Syrien ist wieder vollwertiges Mitglied der Arabischen Liga. Genau in diesen Club von Autokraten hat es immer gehört. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.
Die Schlagzeile der österreichischen Tageszeitung Der Standard beschreibt das Ereignis so: »Araber umarmen Assad und nehmen Syrien wieder in die Arabische Liga auf.« Und in der Tat ging es plötzlich unter der Führung von Saudi-Arabien gar nicht schnell genug. Hoffte Riad noch vor zehn Jahren auf einen baldigen Sturz des syrischen Diktators, übte seit Anfang des Jahres ausgerechnet die saudische Regierung Druck auf ihre Kollegen in der Arabischen Liga auf, Syrien wieder diplomatisch anzuerkennen und erneut in den Club aufzunehmen, aus dem es 2011 ausgeschlossen worden war.
Was nun als großer Durchbruch und Normalisierung gefeiert wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen hauptsächlich als Strohfeuer. Zuerst wäre da die Frage, was es eigentlich heißt, Mitglied der Arabischen Liga zu sein, einer notorisch zerstrittenen Organisation, deren Bedeutung in den vergangenen Jahren gegen Null tendierte.
Wollte man es bösartiges formulieren, könnte man auch sagen, dass es diese Truppe erst dank dieses Schrittes geschafft hat, seit Jahren überhaupt einmal wieder in die Weltpresse zu gelangen.
Es wirkte schon im Jahr 2011 eher absurd, dass ausgerechnet dieser Verein aus Despoten, Tyrannen und Autokraten einen der ihren ausschloss. An Verbrechen oder Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes lag das sicher nicht, denn diese spielten in der Arabischen Liga noch nie eine nennenswerte Rolle: egal, ob Saddam Hussein, der in den 1980er Jahren Hunderttausende Kurden umbringen ließ oder Omar al-Bashir aus dem Sudan, auf den wegen Völkermords ein internationaler Haftbefehl ausgeschrieben ist – alle waren dort zu jeder Zeit willkommen. Das galt auch für Baschar al-Assads Vater, in dessen Folterkellern Tausende Syrer umkamen.
So gesehen ist es eigentlich nur konsequent, Syrien wieder in den erlauchten Kreis aufzunehmen; sein Ausschluss war eher eine den Zeiten geschuldete Anomalie. Er fand auch nicht etwa statt, weil syrische Sicherheitskräfte auf friedliche Demonstranten schossen – das geschah genauso in Bahrain, im Jemen und in anderen Ländern, ohne irgendwelche Konsequenzen nach sich zu ziehen –, sondern, weil Assad den Iran um Hilfe zur Niederschlagung des Aufstands bat und nicht Saudi-Arabien, wie es zum Beispiel Bahrain tat.
Assads einziges Kapital
Allen voran die Golfstaaten hofften damals, Punkte im Kalten Krieg gegen den Iran zu machen: Ein Sturz Assads hätte die Islamische Republik nämlich in ihren Expansionsbestrebungen im Nahen Osten extrem eingeschränkt, und eine sunnitisch dominierte Regierung in Damaskus wäre ein willkommener Verbündeter gewesen.
Dann allerdings stellte sich heraus, dass die amerikanischen und europäischen Beteuerungen, den Sturz des Assad-Regimes anzustreben, doch nicht so ernst gemeint waren, und spätestens als Russland massiv aufseiten von Damaskus intervenierte, wurde klar, dass Assad sich vorerst an der Macht halten werde. Während die Türkei, zusammen mit Katar, weiterhin ihnen genehme – sprich: den Muslimbrüdern nahestehende – Oppositionsgruppen unterstützte, zogen sich Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate schon vor Jahren aus Syrien zurück. Mit Muslimbrüdern wollen sie ja bekanntlich noch weniger zu tun haben als mit panarabischen Diktatoren.
Anders als die Türkei, die de facto immerhin beträchtliche Teile Syriens kontrolliert, haben die Golfstaaten momentan wenig in Syrien zu verlieren. Vielmehr kehren sie zu ihrer Politik zurück, die sie schon vor 2011 verfolgten: Assad mochte zwar, wie schon sein Vater, eng mit dem Iran verbündet sein, aber durch Investitionen und Charmeoffensiven versuchte man, den Einfluss Teherans zurückzudrängen. Das gelang zwar nie, aber in der arabischen Welt war Scheitern noch nie ein Grund, es nicht noch einmal zu versuchen.
Schließlich kostet so ein Versuch nichts, bringt aber weltweit Schlagzeilen. Die wirklichen Probleme wird allerdings die Türkei haben, die zwar momentan auch eine Annäherung an Assad propagiert, aber sich kaum über ein zentrales Problem mit Damaskus einigen können wird. Weder hat Assad ein gesteigertes Interesse, Millionen von Flüchtlingen aufzunehmen, noch daran, den Status quo des von der Türkei und syrischen Milizen kontrollierten Teil Nordwestsyriens zu akzeptieren.
Denn das Kapital des Diktators in Damaskus besteht einzig darin, über all die Jahre keinerlei Verhandlungsbereitschaft gezeigt und stur seine Positionen vertreten zu haben, dass alle Gegner Terroristen seien, Damaskus die Kontrolle über ganz Syrien wieder gewinnen müsse und sein Regime die einzig legitime Vertretung aller Syrer sei. Genau mit dieser unnachgiebigen Sturheit gelang es ihm, all die Jahre zu überstehen und heute quasi als Sieger des Konflikts wieder hofiert zu werden. Warum also sollte er einen Millimeter von dieser Position abweichen?
Fast alles beim Alten
Natürlich weiß man in allen arabischen Hauptstädten, dass es in Syrien keine Reformen geben und weiter gefoltert und verhaftet wird; auch, dass Assad nicht vorhat, sich vom Iran, der Hisbollah oder anderen Terrorgruppen zu trennen. Forderungen nach »Reformen«, die seitens der Arabischen Liga als Gegenleistung zur Wiederaufnahme gestellt wurden, sind deshalb das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden.
Wichtiger dagegen erscheinen all die Artikel und Statements, die USA seien der große Verlierer des Prozesses und man baue nun in Kooperation mit China, Russland und dem Iran an einer neuen Weltordnung. Für Saudi-Arabien ist das eine späte Genugtuung und so etwas wie Rache an der ungeliebten demokratischen Administration in Washington und ein Faustpfand zugleich, fühlt man sich doch gestärkt für kommende Verhandlungen mit den USA, denen man sagen kann: Wenn nicht ihr, dann eben die anderen.
Dabei stehen sie alle letztlich vor denselben Problemen wie Russland seit Jahren: Syrien ist ein völlig zerstörtes Land, dessen Machthaber sich mit Drogenhandel und dem Abgreifen von Hilfsgeldern über Wasser hält. Ein auch nur rudimentärer Aufbau des Landes kostet laut Schätzungen der UN zwischen 250 Milliarden und einer Trillion Euro. Das sollen, so schon das Kalkül Moskaus, doch bitte die Europäer und die USA bezahlen. Doch diese haben seit Jahren klar gemacht, keineswegs vorzuhaben, Syrien unter Assads Regie wieder aufzubauen. Außer ein paar Hilfsmilliarden dürfte aber auch vom Golf nicht viel kommen, schon gar nicht, solange in Syrien der Iran de facto das Sagen hat.
Damit aber bleiben alle Probleme bestehen: Millionen von Flüchtlingen können nicht zurückkehren, Assads Clan wird weiterhin die Region mit Captagon fluten und das Land weitestgehend in Ruinen liegen bleiben. Ins Bild passt, dass dieser Tage die jordanische Luftwaffe ihren ersten Einsatz in Südsyrien geflogen hat, Captagon-Fabriken bombardierte und einen berüchtigten Drogenhändler, der enge Beziehungen zu Assad und der Hisbollah unterhielt, ausschaltete.
Offenbar unterschätzt man in den arabischen Hauptstädten auch die unzähligen gegen Syrien verhängten Sanktionen, deren Aufhebung an sehr konkrete Forderungen gebunden sind. Arabische Autokraten mögen per Beschluss über die Aufhebung von Sanktionen entscheiden können, nicht jedoch die USA oder Europa. Solange sich in Syrien nichts grundlegend ändert, bleiben diese Sanktionen bestehen – und solange Assad an der Macht ist, wird sich in Syrien nichts Grundlegende ändern. Das bedeutet auch, dass keine europäischen oder amerikanischen Unternehmen ernsthaft größere Investitionen tätigen werden, selbst wenn sie vom Aufbau des Landes profitieren wollen, da ihnen zu viele Steine in den Weg gelegt werden.
Tritt für die Syrer
Hinzu kommen die vom US-Kongress verhängten Sanktionen des sogenannten Cesar-Act, die jeden treffen können, der mit Syrien Geschäfte betreibt. Auch sind die Verbrechen des syrischen Regimes seit dem Jahr 2011 die am besten dokumentierten, die es je in der Geschichte gab: überall in Europa, den USA und bei den Vereinten Nationenstapeln sich die Aktenberge. Unzählige Mitglieder von Regierung und Sicherheitsdiensten sind inzwischen zur Fahndung ausgeschrieben und werden, wollen sie nicht eine Verhaftung riskieren, in den nächsten Jahrzehnten bestenfalls in irgendwelche anderen Diktaturen reisen können.
Das aber bedeutet, dass eine Wiedereingliederung Syriens in die sogenannte internationale Staatengemeinschaft in absehbarer Zeit nicht stattfinden wird, selbst wenn Regierungen in Europa oder gar der USA dies wünschten. Assad wird vielmehr, sollte nicht etwas völlig Unerwartetes geschehen, solch ein Paria bleiben, wie es Saddam Hussein in den 1990er Jahren war, was vor allem heißt: Die Gelder, die er so dringend braucht, werden schlichtweg nicht fließen und jene, die fließen werden, dürften in den leeren Kassen des Regimes versickern.
Für die Menschen in Syrien, die, egal, ob sie in Regionen leben, die vom Regime oder von mit der Türkei verbündeten islamistischen Milizen kontrolliert werden, mehrheitlich weit unter dem Existenzminimum ihr Dasein fristen und nach über einem Jahrzehnt Krieg und Elend auf eine Besserung ihrer Lage hoffen, dürften davon bestenfalls ein paar Krumen abfallen.
Zerstörter Staat
Syrien bleibt auch als Mitglied der Arabischen Liga weiterhin ein zerstörter Staat, ein völlig ruiniertes Land – und die Nemesis westlicher Diplomatie. Als 2013 nach den Giftgasangriffen auf die Zivilbevölkerung in den Ghoutas die westliche Reaktion auf dieses Verbrechen ausblieb und damit Assad, dem Iran und Russland signalisiert wurde, dass sie ungeschoren weitermachen konnten wie bisher, waren die Weichen in das dann folgende Desaster gestellt.
So sind das Assad-Regime und seine Verbündeten trotz allem zumindest vorläufig als Sieger hervorgegangen, und die Geste der Arabischen Liga anerkennt diesen Sieg. Zugleich ist sie ein Tritt auf die ohnehin darniederliegenden Verlierer: die Millionen Menschen, die 2011 alles riskierten, gegen die Diktatur des Assad-Regimes auf die Straße gingen und dafür einen furchtbaren Preis bezahlten, auch weil sie den Verlautbarungen aus den USA, Europa und den Golfstaaten, man stehe auf deren Seite, Glauben geschenkt hatte.
Für solche Tritte ist die Arabische Liga geradezu der geeignete Akteur, wenn auch für sonst wenig. Das Einzige, das angesichts dieser Entwicklung den Menschen in den Flüchtlingslagern, im Exil und in den ausgepowerten Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes bleibt, ist die Hoffnung, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, weder über das Schicksal Assads noch des Autokraten-Clubs namens Arabische Liga.
Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch