Streicht der Bundestag das Antisemiten-Sponsoring mit Steuergeldern?

Konstituierende Sitzung des Innenausschusses 2021 Foto: Marco Urban/Bundestag Lizenz: Copyright


Am 9. November vergangenen Jahres brachten sowohl die Fraktionen der Ampel als auch die CDU/CDU-Fraktion im Bundestag Entschließungsanträge ein, die das Leben von Antisemiten in der Bundesrepublik deutlich schwerer machen könnten.

Als die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP erfuhren, dass die Unionsfraktion zur Bundestagssitzung am 9. November einen Entschließungsantrag mit dem Titel „Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ einbringen würde, brach Hektik aus.  Bis zum späten Nachmittag des 7. Novembers wurde an einem eigenen Antrag gearbeitet. Die Regierungsfraktionen mochten sich nicht einfach der Opposition anschließen. Die war nicht, wie sonst bei ähnlichen Themen üblich, auf die anderen demokratischen Fraktionen zugegangen, um einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten.

Am 9. November lagen dem Bundestag so zwei Anträge vor, die sich in weiten Teilen ähnelten: Die Union forderte, „ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland“ zu prüfen und so “dem Missbrauch von Vereinsstrukturen, die unter dem Deckmantel humanitärer gemeinnütziger Vereinszwecke in Wirklichkeit Gelder für extremistische oder antisemitische Zwecke sammeln, als auch der Auslandsfinanzierung extremistischer Strukturen in Deutschland durch konsequente Anwendung des Vereinsrechts einen Riegel vorzuschieben.“ Die Ampelfraktionen wollten auch ein „Betätigungs- oder Organisationsverbot“ prüfen und „Kultureinrichtungen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen oder mit Einrichtungen oder Personen zusammenarbeiten, die das Existenzrecht Israels ablehnen, keine finanzielle Förderung durch die öffentliche Hand zu ermöglichen.“ Alle vier Fraktionen sprachen sich dafür aus, dass weiterhin der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für Deutschland gültig bleibt, die auch antiisraelischen Antisemitismus umfasst.

Weil zwei und nicht ein gemeinsamer Entschließungsantrag eingebracht worden war, wurden beide zur weiteren Befassung an den Innenausschuss überstellt. Damit brach die große Stunde der Lobbyisten an: Sowohl aus dem Kulturbereich als auch aus Organisationen, die dem BDS nahestehen, dessen Zeil die Vernichtung Israel durch Boykottmaßnahmen ist, wird nach Informationen dieser Zeitung vor allem auf Abgeordnete von SPD und Grünen Druck ausgeübt, dafür zu sorgen, eine gemeinsame Stellungnahme abzumildern. Man möchte vor allem auch in Zukunft weiterhin Staatsgeld für die Zusammenarbeit mit Antisemiten bekommen können. Ganz erfolglos scheint diese Arbeit nicht gewesen zu sein: „Ich bekomme berechtigte Anmerkungen von Kulturinstitutionen, die sich an mich gewendet haben, weil sie sich fragen, wie sie international weiterarbeiten sollen“, zitiert die FAZ Katrin Budde (SPD), Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Anfang Januar. Und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sagte DPA „Es ist gefährlich, wenn der Diskurs in der Kultur immer enger wird.“ Roth hatte schon als eine der von wenigen Abgeordneten im Mai 2019 gegen den BDS-Beschluss des Bundestages gestimmt, in dem die Boykottkampagne als antisemitisch bezeichnet und dazu aufgerufen wurde, BDS nahen Gruppen keine öffentlichen Gelder oder Räume zur Verfügung zu stellen. Weder Roth noch Budde antworteten auf eine Anfrage zu ihren Ansichten zu den beiden Entschließungsanträgen.

Die Aussichten, dass sich die vier Fraktionen auf einen gemeinsamen Antrag einigen, der sich noch konsequenter als bislang gegen BDS stellt und es antisemitischen Künstlern erschwert, sich ihren Israelhass mit Steuergeldern finanzieren zu lassen, stehen allerdings nicht schlecht, erklären Ampel-Abgeordnete in Hintergrundgesprächen: Beiden Anträge sei ja bereits in den Fraktionen zugestimmt worden.
Die Union geht allerdings weiter und will Israel beim Export von Rüstungsgütern künftig wie einen EU-Staat behandeln. Sie fordert zudem ein „umfassendes Sanktionsregime gegen den Iran und die mit ihm verbundenen Terrororganisationen“. Von beidem ist in dem Antrag der Ampel-Fraktionen nicht die Rede. Hier könnten die Knackpunkte liegen, die eine schnelle Einigung verhindern. Auf der Tagesordnung der gestrigen Sitzung des Innenausschusses waren beide Entschließungsanträge noch nicht zu finden. Frühestens Ende Januar könnte es eine Einigung geben, aber sich ist das nicht. „Wir stehen weiterhin geschlossen an der Seite Israels und seinen Bürgerinnen und Bürgern“, antwortete die FDP-Fraktion auf Anfrage. „Jüdisches Leben muss nicht nur in Deutschland, sondern weltweit geschützt werden. Aus diesem Grund befinden wir uns derzeit in Gesprächen mit unseren Koalitionspartnern und der CDU/CSU-Fraktion im Hinblick auf einen gemeinsamen Antrag“.

Die Grünen ließen diese Zeitung wissen: „In Kürze werden die Fraktionen Gespräche über die Rückkehr zu einem gemeinsamen Vorgehen führen. Hierbei wird es auch um die Frage gehen, wie bezüglich parlamentarischer Initiativen weiter vorgegangen werden soll.“ CDU und SPD reagierten nicht auf Anfragen. Es gibt für die Abgeordneten der vier Fraktionen offiziell keinen Zeitdruck. Wenn sie sich allerdings die Zunahme von Antisemitismus in Deutschland nach den Massakern in Israel am 7. Oktober vor Augen halten, sollte ihnen klar sein, dass die Zeit drängt.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

Mehr zu dem Thema:

Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU

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Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
9 Monate zuvor

Die Worte lese ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Da hat ausgerechnet Berlin lobenswerterweise ein entsprechendes Verfahren entwickelt, da wird es auch schon nichts mit der Umsetzung.

https://www.welt.de/kultur/article249667670/Was-nach-dem-Scheitern-von-Joe-Chialos-Antisemitismus-Klausel-jetzt-geschehen-muss.html

Warum sollte es jetzt im Bund funktionieren? Meine Befürchtung ist die, daß in diesem Land, in dem ja sooooo gespart werden muß, weiterhin Steuergelder dafür verwendet werden, damit Antisemiten die Produktion ihrer Hurtz-„Kunst“ aufrecht erhalten können.

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