Der Fußball rückt zur Zeit in den Hintergrund, viele gesellschaftspolitische Debatten und das Dauerbrenner-Thema Corona stellen gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl das runde Leder ziemlich in den Schatten. Dennoch gibt es vor dem vierten Spieltag der Bundesliga einiges zu besprechen: Peter Hesse und Thommy Junga diskutieren über den Abbruch vom Qualifikationsspiel zwischen Brasilien und Argentinien, die Pottoriginale tragen den Nacktfußball in die ganze Welt, der Spielertyp Paul Breitner wird vermisst und die Hertha aus Berlin agiert wie ein angeschlagener Boxer.
Peter Hesse: Hallo Thommy, Durch das Afghanistan Debakel, diverse Wahlkampf-Pannen bei Laschet und Baerbock, den immer noch nachklingenden Unwetter-Auswirkungen im Ahrtal und vielen anderen Orten und diversen anderen Baustellen habe ich gerade etwas den Bezug zum Bundesliga Geschehen verloren. Der bisherige Tiefpunkt war ein Gespräch zwischen BVB Präsident Aki Watzke und CDU-Finanzexperte Friedrich Merz, was ich keine fünf Minuten ausgehalten habe – bei deren kraftprotziger Arroganz. Was war dein persönlicher Tiefpunkt in Sachen Fußball in den letzten Wochen?
Thommy Junga: Hallo Peter, mit ist ehrlich gesagt dieser neue Trend des sich Freistreikens von Spieler ziemlich auf den Nerv gegangen. Bis runter in die Gefilde der dritten Liga wird das Training geschwänzt und der Berater aufgestachelt, was das Zeug hält. Das ist wieder mal so fern der Fan-Lebens-Realität, dass man rückblickend die Anständigkeit von Bosman, wenigstens den Rechtsweg zu wählen, nicht hoch genug bewerten kann. Ich wundere mich auch…
Peter Hesse: Apropos „Wundern“: Das Qualifikationsspiel zwischen Brasilien und Argentinien in Sao Paulo ist abgebrochen worden, weil vier argentinische Nationalspieler hätten gegen die Quarantäne-Vorschriften verstoßen hatten. Dabei handelte es sich um die Profis aus der englischen Premier League Emiliano Buendia, Emiliano Martinez (beide Aston Villa) sowie Cristian Romero und Giovani Lo Celso (beide Tottenham). Sie hätten sich gemäß brasilianischer Einreisebestimmungen in eine 14-tägige Quarantäne begeben müssen, weil sie aus einem Virus-Variantengebiet eingereist waren. Nun wird diskutiert, wie mit dem abgebrochenen Spiel umgegangen wird. Eine Wiederholung oder Fortsetzung ist angesichts des überfüllten Terminkalenders kaum denkbar. Was schlägst du vor, vielleicht eine Münze werfen?
Thommy Junga: Na, da wird sicher kein spektakulärer Präzedenzfall geschaffen, der uns alle vom Hocker haut. So gern ich die Spielwiederholung in der coronakonformen Bubble-Fußball-Variante gesehen hätte – die TV-Quoten wären sicher auch nicht übel gewesen – so rechne ich doch eher mit dem üblichen undurchsichtigen Geschacher am grünen Tisch, welches die Herrschaften der CONMEBOL beherrschen wie kaum andere Funktionäre auf dem Fußballplaneten. Dagegen wirkt FIFA-Boss Giovanni Infantino wie ein Transparenzbeauftragter. Das Ganze wird ja noch kurioser, wenn man bedenkt, dass kaum drei Monate vorher noch die Copa America von Argentinien nach Brasilien verlegt worden war, weil dort Corona zu diesem Zeitpunkt angeblich besser im Griff gewesen sei.
Peter Hesse: Vergangenen Sonntag ist Ex-Weltmeister Paul Breitner, ein Mann der „klaren Worte“, 70 Jahre alt geworden. Im Geburtstagsinterview mit der Welt am Sonntag stellte er dem Fußball der Neuzeit ein schlechtes Zeugnis aus. Er wolle „keine Sekunde mit den Spielern von heute tauschen“ wollen.“Es geht mir darum“, so Breitner, „mein freies Leben mit dem Leben der Spieler von heute zu vergleichen, das vom Internet geprägt ist und kaum Privatsphäre erlaubt.“ Der Fußball langweile ihn schon länger. „Er ist ausrechenbar geworden. Dieses Hin-und-her-Geschiebe des Balls nervt mich. Es ist kaum Mut da“, meinte der Ex-Profi mit der schillernden Fußballer-Karriere. Er schaue sich inzwischen nur noch die Spiele des FC Bayern und von Real Madrid an, ansonsten wenig. Ansonsten engagiert er sich bei der Münchener Tafel für Obdachlose und schon mehrfach betont, dass die öffentliche Hand viel zu wenig für Geringverdiener unternimmt. Wäre im Nationalteam um Kimmich, Goretzka und Rüdiger überhaupt noch Platz für einen Spielertypus wie Breitner? Einer, der gesellschafts-politische Themen anspricht und mit Sicherheit wäre Breitner auch gegen die WM 2022 in Qatar, oder?!
Thommy Junga: Zumindest würde er vor der Kurve keine Herzchen mit den Händen formen und das zusammen für ein gesellschaftspolitisch relevantes Statement halten. Breitner verkörperte natürlich den mündigen und integrativen Charakter, den man sich von einem Vollprofi jenseits des Rasens wünscht. Ich bilde mir ein, dass Tore und Bälle zu tragen einen jungen Menschen ebenso nachhaltig prägt wie das Tragen von Guccitäschen. Die Jungs damals haben ja auch gut gelebt, aber weder waren sie Modellathleten, noch athletische Models. Sie waren in der Hauptsache Spieler, heut hat man es eher mit umsatzorientierten Unternehmern auf fest geplanten Bahnen. Das färbt natürlich auch auf das Eigentliche, das Spiel, ab. Effizient, ausbalanciert und die Finesse durch Tempo ersetzt. Einen Kimmich sehe ich da auch eher im „Schuh des Manitu“ als im „Potato-Fritz“.
Peter Hesse: Nach drei Länderspielen in den letzten Tagen steht nun wieder ein Bundesliga-Fußball-Wochenende vor der Tür. Ich selbst war letztes letztes Wochenende bei dem Kunstspiel der Pottoriginale Allstars, die gegen die NACKTionalmannschaft beim Duisburger Amateurclub Post Siegfried Hamborn auf Asche gespielt haben (Endstand 8:9). Es war ein Protest gegen die WM in Qatar – und medial wurde dieses Spiel beinah in die ganze Welt getragen. Ich finde Aktionen in dieser Richtung ziemlich gut. Am Samstag fährt Borussia Dortmund zu Bayer Leverkusen, der VfL Bochum hat einen Tag später Hertha BSC zu Gast. Nach drei verlorenen Spielen brennt bei den Berlinern ganz schön der Baum, bleiben die Punkte in Bochum oder entführt die Hertha was Zählbares in die Hauptstadt?
Thommy Junga: Die Hertha ist so ein typisches Blasen-Projekt. Keine gewachsenen Strukturen, ein Investor, der samt seiner Finanzspritzen so präsent ist, dass jeder im Markt deinen Kontostand kennt – und dann wohl noch massive Defizite auf der Entscheidungsebene. Dass den Herrschaften nach Zampano Klinsi und Feuerwehrmännchen Labbadia nur wieder Pal Dardai eingefallen ist, finde ich schon bemerkenswert. Jetzt haben sie mit Tousart, Jovetic und Boateng in das internationale Regal gegriffen, trainiert wird die Truppe aber wieder vom Trainerstab aus der biederen Vergangenheit, der auch noch öffentlich bekannt gibt, gern andere Spieler holen zu wollen. Das wirkt dann eben alles auch auf dem Platz nicht homogen. Hertha ist ein angeschlagener Boxer, individuell gut besetzt, aber wenn der VfL seine mannschaftliche Geschlossenheit und dieses gegen Mainz gezeigte frühe Angreifen umsetzen kann, dann sind drei Punkte drin.
Peter Hesse: Dann drücke ich mal die Daumen, dass die Bochumer ihr Spiel gut umsetzen können.