandschaft in Deutschland kamen klar mit einer Politik, die jene Versorgungsmentalität geschaffen hat, der „Die Vielen“ heute anhängen, Beispiel Theaterbranche: 1933 gab es, folgt man zeitgeschichte-online, rund 22 000 Beschäftigte an 147 der subventionierten Theater, sieben Jahre darauf waren es 248 Theater mit doppelt so vielen Beschäftigten und deren Bezüge spürbar angehoben, die Arbeitsbedingungen verbessert, die Spielstätten in Schuss gebracht; die Eintrittspreise abgesenkt, die Subventionen vervielfacht, die Zuschauerzahlen explodiert. Das Bochumer Schauspielhaus etwa erzielte in der Spielzeit 1942/43  –  die Spielzeit auch in Stalingrad  –  mit 212 000 Zuschauern einen bis heute kaum mehr erreichten Rekord. Der nationalsozialistische Kulturbetrieb litt unter keinem Personalmangel, niemand hat die Juden vermisst, es lief wie subventioniert.

Sowas wie ein Lattenzaun

Würde heute wer Israel vermissen? Heute, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Dachverband vieler kultur- und medienpolitischer Verbände, heute müsse es „gerade im Kulturbereich eine ganz klare, eindeutige Haltung gegen jede Form des Antisemitismus geben, aber“  –  und hier greift die identitäre Logik ein wie eine Auto-Korrektur, jenes Wir-Denken, das es unmöglich gemacht hat, ein leises Mitgefühl zu formulieren für die Opfer des Antisemitismus und dem bis heute kein Protest gegen die islamo-faschistische Hamas über die Lippen kommt  –  aber, sagt Olaf Zimmermann, „wir müssen das in einem Schulterschluss machen und nicht in Ausgrenzung.“

Zimmermann nimmt man es ab, dass er mit „Die Vielen“ eine Brandwand mauern will, ihn begleiten die besten Wünsche und der Vorschlag, dass „Die Vielen“  –  sie sind damit vertraut, sich vor der Öffentlichkeit zu verpflichten  –  gemeinsam das Geringste erklärten: Kein Geld von der AfD. Jeder Euro, dem AfD zustimmt, gehe, anteilig herausgerechnet, an einen „Die Vielen“-Fonds, der Judenhass in seinen vielen Formen bekämpft. Den finanziellen Ausfall, den das bedeuten könnte, dürften schnell die Vielen abfangen, die gerne und mit Freuden einen coolen Anti-AfD-Aufschlag für ihre Tickets zahlten. Marketingtechnisch ein Freispiel. Vielleicht bringt eine Kulturbranche, die von sich denkt, sie sei „die Brandmauer“, es doch noch bis zum Lattenzaun, es wäre dringend.

 

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Transparenzhinweis: Der Autor ist selber Teil des Kulturbetriebs, er verantwortet Konzept und Programm der Christuskirche Bochum, einer der drei großen Kulturkirchen im Land.

 

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