Er singt über die Liebe wie keiner sonst. Durch die Geschichten, die Stephan Sulke erzählt, zieht sich ein feiner Riss, der ahnen lässt, was die Thora meint, wenn es heißt, Liebe sei stark wie der Tod. Jetzt singt und erzählt er am Sonntag in der Christuskirche Bochum – es ist der letzte Abend von Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, zugleich der Vorabend von 10/7.
„Immer wieder, immer wieder hab‘ ich dich bloß geliebt.“ Den Song von Stephan Sulke, dem heute 80Jährigen, hat Herbert Grönemeyer auf seinem 83er Album gecovert. Der Vergleich der beiden Versionen ist interessant, was sich bei dem einen mit Zartheit hört, fast so, als könne es durchs Zuhören zerbrechen, verhärtet der andere ins Bumsfidele hinein. Können muss Kunst beides, aber der Raum verändert sich, den sie dadurch erschließt, ihre assoziative Weite. Spätestens dann, wenn man Sulkes Lied am Vorabend zum 7. Oktober hört, lässt es mithören, was Terror denen antut, die – „immer wieder hab‘ ich dich bloß geliebt“ – zur gleichen Zeit am anderen Ort um die Liebe ihres Lebens weinen.
Es ist das Mindeste, was der Kulturbetrieb einüben müsste und es nicht tut. Nach 10/7 hat er nicht nur in Deutschland demonstriert, dass es die Kälte ist, die ihn dominiert und eben nicht das Engagement, das ihm voranflattert wie eine Fahne morgens um neun. „Der deutsche Kulturbetrieb, die deutschen Künstler (nicht alle, aber fast), zeigen eine erbärmliche Feigheit sowie einen schmierigen Opportunismus.“ Schrieb Stephan Sulke, nachdem er, 18 Tage nach 10/7, noch immer nichts gehört hatte aus dem Betrieb, zu dem er sich hält, indem er auf Distanz hält: „Leute, ich weiß, wie die meisten von Euch denken. Warum so still? Ihr seid doch sonst immer so forsch.“
Und vergleicht sie mit Roger Waters, dem Brüll-Würfel des BDS, was der herumposaune, das alles fände er, Sulke, „unnnnnnnnnnnnnmöglich. Aber eins muss man ihm lassen, er hat den Mut zu seiner Meinung.“
Warum so still, die Frage dauert an ein Jahr nach 10/7, sie richtet sich an die vielen Produktionshäuser und Abspielstätten und Die Vielen. „Ich persönlich stehe offen zu Israel und zu allen Juden weltweit“, so Sulke, „aber ich bin vielleicht kein Künstler. Ende.“
Ein bitteres Wort. Aber kein Ende, Stephan Sulke stammt aus jüdischem Haus, seine Eltern sind den Nazis aus der Fasanenstraße in Berlin ins ferne Shanghai entkommen. Dort, im Exil, kam er 1943 zur Welt, er hat sein Jüdischsein nie an die Glocke gehängt, er weiß, Hamas hat ihn mitgemeint.
Mithören, wen Hamas mitmeint. Dies das Mindeste, was Kultur leisten kann und lernen muss, es ist ziemlich banal, ziemlich dringlich. Mitzuhören, wen alles Sulke besingt, wenn er Liebeslieder singt oder einen Brief an seine Mutter, „den ich dir ja nie schrieb“, die ihn aber auf der Flucht vor dem Terror gegen Juden gebar, er ist ein Shanghai-Baby-Boomer.
Und wurde Liedermacher, den Beruf gab es auch in biblischen Zeiten (und eine Liedermacherin), auf Sulke passt das Wort wie für ihn gemacht, weil es die Lieder sind von ihm, die etwas mit einem machen. Die mit einem flirten ein Leben lang, Sulke war immer einer, der einen begleitet hat, weil er sich nie gemein gemacht hat mit keinem: Er ist mehrsprachig aufgewachsen in der Schweiz, in between würde man heute salbungsvoll sagen (und er sicherlich nie). Mit 14 kauft er sich von seinem zusammengesparten Geld eine Gitarre, bringt sich Akkorde bei, lernt das Klavier und beginnt zu komponieren. 1963 erscheint in Frankreich seine erste Single, mit “Mon Tourne-Disque” gewinnt er auf Anhieb den Grand Prix du Premier Disque, den Preis überreicht ihm kein Geringerer als Maurice Chevalier, der große Entertainer und Grandseigneur des Chansons, es passt.
Für einige Zeit geht er anschließend in die USA, lernt das Musikbusiness kennen, zurück in der Schweiz baut er ein Tonstudio auf in Montreux, er richtet es im Keller des dortigen Casinos ein, oben findet das Montreux Jazz Festival statt, Sulke wird Tonmeister für die erste Liga des Jazz, für Legenden wie Aretha Franklin. Bis das Casino am Genfer See während eines Konzerts von Frank Zappa in Brand gerät und Sulkes Tonstudio mit, das war 1971, und Deep Purple waren in der Stadt und standen am Strand nahebei und sahen das Feuer über dem See, den Rauch über den Wassern: „Smoke On The Water“ entstand, weil Sulkes Tonstudio brannte …
„Weißt du noch / wie dein Kleid nach zu viel Parfüm roch / wie das war beim allerersten Mal …“ 1976 erscheint sein großartig schönes, wundersam trauriges „Lottchen“, Sulke ist 33, als er den Preis des besten “Nachwuchskünstlers des Jahres” empfängt. Und während andere Erfolge einfuhren mit seinen Songs – Grönemeyer mit seiner Version von “Ich hab’ dich bloß geliebt” – bleibt Sulke auf seiner eigenen Spur: 1982 erscheint „Uschi“, musikalisch nicht sein allerbestes Stück – Sulkes Songs sind oft unmerkbar vertrackt, immer wieder blitzt der Jazzer aus ihnen hervor – , bei „Uschi“ blitzt da nichts, das Lied klingt aufdringlich harmlos, der Text aber ist von feinster Giftigkeit, das Lied belegt Spitzenplätze in den deutschsprachigen Charts. Andere seiner Lieder erschaffen sich dagegen eine eigene Gemeinde, die sich still und leise um sie schart, „Tom“ zählt dazu und „Der Mann aus Russland“, ein eigenartig zeitloses Lied, von der Wirklichkeit längst überholt und ihr, geb’s Gott, womöglich voraus. 1989 kehrt Sulke, ganz für sich, der Musikbranche den Rücken.
Und kehrt zehn Jahre später zurück aus seiner „Niedagewesenheit“. Neue Lieder, neue Alben, eines heißt „Liebe ist nichts für Anfänger“, Lieder von Stephan Sulke sind es ebenso wenig. Alle ausgestattet mit seinem schwyzerisch-schnurrigen Blick auf die Welt aus einer eminent privaten Perspektive. „Meine Musik“, sagt er, „war immer eine Mischung aus Sarkasmus, Melancholie und etwas Blödelei“.
Und das an diesem Abend. Sulkes Sarkasmus, seine Melancholie, seine Blödelei sind wertvoll wie nie. Warum so still?
Sulke singt.
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STEPHAN SULKE | 80 live
Sonntag 6. Oktober | 19 Uhr
Christuskirche Bochum
Tickets https://christuskirche-bochum.de/event/stephan-sulke/