Strategien für ein anderes Grün: Parkstadt Zollverein – Archipel der Paradoxien

 

Zeche Zollverein FotoLizenz © Jochen Tack/Stiftung Zollverein

Grün hat gegenwärtig Konjunktur – weniger (partei)politisch als thematisch: Öffentliche Grün- und Freiräume entwickeln mit ihrer entschleunigenden Unmittelbarkeit gerade bei den zunehmend auf globale Digitalität und Mobilität konditionierten Stadtbewohner eine hohe Anziehungskraft. Von unserem Gastautor Dieter Nellen.

„Grüne“ Qualität durch Gärten und Parks bedeutet dabei nicht nur ökologischen Ausgleich und räumliche Dekoration. Sie ist vielmehr wesentlicher Teil von Urbanität, „Stadt mit anderen Mitteln“ und steigert die Leistungskraft öffentlicher Räume im größeren Rahmen: „Landschaftsräume, die vielfältig gegliedert, fragmentiert, differenziert und zerstückelt sind, kommen wieder in einen Zusammenhang und definieren ein System, das die Stadt umfängt und durchdringt, ihr Halt gibt und bestärkt“. Die Landschaft kann sich so (wieder) gegenüber Städtebau und Architektur emanzipieren.

Als Beispiel kann inzwischen der Park des UNESCO-Weltkulturerbe der Zeche Zollverein in Essen gelten, der in konzeptioneller Fortführung der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark eine von tradierten Vorstellungen befreite postmoderne Formation erhielt: durch Rezeption seiner industriellen Vorprägungen und als „Passepartout“ für das mit nachindustriellen Nutzungen versehene Ensemble von Zeche, Kokerei und baulichen Vorläufern. So ist kein herkömmlicher Stadtpark, sondern eine neue Form postmontaner Parkstadt entstanden.

Nicht zufällig kehrt die RAG an den größten Produktionsort ihrer Unternehmensgeschichte zurück. Ihre operativen RAG-Gesellschaften qualifizieren Zollverein immer mehr als Schlüsselareal der behutsamen Konversion zu einer ökonomischen und ökologischen Zukunftsadresse mit starker Vergangenheit. Auch die Folkwang Hochschule wird 2018 ihren Sitz auf ZOLLVEREIN bezogen haben. Die Repräsentanten der Wissensgesellschaft bringen die notwendige Sozialität und Kreativität auf das Areal

Der Vergleich mag noch etwas weit hergeholt erscheinen: Aber im internationalen Kontext finden auch die neuen Zentralen der US-Kommunikationskonzerne wie APLLE und Facebook eine ähnliche städtebauliche und architektonische Bestimmung erst in der richtigen Textur von Park und Landschaft als umfassendem Raumelement.

Programmbuch ZOLLVEREIN PARK

Für die Landschaft von Zollverein haben jetzt die zuständige Stiftung und die Planergruppe Oberhausen ein geradezu liebevoll gestaltetes Programmbuch vorgelegt – eine textliche und fotographische Liebeserklärung (auf artifiziellem grauem Umweltpapier) an die herbe Schönheit. „ZOLLVEREIN PARK. Staub, Stille und Spektakel“ ist keine seriell konfektionierte Planungsdokumentation geworden, sondern ein autobiographisches Plädoyer für ein anderes Grün oder – um mit den Worten der Autoren zu sprechen – einen „Archipel der Paradoxien mitten in einem urbanen Mischgebiet“.

Die Autoren lassen auf fast jeder Seite spüren, dass ihnen Zollverein Projektauftrag und Lebensaufgabe zugleich geworden ist. Man kann offenbar dem monumentalen Projekt weder beruflich noch persönlich entrinnen, wenn die Arbeit einmal damit begonnen hat.

Die richtige Zeit

Das Erscheinungsdatum des Buches ist gut gewählt: Essen ist 2017 Grüne Hauptstadt Europas (Green Capital of Europe) mit einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm. Im Ruhr Museum auf Zollverein wird ab Mai die flankierende Großausstellung „Grün in der Stadt Essen. Mehr als Parks und Gärten“ gezeigt. Die Ruhrstadt setzt weniger auf große neue Projekte als auf die Präsentation und Konditionierung des in letzter Zeit Entstandenen.

Alles passt gut in die Zeit: Das Programm „Grüne Infrastruktur“ wird von EU und NRW stark propagiert und verspricht reichlich Fördergelder für weitere grüne Projekte. Deren Realisierung tritt gleichrangig neben die klassischen harten Formatierungen des städtischen Gefüges. Landschaft, Park und Garten wollen nämlich inzwischen mehr sein als das, was Bebauung übrig- und freigelassen hat.

Ein Jahrzehnt später, 2027 ist sogar die Internationale Gartenausstellung (IGA) Metropole Ruhr mit dem Emscher Landschaftspark als räumlichem Zentrum und einem für das ganze Ruhrgebiet gestaffelten regionalen Qualifizierungskonzept geplant. Bereits 2020, zeitgleich zur Landesgartenschau NRW im linksrheinischen Kamp-Lintfort soll unter dem Label „Emscherland 2020“ ein „grün-blaues Band“ an Kanal und Fluss entstehen.

Wer übrigens noch eine andere grüne Hauptstadt mit wahrhaft internationalem Branding besuchen will, der sollte bald nach Berlin reisen: Dort wird am 13.April in Marzahn-Hellersdorf, also an der östlichen Peripherie der Stadt die Internationale Gartenausstellung (IGA) Berlin 2017 eröffnet. Auch dort geht es nicht zuletzt um Qualifizierung und Wiederherstellung von Landschaft in einem entwicklungsfähigen Areal.

ZOLLVEREIN PARK. Staub, Stille und Spektakel, herausgegeben von der Stiftung Zollverein und der ARGE Zollverein Park, Köln (Verlag der Buchhandlung Walther König) 2017

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