Wie kommt es, dass, wer Juden hasst, sich einen geistreichen Anschein geben kann und einen ästhetischen Anstrich? Vor 100 Jahren begann Julien Benda über La trahison des clercs nachzudenken, 1928 erschien Der Verrat der Intellektuellen auf Deutsch: Der Titel wurde sprichwörtlich, das Buch ignoriert, heute liest es sich, als hätte Benda die AfD vor Augen gestanden. Und BDS. Und wie gut beide zueinander passen, sie und ein paar mehr.
(I)
„Auch die Politik ist eine Kunst, vielleicht die höchste und umfassendste, die es gibt.“ Schreibt Joseph Goebbels, seit vier Wochen Minister für „Volksaufklärung und Propaganda“, im April 1933 an Wilhelm Furtwängler, den weltgerühmten Dirigenten. Der hatte darum gebeten, dass man, da ja nun ein „Trennungsstrich zwischen Juden und Nichtjuden“ gezogen werde – was man „nicht nachdrücklich und konsequent genug“ tun könne, wie Furtwängler hinzufügt – doch auch den Trennungsstrich „zwischen guter und schlechter Kunst“ im Auge behalten möge, unterm Strich also den zwischen guten und schlechten Juden. Woraufhin Goebbels sich und seine öffentliche Rolle erklärt: „Wir, die wir die moderne deutsche Politik gestalten, fühlen uns dabei als künstlerische Menschen.“
Mit seinem Dreh – Judenhass als Kunst, die das „gestalthafte Gebilde des Volkes“ forme – greift Goebbels einerseits weit vor, der ambitionierte Literat denkt den erweiterten Kunstbegriff herbei und die Idee der sozialen Plastik, von der es heute heißt, sie stamme von Joseph Beuys[1], der habe sie 1972 auf der documenta 5 präsentiert. Andererseits reiht sich Goebbels ein in eine bürgerliche Tradition, die nun galant auf Linie biegt: Sein Judenhass, eben noch betont brutal, ist plötzlich frei von Krawall, weil die Kunst frei ist. Der Staat gewährt ihr Schutz – Artikel 142 der Weimarer Verfassung ist in Kraft – „und nimmt an ihrer Pflege teil“. Am 11. April, zehn Tage nach dem – „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ – brutalen Boykott jüdischer Geschäfte, wird Goebbels Briefwechsel mit Furtwängler im Berliner Tageblatt und der Vossischen Zeitung veröffentlicht, den Blättern des Berliner Bürgertums. „Hat hingehauen“, notiert Goebbels im Tagebuch.
(II)
Dass er sich „im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen versorgen“ werde, hat Goebbels bereits im April 1928 in Der Angriff angekündigt, der Zeitung seines „Gau Groß-Berlin“. Wenig zuvor war Julien Bendas „Der Verrat der Intellektuellen“ in deutscher Übersetzung erschienen, der französische Philosoph und Publizist sichtet darin gleichsam das Waffenarsenal der Demokratie, er beschreibt zunächst das Phänomen, dass „politische Leidenschaften“ – zu denen er den Antisemitismus zählt – sich abgelöst hätten von „persönlichen Eigenarten und originellen Ausdrucksweisen des Hasses“ und stattdessen einen homogenen „Hassblock“ formten: „Noch im Fühlen scheinen sie einer Parole zu folgen.“ Was einmal „bloße Leidenschaftsschübe“ gewesen sein mochten, die auf- und abwallen wie Wetterwenden, sei zu einem Absprungbrett geworden für die „intellektuelle Organisation des politischen Hasses“: Vormals „naive Instinktausbrüche“ würden künstlerisch eingewickelt und Politik – die Programmatik der Macht – in „religiöse Inbrunst“ verpackt. Zum Packpapier zählt Benda sonderlich „Sensibilität, Literatur, Philosophie und Kunstverständnis“.
Versteht sich, dass er einen wie Goebbels, der seinen Judenhass zum Artefakt verschwärmt, nicht einmal mehr verachtet hätte. Zu den Verpackungskünstlern vom goebbelschen Schlag zählt Benda nun allerdings einen großen Teil der geistigen Eliten sowohl in Frankreich wie in Deutschland. Die Eliten selber nennt er die Clercs – in dem Begriff schwingt das Klerikale mit wie das Geistliche im Geisteswissenschaftler – und meint damit grundsätzlich alle, ob Geistes oder Naturwissenschaftler, Kleriker oder Künstler, alle,
„deren Aktivitäten schon vom Wesen her nicht auf praktische Ziele ausgerichtet sind: Menschen, die ihre Befriedigung in Kunst, Wissenschaft oder metaphysischer Spekulation, kurz im Besitz immaterieller Güter suchen und damit zu sagen scheinen: ‚Mein Reich ist nicht von dieser Welt.‘“
Die nun aber reihenweise hinabgestiegen seien in die politische Arena, um sich dort irgendeiner Bewegung anzudienen – der linken, der rechten, der antisemitischen und alle drei der nationalen Frömmelei – und die dann, von der Dynamik ihres Bewegtseins hingerissen, zum „Krieg der Kulturen“ gerufen hätten mit dem Ergebnis, dass „alle dasselbe sagen“.
(III)
Auch Julien Benda zieht einen Trennungsstrich, er teilt die Welt in zwei Reiche auf, die auf immer geschieden seien voneinander: „einerseits die künstlerische und die intellektuelle, andererseits die moralische und die politische Kultur“. Hier Wissenschaft und Kunst, dort Recht und Gesetz; hier Metaphysik und Methode, dort Pragmatik und Moral; hier universale Ideen, dort partikulare Praxis; hier ein „vorteilslos zweckfreies Denken“, dort Anwendung.
Hier die Clercs, die das Reich der Ideen bewirtschaften, sie arbeiteten „uneigennützig“; dort alle anderen, die den Laden in Betrieb halten, der weltliche Stand sozusagen. Benda trennt sie rigoros: Wenn Plato gemeint habe, die Astronomie „entwürdige“ sich, sobald sie in den Dienst der Seefahrt gerate, sei das „vielleicht etwas überspitzt vorgetragen“, aber im Grunde so wahr wie die Einsicht, dass das Schöne an der Historiographie „gerade ihre Nutzlosigkeit“ sei: Die Schönheit und Moralität von Wissenschaft, erklärt er, liege allein „in ihrer Methode“, nicht in ihrem Gebrauch, für den seien Wissenschaften „mitnichten verantwortlich“. Im Vornherein sei klar, „dass ein clerc, der von der Weltlichkeit gepriesen wird, ein Standesverräter sein muss“. Auf diese Weise, angenehm polemisch, kann Benda das, was wir als Werte-Debatte kennen, zügig abhandeln: Gerechtigkeit? Eine „Schule der Ewigkeit, kein Handlungsprinzip“. Vernunft? Ein „Prinzip kritischer Erkenntnis“, das uns – Foucault war gerade einmal geboren – zu ständiger „Selbstüberwachung“ zwinge. Freiheit? Ein ewiger, „gänzlich negativer Wert“, der noch „nie etwas Konstruktives“ zustande gebracht habe, wer immer zur Freiheit rufe, schränke sie erst einmal ein.
Es sind Einsichten, die ihn – der durchaus dünkelhaft wirken kann, Benda stammt aus gutbürgerlichem Haus, jüdische Kaufmannsfamilie, humanistische Bildung, auf seine Weise verkörpert er das Paris des 19. Jahrhunderts, das sich mit dem 20. herumschlagen muss – die ihn nun ausgerechnet mit Karl Marx verbinden: Auch der wusste, dass das „Reich der Freiheit“ erst da beginne, wo das Arbeiten aufhöre, also „jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion“. Diese Sphäre lasse sich „rationell regeln“ und das Maß der Arbeit aufs Nötige reduzieren, „aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit“, so Marx in Das Kapital: Erst „jenseits dessen beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gibt, das wahre Reich der Freiheit …“
Menschliches Tun, von allen Zwecken und Zielen befreit, l’art pour l’art: Marx verortet wahre Freiheit da, wo Benda die Ideen eingebürgert hat, im Jenseits jedes praktischen Nutzens. Was sich ausgesprochen nützlich macht, Benda jedenfalls, der politische Publizist, verweigert die Wahl, welcher Freiheitsbewegung er sich auszuliefern habe. „Das einzige politische System, dem der Intellektuelle Gefolgschaft leisten kann, ohne sich selber untreu zu werden, ist die Demokratie“, dies der Merkspruch seiner praktischen Metaphysik, seine Begründung: „Mit ihren obersten Werten der Freiheit des Individuums, der Gerechtigkeit und der Wahrheit ist sie nicht praktisch.“
(IV)
Praktisch teilt Benda nach allen Seiten aus, gegen die Linke, die Rechte, die Kirchen. Und dürfte überall Mitstreiter finden, in der Linken, der Rechten, den Kirchen, die Welt sortiert sich neu, wenn man die „abstrakte Qualität des Menschlichen“ verehrt, aber nie dem rührseligen Impuls erliegt, seinem Nächsten um den Hals zu fallen. Die „‘all-brüderliche Weltumarmung‘“ hält Benda für sentimentalen Schmonz, als sein Essay 1946 neuaufgelegt wird, führt er den „neuerlichen Verrat der Intellektuellen“, die sich zwischenzeitlich an Hitler verkauft haben, an Mussolini, Stalin, Franco, das Vichy-Regime, führt er ihren Verrat auf eine – „eine“ – Regung zurück: „Gefühlshunger“.
Über den Gefühlsdusel der Nationalisten kann er seit jeher nur spotten, über „lothringische Wahrheiten, provençalische und bretonische“ und darüber, dass, „was diesseits der Pyrenäen Wahrheit ist, jenseits genauso gut Irrtum sein könnte“, es liest sich, als verspotte er die Heutigen, die eine Sprechposition als Wahrheitsbeweis annehmen und einen globalen Süden, der jenseits der Pyrenäen beginne. Und die ihrem Publikum auf alle Weise zureden wie zu Bendas Zeiten, Identität zu suchen nicht in dem, was Menschen einander verbinde, sondern in dem, was sie von anderen angeblich unterscheide, „in ihrer Sprache, ihrer Kunst- und Literatur, (…) in ihrer Kleidung, ihrem Wohn- und Einrichtungsstil und ihren Essgewohnheiten“ und selbst noch in ihrer – in diesem Fall französischen – „Karosserielinie“.
Benda spottet, aber nicht über die „Kraft zur Selbstvergötzung“, die er in dieser Gefühligkeit erkennt, nicht über die Lust an der Willkür, die sich ästhetisch einübt und schon mal Ausschau hält nach der Horde, er weiß zu gut, dass es Geschmacksurteile sind, die einen Hassblock hämmern, im Dreyfus-Skandal hat er gegen den klerikal-monarchistischen Block gekämpft, hat 1914 den kollektiven Kotau der deutschen Intelligenz vor Kaiser und Krieg erlebt, die Liebeleien mit Lenin und wie sich das Vichy-Regime dem NS an den Kragenspiegel geworfen hat …
Als er 1956 stirbt, lebt Armin Mohler in Paris, das Hirn der Neuen Rechten, es entwirft Faschismus als einen „Stil“, dem der politische Begriff „nachträglich“ folge wie Hund dem Herrchen: „Voraus geht die Entscheidung für eine Gebärde, einen Rhythmus, kurz: einen ‚Stil‘“, der grundlegend sei dafür, „eine bestimmte Tonlage zu setzen, ein Klima zu schaffen, Assoziationen hervorzurufen“. Assoziationen sozialer Art, diverse Kulturen und Milieus würden sich im Fascho-Stil überkreuzen, „Faschismus ist für mich, wenn enttäuschte Liberale und enttäuschte Sozialisten sich zu etwas Neuem zusammenfinden“, erklärt Mohler noch 1995 in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung. Benda hätte es mit Schaudern bestätigt.
Und mit Entsetzen, hätte er erleben müssen, wie Hamas heute verehrt wird und wer alles mittut dabei, der faschistische Stil ist ein integratives Projekt, mit Goebbels Worten: „Stil ist alles!“
(V)
Im Mai 1928 bespricht Walter Benjamin den Essay von Julien Benda für die Humboldt-Blätter, er diagnostiziert bei dem eine „streng reaktionäre Geistesverfassung“. Was eine erstaunliche Deutung ist, eigentlich haben die beiden viel gemein – jüdisch-assimiliertes Elternhaus, bestens gebildet, großstädtisch gewieft – und haben ein gemeinsames Thema, das Benda in seinem Essay aufreißt und Benjamin Jahre später – 1935, da ist er den Nazis aus Goebbels Berlin in Bendas Paris entkommen – in seinem wohl einflussreichsten Essay verhandelt, dem „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Faschismus, schreibt Benjamin dort, laufe auf eine „Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus“ und diese Ästhetisierung ihrerseits auf Krieg, weil nur der Krieg imstande sei, das Versprechen einzulösen, dass Faschismus eine Kunst sei, wie von Goebbels erklärt, die alles und jeden in sich einzusaugen vermöchte, Kunst und Kommando, Leibesübung und Leichenstarre, Eau de Cologne und Verwesungsgeruch, Heimeligkeit und Hass, „Kitsch und Tod“.
Diesem faschistischen Sog setzt Benjamin seinen akuten Kommunismus entgegen und der „Ästhetisierung der Politik“ die „Politisierung der Kunst“. Keine gute Idee, er führt sie auch nicht weiter aus, in jenen Tagen macht der sozialistische Realismus – die „wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung“, so die amtliche Vorgabe für Kunst im Stalinismus, 1934 erlassen – macht allzu anschaulich, was Julien Benda meint, wenn der von einem „vergötzten Realismus“ spricht. Es ist, als sei Benjamin mit seinem Dekret, dass Kunst zu politisieren sei, auf dem besten Weg, sich selber zu verraten: Noch nie hätten die Clercs, schreibt Benda, die Menschheit davon abgehalten, sich in Hassgeschrei und Schlachtenlärm zu verkrallen, wohl aber davon, ihrem Hass und Geschrei auch noch „bekennerhaft zu huldigen“. Nur ihretwegen, der Clercs wegen, ließe sich von der Menschheit sagen, „dass sie über zwei Jahrtausende hin zwar Böses tat, aber das Gute verehrte. Die Ehre des Menschengeschlechts beruhte auf diesem Widerspruch: dem Spalt, durch den die Kultur eindringen konnte.“
Ein wunderbarer Satz, er könnte von Benjamin stammen: Die Clercs, so ließe sich mit ihm, mit Benjamin sagen, was der an anderer Stelle über jüdische Denker sagt, sie haben „die kleine Pforte“ offen gehalten, „durch die der Messias treten konnte“.
Messias als die Figur einer Idee: dass die Welt erlöst sein könnte von Hunger und Leid, von Unrecht und Terror, von Willkür und Hass. Die Idee ist in der Welt, der Messias nicht.
(VI)
Am 18. Juni 2022 tritt der Messias in Kassel auf, kreisfreie Stadt, eines von zehn Oberzentren des Landes Hessen, die Documenta 15 präsentiert ein 96 qm großes Bild des indonesischen Künstler-Kollektivs Taring Padi. Das Bild heißt „People’s Justice“, zwanzig Jahre zuvor kollektiv gemalt, stellt es eines der großen Motive nach, die der Kunstgeschichte des Westens entstammen, die Erzählung vom Weltgericht: auf der einen Seite die Verdammten – dort rauchen die Schlote, der Teufel regiert, hinter dem verbirgt sich „der Jude“ – , auf der anderen Seite die seligen Seelen, hier wird auf offenem Feuer gekocht, das Feld mit Handhacke bestellt, Vormoderne trifft auf Protestcamp. In der Mitte, wo sich üblicherweise Himmel auftun und Gott vermutet wird, tagen sieben Gestalten, sie sind als Intellektuelle markiert: Brille, Megaphon, Umhängetasche. Die Ärmel gekrempelt, die Fäuste erhoben, die Münder verzerrt, sie halten Volksgericht. Zu ihren Füßen der Kerker, darin acht Figuren, teils uniformiert, sie sind als Tiere gemalt, keine Menschen: Repräsentanten. Bei denen, die das Bild betrachten, impliziert diese Konzeption – und das ist jetzt ein Zitat von Julien Benda aus 1946 –
„impliziert die Bereitschaft, sich damit abzufinden, dass Tausende von Menschen auf ewig im tiefsten Kerker dahinschmachten, nur damit dann ‚das Ganze‘ diesen Schöngeistern einen Anblick bietet, der ihren Sinnen schmeichelt.“ Einmal mehr werde auf solche Weise bezeugt, so Benda, „wie weit das ästhetische Empfinden – oder der Anspruch darauf – sich trennen kann von jedem moralischen Sinn“.
Natürlich haben Taring Padi recht, wenn sie darauf bestehen, dass die 32jährige Suharto-Diktatur gesühnt werden müsse im Namen der Gerechtigkeit, Bendas Punkt ist, dass Taring Padi sich selber als Richter inthronisieren, als Vollstrecker eines Volkswillens und mehr als das, sie setzen sich selber (oder Leute ihrer Szene) an die Stelle Gottes. „Selbstvergötzung“, würde Benda sagen, sie ließe sich weglächeln, fände sie nicht ihr Pendant im Judenhass. Taring Padi malen sich „den Juden“ aus, der ihre Ausbeutung angeleitet habe, sie zeichnen ihn fratzenhaft wie aus dem Der Stürmer gepauscht. Die Fratze im Bild ist das Abziehbild ihrer eigenen, der weltrichterlichen Porträts und die Figur des Juden, der hinter dem Teufel steckt, das Negativ der eigenen Vergottung. Eine Weltkunst-Ausstellung, die Weltgericht hält über eine Weltverschwörung – im Bild des Juden drückt sie ihr eigenes Wesen aus, unverzichtbar für „das Ganze“, wenn es der eigenen Größe schmeicheln soll. Goebbels hätte das Bild gefallen.
Den Juden aber, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie an ein Gerüst in Kassel wie an ein Kreuz auf Golgatha, „endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können.“ [2]
(VII)
Goebbels hätte auch BDS gefallen, die Hetzkampagne gegen den jüdischen Staat, der sich die documenta 15 verschrieben hat: „Gut muss die Kunst sein: darüber hinaus (…) kämpferisch“, die goebbelsche Forderung, an Furtwängler gerichtet, hat BDS so übersetzt, dass schlechte Kunst sei, was aus Israel komme und gute Kunst, was nicht. Entsprechend das politische Programm der Hetzkampagne, erst fliegen die jüdischen Israelis raus, dann alle Israelis, dann alle Juden. Ein zunächst aggressiver und öffentlicher Boykott, dann ein stiller und administrativer: BDS ist das Ermächtigungsgesetz von 1933 als Selbstermächtigung von heute.
Wohin es führt, wenn eine Gruppe von Menschen „sich selbst zum alleinigen Richter der Moralität ihrer Handlungen“ aufschwinge, so Julien Benda bereits 1927, in welchem Maße dies „eine Vergötzung der eigenen Begierden, eine Legitimierung der eigenen Gewalttätigkeit und völlige Skrupellosigkeit bei der Ausführung einmal gefasster Pläne nach sich zieht“, dies habe sich bereits „am Beispiel Deutschlands von 1914“ gezeigt, dem Weltkriegstaumel der deutschen Intellektuellen. Und dann setzt Benda hinzu: „Vielleicht wird eines Tages die Bourgeoisie ganz Europas dieses Beispiel nachexerzieren.“
(VIII)
In ganz Europa wird heute, kaum dass es um Israel geht, über „Existenzrecht“ verhandelt wie auf der Wannsee-Konferenz. Der originalen, weniger der der AfD, noch ist das so. Denn je mehr die einen, Kunstakteure wie Jan Martens, ein solches Recht zu existieren denn doch nun auch für Israelis anerkennen, umso mehr stellen sie zur Diskussion, ob jüdische Existenz überhaupt wieder an- oder abzuerkennen sei und maßen sich an, höchstselbst darüber zu befinden. Sie passen gut zueinander, die antisemitische BDS-Bewegung, die sich der AfD entgegen schiebt, und die „Partei für Antisemiten“, deren Israel-Solidarität so verlogen ist wie das, was BDS als Israel-Kritik vertreibt.
Wer sich einpasst ins Bild, ist Hamas, sie bündelt das, was BDS wie AfD erträumen und steht bereit, die tatsächliche Grenze zu stürmen, die Leute wie Martens gedanklich verschieben: Auch die Hamas-Barbaren pflegen einen Kunstbegriff, der ist wie bei Goebbels geklaut[3], ihr Männlichkeitskult wie für Mohler gemalt, ihr Aufmarsch wie von Riefenstahl gedreht, ihr Kulturreferat ist von BDS geführt, ihre Fan-Base so divers wie eine Pride-Parade und ihr Terror astrein aktivistisch.
Irritierende Nähen, sie gehen, folgt man Benda, auf Denkfiguren zurück, die tief hineingreifen ins demokratische Bewusstsein: Gefühlshunger, Stil-Empfinden, die fraglose Verzweckung von Kunst. Dezisionismus, Identitätszwang, die Provinzialisierung von Wahrheit. Und, dies reißt Benda nur vage an[4]: der Opferzwang, der ins Archaische zurückverweist, die Idee, dass sich die einen nur retten können vor einer Macht, wenn sie ihr andere zum Opfer darbringen.
Nicht die ganze Sippe, nur die Erstgeborenen, nie die ganze Herde, nur ein paar Auserwählte, das Opfer liegt seit jeher in der Mitte von Geschenk und Betrug, den alle ahnen. Auch dass sie selber die eigentlich Betrogenen sind, es könnte schließlich jeder einmal an die Reihe kommen, auserwählt zu sein, wenn man es noch immer nicht ist, die Ahnung schweißt zusammen wie zu einer Gang. Nichts – kein gemeinsamer Stil und nicht das Gefasel von Clercs, die einem vom Vaterland singen, das zu befreien sei oder der Menschheit, die gerettet werden müsse – nichts verbindet enger als ein gemeinsames Verbrechen, von dem am Ende nichts bleibt als eben dies, es immer wieder gemeinsam zu begehen, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sowieso niemand glaubt.
Dies der Glutkern des Dreyfus-Skandals, es ist derselbe, um den herum sich heute BDS entfaltet, es ist der eigentliche Verrat, den Benda attackiert.
(IX)
Bis ins 16. Jahrhundert hinein haben die Azteken Menschenopfer dargebracht in großer Zahl und unvorstellbarer Grausamkeit, was die spanischen Eroberer darüber nach Europa berichtet haben, ist „nur zu gerne“ geleugnet worden in der westlichen Welt. 2015 allerdings wurden die ersten Tzompantli freigelegt, mannshohe Mauern, aus Totenschädeln gebaut, Dutzende Meter lang. Wie das Schlachten vonstattenging, darüber hat, so erzählt es René Scheu in der NZZ, die Wissenschaftsjournalistin Lizzie Wade für Science berichtet, in der Diskussion ihres Berichts erklärt sie:
„Für die Azteken waren diese Schädel die Samen, die die Fortführung der Existenz der Menschheit sicherstellen würden. Sie waren ein Symbol für Leben und Erneuerung wie die ersten Blumen im Frühling.“
Und die Opfer?
„Ich kann mir schwer vorstellen, dass Leute geopfert werden ‹wollten›, aber das ist mein eigenes Bias und meine eigene kulturbedingte Denkweise. Wie ich die Welt sehe, gefiltert durch Jahrhunderte kolonialer Unterdrückung und Zerstörung, ist bedeutungslos, um zu verstehen, wie sie die Welt sahen.“
Jetzt die Stimme von Julien Benda: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Völker, die Nebukadnezar an Nasenringen die Landstraßen von Chaldäa entlangzerren ließ, dass der Unglücklichste, der von seinem mittelalterlichen Seigneur an den Mühlstein gebunden und seiner Frau und Kinder beraubt wurde, dass der Jüngling, den Colbert lebenslänglich an die Galeerenbank ketten ließ: dass sie alle sehr wohl der Ansicht waren, man verletze an ihnen ein ewiges – statisches – Prinzip der Gerechtigkeit, und dass sie keineswegs meinten, ihr Schicksal sei unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen ein gerechtes.“
Statisch sind sie beide, das Prinzip der Gerechtigkeit, an das sich Benda hält, und das Einfühlungsvermögen, das Wade sich selber spendiert, sie denkt es ungefiltert von jahrhundertelanger Repression und unberührt wie eine Insel im Urlaubsprospekt, auf der steht sie nun und „versteht“, wie Azteken vorzeiten „die Welt gesehen haben“. Mit dieser Art von Gefühlshunger – kultursensibel sein heißt Wade, unschuldig zu sein – rückt sie weit ab von Benda und dicht heran an das, was AfD unter „Schuldkult“ verhandelt:
Sich vorstellen zu können, dass sich die Juden – von Christen aufs Rad gebunden, von Nazis ins Gas getrieben, von Hamas zerstückelt – nicht doch auch ganz gerne hinschlachten ließen, weil doch die Christen, Nazis, Hamas sich um die Existenz der Menschheit besorgten und um die Blumen im Frühling …
(X)
Es waren die jüdischen Clercs, die das Menschenopfer verdammt haben und verboten: Gott habe „Lust an der Liebe und nicht am Opfer“, heißt es beim Propheten Hosea, „Lust an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer“. Es waren jüdische Clercs, die dann – als Judenchristen – gehofft haben, diese Idee weltweit verbreiten zu können: dass kein Gott kein Opfer von keinem brauche, weil es ein letztes gegeben habe, am jüdischen Jesus vollzogen, der die Sünden der Welt herausgetragen habe aus dieser Welt. Es war der Holocaust – wörtlich: vollständig verbrannt – der offenbar gemacht hat, dass diese Hoffnung trog. Dass die Weltgeschichte kein Weltgericht ist und der Fortschritt keine Erlösung. Dass Jesus nicht der Christus ist, der die Welt gerettet hätte oder auch nur die Juden in ihr. Oder auch nur – sich selbst kann er nicht helfen (Mt 27,42) – sich selbst: Wäre er, den Christen als vere homo bekennen, als wahren Menschen, wäre er in Auschwitz gewesen, er hätte nicht nur mitgelitten, er wäre mitgegangen ins Gas.
Und das so wenig aus freien Stücken, wie er zuvor ans Kreuz gegangen ist. Das Christentum hat, um den Opferzwang zu brechen, ein historisches Ereignis – den Mord, den der römische Staat an einem Juden beging – in ein metaphysisches Opfer erhöht und ihm eine universal erlösende Kraft beigemessen. Unvermeidlich zu denken, dass ein wiederum historisches Ereignis – wiederum ein Staatsmord – imstande sein könnte, diese erlösende Kraft zu kontern. Wer das eine glaubt, muss das andere denken. Seit Auschwitz steht der Indikativ in Frage, die Wirklichkeitsform des christlichen Bekenntnisses, er steht nicht länger skrupulös in Frage, sondern in der Tat: Es ist geschehen.
(XI)
Seitdem blüht die Hoffnung. Ernst Bloch, er wird zum jüdischen Kronzeugen, macht Hoffnung 1954 zum Prinzip, Jürgen Moltmann 1964 zur christlichen Theologie, Dorothee Sölle denkt sie praktisch und erklärt, dass „unsere Hände “ die Hände Gottes seien, weil der schon gar keine anderen mehr habe[5]. Weltweit arbeiten Theologen und Metaphysiker daran, etwas zu gewinnen, das der Bochumer Theologe Günter Thomas „horizontale Transzendenz“ nennt. Etwas, das keineswegs unsympathisch ist, eine Art messianischer Blick, der wie durch den Spalt, den Benda beschreibt, in die Welt hineinfällt und sie betrachtet, als ob sie erlöst sein könnte, aber niemals aus dem Blick verliert, dass sie es nicht ist. Fällt dieses Selbstbescheiden weg, wird horizontale Transzendenz zur religiösen Reklame oder zum Gottesstaat auf Erden und, so oder so, zu dem Verrat, den Benda ihr ein halbes Jahrhundert vorab vorgeworfen hat.
Was immerhin den Vorteil habe, schreibt Günter Thomas, dass auch der christliche Antisemitismus auf diese Weise verraten sei und „theologisch tot“, weil es nichts mehr gebe, um das sich noch zu streiten lohnte, das Verhältnis zum Judentum werde „vergleichgültigt“. Damit aber auch der „theologische Anti-Antisemitismus“, ein Torwächter gewissermaßen, auch der stehe nur gleichgültig herum, das Tor zu einem „neuen christlichen Antisemitismus“, so Thomas, sei heute wieder „weit geöffnet“, weil dieser neue christliche Antisemitismus imstande sei, sich horizontal zu sakralisieren, nämlich als menschenrechtliche Moral.
(XII)
Allerdings kehren mit ihr, der menschenrechtlichen Moral, die alten Denkfiguren zurück, die einmal vertikal gedacht waren. Josef Joffe, Publizist und langjähriger Mitherausgeber der Zeit, spricht in der NZZ von der „Erbsünde des Westens“, die heute Israel aufgebürdet werde, der jüdische Staat büße stellvertretend für die „imperialistischen Sünden des Westens“. In der FAZ rückt Dan Diner die „Erwählung“ Israels ins Zentrum antisemitischer Projektion, sie sei von den Nazis zum „Privileg einer negativen Erwählung“ verkehrt worden. Als Historiker erkennt Diner in solchen Denkfiguren „Ablagerungen vielfältiger Zeitschichten“, die theologisch grundierten Denkformen seien angefüllt mit „Gefühlslagen tiefliegenden Unbehagens, reflexartiger Abneigung und mühsam unterdrückter Ressentiments“, das hinterlasse „Spurenelemente“, die nisteten sich „im Vorbewusstsein“ ein.
Hinter die vorbewussten Denkfiguren von Erbsünde und Erwählung zurück reicht die Figur vom erlösenden Opfer. Wenn Antisemitismus noch eine religiöse, eine irgend christliche Substanz besitzt, dann ist sie es, die suggeriert, dass es heilsnotwendig sei, werde ein stellvertretendes Opfer dargebracht für dich, weil ihm eine Kraft innewohne, die dich erlöst. Wird diese Denkfigur aus der Vertikalen in die Horizontale gekippt[6], rückt sie heran an das, was Saul Friedländer „Erlösungsantisemitismus“ genannt hat:
Als Beispiel der Weltgebetstag (WGT), 2023 von palästinensischen Christen formuliert und im März 2024 weltweit nachgesprochen. Ein Setting wie von Taring Padi gemalt: Auf der einen Seite Militär, Besatzung, Vertreibung, das sei Israel, auf der anderen Seite friedliche Frauen, die zwischen Blumen, Blut und Boden beten, das sei Palästina; Jesus selber habe nun allerdings gar nicht in Israel, sondern „in Palästina gelebt und gelehrt“, also – und dieser gedankliche Schluss wird eingeübt bei jeder Feier der katholischen Eucharistie und jeder lutherischen des Abendmahls, er ist unausgesprochen, weil unaussprechlich und unaufdringlich, weil unvermeidlich – also müsse es Jesus, der Palästinenser gewesen sein, der sein Leben für dich gegeben habe und sein Blut für dich vergossen.
So wie es – schon greift die horizontale Theologie hinein – scheinbar alle Palästinenser tun: Der WGT setzt sie durchweg als lammfrommes Opfer in Szene, von Terror ist beim Weltgebet mit keinem Wort die Rede, Israel dagegen schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können.
So weit mag das noch traditionell sein und möglicherweise, wie Günter Thomas schreibt, „theologisch tot“. In seinem Die Jahre der Vernichtung hat Saul Friedländer nun allerdings das Phänomen dokumentiert, dass Judenhass zunahm, je mehr einer Öffentlichkeit „vor Augen stand, dass die Juden zur totalen Ausrottung verurteilt waren“. Vernichtung dimmt den Vernichtungsdrang nicht ab, sie befeuert ihn. Antisemitismus heißt, je weniger Juden, umso mehr Judenhass, das Opfer endlos wiederholend.
Deswegen ist der 7. Oktober eine Zäsur, die den alten christlichen Antisemitismus von seiner neuen Variante unterscheidet: Wie die Nazis in den 40ern, so hat Hamas heute vor Augen geführt, dass Israelis zur totalen Ausrottung bestimmt seien, hat den Vernichtungsdrang demonstriert und arbeitet sich mit ihm einem Publikum entgegen, das vertraut ist mit dem Gedanken, dass es jüdisches Blut sein müsse, das vergossen werde, weil erst das für dich geschähe, erst die jüdischen Leiber, zugerichtet von Hamas, seien für dich gegeben. So kraus dies klingt in einer Welt, die von sich denkt, sie sei aufgeklärt und säkularisiert, so tiefliegend unbehaglich dies ist, es mag das Phänomen erklären, dass – seit dem 7. Oktober – der Hass auf Israelis weltweit wächst und sich in einem Weltgebet verfrömmelt. Die Denkfigur greift, dass dies – anders als jedes andere Morden auf der Welt – für dich geschehen sei, ein stellvertretendes Opfer.
Keiner der vielen Antisemitismus-Beauftragten der vielen Kirchen – „eigentlich sind alle Christenmenschen ‚Antisemitismusbeauftragte‘“, sagt Christian Staffa, Antisemitismusbeauftragter der EKD – hat Einspruch erhoben gegen das Programm, das der Weltgebetstag in Wort und Bild auffuhr. Wieviele es dann tatsächlich gebetet haben im letzten März? In wievielen Ländern, wievielen Gottesdiensten? Der WGT nennt keine Zahlen, es dürfte Gottesdienste gegeben haben, die gecancelt wurden, auch eine Menge stillen Protest, aber lauten? Einen, der die Tür zuschlägt und sich selber entfluchtet aus der antisemitischen Welt hinaus? Die Tür bleibt geöffnet, die Hoffnung blüht.
(XIII)
Was es letztlich sei, das „immer wieder so metaphysisch erschreckt“, Juden wie Nicht-Juden, Nazis wie Linke, diese Frage hat sich Maxim Biller 2021 in Die ZEIT gestellt. Ob es etwa sein könnte, dass stimmt, was Postkolonialisten wie Dirk Moses oder Jürgen Zimmerer erzählen, dass es das „unerklärlich Unerklärliche des Holocausts“ gar nicht gebe, dass dahinter ein rationaler Gedanke stecke, vielleicht sei dies „eine noch nie dagewesene, intellektuelle Tat“, so Billers vorsichtige Selbstbefragung, vielleicht der Versuch, einen „Mord am Wort“ zu begehen. An jenem Wort, „dass die Juden einen Gott erfunden haben, den es nicht gab, damit die Menschen selbst für ihre schlechten und guten Taten verantwortlich waren.“
(XIV)
„Unzeitgemäß und überzeitlich“ sei Julien Benda, schreibt Jean Améry Ende der 70er, als Hanser eine kleine Neuauflage des „Verrats der Intellektuellen“ herausbringt, Bendas Essay sei „frisch wie am ersten Tag“. Zwischen diesem Tag und dem, an dem Améry sein Vorwort formuliert, liegt Auschwitz, Jean Améry hat seine Vernichtung überlebt und Bericht abgelegt von den „Grenzen des Geistes“, an die er verstoßen wurde und wie dort der Geist „urplötzlich seine Grundqualität, die Transzendenz“ verloren habe. Kein Spalt, durch den die Kultur eindringen konnte, wie Benda noch denken durfte, kein Weg hinaus aus dem Lager, keiner für Gedanken, keiner für Gebete. Beethoven? „Den dirigierte Furtwängler.“
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[1] „Dass sich die Bilderstürmer der ‚Letzten Generation‘ bei ihren heidnischen Kartoffelstampf-Attacken an van Gogh, Monet und Klimt vergangen haben und nicht etwa am ewigen Hitlersoldaten Beuys …“ grübelt Maxim Biller in Die Zeit. Über Joseph Beuys‘ krause Mixtur aus NS-Mythologie und anthropologischen Schmarrn informiert die Bio von Hans Peter Riegel
[2] Der Satz aus der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno im Original: „Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drücken sie ihr eigenes Wesen aus. Ihr Gelüste ist ausschließlicher Besitz, Aneignung, Macht ohne Grenzen um jeden Preis. Den Juden, mit dieser ihrer Schuld beladen, als Herrscher verhöhnt, schlagen sie ans Kreuz, endlos das Opfer wiederholend, an dessen Kraft sie nicht glauben können.“ – Dass der Sinn von Judenbildern die Konstruktion von Selbstbildern ist, also eine Form der Identitätspolitik, darin sehen Klaus Holz/Thomas Haury das Grundmuster des modernen Antisemitismus: „Antisemitismus ist der Sinnzusammenhang eines negativen Judenbildes und eines positiven Selbstbildes, die zu einer Weltdeutung zusammenstimmen.“ Holz/Haury, Antisemitismus gegen Israel, Hamburg 2021
[3] In ihrer Charta definiert Hamas, was Kunst sei – „islamisch oder heidnisch“ – und definiert „islamische“ Kunst wie Goebbels die „deutsche“: Tiefe statt Oberflächlichkeit, Geist statt Körper usw. Solcher Schwarz-weiß-Kunst weist Hamas wie Goebbels ihre „Rolle im Befreiungskampf“ zu – „geistige Mobilisierung“ – , der Artikel 19 in der Hamas-Charta endet mit dem Satz: „Nur Abwechslung vermag eine planende Seele zu heilen“, auch das ist ein Abklatsch von Goebbels „erstem Gesetz“, das der 1933 für die Kultur erlassen hat: „Nur nicht langweilig werden.“
[4] Den „clercs par excellence, den Männern der Kirche“ rechnet Benda vor, dass sie die universale Idee, für die Paulus zufolge Jesus gestorben sei – „‘da ist nicht Grieche, Jude, Skythe‘“ – ihrem „nationalen Egoismus“ geopfert, dann „das Haus Israel“ geplündert und damit den Juden Jesus, beschnitten „im zarten Alter von acht Tagen“, verraten hätten.
[5] Ein Prothesengott, der an die vielen Wehrmachtssoldaten erinnert, die aus dem Krieg heimgekehrt sind, nicht an die Wenigen, die rausgekommen sind aus Auschwitz. Das Wort vom Prothesengott stammt eigentlich von Sigmund Freud, in Das Unbehagen in der Kultur benennt er damit allerdings den Menschen, der sich – dank Wissenschaft und Technik, es sind seine „Prothesen“ – mit einem Mal Wünsche erfüllen kann, die eben noch als ewig märchenhaft galten, der sich aber nun „in seiner Gottähnlichkeit nicht glücklich fühlt“.
[6] Das Johannes-Evangelium legt sie Kaiphas, dem Hohepriester in den Mund: „Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.“ (Joh 11,50) – Die Nazis haben auch diese Logik in ihren Ghettos ausgehebelt, sobald Judenräte versuchten, das Leben auch nur Weniger zu retten …