Unser Gastautor Thomas von der Osten-Sacken zu Bärten und Baathisten.
Wie es scheint, verstehen sich die Bärte von HTS ziemlich gut mit den im Land gebliebenen Baathregierungsleuten in Damaskus. Und es sieht im Moment so aus, dass sie versuchen, quasi gemeinsam die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Die Baathleute wissen, wie man autokratisch regiert und wollen an der Macht bleiben und nicht hinter Gitter landen, HTS hat viel zu wenig Personal, um im Süden Syriens alleine regieren zu können. Also stehen sie vor der Wahl, Leute aus den örtlichen Oppositionsgruppen und Milizen einzubinden oder mit den bestehenden Strukturen zu regieren.
Dass Baathisten und Islamisten keine Feinde sind, haben sie schon im Irak nach dem Sturz Saddams bewiesen, wo sie Hand in Hand den so genannten Widerstand gegen die neue Regierung und die amerikanischen Truppen organisiert haben.
Vergessen sollte man auch nicht wie Herr Jolani überhaupt groß wurde damals: Er war nämlich einer jener Al Qaida Kämpfer im Irak, die via Damaskus einreisten und von dort massiv gefördert wurden. Selbst zwischen dem Assad Regime und dem Islamischen Staat gab es immer enge Verbindungen, nachzulesen in diesem höchst informativen Bericht des Washington Institues, der
„argues that without the support and tolerance of the Syrian regime, the Islamic State group could not have evolved during 2012-
2015 into the powerful terrorist group it became. Syrian or Syria’s support for ISIS facilitated the group’s ability to control large swaths of territory and engage in truly barbaric acts of terrorism such as beheadings, crucifixions, burning people alive, and carrying out acts of international terrorism around the world − including a series of devastating attacks across Europe in 2015 and 2016
Es würde mich nicht wundern, sie fänden gerade einmal mehr in ihren Gesprächen heraus, dass sie eigentlich seit je her mehr verbindet, als trennt und man hat ja auch seit Jahrzehnten die selben Gegner: Nämlich die, leider meist unorganisierten Menschen, die schlicht unter keiner neuen Diktatur, egal welchen Anstrichs, leben wollen.
Und bislang waren die mittelfristig noch bei jedem Regierungswechsel im Nahen Osten die Verlierer. Von Europa oder aus den USA brauchen sie auch auf keine Unterstützung zu hoffen. Wenn HTS und alte Baathkader in Syrien Stabilität versprechen, wird man sich denen an die Brust werfen.
Und es hätte alles auch ganz anders kommen können.
2012, als es in Syrien noch kaum Jihadisten gab – die von Assad aus seinen Knästen entlassenen mussten sich unter anderem noch organisieren – und als die Türkei, Qatar, die Saudis und Emirates noch nicht massenweise Geld in islamische Rebellengruppen investierten, 2012 also, als die Proteste gegen Assad noch weitgehend friedlich waren – einseitig, denn er ließ seine Truppen dauernd in diese Demonstrationen schießen, gab es verschiedene Initiativen und Forderungen, was zu tun sei.
Eine Idee: Flugverbotszonen bzw safe havens über Nord- und Südsyrien errichten, in die Menschen fliehen und in denen sich Oppositionelle ohne Angst vor Fassbomben und Regimetruppen organisieren können.
Das wurde unter anderem vom damaligen deutschen Außenamt mit dem Hinweis auf syrische Luftabwehr und die Gefahr, dann könne es zum Bürgerkrieg kommen, abgelehnt.
Im Klartext: Man wollte es sich damals vor allem nicht mit dem Iran und Russland verscherzen, die beide klar gemacht hatten, dass sie Assad um jeden Preis am Ruder halten wollten. Damals marodierten die Shabiba Milizen mordend durchs Land mit dem Spruch „Assad oder wir brennen das Land nieder“ – was dann ja de facto auch geschah.
Wäre das Regime damals gestürzt worden, hätte es keine gut organisierten islamistischen Rebellenmilizen gegeben, die siegreich in syrische Städte eingezogen wären.
Es kam leider anders und es wäre erfreulich, wenn man nun in Europa mit Sorgenfalten im Gesicht vor diesen Rebellen warnt, auch zu erwähnen, welchen Anteil die völlig vermurkste Syrienpolitik von Obama und der EU daran haben, dass solche Truppen überhaupt so erstarken konnten.
Und nein 2012 ging es auch nicht um die vielzitierte Wahl zwischen „Pest und Cholera“ – also baathistische Diktatur oder Islamisten -, sondern einzig um die Frage: Will man sich mit Russland und dem Iran anlegen oder nicht?
Wir alle wissen, dass man es nicht wollte.
Der Text erschien bereits in der Jungle World