Susanne Schröter: „Die klassische Linke muss Allianzen mit denjenigen eingehen, die sich vom Wokismus abwenden“

Susanne Schröter Foto: Raimond Spekking Lizenz: CC BY-SA 4.0

Susanne Schröter glaubt nicht, dass der Peak Woke bereits überschritten ist. Für die emeritierte Professorin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main ist es eine Aufgabe der klassischen Linken, dem Spuk ein Ende zu bereiten und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass emanzipative Errungenschaften nicht verlorengehen.

Ruhrbarone: Die Bildungsministerin Schleswig-Holsteins, Karin Prien, erklärte im Februar, dass Schleswig-Holstein mit dem „woken Kram“ Schluss machen wolle. Nun plant das Land jedoch, die Geschlechtsidentität im Grundgesetz zu verankern. Wie lässt sich das vereinbaren?

Susanne Schröter: Es passt nicht zusammen, was auch daran liegt, dass der Stand der Aufklärung über den Wokismus noch bescheiden ist. Auf den ersten Blick klingt ja alles gut und harmlos.

Ruhrbarone: Anliegen wie Gleichberechtigung und ein Ende von Diskriminierungen sind ja auch gut. Aber darum geht es ja beim Wokismus nicht.

Schröter: Es ist wie mit den NGOs: Die Namen und Themen versprechen etwas anderes, als tatsächlich getan wird. Ein Ende von Diskriminierung wäre wünschenswert, tatsächlich handelt es sich oft um das Gegenteil. Die Gleichberechtigung von Frauen wird umgekehrt, wenn Frauenräume auch biologischen Männern offenstehen oder wenn der Begriff „Mutter“ durch „gebärende Person“ ersetzt wird. Wenn Geschlecht nur die Folge eines Sprechakts ist, kann Diskriminierung von Frauen weder gemessen noch bekämpft werden.

Ruhrbarone: Dazu kommt die Gefährdung von an Geschlechtsdysphorie leidenden Kindern und Jugendlichen durch irreversible Operationen.

Schröter: Trans wird als cool und erstrebenswert dargestellt, Amputationen von Brüsten als Befreiung gefeiert. Identitätsprobleme, die in der Pubertät häufig auftauchen, werden in einen Transrahmen verortet. Das ist verantwortungslos.

Ruhrbarone: Mir erscheint der Vorstoß aus Schleswig-Holstein aus der Zeit gefallen. Haben wir nicht auch in Deutschland den Peak Woke längst überschritten?

Schröter: Wir haben den Peak noch lange nicht erreicht. Wokismus ist in Leitbildern von Universitäten und öffentlichen Einrichtungen, ja sogar von Unternehmen fest verankert. Es gibt gut bezahlte Beauftragte, die über die Durchsetzung wachen, und natürlich die expandierende NGO-Szene, die davon lebt.
Wer gegen woke Regularien verstößt, wird abgestraft. Dann sind Karrieren schnell beendet.

Ruhrbarone: Aber der „German Diversity Award“ wurde mangels Interesse abgesagt. Unternehmen bauen Stellen von Diversity-Beratern ab, und entsprechende Agenturen beklagen Auftragsrückgänge. Und die Union unternimmt erste Schritte gegen die NGO-Szene. Wird es nicht wieder ein Hochschul-Phänomen, beschränkt auf bestimmte Fachbereiche?

Schröter: Das wäre zu wünschen. Doch dafür braucht es noch ein Umdenken in größerem Rahmen. Ich bin durchaus optimistisch, weil der Durchmarsch des Wokismus jetzt auf starken Widerstand stößt und es tatsächlich erste Zeichen einer Umkehr gibt. Ich sehe zwei Gefahren:

  1. dass dieser Widerstand nicht konsequent genug ist und das Problem nicht ernst genug genommen wird.
  2. dass das Pendel komplett in die Gegenrichtung umschlägt und emanzipative Errungenschaften verlorengehen.

Ruhrbarone: Was müsste geschehen, um den Widerstand gleichzeitig zu verstärken und emanzipative Errungenschaften zu erhalten? Ist es naiv zu glauben, alles pendelt sich irgendwann automatisch wieder in der Mitte ein?

Schröter: Hier ist die klassische Linke gefragt. Sie hat die Emanzipationsbewegungen mit vorangebracht und muss sie letztendlich sowohl gegen den woken Totalitarismus als auch gegen einen konservativen Rollback verteidigen.

Ruhrbarone: Sehen Sie dort eine Bereitschaft und die Fähigkeit, das zu tun? Die Sozialdemokratie ist doch intellektuell tot.

Schröter: Die klassische Linke muss dafür Allianzen mit denjenigen eingehen, die sich vom Wokismus abwenden, weil sie seine Kumpanei mit dem Islamismus, seinen Antisemitismus und seine Frauenfeindlichkeit nicht mehr mittragen – aber auch mit Liberalen und Konservativen, die erkannt haben, dass die liberale Demokratie verteidigt werden muss. Der Zustand der Sozialdemokratie ist in der Tat beklagenswert.

Ruhrbarone: Sie engagieren sich auch bei der Denkfabrik R21. Sehen Sie einen vergleichbaren Think-Tank auf linker Seite?

Schröter: Leider nicht. Deshalb engagiere ich mich bei R21.

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