Die SPD stemmt sich gegen ihren immer wahrscheinlicher werdenden Untergang. Johannes Kahrs greift in seiner Not zum Patriotismus.
Johannes Kahrs ist nicht nur haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, sondern auch Vorsitzender des „Reichsbanner schwarz-rot-gold„. Der Reichsbanner war eine vor allem von Sozialdemokraten getragene Organisation in der Weimarer Republik, die sich gegen die SA stellte. Ein ehrenwertes Vorhaben, dem leider kein Erfolg beschieden war.
In seiner Funktion als Reichsbanner-Vorsitzender hat Kahrs nun in der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ einen Text zum Thema Patriotismus veröffentlicht. Ausgerechnet in ihm sieht Kahrs ein Mittel gegen die AfD:
„Die Grundlage für eine funktionierende und stabile Gesellschaft ist ein positives Nationalbewusstsein, das sich auch seiner Verantwortung aus zwölf Jahren Terrorregime und Massenmord stets gewahr ist. Patriotismus meint dabei nicht nur den Stolz auf eine reichhaltige Kultur, auf Sprache, Kunst, Literatur, Musik, auf ein blühendes, schönes Land, sondern auch und gerade auf das, was Demokratinnen und Demokraten in Deutschland geschaffen haben: eine offene, tolerante und plurale Gesellschaft, die jedem auf Grundlage des geltenden Rechts erlaubt, seine Lebensweise zu wählen, seine Meinung frei zu äußern und nach dem individuellen Glück zu streben. Um es mit den Worten unseres Johannes Rau zu halten: „Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“
Ferner muss Patriotismus als Mittel begriffen werden, das die Menschen an die Demokratie und damit an unser Land bindet. Demokratie ohne Heimat ist nicht möglich, dies hat der rheinland-pfälzische SPD-Chef Alexander Schweitzer völlig richtig festgestellt. Heimat ist nicht nationalistisch, sondern zutiefst demokratisch.“
An dem Text ist so ungefähr alles falsch und man kann froh sein, dass er nicht von einem Funktionär einer großen Partei wie der CDU oder den Grünen geschrieben wurde, sondern nur von einem Sozialdemokraten, der beim Blick in den Abgrund offenbar die Nerven verloren hat.
Die Grundlage für eine „eine funktionierende und stabile Gesellschaft“ sind demokratisches Bewusstsein, Wohlstand und der Glaube, dass es einem oder zumindest den eigenen Kindern in Zukunft besser gehen wird. Ist das nicht der Fall, ist den Menschen ihrer „Heimat“ egal. Sie ziehen um oder wandern sogar aus. Der Politologe Ivan Krastev hat in seinem Buch Europadämmerung beschrieben, dass Menschen heute eher ihre „Heimat“ verlassen, als sich dafür zu engagieren, dort die Verhältnisse zu verändern. Jeder hat nur ein Leben und aus dem möchte man das Beste machen – man kann es niemandem verdenken.
Wir sollten, froh darüber sein, dass viele Menschen so pragmatisch sind. Pragmatiker pflegen in der Regel nicht, ihre Mitmenschen in den Abgrund zu zerren.
Die Aufgabe von Politikern ist demnach weniger voll Pathos und falscher Annahmen strotzende Artikel zu verfassen, wie Kahrs es ausgerechnet am Tag und unter der Berufung auf die Befreiung von Auschwitz getan hat. Denn so sauber wie Kahrs Patriotismus und Nationalismus versucht voneinander abzugrenzen geht es nicht. Auschwitz ist das Ergebnis des deutschen Nationalgefühls.
Die Aufgabe von Politikern ist anspruchsvoller und profaner zugleich: Dafür zu sorgen, dass es den Menschen gut geht, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen und nach ihrem ganz persönliche Glück streben können und die Grundlagen dafür zu legen, dass dies auch in Zukunft so sein wird.
Wenn Politiker diese Aufgabe gut erledigen, haben Parteien wie die AfD keine Chance. Haben die Menschen das Gefühl, die Politik erfüllt ihre Aufgabe nicht gut, wachsen sie.
Gerede von Patriotismus löst kein Problem. Er ist im Prinzip nichts anderes als traditionelle Identitätspolitik: Menschen bilden sich etwas darauf ein, etwas zu sein, irgendwo her zu kommen. Eine aufgeklärte Politik sollte dafür werben, den Menschen zu ermöglichen zu werden was sie wollen, auf ihre Leistung zu vertrauen und mit Optimismus nach vorne zu schauen. Den Rückgriff auf „Heimaten“ und „Vaterländer“ braucht nur, wer nicht an die Zukunft glaubt.
Eine Demokratie braucht notwendigerweise eine positive Vision der Zukunft. Die gegenwärtige Anbetung des Verzicht und von Verboten zerstört mit autoritärem Elan die Grundlage der Freiheit und damit die imaterielle Grundlage der Demokratie. Wer auf das anwachsen autoritären Bewegungen mit dem Finger zeigt, sollte nicht vergessen, das vier Finger auf ihn selber zurückzeigen. Um mal einen grossen Sozialdemokraten teilweise zu zitieren. Das mit der SPD hat sich ab Mai eh erledigt…
Wir sind ja eigentlich Steppenrenner, nur leben wir aktuell nicht artgerecht. Natürlich zieht der Mensch dahin, wo gute Chancen sind, falls dies möglich ist.
Dennoch gibt es gute Gründe, die Heimat, die eigene Sozialgemeinschaft nicht zu verlassen, sondern die lokalen Umstände zu verbessern bzw. die dortigen Chancen zu nutzen.
Natürlich hat Deutschland viele tolle Seiten und Errungenschaften und es ist richtig, diese auch offensiv zu kommunizieren.
Es gibt ja auch heute noch Menschen, die in GE, DU oder BO leben, obwohl insbesondere die ersten beiden Städte und die Gesamtregion in den Rankings meistens nicht so gut abschneidet.
Immer wenn Menschen sich ihrer Zukunft über das übliche Maß hinaus unsicher sind, neigen sie mehrheitlich dazu, sich an ihre Vergangenheit zu klammern und sich die Gegenwart schön zu reden. Patriotismus und Heimattümelei verstärken solche Tendenzen. Das heutige Deutschland ist zweifellos verteidigenswert, aber es ist auch im hohen Grade veränderungsbedürftig. Beides zusammen braucht den Blick nach vorn und nicht nach hinten.
Für Kahrs ist seine "Heimat" doch nur die Gegend, in der Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann nach Lust und Laune ihre Geschäfte mit den Saudis abwickeln können.
Menschen können zu allem und jedem eine emotionale Beziehung aufbauen.
Zunächst trifft dies vor allem auf die Mitmenschen und ganz besonders die Familie zu. Der Mensch ist zuerst ein soziales Wesen und danach ein ökonomisch handelnder.
Als emotionale Persönlichkeit wecken Gerüche, Klänge, Ansichten, Stimmen in ihm Gefühle der Zugehörigkeit. Diese emotional wie sozial stabilisierenden Einflüsse riskiert er nicht ohne Not.
Metastrukturen wie " Vaterland" brauchen um ähnliche Effekte zu erzeugen besondere Erzählungen und Rituale. Dinge die schnell lächerlich werden, wenn sie nicht geglaubt werden.
Auch die Demokratie lebt von Mechanismen, wie sie in den basalen, emotionalen Beziehungen wirken. Bürgerliches Engagement lässt sich nicht allein aus Kosten-Nutzen-Rechnungen heraus mobilisieren. Der Nutzen ist meistens nicht nur nicht mittelbar, sondern nur sehr abstrakter Natur erfahrbar. Sowas hält der Mensch nicht durch, wenn nicht auch eine emotionale Motivation mitspielt.
Einer der Gründe warum die deutsche Linke meistens auf der Oppositionsbank sitzen darf, ist die Unfähigkeit Menschen jenseits des Gelabers zu mobilisieren. Die Rechnung geht selten für alle ähnlich gut auf. Das Ver- und Zutrauen zum guten Schluss auch noch bedacht zu werden oder sogar hinzunehmen, daß Dritte nachhaltig bevorzugt davonkommen, ist nichts, was Buchhalter der Gerechtigkeiten vorhalten oder länger ertragen könnten.
Wenn nun ein SPD-Mensch sich in Heimat versucht, dann dürfte dies beim Stand der Dinge viel zu spät sein. Die Partei hat zuviel Vertrauenskapital verspielt , um als Heimmannschaft Unterstützung zu erhalten.
Grundsätzlich ist es richtig, Heimat als politisches Kapital zu bewirtschaften. Eine Partei, die dies unterlässt, ist stümperhaft oder zielt, ob eingestanden oder uneingestanden, auf Plätze in der Opposition und möchte vielleicht mitreden, scheut aber die Verantwortung derer, die mitmachen.
Bei der Lust der SPD an Selbstzerlegung und Demontage der jeweiligen Führung, es sei denn sie agiert selbstherrlich par ordre de mufti wie weiland der Korrumpel Schröder, habe ich den starken Verdacht auf verantwortungsscheue Oppositionsphillie ?.