Ruhrgebiet – die gestrige Sonnenfinsternis blieb an Rhein und Ruhr ziemlich unspektakulär. Schuld war eine Wolkendecke und Nebelfelder, die den Blick auf das Himmelsspektakel verhüllten.
Gleichwohl sorgte unser Artikel über die Wissenschaftphobie einiger Schulen für Unmut. Lehrer meldeten sich, gaben an, dass die skurrilen Maßnahmen letztlich Anweisungen der Bezirksregierungen geschuldet war. Wir Ruhrbarone machten uns auf den Weg, Licht ins Dunkel der Sonnenfinsternis zu bringen.
Wer hatte es gestern zu verantworten, dass Schülerinnen und Schüler an einigen Schulen zuhause bleiben konnten, wenn die Eltern nur stark genug fürchteten, dass die Sonnenstrahlen eine unabwindbare Gefahr darstellen?
Wie konnten Schulen zu Aussagen kommen, wie eine Schule in Münster, die die Eltern versichert, die Räume zu verdunkeln, damit „kein Kind von diesen Lichtstrahlen bestrahlt werden kann“?
Einer unserer Leser teilte uns offen mit:
und – in Antwort auf einen anderen Leserkommentar:
Doch stimmt das? Oder will sich da jemand nur rausreden?
Die Anfrage
Flugs stellten wir gestern diesselben drei Fragen an die Bezirksregierungen in Köln, Düsseldorf, Arnsberg, Detmold und Münster. Zur besseren Nachvollziehbarkeit hier zunächst die Anfrage, die im gleichen Wortlaut an die Pressestellen ging:
1) Meiner Kenntnis nach wurde seitens der Bezirksregierungen den Schulen nahegelegt, Schülerinnen und Schülern frei zu stellen, ob sie am heutigen Tag die Schule besuchten. Hintergrund sei die Bedrohung durch die Sonnenstrahlen, genauer: das Schauen in die Sonne. Wurden an diesen Schulen Ihrer Meinung korrekt gehandelt?
2) Wie Ihnen sicher bekannt ist, sind die Sonnenstrahlen, die jeden Tag auf die Erde treffen nicht anders, als diejenigen am heutigen Tag der Sonnenfinsternis (lediglich sind sie heute natürlich in der Quantität geringer). Die Gefahr „Sonne“ bleibt also. Wie stellen die Lehrkräfte normalerweise sicher, dass Kinder nicht in die strahlende Sonne schauen, und somit ihr Augenlicht schädigen?
3) Ein Restrisiko für einen Blick eines Kindes in die Sonne bleibt, selbst dann wenn Lehrkräfte vollumfänglich Ihrer Aufsichtspflicht nachkommen. Sollte es vor dem Hintergrund möglicher Augenschädigungen Eltern dann nicht täglich freigestellt sein, Ihre Kinder zur Schule zu schicken?
Nun galt es abwarten. Und sie antworteten.
Köln & Düsseldorf
Die Rheinländischen Bezirksregierungen verweisen auf einen Erlass des Schulministeriums, oder wie es richtig heisst des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW. Dieser Erlass sei an die Schulen weiter gegeben worden. Nicht mehr. Nicht weniger. In Düsseldorf wird dann noch ergänzend darauf hingewiesen, dass die Schulpflicht davon nicht beeinträcht sei und bestehen bliebe.
Detmold
Aus der Lippischen Metropole (immerhin 73.000 Einwohner) erreicht uns eine etwas ausführlichere Antwort ohne Bezug auf den ministerialen Erlass. Vielmehr seien seitens der Bezirksregierung alle Schulen und Schulämter im Regierungsbezirk angeschrieben, und über die „gesundheitliche Risiken und den geeigneten Umgang mit der Sonnenfinsternis“ informiert worden. Es werden im Weiteren die „geeigneten“ Schutzmaßnahmen genauer ausgeführt. Wohl hinsichtlich der Schulpflicht wird festgestellt: „Die konkrete Entscheidung, wie vor Ort mit dem Ereignis umgegangen wird, lag in der Zuständigkeit der Schulleitungen.“
Münster
Hier werden wir zum einen auf den bereits im Rheinland benannten Erlass verwiesen. Auch wird uns mitgteilt, wo weitere Informationen zum Umgang mit der Sonnenfinsternis zu finden sind – wobei die aufgeführten Spiegelstriche ziemlich wortwörtlich so auch in der Detmolder Mail zu finden sind. Hinsichtlich der Heimbeschulung wird mitgeteilt: „Zu keiner Zeit wurde wegen der partiellen Sonnenfinsternis die Schulpflicht aufgehoben.“ Es folgt dann noch ein (wohl freundlich-aufklärerisch gemeinter) Link zum Schulgesetz NRW.
Arnsberg
Dies ist die einzige Pressestelle einer Bezirksregierung, die sich die Mühe macht, unsere drei Fragen detailliert und zugeordnet zu beantworten. Löblich. Eigentlich ja das, wofür eine öffentliche Pressestelle da ist. Das wollen wir würdigen, und stellen die Antworten komplett dar.
Hinsichtlich der Frage, wie das Handeln der Schulen eingeordnet wird, antwortet man:
Das Schulministerium hat auf seiner Internetseite Hinweise veröffentlichtet und gleichzeitig die Bezirksregierungen in NRW angewiesen, ein entsprechendes Schreiben an alle Schulleitungen weiterzuleiten. […] Freigestellt wurde den Schulen, ob sie das Ereignis Sonnenfinsternis in den Unterricht einbinden. Wenn Schulen sich hierzu entscheiden, sind die Hinweise des Schulministeriums zwingend zu beachten.
Wie stellen die Lehrkräfte normalerweise sicher, dass Kinder nicht in die strahlende Sonne schauen, und somit ihr Augenlicht schädigen?
Die Notwendigkeit für besondere Handlungsempfehlungen ergibt sich daraus, dass eine (partielle) Sonnenfinsternis bekanntlich nicht alltäglich ist – im Gegensatz zu der Tatsache, dass die Sonne existiert und entsprechend fortlaufend beobachtet werden kann. Weil eine Sonnenfinsternis außergewöhnlich ist, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass insbesondere die jüngeren Schülerinnen und Schüler trotz des allgemein bekannten Risikos länger ungeschützt in die Sonne schauen. Deshalb hat das Schulministerium sich zu ergänzenden Informationen für Lehrkräfte und Schulleitungen hinsichtlich der Aufsichtspflichten entschieden. Ansonsten gelten diesbezüglich grundsätzlich § 10 Abs. 2 der Allgemeinen Dienstordnung sowie § 57 Abs. 1 des Schulgesetzes NRW samt zugehöriger Verwaltungsvorschrift.
Sollte es vor dem Hintergrund möglicher Augenschädigungen Eltern dann nicht täglich freigestellt sein, Ihre Kinder zur Schule zu schicken?
Nein.
Zwischenfazit Bezirksregierungen
Zusammenfassend kann man wohl festhalten, dass die Bezirksregierungen sich auf einen Erlass des Schulministeriums berufen. Sie betonen, dass die Schulpflicht nicht durch die Sonnenfinsternis ausgesetzt würde.
Einzig die Bezirksregierung Arnsberg macht sich die Mühe, genauer zu begründen, was eigentlich der Unterschied zwischen der Situation während einer Sonnenfinsternis und im Alltag ist. Zwar mag man dieser Argumentation nicht notwendigerweise folgen, aber immerhin hat man sich die Mühe gemacht, zu argumentieren.
Eindeutig steht in allen Aussagen der Bezirksregierungen der Schutzgedanke im Vordergrund. Ein natürliches Naturereignis wird zu einer Ausnahmesituation. Wie man es jedoch dreht und wendet: wichtig wird, was das Schulministerium sagte und zu sagen hat. Also flugs diesselbe Anfrage ans Schulministerium gesandt – und keine 4 Minuten später klingelte das Telefon.
Das Schulministerium NRW
Das Gespräch mit der Pressesprecherin beginnt freundlich – mit Verweis auf den bereits mehrfach benannten Erlass. Dieser datiert auf den 10. März 2015 und ist hier zu finden.
Ausführlich betont die Ministerialsprecherin, dass direkt im ersten Absatz darauf hingewiesen würde, dass das Ereignis pädagogisch nutzbar sei, oder wie es heisst:
Über die sich hierdurch bietenden pädagogischen Möglichkeiten bedarf es sicherlich keiner Ausführungen.
Eigentlich schade. Denn andererseits hält es das Ministerium für sinnvoll, in den folgenden anderthalb Seiten ausführlich auf Gefahrenquellen und -abwehr einzugehen. Bedarf es dieser Ausführungen denn? Ist durch eine solche Darstellung nicht geradezu vorprogrammiert, dass man Unsicherheit in die Schulen trägt?
Das Ministerium will diese Sicht nicht gelten lassen. Es verweist darauf, dass selbstverständlich auch der Schulbesuch nicht fakultativ sei. Wie die konkrete Beobachtung der Sonnenfinsternis gestaltet würde, ja, das sei Schulsache, aber der Schulbesuch als solcher nicht. Entsprechende Regelungen zum Fernbleiben seien nicht nachvollziehbar, würden erst einmal bezweifelt, auf Benennung eines konkreten Falles nicht kommentiert.
Den besonderen Handlungsbedarf sieht das Ministerium dadurch gegeben, dass beim Blick in die Sonnenfinsternis der Blinzelreflex des Auges nicht mehr greife, der sonst davor schütze, nicht zu lange in die Sonne zu schauen. Nun ja. Man zeigt sich hier zumindest bemüht, eine wissenschaftliche Begründung für das Tohuwabohu zu finden. Auch wenn diese nicht wirklich stimmig ist.
Den Vorgang aus Münster mit den Sonnenstrahlen im Generellen vor denen die Kinder geschützt werden sollten, kann man sich gar nicht erklären.
Ein wenig kippt nun die Stimmung im Gespräch als immer wieder hinterfragt wird, wie es denn sein könne, dass aus dem positiv gemeinten Erlass letztlich Gaga-Handlungsanweisungen wurden, ob möglicherweise generell die Stimmung in der hierarchischen Bürokratie des Schulministeriums dem Vorschub leisten würde, ob man nicht den Lehrern besser den Rücken stärken sollte?
„Das erscheint mir jetzt doch etwas sehr weitgehend. Ich denke, wir sollten es dabei belassen.“
Sinngemäß wird dieser Satz mehrfach wiederholt. Eine Antwort bleibt aus.
Dafür wird aber noch erklärt, dass ein Aussetzen der Schulpflicht bei „widrigen Wetterverhältnissen“ möglich sei – bspw. bei einem Schneesturm. Man kommt darin überein, dass eine Sonnenfinsternis kein solches Ereignis sei. Wenigstens etwas!
Was bleibt?
Natürlich ist diese ganze Sache eine Posse. Man könnte sagen, dass sie diesen ganzen Artikel nicht wert ist. Und sicherlich wäre diese Aussage zu einem Teil wahr. Was aber auch wahr ist, dass sich hier einige problematische Entwicklungen in skurrilen Symptomen ihren Weg bahnten.
Da ist schlichtes wissenschaftliches Unvermögen, früher sagte man Dummheit, die nicht klar als solche benannt wird (Schreiben der Schule in Münster).
Da herrscht eine Unsicherheit bei Lehrkräften, inwieweit sie Elternvorwürfen vorbeugen müssen. Da ist eine Schulbürokratie, die es vermeidet, sich hinter ihre Schulen und Lehrkräfte zu stellen, und sei es mit dem Bekenntnis: ja, irgendwas ist hier schief gelaufen.
Es bleibt der Eindruck einer verpaßten Chance – bei der Sonnenfinsternis – und danach – pädagogisch etwas daraus zu machen. Für die Schüler, die Bezirksregierungen – und das Schulministerium.
Wem das alles zu meta ist, der schliesse sich schlicht dem Schulministerium an:
„Das erscheint mir jetzt doch etwas sehr weitgehend. Ich denke, wir sollten es dabei belassen.“
Doch, der Artikel ist wertvoll. Er erklärt so viel, auch wenn der Fluchtreflex immer größer wird.
Es ist doch schön, wie die Kinder an staatlichen Schulen ihre eigenen Erfahrungen mit der Natur machen können.
So im Klassenraum , hinter Vorhängen, damit kein Licht auf die Haut kommt. 🙂
Bei dieser Haltung muss man sich nicht wundern, dass hier die Start-ups und Erfindungen fehlen.
„Nach alledem ist zu überlegen, ob nicht im Rahmen des Unterrichts die Betrachtung dieses Naturschauspiels durch eine Projektion auf einem Schirm möglich ist.“
Dieser „Runderlass“ ist wirklich so formuliert, als würde uns Mutter Natur mit solchen berechenbaren Regel-Phänomenen komplett überfordern, als Mensch genauso wie als Lehrkraft und Bürokrat;-) Arme NRW-Schüler…
Bin ich der einzige, der das Vorgehen der Schulen für sinnvoll hält? Eine Sonnenfinsternis ist spannend. Sehr spannend sogar. Und es ist ganz definitiv davon auszugehen, dass Schüler, die sich während einer Sonnenfinsternis auf einem Schulhof befinden, diese auch wahrnehmen und spannend finden. Und eben hingucken – das kann auch die Pausenaufsicht nicht verhindern, wie jeder weiß, der sich in der Schulzeit heimlich hinter die Turnhalle geschlichen hat, um dort eine zu rauchen.
1999 mussten wir alle eine SoFi-Brille mitbringen und es gab speziellen Unterricht zum Thema. Dummerweise gab es diesmal nicht ausreichend Brillen in den Geschäften und schon gar nicht gab es ganze Klassensätze zu kaufen.
Schulen haben aber die Verantwortlichkeit für Ihre Schüler und ich will nicht wissen, wie die Schlagzeilen gelautet hätten, wenn ein paar hundert Schüler bleibende Augenschäden davongetragen hätten, wenn die Schule keine Vorkehrungen getroffen hätten.
@geheim
Nein, sind Sie nicht. Ich stimme Ihnen in allen Punkten zu.
@#3 + 4: Statt Ihren zumindest jüngeren schulpflichtigen Kindern bei der einmaligen Gelegenheit mit ein bisschen heimischem Basteln zu erklären, wie eine Lochkamera funktioniert und warum sie bestens zur Beobachtung von Sonnenfinsternissen geeignet ist, soll also Schule wieder mal als Nanny und Vollkaskoschutz funktionieren? Ich bin froh, dass ich meine Kindheit schon lange hinter mir habe…
Sorry, ich habe so das Gefühl, dass hier auch ein bisschen das Klima der Angst vergessen wird, dass die Eltern seit Jahren an Schulen verbreiten. Ich hatte viel mit werdenden und schon länger arbeitenden Lehrer/innen zu tun, die mir berichteten wie schwierig es ist, überhaupt mit „Eltern“ umzugehen. Da herrscht enormer Druck und nicht zuletzt ist die bürgerliche Familie die klagefreudigste überhaupt. Ich kann es nachvollziehen, dass Schulen und die dazugehörigen Behörden nicht dem Risiko aussetzen wollen.
Leidtragende ist – mal wieder – der Nachwuchs, dem eine Chance entgangen ist unsere Welt ohne Angst besser zu verstehen. Ich habe so eine Befürchtung, was aus diesem Nachwuchs wird.
[…] in den letzten Monaten aufbaute, und wie dramatisch er den Unterschied zu 1999 erlebte. Ruhrbarone machten sich die Mühe und fragten bei den Bezirksregierungen und Ministerien an, welche Anordnung […]
Rot macht unselbständig. Grün macht dumm.
Läuft.
@5 Klaus Lohmann
Theorie und Praxis. Manchmal hilft es, sich einfach mal in der Realität umzuschauen. Ich hätte weder als Schule noch als Lehrerin Bock, mich außer dem bereits Genannten auch noch mit den juristischen Folgen auseinanderzusetzen, wenn irgendein Schulkind einen Augenschaden erlitten hätte. Tatsache ist nämlich, dass die Nanny-Funktion der Schule bereits vielfach vorausgesetzt wird. Und die Klagen wären gekommen, daran gibt es keinen Zweifel. Heimische Bastelei und Aufklärung flächendeckend vorauszusetzen, ist nicht mehr als ein frommer Wunsch.
Ich würde mir gerade zum Thema Schule heute vieles anders wünschen, als es derzeit ist. Was die auch in meinem Fall bereits länger vergangene Kindheit und Schulzeit angeht, stimme ich Ihnen aus vollem Herzen zu.
Juristische Konsequenzen drohen überall. Im Privatleben, aber auch im Beruf (z.B Medizin, Polizei, Putzfrau (Kunstwerk oder Müll?)).
Diese Begründung ist mir zu einfach. Dies gilt auch für die Schwierigkeiten mit Kindern und Eltern im Lehrerberuf. Denn genau für diesen Aufgabenbereich, die Pädagogik, gibt es ja eine Hochschulausbildung und eine ordentliche Bezahlung. Bei den Inhalten handelt es sich nur um Schulstoff. Auch kommt eine Sonnenfinsternis nicht zufällig.
[…] —– Die Ruhrbarone hinterfragen mal, wer Lehrer auf die Idee bringt, den Schulkindern während der Sonnenfinsternis den Aufenthalt im Freien zu verbieten und sicherheitshalber zum Schutz vor “der Strahlung” die Vorhänge in den Klassenräumen zuzuziehen. http://www.ruhrbarone.de/sofi-lehrer-schuld/103515 […]