Wird man in einer religiös geprägten Familie groß, wie es mir geschah, bleibt es selten aus, als Kind zum Glauben verpflichtet zu werden. Eltern können es als ihre Aufgabe ansehen, das jeweilige Kind mit den Gepflogenheiten der jeweiligen Sekte vertraut zu machen, bis sie zur Gewohnheit geworden sind. Üblicherweise werden dann kaum noch Fragen gestellt. Es kann auch vorkommen, dass Gewohnheit und sozialer Zwang zur familiären Rationalität rationalisiert wird; darüber würde, dem Glauben nach, bloß noch ein zumeist rationaler Gott schweben, etwas völlig anderes als das emotionale Wesen, von dem z.B. im alten Testament die Rede ist. Auch Jesus war den Geschichten des neuen Testamentes nach nicht rational, sondern mitfühlend. Verblendet wollte sich niemand aus meiner Familie zeigen.
Der kleine Heide – Eine Anekdote
Am vergangenen Wochenende war ich Gast bei einer christlichen Taufe. Der Sohn meiner ‚kleinen‘ Schwester wurde offiziell in die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Weil ich dieser Gemeinschaft nicht angehöre, hielt ich mich während des Gottesdienstes räumlich etwas abseits. Die Einladung meiner Schwester zu dem mutmaßlichen Ereignis hatte ich jedoch nicht ausschlagen wollen.
Meine ‚kleine‘ Schwester ist achtzehn Jahre jünger als ich, Lehrerin, u.a. für evangelische Religion an einer Grundschule und Konrektorin. Die Taufe fand aber in einer katholischen Kirche des nördlichen, ländlich gelegenen Ruhrgebiets statt. Sie war das Ergebnis eines nicht einfach zu erlangenen Kompromisses. Ihr Ehemann ist Katholik, etwas anderes als ein katholischer Event wäre für ihn nicht in Frage gekommen. Der Ehefrau wurde aber vom Priester als auch vom Ehemann gestattet, eine evangelische Taufpatin aus ihrem Freundeskreis einzuladen. Später, auf der Rückfahrt erfuhr ich, dass meine Schwester den Gottesdienst als Niederlage empfand, an dem sie am liebsten Trauerkleidung getragen hätte.