Ich esse eigentlich alles, was mir gut schmeckt, denn irgendwie glaube ich daran, dass mich die Evolution mit einem Geschmackssinn ausgestattet hat, der mir zeigt, was gut und was schlecht für mich ist. Von unserem Gastautor Horst Wnuck.
Neben vielen anderen Dingen schmeckt mir auch Spinat. Und beim Spinat ist das besondere, dass er mir nicht nur schmeckt, sondern, dass er wohl wirklich fast ideal ist. Okay, ich mag gerne den Spinat mit dem Blubb, deshalb ist der Spinat bei mir nicht vegan. Aber er ist immerhin vegetarisch, und ich wüsste auch nicht, dass irgendwelche religiösen Essensvorschriften dem Spinatverzehr entgegenstünden. Eher wohl im Gegenteil. Viele Christen zum Beispiel essen ihn sehr gerne an Karfreitag, glaube ich.
Ich esse den Spinat gerne mit Salzkartoffeln (mehlig kochend) und Spiegeleiern. Dieses Mahl ist ja wohl auch unter ökologischen Gesichtspunkten ziemlich in Ordnung, denn schließlich muss der Spinat ja nicht aus fernen Erdteilen eingeflogen werden, sondern er wächst quasi vor der Haustür und darf somit getrost als regionales Produkt bezeichnet werden.
Und gesund sein soll er ja auch der Spinat. Und sogar die Vitamine bleiben durch das Schockfrosten wohl erhalten.
Eigentlich ist Spinat also so ziemlich das perfekteste denkbare Nahrungsmittel. Und obwohl das spätestens seit Popeye sowieso gar nicht mehr nötig wäre, gibt’s bei „Iglo“, der Spinatfirma meines Vertrauens, ein geniales Transparenzversprechen. Sie nennen es „Spinatrückverfolgung“. Jede Packung Spinat ist mit einer Nummer versehen. Gebe ich nun diese Nummer im Internet auf der Firmenwebseite in ein Formular ein, wird mir exakt der Bauernhof angezeigt, auf dem mein Spinat gewachsen ist. Ich könnte also quasi meinen Spinat besuchen und mich davon überzeugen, dass mit ihm alles gut ist. Aus Verbrauchersicht muss ich dazu einfach sagen: Besser geht’s eigentlich nicht. Ich habe wirklich rund herum ein sehr gutes Gefühl bei meinem Spinatverzehr.
Nun wollte ich doch wirklich mal sehen, wo mein Spinat eigentlich so herkommt. Ich gab also meine Nummer ein und bekam tatsächlich prompt Antwort. Da war er nun, mein Spinatbauer: Wilhelm Schweckhorst. Er lächelte mich an und sah genauso aus wie der Spinatbauer, von dem ich meinen Spinat essen möchte. Neben ihm sein Bauernsohn, der genauso aussah wie sein Bauernsohn.
Wilhelm Schweckhorst, 49, so steht es da. 1992 übernahm er den Schweckhorst-Hof im Kreis Wesel von seinem Vater. Gemeinsam mit seinen Söhnen Thomas und Daniel kümmert er sich dort als „iglo“-Vertragslandwirt um meinen Spinat, aber auch um Getreide, Mais und Kühe. Sein Arbeitstag beginnt „in aller Früh“, so wie es sich für einen anständigen Bauern gehört. Und seine Ehefrau Sabine „verwöhnt ihn nach einem langen Arbeitstag auch gern mal mit seinem Lieblings-Spinatgericht.“
Kreis Wesel? Ist doch direkt um die Ecke. Da könnte ich doch tatsächlich mal einen Ausflug machen. Weil die Kartoffeln noch etwas kochen mussten, fing ich also an zu googeln. Und ich hatte sofort ein Volltreffer: Hamminkeln, Kreis Wesel. Es soll ja sogar Leute geben, die behaupten, Hamminkeln wäre Teil des Ruhrgebiets.
Und es gab weitere Treffer, darunter ziemlich weit oben eine Traueranzeige in der RP. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken runter, doch es gab keinen Zweifel: Mein Spinatbauer ist tot. Ich konnte es zuerst nicht fassen. War er das wirklich? Das Bild ließ mich noch kurz grübeln, doch als ich las, dass dort neben anderen Sabine, Thomas und Daniel trauerten, gab es für mich keinen Zweifel mehr. Wilhelm Schweckhorst war am 7. September 2016 verstorben und wurde acht Tage später beigesetzt. Obwohl ich diesen Mann nicht kenne und nie kennenlernen werde, war ich traurig. Er wurde nur 60 Jahre alt. Er war Jahrgang 1956, im kommenden Juni wäre er laut Traueranzeige 63 geworden.
Ich zuckte: Laut „iglo“-Spinatrückverfolgung ist Wilhelm Schweckhorst 49 Jahre alt – jetzt, also heute. Das wäre ja ein Unterschied von gut 13 Jahren. Ich meine, vor 13 Jahren, machte da nicht noch Verona Pooth (vormals Feldbusch) Werbung für den Blubb? Hatte da nicht noch Käpt’n-„Iglo“ einen schneeweißen Rauschebart? In 13 Jahren kann wirklich verdammt viel passieren. Aber offenbar wohl nicht auf der Spinatrückverfolgungs-Webseite von „iglo“.
Damit keine Zweifel aufkommen: Ich mag Spinat und ich werde weiterhin genau diesen Spinat essen.
Aber ich ertappe mich doch bei dem Gedanken, dass vielleicht irgendwo im REWE oder bei Edeka nun investigative Journalisten unauffällig vor den Tiefkühlregalen stehen und Nummern von Spinat-Packungen notieren könnten. Und, dass irgendwo in der PR-Abteilung von „iglo“ etwas Unruhe aufkommen und sich doch die Erkenntnis durchsetzen könnte, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, mal eine 450-Euro-Kraft zu beschäftigen, um sie kurz mal die Webseiten checken zu lassen. Denn, ich finde, das hat er verdient – mein Spinatbauer Wilhelm Schweckhorst.
Hier nochmal zum Durchklicken:
„Iglo“-Webseite:
Meine Spinatnummer:
L8115CJ005 17 11 (mindestens haltbar bis 04/2020, gekauft bei Marktkauf in Schalke-Nord)
Traueranzeige in der RP:
https://trauer.rp-online.de/todesanzeige/wilhelm-schweckhorst
"Denn, ich finde, das hat er verdient"
Ehm ja, deswegen hast Du auch erst mal einen Beitrag dazu veröffentlicht anstelle einfach Iglo zu informieren.
Ich finde Artikel sehr gut. Wenn man als Unternehmen anstatt reine Tracking Daten zugänglich zu machen stattdessen pseudoredaktionellen Inhalt darzustrickt , dann macht das Arbeit. Zumindest wenn es stimmen soll. So verkommt das verbraucherorientierte Transparenzgebaren zur Posse.
Der Artikel zeigt außerdem, dass der Verbraucher mit den dargebotenen Informationen nicht sinnvolles anfangen kann. Es ist Image Werbung, sonst nix. Und das bringt dieses kleine Beispiel imho sehr schön heraus.
Ob es jetzt Zufall ist, Iglo den Bericht gefunden hat oder darauf aufmerksam gemacht wurde ist eigentlich egal, denn heute steht diese Meldung auf der Spinatrückverfolgung: "Die Funktion Spinatrückverfolgung wird derzeit technisch überarbeitet".
Offensichtlich wird sich darum gekümmernt.