Bundespräsident Wulff ein Jahr im Amt: die Wende?

Foto: Martina Nolte - via Wikipedia

Donnerstag, 30. Juni 2011. Der erste Jahrestag. Ein Jahr lang ist er nun Bundespräsident, der Christian Wulff. Nachdem Horst Köhler, sein Amtsvorgänger, für alle etwas überraschend hingeschmissen hatte, war der Job des „Ersten Mannes im Staate“ erstmalig vakant, so dass Wulff direkt nach seiner Wahl das Amt anzutreten hatte. Und was das für eine Wahl war! Drei Wahlgänge, Hochspannung im völlig überfüllten Bundestagsplenarsaal im Reichstagsgebäude, Emotionen pur.

SPD und Grüne zogen in die Bundesversammlung, als ginge es in die Entscheidungsschlacht zur Rettung der Demokratie. Zur Ehrenrettung von Rot-Grün muss gesagt werden, dass man eigentlich nicht Christian Wulff persönlich zum großen Unhold „aufgebaut“ hatte. Doch die hübsche Idee, Kanzlerin Merkel mal eins auszuwischen, steigerte sich bis zur Besessenheit von dem Gedanken, dass einzig ein Präsident namens Joachim Gauck

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Des Euros Kern

Oh nein, bitte nicht! Nicht schon wieder. Nicht noch einen Artikel über den Euro. Oder besser gesagt: über die Eurokrise, die, wie man auch hört, eigentlich gar keine Eurokrise sei, sondern eine Schuldenkrise. Eine europäische Schuldenkrise. Oder eine griechische. Griechenland – ich kann es nicht mehr hören! Oder Irland, Portugal, und alle die.
Eurokrise – das ist irgendwie so wie Fukushima: gar nicht ungefährlich, keine Frage. Sogar richtig schädlich. Aber erstens für uns nur so am Rande, und zweitens geht davon die Welt nicht unter. Und außerdem zieht sich die ganze Geschichte inzwischen ganz eindeutig zu lange hin.

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Es läuft nicht gut für Guttenberg

Es läuft nicht gut für Karl Theodor Guttenberg. Hochgepusht zum beliebtesten Politiker Deutschlands schlägt jetzt das eherne Gesetz der Mediendemokratie erbarmungslos zu. Ab sofort geht es auf der Achterbahn der Politbarometer steil abwärts. Ab sofort ist Guttenberg freigegeben. Doch sind wirklich „die Medien“ schuld, dass es jetzt für das „Phänomen Guttenberg“ so knüppeldicke kommt? 

Es begann im Januar mit den drei Bundeswehr-Affären, die den Verteidigungsminister in die Bredouille brachten. Seinen exzellenten Umfragewerten konnten die beiden Todesfälle und das systematische Durchschnüffeln der Post zwar nichts anhaben. Guttenberg reagierte nichtsdestotrotz äußerst giftig, nach seinen eigenen Maßstäben also „unprofessionell“ auf die entsprechenden Anwürfe. 

Bekanntlich gehört es zum Schicksal eines jeden Verteidigungsministers, früher oder später durch den Schlamm der Komissköppe in größte Schwierigkeiten gebracht zu werden. Auch wenn Struck, seinem Vor-Vorgänger, diesbezüglich größere Unbill erspart geblieben war, fällt es schwer anzunehmen, dass Merkel diesen Aspekt außer Acht gelassen haben könnte, als sie Guttenberg auf die Hardthöhe abkommandierte. 

Nachdem all die Bundeswehr-Unstimmigkeiten dem Medienstar nichts anhaben konnten, legte letzte Woche Schäuble nach und verglich das „Phänomen Guttenberg“ mit einer dümmlichen Schlagersängerin. Es erschien wie ein Foul im üblichen Duell zwischen Finanz- und Fachminister; doch es war ein ungewöhnlich schweres Foul. Und vor allem: der Pfiff des Schiedsrichters, in diesem Fall der Schiedsrichterin, blieb aus. 

Alles noch im Rahmen des gesetzmäßigen Medien-Auf-und-Abs? Und jetzt das! Guttenberg hatte bei seiner Doktorarbeit geschummelt. Wobei dies noch recht milde formuliert ist angesichts dessen, was Andreas Fischer-Lescano heute über die Süddeutsche Zeitung ans Licht gebracht hat. Das Material, was der Juraprofessor über die Fachzeitschrift „Kritische Justiz“ vorgelegt hat, ist schlichtweg erdrückend. 

Gewiss, wir schreiben alle ab, bis dass die Schwarte kracht. Erst recht im Zeitalter von Google & Co.; doch erstens gebietet es der gute Stil, hier und da zumindest mal den ein oder anderen Satz ein wenig umzustellen. Und zweitens gelten für Dissertationen – aufgrund der magischen Bedeutung, die den zwei Buchstaben auch heute noch zugemessen werden – nun einmal etwas strengere Maßstäbe.

Guttenberg schreibt in seiner Doktorarbeit seitenweise ab, ohne die Quellen anzuführen. Obgleich er dabei sogar die Kommafehler eins zu eins übernimmt, erwähnt er das verwendete Material nicht einmal im Literaturverzeichnis. Prof. Fischer-Lescano und sein Kollege Dr. Felix Hanschmann, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht mit Plagiatsfällen beschäftigt hatte, sind sich deshalb ziemlich sicher, dass man Guttenberg seinen Doktortitel entziehen kann. 

Um dem Plagiatsvorwurf zu entgehen: so steht es in der Süddeutschen Zeitung. Ob Guttenberg dem Plagiatsvorwurf wird entgehen können, steht dahin. Ein Promotionsausschuss wird darüber zu befinden haben. Genau vor einem Jahr ist Dieter Jasper, CDU-Abgeordneter aus dem Bundestagswahlkreis Steinfurt III, mit einer gekauften Dissertation aufgefallen. In der Folge wurde ihm der Doktortitel aberkannt, und der Fall war erledigt. 

Bei Guttenberg liegt der Fall anders als bei Jasper. Was die Dissertation betrifft: Guttenberg hat sie nicht gekauft, sondern offenbar gefälscht. Was die Politik betrifft: Guttenberg ist eine andere Nummer als Jasper. Glaubte er jedenfalls. Glaubten wir jedenfalls. Glaubte das Volk unerschütterlich. Jetzt aber läuft es nicht gut für Karl Theodor Guttenberg. Der Ausgang ist ungewiss, der Promotionsausschuss ist der Rat der Götter. Was vor Gericht und auf hoher See gilt, gilt erst recht vor dem Promotionsausschuss und der hohen Generalität. Und vor Frau Merkel.

Eigene Stärken bewusst machen, sich helfen und was sonst noch wichtig ist

Geht nicht, gibts nicht“, hat sie gesagt. Eine Heimwerkerweisheit, die ich nicht nur schon immer für unzutreffend gehalten habe, sondern auch – ich will es mal so sagen: für nicht besonders geistreich, dafür aber für ziemlich lästig. „Wohlergehen und Wohlstand ­ das heißt nicht nur ,mehr haben`, sondern auch ,besser leben`. Dafür brauchen wir Sie: die Menschen, die etwas besser machen wollen, die sagen: Geht nicht, gibts nicht“, sprach die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. Und auch dies: „Deutschland ist so erfolgreich, weil Sie Tag für Tag Ihre Arbeit machen. Sie sind früh morgens auf den Beinen.“ Ja, ich weiß, ist schon okay – da braucht sich niemand drüber aufzuregen. Über die Neujahrsansprache letztes Jahr hatte sich Claudia Roth „entrüstet“ – okay, ich weiß: auch so etwas soll vorkommen. Sie ahnen nicht warum. Angela Merkel hatte nämlich von einer „Sanierung der Staatsfinanzen“ gesprochen, aber ein „Schuldenvermehrungsgesetz“, so Frau Roth, durch den Bundesrat „gepeitscht“. Starkes Stück, nicht wahr?

Dieses Jahr ist es ruhig geblieben um der Kanzlerin warme Worte. Bislang jedenfalls. Dabei … – Schuldenvermehrung und so, diesmal hätte Claudia Roth eigentlich allen Grund, sich zu echauffieren. Merkel hatte nämlich auch gesagt, … – tun Sie mir bitte den Gefallen und sagen es der Roth nicht! Also, Merkel sagte: „Der Euro ist die Grundlage unseres Wohlstands. Deutschland braucht Europa und unsere gemeinsame Währung. Für unser eigenes Wohlergehen wie auch, um weltweit große Aufgaben zu bewältigen.“ Mehr nicht, jedenfalls nicht zum Euro. Aber immerhin. Nicht, dass die Roth das hört! Man könnte ja – böswillig interpretiert – da eventuell herauslesen … Und die meisten Nachrichtenredaktionen haben genau dies herausgelesen. Gut, dass sie nicht auch gesagt hat: „Gute Freunde sind da, um zu helfen, wenn es einer braucht“. Andererseits: gute Freunde, sich einfach mal Helfen, also Solidarität und so …

Das wäre doch eigentlich etwas für die Claudia Roth. Nun ja, egal, das wäre wahrscheinlich doch etwas zu riskant gewesen. Die Merkel regiert ja nicht allein für die Roth, wenn man sich nicht einmal bei der so ganz sicher sein kann. Jedenfalls hat sie wahrscheinlich gut daran getan, es nicht zu sagen. Dafür hat es aber jemand anders gesagt. Ja, das mit den guten Freunden. In Bezug auf den Euro, ja sicher, in Hinblick auf Griechenland. Was dachten Sie denn?! „Gute Freunde sind da, um zu helfen, wenn es einer braucht“ – Chinas Ministerpräsident Jiabao hat es gesagt. „Für viele angeschlagene Staaten scheint das Reich der Mitte der letzte Rettungsanker zu sein“, schreibt Ralf Heß bei heise.de. „Für die Volksrepublik ist der Zeitpunkt gekommen, jetzt die in jahrelanger Arbeit erwirtschaftete Dividende einzufahren. Die Freundschaftsbekundungen Jiabaos gegenüber den angeschlagenen EU-Staaten dagegen sind wohl kaum mehr als eine diplomatische Floskel, mit der den Staatschefs dieser Länder der Kaufvertrag über Europa schmackhaft gemacht werden soll.“

Aber gut, was soll uns groß interessieren, was der chinesische Regierungschef so von sich gibt? Schließlich haben wir selbst ja auch eine tolle Regierungschefin. Und die hat jetzt gesagt, in besagter Neujahrsansprache: „Gemeinsam haben wir Enormes geleistet. Wir haben erfahren, was möglich ist. Das ist wichtig, denn wir Deutschen sind uns unserer Stärken selbst nicht immer bewusst.“ Das ist diese typisch deutsche Art: ständig an der eigenen Nation herummäkeln. Machen wir uns also unsere eigenen Stärken bewusst! So wie jetzt z.B. der Cicero mit seinem Januar-Titel: „Vorbild Deutschland. Was die anderen an uns bewundern.“ So geht es doch auch. Sicher, das Titelbild ist Geschmackssache. Und auch die Story direkt darunter: „Welthandel in Gefahr: Chinas Angriff auf die Wirtschaftsordnung“. Aber so ist es nun einmal, da kann man nichts machen – außer natürlich: sich gemeinsam mit der Kanzlerin auf die deutschen Stärken besinnen.

James MacDonald hat diesen Cicero-Artikel über die Chinesen geschrieben. Der steht aber (noch) nicht online; er heißt: „Der Kampf um Rohstoffe“. Ein Historiker, überhaupt ein ulkiger Kerl, dieser MacDonald. Vor drei Wochen war in der FAZ über ihn zu erfahren, dass er Staatsschulden offenbar für „gar nicht so übel“ hält. Der Schuldenstaat sei die Wiege der modernen Demokratie, behauptet er. Kredit zu geben, privat oder öffentlich, sei stets Ausdruck von Lebensfreude und wirtschaftlichem Optimismus: Würden nämlich die Schuldner nicht glauben, dass die Rendite auf das geborgte Geld größer wäre als die Kosten von Zins und Tilgung, würden sie auf den Kredit verzichten. Auch die Gläubiger müssten darauf vertrauen, dass das Einkommen des Schuldenstaats in der Zukunft wächst. Wirklich ulkig: wirtschaftlicher Optimismus und Lebensfreude in einem Atemzug zu nennen! Und überhaupt: wenn Schuldenstaaten die Wiege, und nicht nur die, sondern überhaupt Kennzeichen der modernen Demokratien wären, müssten Überschussländer doch Diktaturen sein. Ansichten hat dieser Mann!

Beim Aufstieg zur ökonomischen und militärischen Großmacht gefährde China jetzt die Grundpfeiler der internationalen Wirtschaftsordnung, weil es den freien Handel und überhaupt den Zugang zu Rohstoffen behindere, schreibt MacDonald in der aktuellen Ausgabe des Cicero: „Mit großer Eile hat China in Afrika, Zentralasien und Lateinamerika Konzessionen ausgehandelt und Vermögenswerte gekauft, um seine Versorgung mit Erdöl, Metallen und Nahrungsmitteln zu sichern. In Afrika werden die Konzessionen bereits von chinesischen Soldaten bewacht.“ Na sowas! Da hatte Joseph Nye nicht zuletzt im Hinblick auf die chinesische Afrikapolitik den politikwissenschaftlichen Begriff der Soft Power geprägt, und dann schalten die Chinesen einfach mal so um auf Hard Power. Und zwar nicht nur in Afrika. China, um noch einmal James MacDonald zu zitieren, „hat seine Fähigkeit demonstriert, Satelliten mit bodengestützten Raketen zu bedrohen, hat eine landgestützte Flugabwehr-Trägerrakete entwickelt, die die US-Navy daran hindern soll, ihre traditionelle Rolle als Schutzmacht anderer ostasiatischer Länder zu erfüllen; und die Hochseeflotte wächst rasch, die Chinas Militärmacht in weit entfernte Regionen tragen soll“.

„Chinas Welt – Was will die neue Supermacht?“ titelt heute der Spiegel. Eine berechtigte Frage; denn „so wie es sich jetzt abzeichnet, wird es eine multipolare Welt so wenig geben wie eine unipolare. Es wird wieder eine Ost-West-Konfrontation geben, in der nur nicht mehr die UdSSR, sondern China die Rolle des Gegenspielers der USA übernommen hat. Die bipolare Welt 2.0.“ So zu lesen in Zettels Raum. Heimlich, still und leise baue China globale Machtpositionen auf, heißt es dort, „wie ein Schachspieler“. So mag es gewesen sein, wenn man rückblickend die letzten gut vierzig Jahre seit Kiesingers legendärem „Ich sage nur China, China, China“ betrachtet. Inzwischen aber ist China, will man im Bild bleiben, zum Blitzschach übergegangen. Von Soft Power, von Langsamkeit, gar von Heimlichkeit kann inzwischen keine Rede mehr sein. Es sei denn, man zählte diese Form von Heimlichkeit mit dazu: „Seltene Erden – China hält Exportquote künftig geheim“. Die Frankfurter Rundschau meldete am Freitag: „Das staatliche ,China Securities Journal` berief sich bei seinem Bericht am Freitag auf nicht genannte Regierungskreise. Üblicherweise veröffentlicht das Handelsministerium die Ausfuhrquoten der begehrten High-Tech-Rohstoffe zwei Mal im Jahr. Die Regierung will die Ausfuhr in der ersten Jahreshälfte 2011 um 35 Prozent drosseln.“  

Dazu muss man wissen, dass es sich bei den Seltenen Erden um die strategischen Rohstoffe überhaupt handelt. In zahlreichen Hightech-Bereichen werden Seltene Erden gebraucht, wobei China 97 Prozent der Weltproduktion innehat. Die USA beabsichtigen China wegen der Exportrestriktionen – in Bezug auf diese strategischen Metalle – vor der Welthandelsorganisation WTO zu verklagen. Nur zu! Kleine Zusatzinformation: der Weltmonopolist China benötigt selbst mehr Seltene Erden als die gesamte Produktionsmenge. Kurzum: der High-Tech-Branche steht weltweit eine dramatische Rohstoffkrise ins Haus. Die Volksrepublik hat hier – ganz unabhängig von ihrer Globalstrategie – alle Trümpfe in der Hand. Unterdessen arbeitet die chinesische Zentralbank daran, ihre Währung als globale Reservewährung aufzubauen – dies tatsächlich mit der strategischen Ruhe eines Schachspielers. Heute erreicht uns die Meldung, wonach China eine Möglichkeit entwickelt haben will, Plutonium und Uran aus abgebrannten Brennstoffen zu gewinnen.

Ein deutscher Europapolitiker hat kürzlich darauf hingewiesen, dass es seit langem nicht mehr um G7 oder G20 gehe. Vielmehr gehe es um G2 oder G3. „Entweder wird Europa der Dritte im Bunde mit China und den USA oder Peking und Washington entscheiden ohne uns„, sagte der EU-Kommissar für Energie. Unglaublich: es ist Günther Oettinger. Ob er dies inzwischen seiner Parteifreundin hat klarmachen können? Wie sagte sie es noch so treffend in ihrer Neujahrsansprache, unser aller Kanzlerin? „Wir haben erfahren, was möglich ist. Das ist wichtig, denn wir Deutschen sind uns unserer Stärken selbst nicht immer bewusst.“ Nun ja, und falls es mit dem Selbstbewusstsein demnächst mal wieder richtig bergab gehen sollte, immer dran denken: „Gute Freunde sind da, um zu helfen, wenn es einer braucht.“

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