Peer Steinbrück läuft sich für die Kanzlerkandidatur warm. SPD-Fraktionschef Steinmeier hat auf die Kandidatur verzichtet und SPD-Chef Gabriel hat keine Lust, sich gegen Merkel eine blutige Nase zu holen. Erfahrung als Regierungschef konnte Steinbrück bereits in Düsseldorf an der Spitze einer rot-grünen Koalition sammeln. Die damaligen Regierungspartner erinnern sich mit gemischten Gefühlen an Steinbrücks Amtszeit.
Ein sonniger Herbsttag im vergangenen Jahr und Peer Steinbrück ist in seinem Wahlkreis unterwegs. In Hilden im Kreis Mettmann besucht er die Stadtwerke. Konzentriert lauscht Steinbrück den Ausführungen des Stadtwerke-Geschäftführers Hans-Ullrich Schneider, immer wieder stellt er sachkundige Zwischenfragen, will genaueres zu der Struktur der Netze wissen, fragt woher der Strom für Hilden kommt und weiß Bescheid über die aktuellen Probleme der Energieversorger in Nordrhein Westfalen, neue Kraftwerke zu bauen. Als Stadtwerke-Chef Schneider dann von Problemen mit den Auflagen der Netzagentur erzählt, wird aus dem Frager der Macher, der Entscheider, der weiß wo es lang geht: „Schreiben sie mir ihre Probleme mit der Netzagentur auf ein Blatt Papier. Zehn Punkte. Immer nur ein paar Sätze. Ich reiche sie an Netzagentur-Chef Kurth weiter.“ Alle im Raum nicken beeindruckt.
Steinbrück läuft sich warm für das Projekt Kanzlerkandidatur. In der Provinz und auf der großen Bühne. Von Helmut Schmidt ließ er sich bei Günther Jauch bescheinigen, dass er das Zeug zum Kanzler habe und weil doppelt besser erfolgte der Ritterschlag im Spiegel gleich ein zweites Mal.
Steinbrück als Regierungschef – das scheint vielen Deutschen, so sie nicht zum linken Flügel der SPD gehören, zumindest zur Zeit eine gute Alternative zu sein. Immerhin: Als er an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland 2008 durch die Krise führte machte die Bundesregierung längst keinen so erbärmlichen Eindruck wie zur Zeit schwarz-gelb.
Und Steinbrück verfügt über Erfahrung an der Spitze einer Regierung. Von 2002 bis 2005 stand er einer rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen vor. Er folgte damals auf Wolfgang Clement, der als SPD-Wirtschafts-Wunderwaffe Kanzler Gerhard Schröder bei der Umsetzung der Agenda2010 helfen sollte.
Steinbrück begann seine Amtszeit in Düsseldorf mit einem Eklat. Er suchte den Bruch mit den Grünen, wollte einen Neustart mit der FDP und zwang den kleinen Koalitionspartner zu Neuverhandlungen des Koalitionsvertrags. Die ersten Verhandlungen mit dem Grünen endeten schon nach wenigen Minuten mit einem Eklat. Die damalige grüne Landtagabgeordnete und heutige Gesundheitsministerin NRWs, Barbara Steffens, brachte ihr Baby mit zu den Gesprächen. Ihr Mann, der auf das Kind aufpassen sollte, hatte sich verspätet. Als ihr das Jahre zuvor bei Gesprächen mit Johannes Rau bei ihrem ersten Kind schon einmal passiert war, kümmerte sich Rau um das Kind und half die Betreuung zu organisieren. Anders Steinbrück: Der warf Mutter und Kind aus dem Raum. „Der ist“, sagt der heutige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Reiner Priggen, „ ausgerastet. Das hat niemand von uns verstanden.“
Die Grünen sollten auch in den kommenden Tagen, als die Verhandlungen weitergingen und sich Steinbrück mit einem Blumenstrauß bei der Mutter entschuldigt hatte, nicht aus dem Staunen herauskommen. Priggen: „Steinbrück hatte die Verhandlungen mit lautem Getöse gefordert, inhaltlich war er aber nicht vorbereitet. Und er hatte seine Partei nicht hinter sich.“
Denn die hielt nichts von dem Ansinnen Steinbrücks die Koalition mit den Grünen aufzukündigen und zusammen mit dem damaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden Möllemann eine sozialliberale Koalition zu gründen. Gegenwind bekam Steinbrück jedoch nicht nur aus seinem eigenen Landesverband. Priggen: „Auch die SPD-Spitze in Berlin um Bundeskanzler Gerhard Schröder brauchte rot-grün in NRW, um Koalition mit den Grünen im Bund zu stabilisieren. Am Ende gab es tatsächlich einen Neuanfang für Rot-Grün in NRW – allerdings anders, als sich Steinbrück das vorgestellt hatte.“
Das Düsseldorfer Signal, das Dokument der Neujustierung der Landesregierung, las sich wie streckenweise wie grün pur: Die Kohleförderung sollte gesenkt werden, die Zahl der Regierungsbezirke um zwei auf drei verringert und das Milliardenprojekt Metrorapid beerdigt werden. Letzteres war nach Auffassung eines ehemaligen Landtagsabgeordneten ein schwerer Schlag für Steinbrück: „Er bewunderte Commander Wu so sehr, der die Metrorapidstrecke gegen alle Widerstände in Shanghai durchgesetzt hatte.“ In NRW sollte der Wunderzug niemals fahren.
Aber nicht alle Grünen haben schlechte Erinnerungen an Steinbrück. Bis heute ist Michael Vesper mit ihm befreundet. Vesper, heute Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, war von 1995 bis 2005 der Stellvertreter dreier sozialdemokratischer Ministerpräsidenten. „Rau hatte schon Mitte der 90er Jahren eher eine präsidialen Stil und kümmerte sich mehr um die großen Linien, als um die Details der täglichen Regierungsarbeit. Clement ging immer sehr offen in alle Gespräche und ließ sich auch überzeugen – nach außen hin sah das immer dramatischer aus, als es war. Und Steinbrück musste sich erst einmal mit seiner neuen Rolle als Ministerpräsident zurecht finden.“ In die sei er dann allerdings schnell hineingewachsen. Nach den anfänglichen Auseinandersetzungen arbeitete rot-grün in NRW bis zum Ende der Legislaturperiode weitgehend ruhig und konfliktfrei. Vesper: „Am Ende war Steinbrück auf dem Weg, ein populärer Ministerpräsident zu werden. Kein Landesvater wie Johannes Rau das war, aber die Menschen mochten ihn und seinen trockenen Humor.“
Steinbrück schaffte es 2005 die SPD aus einem Umfragetief von 32 auf immerhin 37 Prozent am Wahltag zu bringen. Die heutige SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft schaffte 2010 gerade einmal 34,5 Prozent. Doch Steinbrück verlor die Wahl. Nach 39 Jahren wollte eine Mehrheit der Nordrhein-Westfalen keinen Sozialdemokraten mehr an der Spitze des Landes sehen. Zum Überdruss kam die tiefgreifende Krise von rot-grün im Bund: Im Zuge der Agenda2010 verloren sowohl SPD als auch Grüne massiv an Zustimmung. Steinbrück scheiterte in NRW nicht an sich selbst oder an der schlechten Zusammenarbeit mit den Grünen , sondern vor allem an der Bundespolitik.
Der Text erschien in einer ähnlichen Version im Herbst 2011 auf cicero.de
Ja, das sieht alles ganz nach einer großen Koalition aus. Wie sollte in Deutschland auch sonst der flächendeckende Mindestlohn, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung der Steuer auf große Erbschaften und in ganz Europa die Bankenreregulierung und die Kapitaltransfersteuer eingeführt werden.
Als einzige offene Frage bleibt dann nur noch die nach dem Geschlecht der Führungsspitze. Obwohl, seit Judith Butler ist das Geschlecht ja auch frei wählbar. Also erübrigt sich auch diese Frage.
Leute, wir gehen eindeutig herrlich fraglosen Zeiten entgegen.
Btw. Lieblingsstory zu der Zeit, noch unter Clement. Da wollte ihn ein Abgeordneter Remmel im Koalitionsausschuss mal die Meinung sagen, doch der knurrte ihn nur an, dass er ihn erst ansprechen sollte, wenn er sein Studium abgeschlossen hätte. Heute ist der eine Grüßaugust der Energieindustrie und der andere Umweltminister, auch ohne Abschluss. Was auch zeigt, dass die Zeiten sich geändert haben.
Abgesehen davon, dass kein vernünftiger Mensch dem Steinbrück eine linkspolitische Ader abnimmt, ist der Mann auch noch das, was jeden PR-Menschen zur Verzweiflung bringen würde: Nichts an ihm wirkt sympathisch, nichts an ihm wirkt herzlich – er macht auf den meisten Bildern einen solchen Eindruck, dass Frauen und Kinder im Dunkeln vor ihm davonlaufen würden.
Auch wie er in Talkshows explodiert ist, wenn ihm Fragen gestellt wurden, die er nicht gestellt haben wollte (im Zusammenhang mit Hartz-IV, z.B.) – der Mann ist das genaue Gegenteil von dem, was er sich einreden will. Er wird die Stimmen maximieren: Die Stimmen für Die Grünen, Die Linke und die Piraten. Mit aus dem Bauch geschätzten 22% wird er den kleinen Juniorpartner der Union spielen dürfen.
Hannelore Kraft – auch sie war als Kanzlerkandidatin vorübergehend im Gespräch – wird man als Kanzlerkandidatin dauerhaft vergessen können: Sie ist der Angela Merkel in ihrer Persönlichkeit viel zu ähnlich, als dass SPD-Politiker in vorderer Front sie zur Kanzlerin machen wollten: Das Männermorden der Angela Merkel unter prominenten CDU-Politikern ist ja legendär geworden, und ein solches Verhalten muss man der Hannelore Kraft auch zutrauen.