Sorgen in Merzland

Sauerland: Christian Nawroth Lizenz: CC BY-SA 3.0


Mittelständische Unternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Viele „Hidden Champions“ sind Weltmarktführer und nach wie vor vom Export von Industriegütern und Autos abhängig. Die Krise hat nun auch sie erreicht. 

Grüne Hügel, im Winter liegt Schnee, und die nächste Großstadt ist weit weg. Friedrich Merz, der CDU-Chef und wahrscheinlich nächste Kanzler, wohnt hier. Und wenn er im Wahlkampf mit dem Slogan „Mehr Sauerland für Deutschland“ warb, konnte das nur der für ein Plädoyer für mehr Provinz halten, der nicht weiß, dass Südwestfalen, zu dem das Sauerland gehört, zu den wichtigsten Industrieregionen Deutschlands zählt. 48,5 Prozent der Beschäftigten im Märkischen

Kreis arbeiten in der Industrie, im Kammerbezirk Siegen sind es 41 Prozent. Zum Vergleich: In NRW sind nur noch 25,2 Prozent im produzierenden Gewerbe tätig, deutschlandweit sind es 25,4 Prozent. Im Ruhrgebiet sind es sogar nur noch gut 15 Prozent. In der Land- und Forstwirtschaft arbeiten hier nur noch 0,3 Prozent. Bundesweit sind es mehr als doppelt so viele.

Südwestfalen ist die Heimat zahlreicher mittelständischer Unternehmen, viele davon zählen zu den „Hidden Champions“ und sind in ihrem Bereich Weltmarktführer. Sie sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, die nach wie vor vom Export von Industriegütern und Autos abhängig ist. Doch die Krise hat auch das Merz-Land erreicht. „Ausweislich der jüngsten Konjunkturumfrage vom Februar 2025 für den Kammerbezirk belastet ein Mix nationaler und internationaler Risiken die

regionale Wirtschaft“, teilt die zuständige Industrie- und Handelskammer auf Anfrage von mit. Die Risikobewertung für die wirtschaftliche Entwicklung bleibe überdurchschnittlich hoch: „Fast drei Viertel der Betriebe sehen in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen das größte Geschäftsrisiko.“ Ein Rekordwert. Ebenfalls auf hohem Niveau und in der Risikobewertung gestiegen sind die Arbeitskosten sowie die Energie- und Rohstoffpreise. Das hat gravierende Folgen: „Die Investitionsabsichten sind dramatisch schlecht.“ In den vergangenen 20 Jahren war die Investitionsneigung nur einmal geringer: zu Beginn der Corona-Pandemie 2020. „Nur noch 14 Prozent der Betriebe wollen die Investitionen erhöhen. Auch die Beschäftigungspläne fallen – trotz verbreiteten Fachkräftemangels – verhalten aus. Nur 11 Prozent der Unternehmen planen, Personal aufzubauen; ein Drittel geht davon aus, dass die Zahl der Beschäftigten abnimmt, etwa jeder Zweite rechnet mit einer gleichbleibenden Beschäftigung.“ Häufig werde von den befragten Unternehmen kritisiert, dass Vertrauen und stabile Rahmenbedingungen vermisst werden.

Viele Unternehmen in Südwestfalen wünschen sich einen Neustart in der Wirtschaftspolitik, der von gegenseitigem Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft geprägt ist. Das sei in den letzten Jahren in einem erschreckenden Ausmaß verloren gegangen. Für ein neues Vertrauen steht auch der Name Friedrich Merz. Ihm muss als Sauerländer niemand die Bedeutung der Industrie erklären.

Die Unternehmen, sagt die Kammer, vermissen Kontinuität und Stabilität bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen: „Sie erwarten einen umfassenden Bürokratieabbau, weniger staatliche Bevormundung und mehr unternehmerische Freiheiten, eine bezahlbare und verlässliche Energieversorgung, schnellere Genehmigungsverfahren, eine Verringerung der Abgabenlast.“ Und natürlich Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Im Sauerland wissen sie ganz genau, was es bedeutet, wenn die Probleme mit der Infrastruktur zu groß werden: Im Dezember 2021 musste die Talbrücke Rahmede wegen Baufälligkeit gesperrt werden. Seitdem fließt der Verkehr zwischen Nord und Süd auf der A45 durch das Sauerland nicht mehr, LKW müssen sich durch die Kleinstadt Lüdenscheid quälen. Die neue Brücke soll erst im nächsten Jahr wieder, wenn auch anfangs nur teilweise, befahrbar sein.

Bei so vielen Problemen ist es kein Wunder, dass immer mehr Unternehmen aus Südwestfalen im Ausland investieren. Immerhin sitzen dort ja auch schon lange ihre Kunden. Die Investitionsbereitschaft der südwestfälischen Industrieunternehmen am heimischen Standort nimmt weiter ab. Jedes zweite Unternehmen plant, seine Inlandsinvestitionen zu reduzieren, während das Engagement im Ausland – insbesondere in Nordamerika – weiter zunimmt. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage der drei südwestfälischen Industrie- und Handelskammern Arnsberg, Hagen und Siegen unter 576 Industrieunternehmen.

„Die Unternehmen stehen unter immensem Druck“, erklärte im Februar Jörg Nolte, der Hauptgeschäftsführer der IHK Arnsberg, Hellweg-Sauerland. „Hohe Energiekosten, eine überdurchschnittliche Steuerlast, wachsende Bürokratie und eine unsichere politische Lage setzen einen Teufelskreis in Gang, der Investitionen im Inland hemmt. Es fehlt an Vertrauen und stabilen Rahmenbedingungen, die für Planungssicherheit sorgen. Daher orientieren sich viele Betriebe zunehmend ins Ausland.“

Deutschland hat seine Hidden Champions noch nicht verloren. Aber wenn sich die Bedingungen für die Industrie nicht schnell verbessern, werden sie sich nach anderen Standorten umschauen.

Der Artikel erschien bereits in einer ähnlichen Version auf Capital Beat

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hase12
hase12
22 Stunden zuvor

Die Probleme im Sauerland stehen beispielhaft für ganz Deutschland. Der Politik muss es endlich gelingen das Ruder herumzureißen und für eine gute Infrastruktur und geringe Energiepreise in Deutschland zu sorgen. Denn wirtschaftliche Kraft bedeutet auch politische Macht. Wenn sich also Deutschland weiter wirtschaftlich und damit auch politisch verzwergt, dann bedeutet dies einen raschen Niedergang auch des Westens. Russland und China würden sich also über eine Fortsetzung dieser – gelinde gesagt – katastrophalen und verheerenden deutschen Politik freuen. Dies dürfen wir als freiheitsliebende Menschen im Westen nicht zulassen!