Er ist der wohl unglücklichste Wahlsieger im ganzen Land. Ulrich Sierau war für 24 Stunden unangefochtener Oberbürgermeister von Dortmund — bis plötzlich ein Millionenloch in der Stadtkasse auftauchte, von dem er nichts gewusst haben will. In drei Monaten wird wieder gewählt.
Ullrich Sierau sitzt zwischen seinen Umzugskartons und poltert. „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden.“ Die Mine des weißblonden Sozialdemokraten verzieht sich ironisch. Sierau kämpft seit zwei Jahren darum, Oberbürgermeister in Dortmund zu werden. Für einige kurze Nacht war er es auch – jetzt wird in drei Monaten wieder gewählt, wieder muss Sierau in den Fußgängerzonen der Ruhrgebietsstadt frieren und gegen die selben Kandidaten der anderen Parteien antreten. Denn in Dortmund ist das politische Chaos ausgebrochen. Hier findet für Bürgerinnen und Bürger eine bundesweite Premiere statt: Die Bürgermeisterwahl muss wiederholt werden. Zahlreiche Bürger und Parteigänger haben den Urnengang vom vergangenen August angefochten. Sie werfen Sierau Wahlbetrug vor, weil er und sein Vorgänger ein riesiges Haushaltsloch verschwiegen haben sollen. „Ich wurde in eine Scheiße gerissen, aus der ich nicht mehr raus kam,“ sagt Sierau im Ruhrgebiets-Hochdeutsch. Seine hellen Augen funkeln. Der bullige Körper ist angespannt.
In Sieraus Story ist er das Opfer. Am Tag nach seinem fulminanten Sieg in der viel beschworenen Herzkammer der Sozialdemokratie musste der Stadtplaner im Radio anhören, wie sein Vorgänger Gerhard Langemeyer mit knappen Sätzen sein Grab schaufelte: Genosse Langemeyer verkündete auf einer Pressekonferenz einen Nothaushalt für die drittgrößte Stadt in Nordrhein-Westfalen. Langemeyer und die inzwischen strafversetzte Kämmerin kannten die klaffende Lücke im Haushalt, Sierau will von ihr nichts gewusst haben. „Das war ein Komplott des Wegguckens,“ sagt er heute. Der gestandene Genosse, durch alle Parteiebenen gewandert und in einer Kampfkandidatur zum OB-Kandidaten erklärt, ringt um Fassung, die Fäuste ballen sich neben der Kaffeetasse.
Aber Sieraus Story wollte im Rathaus kaum jemand glauben. Die Parteien, auch die jahrelang mit der SPD koalierenden Grünen, forderten seinen Rücktritt. Nach Wochen lenkt Sierau ein und verficht seitdem selbst eine Wahlwiederholung. Seit Mitte Januar wird Dortmund von dem dienstältesten Ratsherren, auch einem Genossen, regiert und Sierau residiert wieder in seinem alten geräumigen Büro als Planungsdezernent. Von der anderen Flurseite kann der 52-Jährige die Türme des historischen Rathauses sehen, in dem er für einen Tag als strahlender Regent und für viele Wochen als angefeindeter „Wahlschwindler“ saß.
Seitdem herrscht im Rathaus Anarchie. Feste Mehrheiten gibt es nicht mehr, für jede Sachfrage werden neue Koalitionen geschmiedet. Für eine ehemalige Industriestadt, in der die SPD seit Jahrzehnten regiert, ein Novum. Für die CDU ebenso, sie hatten jahrelang kaum eine Stimme in der Arbeiterstadt. „Das ist hier Demokratie in Vollendung“, frohlockt der Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Manfred Jostes. Um jede Entscheidung werde parteiunabhängig gerungen. So wurden in einer großen schwarz-roten Koalition das Sozialticket, ein verbilligtes Busticket für Hartz-IV-Empfänger und Herzensprojekt der Grünen, wieder abgeschafft. Der Vertreter von Sierau wurde hingegen in einem Jamaika-Bündnis gewählt. Der erneute CDU-Kandidat Joachim Pohlmann unterlag vergangenen August deutlich. Aber diesmal wird es wohl ein knappes Rennen. Oder eher ein langsamer Zieleinlauf. Keine der Parteien hat noch die Kraft, einen langen Wahlkampf hinzulegen. „Wir sind finanziell und personell ausgepowert“, sagt Jostes.
Ihre Energien verschwenden die Parteien schon seit Monaten im täglichen Kleinkrieg. Protokolle von längst vergangenen Gesprächen werden herangezogen um zu belegen, wer etwas von dem Schuldenberg der Stadt gewusst haben könnte. Warum die Pleite überhaupt verschwiegen wurde kann aber niemand erklären. Im Ruhrgebiet ist nahezu jede Stadt bankrott, die SPD-Bürgermeister von Oberhausen und Gelsenkirchen, den beiden ärmsten Kommunen im Pott, haben glänzende Wahlergebnisse eingefahren. Und dass es Dortmund nicht viel besser gehen kann war auch jedem klar. „Mir wurde mulmig, als die Kämmerin mich dann unterrichtet hat“, sagt Sierau. Er verstehe selbst nicht, wie das Loch seiner Kenntnis entging. „Ich höre sonst hier das Gras wachsen“, sagt er und zeigt aus seinem Fenster auf die Innenstadt, als gehörte sie ihm.
Doch mit so hohen Schulden hat der kommende Rathauschef wenig Spielraum. Das dringend notwendige Sparen spielt trotzdem auch bei dieser Wahl wieder keine große Rolle. Wer buhlt schon mit einer Streichliste um die Gunst der Bürger? Dabei könnte Dortmund den gesamten Kulturetat streichen, die Stadt würde immer noch Miese machen. Und so wird über die Renovierung des maroden Hauptbahnhofes gestritten, der eigentlich schon zur Weltmeisterschaft 2006 umgebaut sein sollte oder über neue Jobs für die ehemalige Industriestadt. „Eine vernünftige Ratsarbeit ist nicht möglich“, sagt die grüne Fraktionssprecherin Ingrid Reuter genervt. „Dortmund dümpelt kopflos vor sich hin.“ Jeder suche sich täglich das aus, was ihm persönlich gerade am besten passt. Die Grünen müssen fürchten, nach Jahren an der Regierung auf die Oppositionsbank zu rücken. Jeden Tag könnten sich zwei Parteien überraschend zu einer Koalition zusammen schließen. Theoretisch würde es für Rot-Grün wieder reichen, aber die „Stimmung ist schlecht.“ Deshalb kungeln jetzt CDU und SPD immer öfter, zuletzt haben die Genossen einen Schwarzen an die Spitze der kommunalen Versorgungsbetriebe gehievt. Aber die Landtagswahl im Mai kann ohnehin wieder alles umwerfen. Sicherlich wird Düsseldorf sich dann ins Dortmunder Personenkarussel einmischen. Schließlich ist die SPD-Stadt symbolisch wichtig für beide Parteien. Und bislang ist völlig unklar, ob schwarz-gelb an Rhein und Ruhr weiterregieren kann.
Auch für Sierau ist die Wahl entscheidend. „Wenn ich nicht gewinne, bin ich politisch weg vom Fenster“, sagt er. Und fügt eilig hinzu, dass er aber natürlich gewählt würde. Die Bürger wüssten — er sei einer von ihnen. Und schließlich ginge es ihm ja hervorragend.
Die Geschichte erschien auch in der Frankfurter Rundschau
Annika Joeres :
Die Geschichte erschien auch in der Frankfurter Rundschau
Liebe Frau Joeres, dies ist keine Geschichte sondern ein Interview, und dieses Interview erschien nicht nur in der FR sondern es kommt von der FR.
Machen sie sich schlau bevor Sie bloggen.
Hallo Herr Fredenbaum,
wenn Sie sich schlau gemacht hätten, hätten Sie gesehen, dass Annika Joeres die Autorin des Textes in der FR ist. Und diesen Text eben in der FR veröffentlicht hat und bei uns gebloggt.
Wir verstehen unter Interview auch etwas anderes als Sie offensichtlich.
Wenn Sie Recht hätten, wäre es zumindest das erste Interviews, in dem ein CDU-Mann auf SPD-Fragen antwortet.
Machen Sie sich schlau, bevor sie kommentieren.
Nett geschrieben, aber der Artikel wimmelt vor Fehlern, die in einem Beitrag für die FR (oder die Ruhrbarone) bei gründlicher Recherche nicht vorkommen dürften.
– Das fängt damit an, dass Langemeyer angeblich einen Nothaushalt verkündet hat. Er bzw. Kämmerin Uthemann haben ein Haushaltsloch zugegeben. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn überhaupt, ging es im September um einen Nachtragshaushalt und nicht um einen Nothaushalt. Das wäre ein anderes Thema und hat damit zu tun, dass irgendwann die Bezirksregierung das Kommando übernehmen könnte.
– Auch die Türme des historischen Rathauses kann ich mir nicht so ganz erklären. Das Rathaus, in dem Sierau saß, ist von 1989 (also nicht so sehr historisch) und bekanntlich ein quadratischer Kasten (von Dortmunder spöttisch auch mit einem Bierkasten verglichen). Allenfalls das Gerüst davor lässt sich als stilisierter Förderturm deuten. Aber „Türme“ (im Plural), die vom Stadthaus aus zu sehen sind, gibts da nicht.
– Pogadl als derzeitiger Chef der Verwaltung ist nicht der dienstälteste Ratsherr, sondern der dienstälteste Dezernent bzw. Stadtrat.
– Dass Sierau „durch alle Parteiebenen gewandert ist“, halte ich ebenfalls eher für ein Gerücht. Er ist zwar seit langer Zeit in der SPD, hatte mit dem Parteigeschäft bislang aber wenig am Hut. Er kommt halt aus der Verwaltung.
– Dass im Rat mit wechselnden Mehrheiten regiert wird, ist weder Anarchie noch für die SPD ein Novum. So etwas gab es vor gut zehn Jahren schon einmal, bevor es zur rotgrünen Zusammenarbeit kam. Und es scheint ja auch ganz gut zu funktionieren. Ich finde die Abstimmung mit wechselnden Mehrheiten in jedem Falle demokratischer als Koalitionsmauscheleien mit faulen Kompromissen. Aber das nur nebenbei.
– Das Sozialticket wurde nicht abgeschafft, sondern extrem verteuert. Aber es gibt es noch. Auch wenn es mit 30 Euro und Zeitbeschränkung ab 9 Uhr längst nicht mehr so attraktiv ist, wie das frühere Sozialticket.
Alles in allem, wie schon gesagt: Die Geschichte ist nett geschrieben, aber erschreckend schlecht recherchiert. Vielleicht hätte bei FR oder Ruhrbaronen mal jemand drübergucken sollen, der sich damit auskennt.