Stockender Wandelmotor

„Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel“ lautete das Motto der Kulturhauptstadt Ruhr2010. Knappe Kassen und mangelndes Interesse der Politik könnten dafür sorgen, dass der kulturelle Aufschwung schon im Keim erstickt.

Mitte Juli hatten sie sich vor dem im Sommer geschlossenen Kulturzentrum Hundertmeister versammelt: Gut hundert Jugendliche aus Duisburg, darunter viele Musiker, Initiativen und Studenten, um dafür zu protestieren, dass das Zentrum wieder geöffnet wird. Der Trägerverein musste Insolvenz anmelden, er hatte bei dem städtischen Energieversorger eine Viertel Million Euro Schulden und die Stadt Duisburg kein Geld, um die Zentrumsmacher zu stützen. Im Gegenteil: Über Jahre hinweg wurden die Zuschüsse für das Projekt gekürzt, fiel es den Verantwortlichen immer schwerer, ein auch nur halbwegs attraktives Programm aus Konzerten und Kleinkunstveranstaltungen auf die Beine zu stellen. Mittlerweile ist klar: In den Räumen des Hundertmeisters werden bald wieder Kulturveranstaltungen stattfinden – ein selbstverwaltetes Zentrum, wie es die Demonstranten forderten, wird es jedoch nicht sein.

Auch andere Kulturveranstalter in Duisburg sind akut gefährdet: Das Kinderheater Reibekuchen wird künftig auf 50.000 Euro verzichten müssen, der Kulturbunker Bruckhausen auf über 30.000 Euro und der Etat der Kultur- und Stadthistorischen Museums soll um 60.000 Euro gekürzt werden.

Nur 2,7 Prozent des städtischen Haushalts, gerade einmal gut 34 Millionen Euro, stellt die Stadt Duisburg für Kultur zur Verfügung – und der größte Teil des Geldes fließt in die prestigeträchtigen Aushängeschilder Oper, Symphoniker und Lehmbruckmuseum. Weitere Millionen an Geldern der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gebag drohen indes bei dem Bau der Erweiterung des Museums Küppersmühle verloren zu gehen. Da bleibt kaum Geld für die freie Kultur, was auch Duisburgs Kulturdezernent Karl Janssen bedauert: „Duisburg gibt viel zu wenig Geld für Kultur aus – auch im Vergleich zu anderen Städten, die in einer schwierigen Haushaltssituation sind.“ Der Grund liegt für ihn in der Politik: „Für keine Fraktion ist Kultur ein zentrales Anliegen. Das ist in der Stadt keine Frage der politischen Richtung, es ist eine des Denkens.“

Für Janssen sind Kulturausgaben auch eine Investition in die Zukunft der Stadt: Will sie für Besucher und Bewohner attraktiv sein, muss sie ihnen – auch Abseits der Hochkultur – mehr bieten, als Duisburg es im Moment tut.

Dass es in Duisburg nicht nur am Geld, sondern auch an Sensibilität fehlt, bekommen die privaten Anbieter zu spüren. In Duisburg gibt es zahlreiche Veranstalter und Initiativen , die sich schon fast rührend und trotzig für die Kultur in ihrer Stadt engagieren und sich bislang weigern, ihre Zelte abzubrechen. Anstatt sie zu unterstützen, macht die Stadt ihnen das Leben schwer. So dürfen im Club Goldengrün keine DJs mehr auflegen. Begründung der Stadt: Sie seien das selbe wie Live-Musik, und dafür habe der Club keine Genehmigung. Eine Begründung, die kaum widersinniger sein könnte, waren doch die Plattenaufleger, als sie in den 60er Jahren aufkamen, diejenigen, die den Live-Bands, die bis dahin in Kneipen und Bars auftraten, den Garaus machten.

Probleme hat auch das Djäzz. Der Club in der Duisburger Mitte gehört zu den wenigen Orten, an denen in Duisburg überhaupt noch Konzerte stattfinden können. Das Angebot reich von Jazz bis Punk, aber auch wenn der Laden voll ist, reicht das so verdiente Geld nicht zum Überleben. Partys sorgten lange für die Einnahmen, die dem Djäzz das Überleben sicherten. Auch das ist vorbei: Das Djäzz muss um 1 Uhr nachts schließen. Nachbarn störten sich an den Besuchern des Clubs , die sich auf der Straße unterhielten.

In anderen Städten gehen die Verwaltungen nicht so leichtfertig mit der Clubszene um. Sie wissen um ihre Bedeutung für das kulturelle Leben der Stadt und schätzen auch, dass diese Szene zwar rege, aber auch weitgehend unabhängig von kommunalen Förderungen ist. In Dortmund arbeitet die Stadtverwaltung eng mit einem Verein der Clubbetreiber, löst gemeinsam strittige Fragen wie die der Sperrstunde.

In Duisburg undenkbar, glaubt Sascha Bertoncin vom Djäzz: „In Duisburg sagen uns alle immer, wie sehr man uns schätzt, aber wir bekommen keine  Unterstützung. Dabei geht es nicht um Geld, es geht um eine Kultur des Wohlwollens, und die fehlt.“ Auch Duisburg, sagt Bertoncin, wollte im Kulturhauptstadtjahr zum Anziehungspunkt der Kreativen werden. „Aber das klappt nicht. Wer kann, verlässt nach dem Studium die Stadt.“

Und sorgt so dafür, dass Duisburg immer mehr an Attraktivität verliert – der wirtschaftlichen Niedergang der Stadt setzt sich scheinbar nahtlos im Kulturbereich fort.

In Dortmund setzt man hingegen auf die freie Szene. Kulturdezernent Jörg Stüdemann: „Wir werden dem Rat vorschlagen, künftig eine Million Euro im Jahr mehr für die freie Szene auszugeben.“ Unterstützt werden sollen mit dem Geld neben Kleinkunstveranstaltungen und Club-Auftritten von Bands auch Künstler, die unbürokratisch ein paar hundert Euro für ein bestimmtes Projekt brauchen. Auch in Dortmund wird in den kommenden Jahren im Kulturbereich gespart werden müssen – aber bislang gelang es der Stadt, einen Kahlschlag wie in Duisburg, wo neben dem Hundertmeister mehrere andere Projekte vor dem Aus stehen, zu verhindern. Dortmund lässt sich mit einem Anteil von vier Prozent am Haushalt und 72,7 Millionen Euro die Kultur auch deutlich mehr kosten. Ähnlich ist die Situation in Bochum. Auch hier wird im Kulturetat gespart, allerdings nicht stärker als in den anderen Haushaltsbereichen – bis 2015 wird er von 60 auf 50 Millionen gestrichen – und wird dann im einwohnerschwächeren Bochum noch immer deutlich größer sein als heute in Duisburg. Bochums Kulturdezernent Michael Townsend hat es bislang geschafft, ohne Schließungen durch die Sparrunden zu kommen und hofft, dass ihm dies auch künftig gelingen wird. Townsend räumt allerdings ein, dass in Bochum die Kultur auch in der Bevölkerung einen höheren Stellenwert hat als in andere Ruhrgebietsstädten: „Die Menschen lieben ihr Schauspielhaus und sind stolz darauf. Gibt es Probleme, ist das Stadtgespräch.“ Die vielen freien Theater der Stadt sind ebenso gut  besucht. Das Rottstr.5 Theater, unter einem Bahndamm in der Innenstadt gelegen, gilt als eines der besten Off-Theater Nordrhein-Westfalens. „Wir würden gerne mehr machen“, sagt Townsend, „aber wir müssen sparen.“

Sparen, das müssen sie alle, die Städte im Ruhregebiet. Nur, sie tun es nicht alle so stark im Kulturbereich wie Duisburg, wo Strukturen vernichtet werden, für Wünsche der Politik jedoch genug Geld da ist. Für ein Gutachten einer renommierten Düsseldorfer Anwaltskanzlei, das der Stadtspitze beim Thema Loveparade einen Persilschein ausstellte, konnten im Haushalt über 400.000 Euro frei gemacht werden.

Geld, mit dem sich das Hundertmeister und viele andere kleine Kulturanbieter hätten retten lassen. Aber das ist wohl eine Frage, welche Schwerpunkte gesetzt werden – im Kulturbereich liegen die Schwerpunkte in Duisburg nicht.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag 

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Gerd Herholz
13 Jahre zuvor

Danke, Stefan. Wir sollten bei den Ruhrbaronen den Kulturabbau, der gerne im Stillen abgewickelt werden soll, ganz laut weiter begleiten.
Übrigens: Könnten wir mit dem Wort „Sparen“ sorgfältiger umgehen. Es geht doch hier nirgends um „Sparen“.
Da die Einnahmeseite von Bund, Ländern und Kommunen politisch gewollt und unter BDI-&Co.-Druck nirgends mehr stimmt, wird umverteilt, gekürzt, gestrichen, ausgehebelt, der Verwahrlosung preisgegeben. Wir sollten uns das Wort „Sparen“ einfach sparen. Kunst und Kultur, Bildung, Soziales werden zurzeit geschreddert und das wird noch schlimmer. Machste mit mir ne Wette dazu wie mit Townsend? Wir überprüfen dann meine Aussagen im – sagen wir mal – Februar 2013!

Robin Patzwaldt
13 Jahre zuvor

@Gerd Herholz: Ich stimme zu. Festzustellen bleibt aber leider auch, dass der umsichgreifende Kahlschlag bei weitem nicht nur die Kultur betrifft. Wenn ich mich hier in der Provinz mal vor Ort umschaue, dann ist inzwischen ja auch schon fast alles weggeholzt worden, was nicht unbedingt zwingend notwendig erschien. Vieles von dem was die Region im Kleinen lebenswert macht ist bereits verschwunden oder unmittelbar vom Ende bedroht. Das ist erschreckend, wenn man mal darüber nachdenkt. Zumal mir auch keine Umkehrung der Entwicklung möglich erscheint. Denn dafür ist das Ausmass des Kahlschlags der letzten ca. 20 Jahre inzwischen schon zu groß.

Theo Jörgensmann
13 Jahre zuvor

Im Grunde reaktivieren sich im Ruhrgebiet wieder scheinbar verloren gegangene Verhaltensmuster der 1960er Jahre. In Folge der Stahlkrise war Ende der sechziger Jahre das Sparargument hochaktuell. Ein Jungmusiker-Trio, mit dem ich damals zusammenspielte, wollte von meiner Heimatstadt Bottrop für ein Konzert 300 DM Gage haben. Das ging natürlich nicht. Es musste ja gespart werden. Es war angeblich kein Geld da, obwohl der Schauspieler Curt Jürgens für einen Soloabend im gleichen Monat 7000 DM erhalten hatte. Dieser missliche Umstand, löste zwischen der Kulturverwaltung und mir eine harte Auseinandersetzung aus, an deren Ende sich die Kulturverwaltung der Stadt öffnete und im verstärkten Maße auch freie Kulturschaffende förderte. Zur Ehrenrettung Bottrops muss gesagt werden, dass ich von dem Essener Kulturamt als gebürtiger Bottroper noch nie mit einem Konzert „beglückt“ wurde.

Soviel zu Sparen und Kirchturmpolitik im Ruhrgebiet – damals.

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Duisburger Musiker
Duisburger Musiker
13 Jahre zuvor

Danke Stefan:)

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