
Streitgespräche werden oft überschätzt. Was wirklich etwas bringt, ist das gemeinsame Durchdenken. Als Chris und ich uns verabredeten, um über Staat und Markt zu sprechen, war der Plan: Konfrontation. Herausgekommen ist etwas anderes – ein zweistündiges Gespräch, das sich durch das Nachdenken bewegt hat. Nicht auf der Suche nach dem finalen Sieg einer Idee, sondern im Versuch, Begriffe wie Verantwortung, Freiheit und Gerechtigkeit ernst zu nehmen, ohne sie gleich abzuräumen. So haben wir uns mehr oder minder darauf geeinigt, dass Steuern natürlich per definitionem Raub sind; dass man aber sehr wohl die Haltung haben kann, dass man eben diesen Raub legaliseren will.
Wir haben argumentiert, gestritten, gelacht. Es ging um Überzeugungen, aber auch um Zweifel. Um Theorie, aber immer wieder auch um Wirklichkeit. Für mich war das ein ehrlicher Realitätsabgleich – und ein ziemlich gutes Gespräch.
Der Markt regelt – aber was genau?
Ich halte den Libertarismus für eine der klarsten politischen Philosophien überhaupt, und im Kern für die Beste. Zwei Axiome genügen: Jeder Mensch hat das Recht auf seinen eigenen Körper. Niemand darf einem anderen gegen dessen Willen schaden. Daraus ergibt sich ein radikaler Individualismus, der dem Staat keine Legitimität zuspricht. Der Liberale hingegen erkennt an, dass staatliche Strukturen in bestimmten Fällen notwendig sein können, um individuelle Freiheit zu schützen. Der Neokonservative stellt zusätzlich traditionelle Werte und außenpolitisches Engagement ins Zentrum. Ich bewege mich je nach Thema zwischen diesen Strömungen – mit klarer Tendenz zur libertären Perspektive: Staatliches Handeln muss gut begründet sein, denn im Zweifel führt es immer langfristig in den Abgrund.
Elon Musk und Donald Trump sind gute Beispiele dafür, was Libertarismus nicht ist: Musk verhindert auf seiner Plattform X freie Rede, in dem er Begriffe wie „Cis-Gender“ blockt, Trump nutzt Zölle – an sich schon ein völlig illibertäres Konstrukt – um Politik zu machen, was ziemlich Peak Starker Staat ist. Und verweigert Menschen die Freizügigkeit aufgrund einer angeblichen Entität „Staat“.
Staatliche Ineffizienz und ihre Folgen
Aber staatliches Scheitern, per se, kann man auch im Kleineren sehen, und da muss Chris mir zustimmen: die A43. Dass eine ihrer Brücken unbenutzbar ist, war über Jahre bekannt. Passiert ist: nichts. Erst, als es zu spät war. Ich fahre dort mehrmals die Woche entlang. Die Situation verändert sich im Tempo einer Schnecke, die man immer wieder ein Stück zurück setzt. Verantwortung diffundiert. Und um eine Entschuldigung für die Unfähigkeit der Planung hat niemand gebeten. So agiert der Staat oft: ineffizient, ohne echten Sanktionsmechanismus, ohne jede langfristige Planung, nur bemüht, die eigenen Verwaltungsstrukturen zu erhalten, nicht Infrastrukturen für die Bürgerinnen und Bürger. Ähnlich läuft es bei der Bahn. Flixtrain war günstiger, pünktlicher und einfacher. Der Staat als Anbieter verspielt Vertrauen, weil seine Strukturen nicht auf Leistung, sondern auf Selbsterhalt ausgerichtet sind.
Schulen, Strom und Schienen
Chris hat eine Gegenposition formuliert, die in sich schlüssig ist. Er will grundlegende Versorgung – Gesundheit, Bildung, Energie, Mobilität – vollständig in öffentlicher Hand sehen. Gut ausgestattet, zuverlässig organisiert. Wenn der Staat fähig wäre, wäre das ein gutes Modell. Nur ist er es eben meines Erachtens nicht. Der Gesundheitssektor etwa ist ein Zwitterwesen, das die Nachteile von Markt und Regulierung kombiniert. Ich sehe diese Bereiche lieber klar getrennt organisiert: ganz staatlich oder ganz privat, aber nicht dieses seltsame Dazwischen, das Verantwortungen verschleiert.
Werte, Moral und Menschenrechte
Wir sind dann schnell bei universellen Fragen gelandet. Ich bin überzeugt: Es gibt universelle Werte. Dass Frauen wählen dürfen, dass Menschen nicht wegen ihrer Sexualität benachteiligt werden, dass Kinder nicht geschlagen werden – das ist nicht verhandelbar. Ich halte westliche Werte, wie sie bspw. in Frankreich gelebt werden, für Wertesysteme wie China für klar überlegen. Chris war da vorsichtiger. Er will keine moralische Arroganz des Westens. Ich verstehe den Impuls. Aber wenn etwas richtig ist, dann gilt es nicht nur hier. Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, folgt daraus Verantwortung. Für andere – und für das, was unser Staat auch nach außen vertreten sollte. Ein Homosexueller darf sich nicht verstecken müssen, nur weil er im Iran lebt. Kein Diktator sollte abends mit dem sicheren Gefühl am nächsten Morgen aufzuwachen schlafen gehen dürfen.
Wahrheit, Wissenschaft, Wirklichkeit
Auch über Wahrheit haben wir gestritten. Gibt es sie – außerhalb der Naturwissenschaften? Ich denke: ja. Auch moralisch. Nicht immer in jeder Nuance, aber in den Grundlinien. Chris sieht das skeptischer. Ihm geht es um Perspektiven, um die Begrenztheit individueller Erkenntnis. Das ist ein wichtiger Punkt. Und doch bleibt mein Gefühl: Wer zu lange zögert, nennt am Ende auch das offensichtliche Unrecht nur eine andere Sichtweise.
Was bleibt
Perfekte Systeme gibt es nicht. Der Markt regelt – aber nicht alles (so sieht es eher Chris). Der Staat kann helfen – aber meist schlecht, und immer um die Gefahr des Abrutschens in die Despotie (so sehe ich es). Es lohnt sich, beides immer wieder neu zu prüfen. Die Grenze liegt dort, wo Effizienz zur Kälte wird – oder Moral zur Pose. Chris und ich sind an diesem Abend nicht einer Meinung gewesen. Aber wir haben ein Stück weiter gedacht. Und das ist vielleicht mehr, als man von einem Streitgespräch erwarten kann. Und in deutschen Talkshows stattfindet.
Das vollständige Gespräch mit Chris gibt es als Podcast in seinem Format. Übrigens war auch unser Ruhrbarone-Chef Stefan Laurin bereits bei Chris zu Gast, zu „Geopolitik und Demokratie“.