Statt politischen Wandels therapeutische Suche nach geistigem und körperlichem Wohlbefinden

 

Der sprichwörtlich einsame Ort namens Solitüde zur Winterzeit. Er wurde nach dem Französischen Wort für Einsamkeit benannt. Foto: Sönke Rahn Lizenz: CC BY-SA 3.0


In Großbritannien gibt es jetzt eine Ministerin für Einsamkeit. Der Staat wird immer therapeutischer und schafft dadurch mehr Probleme, als er löst. Von unserem Gastautor  Ashely Frawley.

Die britische Regierung hat eine Ministerin für Einsamkeit ernannt. In einer Pressemitteilung begründete Premierministerin Theresa May diesen Schritt mit „mehr als neun Millionen Menschen, die sich in Großbritannien immer oder oft einsam fühlen“. Außerdem kündigte die Regierung an, „eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Wohlfahrtsorganisationen ins Leben zu rufen, die das Thema gemeinsam beleuchten sollen“. Ziel Mays sei es, „endgültig mit der Annahme aufzuräumen, Einsamkeit sei eine unveränderliche Begebenheit“.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Politiker unsere Emotionen als politisches Thema aufgreift. Mays Vorstoß erinnert mich an den US-Präsidenten Lyndon Johnson. Der Demokrat wollte in den 1960er-Jahren eine Studiengruppe im Weißen Haus gründen, um amerikanische Ziele in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Glück festzulegen. Dafür erntete er Spott und Hohn. Ein satirischer Kolumnist schrieb damals: „Der historische Internal Happiness Act, den der Präsident heute vor heiterer Kulisse in Disneyland unterzeichnet hat, wird die volle Konzentration der Regierung auf einen alten Kampf des Menschen lenken. Ab heute kümmern sich Amerikas Politiker höchstpersönlich um unsere Depressionen, Langeweile, Eheprobleme und Minderwertigkeitskomplexe.“ Wenn man auf dieser Liste noch die Einsamkeit ergänzt, erkennt man, wie vorausschauend Satire sein kann.

Natürlich spielen beim Thema Einsamkeit heutzutage sehr viele Faktoren eine Rolle. So lässt sich in unserer Gesellschaft eine fortwährende Individualisierung und soziale Fragmentierung beobachten. Gemeinschaftliche Projekte verschwinden aus unserem Alltag und werden durch Alleingänge ersetzt. Viele Menschen leiden immer noch unter Armut. Dennoch ist es gefährlich, alle gesellschaftlichen Probleme über den Gefühlskamm zu scheren.

„Es ist gefährlich, alle gesellschaftlichen Probleme über den Gefühlskamm zu scheren.“

Die Art und Weise, wie man eine Problematik definiert, lädt nämlich unausweichlich zu einem bestimmten Lösungsansatz ein. Dieser Aspekt ist mir kürzlich erst begegnet, als ich ein Manuskript redigierte, in der Donald Trumps Politik als völlig substanzlos kritisiert wurde. Der Autor schlug darin vor, der „Politik des Hasses“ mit einer ebenso diffusen „Politik der Liebe“ zu begegnen. Anscheinend also lässt sich der Unterschied zwischen links und rechts anscheinend wie folgt beschreiben: Wir sind nett, und die anderen sind es nicht. Irgendetwas läuft aber grundlegend falsch, wenn das die einzige Kategorie sein soll, mit der sich gegensätzliche Pole eines politischen Spektrums unterscheiden lassen.

Tatsächlich vermag die Sprache der Emotionen politische Gräben zu überwinden. Mithilfe von Gefühlen können Probleme und Lösungsvorschläge als völlig unumstritten dargestellt werden. Emotionen haben einen starken Einfluss auf politisches Denken. Wenn man Themen durch eine emotionale Linse betrachtet, kann Kritik am vorherrschenden Diskurs schwierig werden. Wer befürwortet schließlich Einsamkeit? So können die Konservativen, die sich von ihrem „bösen“ Image befreien wollen, auf einmal als die Sympathischen dastehen.

Diese Art und Weise, Politik zu machen, verwandelt den öffentlichen Diskurs in ein Melodram über Opfer und Schuldige. Politische Kämpfe, bei denen es einst um radikale Veränderungen in Wirtschaft und Politik ging, scheinen sich nun mit der Lobbyarbeit für die Unterstützung einer wachsenden Gruppe von Opfern zu beschäftigen. Die hohe Gewichtung von Gefühlen spornt politische Entscheidungsträger förmlich an, die staatliche Unterstützung auszubauen.

„An die Stelle des politischen Wandels tritt die therapeutische Suche nach Wohlbefinden.“

An die Stelle des politischen Wandels tritt die therapeutische Suche nach geistigem und körperlichem Wohlbefinden. Mittlerweile zählt es zur Aufgabe der Politik, das Selbstwertgefühl der Menschen zu steigern und ihnen zu helfen, sich weniger einsam zu fühlen. Und wenn sich bald niemand mehr für die Einsamkeit interessiert, mangelt es sicherlich nicht an neuen emotionalen Baustellen, die darauf warten, aufgegriffen zu werden.

Die Politik kann ein Problem wie Einsamkeit nicht lösen. Sie kann es höchstens noch verschlimmern. Themen in der Sprache der Emotionen – oder besser gesagt, des emotionalen Defizits – zu diskutieren, führt häufig zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Vermeintlich emotionale Probleme beschwören wiederum emotionale Lösungen, die zu immer neuen Formen der staatlichen Unterstützung führen. Darüber hinaus empfinden Menschen ihre Psyche unweigerlich als ungesund, wenn man sie dauernd dazu anhält, sich nur auf ihr Inneres zu konzentrieren.

Denn wie John Stuart Mill schon richtig sagte: „Frag dich selbst, ob du glücklich bist, und du hörst auf, es zu sein“. Frage dich, ob du einsam bist, und du wirst bald einsam sein. Es gab Zeiten, da hatten wir höhere Ansprüche an die Politik, als Freunde für uns zu finden.

Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Teichmann. Dieser Artikel ist bereits auf Novo und dem britischen Magazin Spiked erschienen.

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
6 Jahre zuvor

Wenn ich ehrlich bin, muß ich einräumen, von der konkreten Ausgestaltung des geplanten Ministerium habe ich keine Ahnung. Der Artikel ändert daran auch nichts.
Was ich aber weiß ist, daß die Isolation und Vereinsamung vieler Bürger zu den großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen der nächsten Zukunft gehören wird. Und dies wird nichts mit hypersensibler Befindlich- oder Fühligkeit zu tun haben.

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