Ein kurzer Text über die Not der SPD, Schmutzkampagnen und die AfD
In den letzten Wochen wurden in Gelsenkirchen die Ausschüsse im Stadtrat gebildet, die Vorsitzenden gewählt und die Aufsichtsräte der kommunalen Unternehmen besetzt. Viele Parteien aus dem demokratischen Spektrum haben dabei versucht, die AfD aus den zu vergebenen Ämtern herauszuhalten. Eine Strategie, bei der die Sozialdemokraten in Gelsenkirchen nicht mitspielen wollen. Ende Januar kam der Integrationsrat zusammen und der Vorsitz wurde neu gewählt. Das Gremium ist die politische Interessenvertretung aller Migrantinnen und Migranten in der Stadt. Würde es nach dem Willen der Wähler gehen, dann müsste die WIN den Vorsitz übernehmen. Die Abkürzung WIN steht für „Wähler Initiative NRW“ und die Partei wird von vielen Zuwanderern und Migranten gewählt. Die Partei hat die meisten der direkt gewählten Mandate bekommen und ist die stärkste Fraktion.
Das war nicht im Sinn der SPD, die ihre eigene Kandidatin durchbringen wollte und dabei vor Falschinformationen nicht zurückgeschreckt ist. „Wir sind von Frau Teuta Abazi selbst und mehreren Mitgliedern der SPD-Ratsfraktion und Mitgliedschaft darauf angesprochen worden, die WIN würde mit der AfD zusammenarbeiten und man könne den WIN-Kandidaten daher nicht unterstützen“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von B90/Die Grünen Ilayda Bostancieri. Auch die FDP und „Die Partei“ wurden von den Genossen informiert. Mit dieser Schmutz-Kampagne sollte ein politischer Konkurrent Partei aus dem Rennen genommen werden.
„Wir sind uns als WIN einig, dass wir uns auch in Zukunft nicht mit anti-demokratischen, darunter auch rassistischen Parteien, an den Tisch setzen werden“, sagt Bayram Coskun, WIN- Fraktionsvorsitzende. „Selbst für die unerwarteten Szenarien, dass die AfD bei den Wahlen einen unserer Kandidaten wählt, hätten wir die Wahl nicht angenommen“. Das hat die Partei bisher auch so praktiziert. Die von der SPD gestreuten Gerüchte wurden vom Fraktionsvorsitzenden umgehend dementiert, er bezeichnet das Vorgehen als „Rufmord“. Teuta Abazi von der SPD wollte unbedingt den Vorsitz im Integrationsrat und wurde am Ende mit den Stimmen der AfD gewählt. Eine von den anderen Parteien geforderte klare Abgrenzung der neuen Vorsitzenden und der SPD-Ratsfraktion zur AfD gab es nicht.
Gemeinsam mit den anderen demokratischen Kräften im Rat der Stadt Gelsenkirchen haben WIN, Grüne und „Die Partei“ versucht, die AfD aus möglichst vielen Gremien herauszuhalten und ihre Positionen auf das ihnen zustehende Minimum zu beschränken. „In dieser Ratsperiode gab es rechnerisch zwei Möglichkeiten die AFD aus Aufsichtsräten herauszuhalten, nämlich im Aufsichtsrat des Musiktheaters und der Gemeinnützigen Gelsenkirchener Wohnungsbaugesellschaft GGW“, sagt Bayram Coskun, WIN- Fraktionsvorsitzender. Beim Aufsichtsrat des Musiktheaters haben „Die Grünen“, „Die Linke“, „Die Partei“ und „AUF“ dafür gesorgt, dass die AfD nicht in den Aufsichtsrat kommt. Bei der GGW hat der Stadtverordnete Lukas Günther (SPD) nach Angaben der WIN den Vorschlag eines gemeinsamen Vorgehens abgelehnt, mit dem Ergebnis, dass die AfD in den Aufsichtsrat gewählt wurde. „Um diesen personalpolitischen Zielen gerecht zu werden, ist es erforderlich, im Rahmen des sogenannten Stimmenpooling mit anderen Parteien (in unserem Fall anderen Kleinparteien) zu kooperieren, um genügend Stimmen zu einen, um die AfD aus Posten heraus und uns selbst rein zu bringen“, sagt Gregor Stein von der Partei „Die Partei“. „Hätte die sPD (kleines s) und auch die cDU (keines c) ein größeres Interesse daran, die Rechtsaussenspinner von Posten fernzuhalten, wären wir sicher auch mit diesen Akteuren ins Gespräch gekommen. Leider mussten wir feststellen, dass das vermutete Interesse nicht, oder nur in geringem Maße besteht“.
Die AfD hat in Gelsenkirchen den Vorsitz im Kulturausschuss übernommen, was in der Szene für viel Kritik gesorgt hat. Die Äußerung des kulturpolitischen Sprechers der Partei, Matthias Pasdziorek, dass man keine „verdeckte Finanzierung von Antifa-Cafés“ dulden werden, war dann nicht wirklich überraschend. Anlass waren Veranstaltungen im sozialen Zentrum „Subversiv“ an der Bochumer Straße. „Die AfD sei rechtsradikal und eine „Partei des Hasses“ war die recht allgemeine Reaktion des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Taner Ünalgan. Eine Verteidigung antifaschistischer Gruppen und deren Veranstaltungen gegenüber der AfD war nicht zu hören. Das Subversiv wurde mit Unterstützung der SPD aufgebaut und bei der Eröffnungsveranstaltung gab es ein Grußwort vom damaligen Oberbürgermeister Frank Baranowski.
Bei der Kommunalwahl im September letzten Jahres hat die AfD in Gelsenkirchen 12,9 Prozent der Stimmen erhalten. Das sind rund 10 000 Bürger. Vor zwei Jahren bei der Wahl zum Europaparlament waren es über 14 000. Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann – Stiftung finden sich bei rund einem Drittel der Wähler*innen der AfD in Deutschland „manifest rechtsextreme“ Einstellungen. Das wären in Gelsenkirchen etwa 4200 Menschen. Über die Funktionäre der Partei gibt es hier keine Aussage. Die Partei steht in Deutschland kurz davor vom Verfassungsschutz zum Beobachtungsobjekt erklärt zu werden. Jörg Schneider ist Kreissprecher der AfD in Gelsenkirchen und hat mit dieser Art staatlicher Maßnahmen schon seine Erfahrung gemacht. Das Hamburger „Bündnis gegen Rechts“ nennt ihn den „ersten rechtsextremistischen MdB seit 60 Jahren“: Er gehört der Hamburger Burschenschaft Germania an, war von 1988 bis 1992 dort aktives Mitglied und ist seit 1992 „Alter Herr“ der Verbindung. Die Burschenschaft Germania ist rechtsextrem und pflegt das überkommende Ritual der Mensur. Auf der Internetseite wird mit dem besonderen Nervenkitzel einer schlagenden Verbindung geworben. 2013 erwähnte der Hamburger Verfassungsschutz (VS) die Germania erstmals in seinem Jahresbericht und seit 2014 widmet der VS der Burschenschaft jährlich ein eigenes Kapitel. Im Verbindungshaus im „mondänen Stadtteil Winterhude“ durften schon der Holocaustleugner David Irving, Stefan Ulbrich von der Wiking-Jugend, Jürgen Rieger von der NPD und der wegen Volksverhetzung verurteilte Autor Akif Pirincci ihre rechten Ideen vortragen.
„Mag ihr Wahlerfolg bei der Bundestagswahl 2017 noch vor allem ein Erfolg rechtspopulistischer Wählermobilisierung im Schatten der Flüchtlingskrise gewesen sein“, sagt Robert Vehrkamp, der Autor der Bertelsmann-Studie, bewertet er jetzt vor der Bundestagswahl 2021 die AfD als eine Partei, deren Wählerschaft mehrheitlich manifest oder latent rechtsextrem eingestellt ist. Wenn die Ergebnisse der Studie zutreffen, dann sind noch 44 Prozent der AfD-Sympathisanten ansprechbar für demokratische Parteien. Dazu ist eine transparente Politik nötig, die Probleme benennt, die Lebensbedingungen verbessert und die Bürger beteiligt. Politische Eitelkeiten und Machtspiele helfen da nicht weiter. Es sei daran erinnert, dass die AfD in Gelsenkirchen immer hohe Wahlergebnisse erzielt hat und der Erfolg rechter Parteien hier eine lange Vorgeschichte hat. Bei der letzten Kommunalwahl 2020 hatte die SPD nicht nur ein historisch schlechtes Wahlergebnis zu verdauen, denn die Wahlbeteiligung erreichte erschreckende 41,5 Prozent und bei der Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters lag sie nur bei 26,6 Prozent. Die demokratischen Parteien haben in dieser Stadt nicht nur die Wähler der AfD verloren.
Teuta Abazi, Lukas Günther und Taner Ünalgan gehören zum Nachwuchs der Genossen, auf den die Partei ihre Hoffnung für die Zukunft setzt. Ob das begründet ist, lässt sich noch nicht sagen, aber die politischen Spielchen und Winkelzüge beherrschen sie bereits. In Gelsenkirchen hat die SPD ihre jahrelange Alleinherrschaft verloren, aber ein demokratischer Umgang mit den anderen Parteien und den Bürgern hat sich bisher nicht eingestellt. Das macht wenig Hoffnung auf die nächsten Jahre.
Die Anfrage der Ruhrbarone an die Fraktion und die Partei der SPD blieb trotz mehrfacher Nachfragen ohne Antwort.
Bevor die Wahl der Integrationsratsvorsitzenden (oder jede andere Wahl, bei der auch die AfD ein Stimmrecht hat) skandalisiert wird, darf man m.E. gerne genauer hinsehen: Wenn bei einer Wahl die Mehrheit nur durch AfD-Stimmen zustande kommt, sollte die/der Gewählte die Wahl nicht annehmen; so hat es beispielsweise Peter Tertocha in der vorherigen Ratsperiode richtigerweise gemacht. Chapeau! Erfolgt eine Wahl jedoch mit AfD-Stimmen, diese sind aber nicht ausschlaggebend für eine "eigene" Mehrheit, so sind sie per se kein Anstoß zur Skandalisierung.
Habe den Artikel hier jetzt zweimal gelesen; aber eine Sache verstehe ich nicht. Da wird gegen Ende des Artikels aus irgendeiner Bertelsmann-Studie zitiert:
"Wenn die Ergebnisse der Studie zutreffen, dann sind noch 44 Prozent der AfD-Sympathisanten ansprechbar für demokratische Parteien. Dazu ist eine transparente Politik nötig, die Probleme benennt, die Lebensbedingungen verbessert und die Bürger beteiligt. Politische Eitelkeiten und Machtspiele helfen da nicht weiter."
Drei Absätze vorher findet man die folgende Formulierung:
"Gemeinsam mit den anderen demokratischen Kräften im Rat der Stadt Gelsenkirchen haben WIN, Grüne und „Die Partei“ versucht, die AfD aus möglichst vielen Gremien herauszuhalten und ihre Positionen auf das ihnen zustehende Minimum zu beschränken."
Verstehe ich das jetzt richtig, dass das Ziel von WIN, Grüne und "Die Partei" darin besteht, die 44 % der für demokratischen Parteien noch ansprechbaren AfD-Sympatisanten endgültig davon zu überzeugen, nicht mehr für demokratische Parteien ansprechbar zu sein?
Ah ja, die tollen Erdogan-Fanboys von der WIN.
@ Ulli Jacob: Sie schreiben "Wenn bei einer Wahl die Mehrheit nur durch AfD-Stimmen zustande kommt"
Wie ist das eigentlich bei Abstimmungen? Olaf Scholz wurde im Bundestag mit den Stimmen von Grünen, Linken, FDP und AfD herbeizitiert; ich habe versucht, beim Anschauen des Videos mal nachzuzählen (nicht ganz leicht) und komme zu dem Schluss, dass der Antrag ohne die Stimmen der AfD wohl keine Mehrheit gehabt hätte.
Tabubruch durch Grüne, Linke und FDP?