Sportgeschichte: Auch der Ruhrgebietsfußball hat viele jüdische Wurzeln

Walther Bensemann im Jahre 1896. Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei

Ende Januar gedenken wir hierzulande regelmäßig der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Alliierten im Jahre 1945. Der 27. Januar hat sich inzwischen diesbezüglich als ein fester Gedenktag im Lande etabliert. Auch in der Sport- bzw. Fußballszene.

Es gibt in diesem Zusammenhang inzwischen recht viele positive Beispiele für Erinnerungskultur. Das ist die eine Seite der Geschichte. Auf der anderen Seite sind Informationen gerade über Details in Sachen jüdischer Sportler in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts noch immer selten, teilweise nur sehr schwer zu bekommen.

Diverse Fakten und sogar ganze Vereine aus dieser Epoche sind noch immer nahezu vollständig vergessen im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit. Und je mehr Jahre ins Land ziehen, je schwieriger wird es diese Zeitspanne entsprechend angemessen und würdig aufzuarbeiten.

Ein bedeutender Teil der Sportgeschichte droht hier tatsächlich nach und nach vergessen zu werden. Dabei haben gerade auch deutsche Juden entscheidend zur Entwicklung zum Beispiel des Fußballs und seiner führenden Organisation in Deutschland beigetragen.

Vor einigen Wochen habe ich mir einmal die Mühe gemacht und zumindest einige Details zu den jüdischen Spuren im Ruhrgebietsfußball zusammengetragen. Hier jetzt das Ergebnis:

Am 30. Januar 1933 ging die Macht im Lande bekanntermaßen an die Nationalsozialisten über, Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler Deutschlands ernannt und die gerade frisch etablierte Demokratie wurde Schritt für Schritt zu einer Diktatur. Juden waren fortan schlimmsten Repressionen ausgesetzt. Auch im Sport.

Zunächst einmal bereitet es einem gar keine großen Probleme, den bedeutenden Beitrag deutscher Juden für die Entwicklung des Fußballs im Herzen Europas grundsätzlich anzuerkennen: So wirkten sie beispielsweise bei der Gründung vieler Vereine unbestritten und maßgeblich mit, trugen sogar ganz wesentlich zur Gründung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bei.

Walter Bensemann ist dabei ganz bestimmt ein geläufiger Name, der sicherlich vielen Lesern hier noch immer ein fester Begriff ist. Viele Sportmannschaften waren damals mit diversen jüdischen Spielern aktiv. Julius Hirsch und Gottfried Fuchs wurden zu namhaften Fußball-Nationalspielern. Fuchs gelangen in einem Spiel gegen Russland gar einmal unglaubliche zehn Tore. Ein übrigens bis heute gültiger Rekord in diesem Lande.

In der Anfangszeit des Fußballs in Deutschland ragten zwei jüdische Persönlichkeiten sehr weit heraus: Gustav Rudolph Manning und Walther Bensemann. Beide wurden einst im Jahre 1873 geboren. Im Alter von nur 27 Jahren halfen beide dann in Leipzig entscheidend bei der Gründung des DFB mit. Zudem gründete Bensemann im Jahre 1920 die renommierte Fachzeitschrift ‚Kicker‘, der noch heutzutage vielen Sportfreunden in diesem Lande ein fester Begriff ist.

Antisemitische Vorbehalte und sogar öffentlich sichtbare Aggressionen, die sich in dieser Zeit nun zunehmend ausbreiteten, erlangten im deutschen Fußball zunächst keine besondere Bedeutung. Kein Wunder also, dass sich Juden in diesen Jahren auch im DFB noch nicht sonderlich unwohl fühlten, mehrheitlich keine Grund sahen die Organisation zu verlassen.

Nur eine relativ kleine Minderheit trat in diesen Jahren bereits einem der explizit jüdischen Vereine bei, die nach 1900 im ganzen Lande nach und nach entstanden waren, um des generell in der Gesellschaft schrittweise zunehmenden Antisemitismus im Alltag bestmöglich zumindest ein gutes Stück entkommen zu können.

Unter den Nationalsozialisten änderte sich die Situation dann jedoch schlagartig. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 wurden in wenigen Wochen die jüdischen Mitglieder aus den Vereinen ausgeschlossen. Kaum hatte Hitler in Berlin die Macht erobert, wurden die jüdischen Kicker von ihren bisherigen Vereinskameraden vielfach schlicht und einfach vollständig fallengelassen.

Die Chance weiterhin aktiv Fußball spielen zu können hatten diese aktiven Sportler von der Zeit an nur noch, wenn sie einem der etwa 40 jüdischen Vereine angehörten, die es damals im gesamten Reich gab. Aus einer akuten Notsituation heraus gründeten sich daher im Jahre 1933 in Deutschland alleine fast 200 neue jüdische Fußballvereine.

Im Jahre 1938 wurde dann das letzte Mal eine jüdische Fußballmeisterschaft ausgetragen. Der Sieger kam aus dem Ruhrgebiet und hieß Schild Bochum. Doch selbst das Schicksal dieser Meistermannschaft um ihren Kapitän Erich Gottschalk ist in diesen Jahren schon weitgehend vergessen und damit zugleich irgendwie auch ein Stück weit die traurige Realität für die Geschichte des jüdischen Fußballs hierzulande.

Der jüdische Sportverein Bochums gründete sich beispielsweise im Januar des Jahres 1925 noch als TuS Hakoah Bochum. Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits mehrere weitere rein jüdische Sportvereine im gesamten Ruhrgebiet.

Trotz ihrer äußerlich damals noch recht guten Integration in die Gesellschaft spürten viele Juden Mitte der 1920er-Jahre immer mehr, wie der Nationalsozialismus auch zwischen Rhein und Ruhr Stück für Stück immer mehr Auftrieb bekam, sich das Alltagsklima für sie deutlich verschlechterte.

Daher fühlten sich einige Juden in Bochum und anderen Städten des Reviers dann irgendwann dazu berufen, ihre körperliche Stärke fortan in separaten Vereinen zu beweisen.

Dies war jedoch alles andere als unproblematisch. Denn, um beim konkreten Beispiel Bochum zu bleiben, als man 1925 einen Antrag auf Aufnahme in den Westdeutschen Spielverband (WSV) stellte, um sich im normalen Ligabetrieb mit anderen Klubs zu messen, da wurde dieser wegen angeblicher ‚Überfüllung‘ der Spielklassen glatt abgelehnt.

Constans Jersch, damals Präsident des TuS Bochum und noch bis in die 50er-Jahre hinein ein hochrangiger Funktionär des noch heute bekannten VfL Bochum, lehnte das an sich harmlos anmutende Anliegen der jüdischen Kicker kurzerhand mit dieser Begründung ab.

Hakoah Bochum, später in Schild umbenannt, und die anderen jüdischen Vereine, welche damals um Aufnahme in den regulären Sportbetrieb im Lande baten, waren von dieser Ablehnung natürlich schwer geschockt. Nur notgedrungen beschloss man danach einen eigenen Fußballverband aufzubauen. In der so genannten Vintus-Liga spielten fortan 14 jüdische Mannschaften aus dem ganzen Westen im Zwei-Wochen-Rhythmus regulär und regelmäßig um Tore und Punkte.

Die Bochumer feierten ihren größten sportlichen Erfolg übrigens am 26. Juni 1938. Dies war der mit Spannung erwartete Finalspieltag um die Fußballmeisterschaft in Köln. Unsere soeben erwähnten Bochumer Fußballer trafen dort auf eine hochfavorisierte Auswahl aus Stuttgart.

Und das Spiel begann für die Revierkicker tatsächlich denkbar schlecht, die Stuttgarter gingen zunächst mit 1:0 in Führung. Doch die Bochumer zeigten sich davon weitestgehend unbeeindruckt, drehten und gewannen das Spiel schlussendlich noch klar mit 4:1.

Die fällige Meisterfeier fand im Anschluss an den größten Triumph des Vereins auf der noch heute für Fußballfans berühmten Castroper Straße in Bochum statt.

So kurios es zunächst ja auch klingen mag, doch ausgerechnet der deutliche Zustrom aktiver Spieler und ausgestoßener Funktionäre sorgte im Jahre 1933 für eine spürbare Professionalisierung der zuvor vorhandenen Liga- und Verbandsstrukturen. Daraus folgte zudem eine Steigerung des fußballerischen Potentials.

Diese Entwicklungen waren es auch, die den Bochumer Klub letztendlich in seine sportlich erfolgreichste Phase führte. Zwischen den Jahren 1934 und 1937 erreichte Schild Bochum gleich drei Mal das Endspiel um die Westdeutsche Meisterschaft. Es folgte gar der Titel von 1938.

Zu dieser Zeit beeinträchtigten dann jedoch parallel auch bereits Emigrationen von Juden aus Deutschland hinaus den Spielbetrieb. Die grundsätzliche Situation für Schild verschlechterte sich in diesen Jahren dadurch zunehmend. Dem Verein wurde zum Beispiel der Sportplatz an der Wasserstraße gekündigt. Seine Heimspiele musste man daher seit dem Jahre 1936 auf einer Sportanlage im benachbarten Gelsenkirchen austragen.

Für die seit der Machtübernahme der Nazis faktisch um die Hälfte geschrumpfte jüdische Gemeinde Bochums stellte die gegen Stuttgart errungene Meisterschaft des Klubs im Jahre 1938 jedoch noch einmal ein Zeichen der Hoffnung dar, das jedoch kurz darauf jäh durch die schrecklichen Pogrome im November des gleichen Jahres zunichte gemacht wurde.

Die Schicksale der beteiligten Spieler sowie vieler Funktionäre der Meistermannschaft konnten ebenso wie die unzähliger anderer jüdischer Bürger furchtbarer kaum sein. Die Kicker wurden letztendlich von den Nazis aus Bochum und Umgebung in alle Himmelsrichtungen vertrieben und mit aller Macht verfolgt, zum Teil auf der Flucht oder in den Konzentrationslagern ermordet.

Eine Besonderheit im Ruhrgebiet ist aus diesen Jahren im benachbarten Duisburg zu verzeichnen. Dort gab es einen 1926 gegründeten jüdischen Verein namens Bar Kochba, der nicht ein Sportverein für Juden, sondern ein sprichwörtlich jüdischer Verein sein wollte. BK Duisburg wurde wahrscheinlich 1933 aufgelöst. Sportlich war der Verein ebenfalls sehr erfolgreich, wurde westdeutscher Meister im damaligen Makkabäerverband. Auch den Makkabäern machte der durch die Nazis verursachte Sportplatzmangel jedoch mehr und mehr Schwierigkeiten. Denn im westdeutschen Verband standen letztendlich nur noch Sportplätze in Köln und Duisburg zur Verfügung.

1923 hatte sich in der Nachbarschaft Hakoah Essen gegründet, der im Ruhrgebiet erste jüdische Verein, der auch bis in die Gegenwart hinein noch als der größte von ihnen gilt. Grund für dessen Gründung waren ebenfalls bereits Schmähungen innerhalb der ohnehin antisemitisch geprägten Deutschen Turnerschaft gewesen. Fußball wurde von den Essenern ebenfalls sofort gespielt. Aber es waren anfangs nur Freundschaftsspiele.

Im Juni des Jahres 1924 beantragte Hakoah Essen die Aufnahme in den Westdeutschen Spiel-Verband. Die Ablehnung war in ihrem Falle ähnlich fadenscheinig wie bei den Sportfreunden aus Bochum. In diesem Falle war ebenfalls von einer augenblicklichen Überfüllung der Essener Spielklassen die Rede. Und auch hier waren die Sportler empört: „Man will uns keine Gelegenheit geben, zu zeigen, das wir ebenbürtiges zu leisten im Stande sind“, hieß es damals dazu in der vereinseigenen Zeitung. „Nur weil wir ein Verein mit Mitgliedern jüdischen Glaubens sind, hat man uns abgelehnt.“

Im April 1925 wurde auf spezielle Initiative von Hakoah Essen dann der eben bereits erwähnte Verband ‚Vintus‘ gegründet, der „Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine“.

Das Projekt war vom Start weg ein Erfolg. Zur Saison 1926/27 gab es schon zwei parallel laufende VINTUS-Ligen: Den Ruhrkreis und den Rheinkreis. 12 Vereine traten darin in den Wettstreit ein.

Noch bis Anfang der 1930er-Jahre trugen inzwischen fast vergessene Klubs wie Hakoah Bochum, JJV Buer, ITUS Herne, Makkabi Düsseldorf oder auch RjF Krefeld nun Freundschaftsspiele auch gegen nichtjüdische Vereine aus. 1933, nach der Machtübernahme der Nazis also, löste sich der Verband jedoch auf, und die Vereine organisierten sich fortan im Schild- oder Makkabi-Verband.

Wenn wir spätestenms im nächsten Januar also einmal wieder der Befreiung von Auschwitz in den Stadien und bei den von den aktuellen Vereinen organisierten Gedenkveranstaltungen gedenken, dann ist das ebenso einmal wieder eine willkommene Gelegenheit sich dieser inzwischen leider bereits fast vergessenen Tage von jüdischen Sportlern vor der Machtergreifung durch die Nazis im Sport zu erinnern. Bei uns im Ruhrgebiet, aber natürlich auch darüber hinaus.

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