Berlin, 22. Juli 2012 – Die Anthroposophie hatte als konkurrierende Weltanschauung erbitterte Gegner innerhalb des nationalsozialistischen Machtapparats. Sie fand aber auch zahlreiche einflussreiche Förderer und Unterstützer, unter diesen am bekanntesten der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß. Was machte die anthroposophischen Angebote aus Sicht ihrer nationalsozialistischen Unterstützer attraktiv? Gibt es eine Kontinuität vom „Dritten Reich“ bis in die Gegenwart? Von Andreas Lichte.
Berlin, 24. Februar 2012 – Waldorfschulen und Anthroposophie versuchten, mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten, wie es in einem Memorandum der Vereinigung der Waldorfschulen an Rudolf Hess offenbar wird:
Man erklärte, dass Waldorfschulen „in kleinem Maßstab das verwirklichten, was die Volksgemeinschaft im nationalsozialistischem Staat im Großen anstrebt“.1 Wurde die Anthroposophie von den Machthabern in Deutschland letztlich als weltanschauliche Konkurrenz wahrgenommen, so war sie in Italien eine willkommene „spirituelle“ Ergänzung des Faschismus. Hier konnten Anthroposophen ihren Traum von der „überlegenen arischen Rasse“2 ausleben, und daran arbeiten, Rudolf Steiners programmatische Aussage „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse“3 zu verwirklichen. Zur Anthroposophie im italienischen Faschismus und ihrer anthroposophischen Rezeption heute. Von Andreas Lichte.
„Rudolf Steiner war ein wahrhaft idealer Vorläufer des neuen Europa von Mussolini und Hitler. Ziel dieser Schrift war es, den Geist und die Figur dieses grossen, modernen, deutschen Mystikers für die Bewegung zu beanspruchen – eine Bewegung, die nicht nur politisch, sondern auch spirituell ist – eingeführt in die Welt von den zwei parallelen Revolutionen, der Faschistischen und der Nationalsozialistischen Revolution, denen Rudolf Steiner als echter Vorläufer und spiritueller Pionier in idealer Weise angehört.“4
So das Fazit von Ettore Martinolis Artikel „Ein Vorankünder des neuen Europa: Rudolf Steiner“, in dem er vor allem die
Prof. Dr. Stefan T. Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien, über Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Das Interview führte Andreas Lichte für die Ruhrbarone.
Andreas Lichte: Sie kennen Prof. Klaus Prange noch von Ihrer Zeit an der Christian-Albrecht-Universität in Kiel?
Stefan T. Hopmann: Ja, als einen der analytisch streng, sprachlich präzise schwierige Zusammenhänge beschreiben kann – garniert mit trockenem norddeutschem Humor …
Lichte: Neulich sprach ich mit Prof. Prange über Reformpädagogik, konkret, die Missbrauchsfälle in der Odenwaldschule. Prof. Prange sagte: „Familie als Profession ist bedenklich …“ Halten Sie auch die Rolle des Klassenlehrers in der Waldorfschule als „geliebte Autorität“ für problematisch?
Hopmann: Nicht nur für „problematisch“, sondern für gefährlichen Unsinn. Für mich klingt der Anspruch, „geliebte Autorität“ sein zu wollen, sehr nach „geliebter Führer“, einer irrationalen Form der Unterordnung. Schule als Familie stellt den Anspruch, wie eine Familie für alle Seiten des jungen Menschen zuständig zu sein. Wer so etwas will, vertritt eine totalitäre Pädagogik. Lehrkräfte sind nicht für das „ganze Kind“ zuständig, auch kein besserer Elternersatz, sondern ihre Aufgabe bezieht sich nur insoweit auf die Kinder, insoweit diese Schülerinnen und Schüler sind. Die Aufgabe der Lehrkräfte ist die professionelle Förderung von schulischen Lernprozessen. Natürlich müssen sie dazu auch über die sonstige Situation der Kinder Bescheid wissen, aber es ist weder ihre Aufgabe, noch für sie tatsächlich möglich eine pädagogische Gesamtverantwortung für ein Kind zu übernehmen. Genau so wenig ist pädagogisch vertretbar, von den Kindern zu erwarten, sie sollten ihre Lehrpersonen lieben. Auch das betreibt irrationale Unterordnung. Sie sollten ihre Lehrkräfte als pädagogische Professionelle achten, soweit sie guten Unterricht machen, aber sie müssen sie dafür nicht mehr lieben als ihren Zahnarzt.
Lichte: Der Klassenlehrer unterrichtet in den Klassen 1 – 8 alle elementaren Fächer, ist für die Schüler die einzige Bezugsperson: führt dies zu einer schicksalhaften Abhängigkeit?
Hopmann: Schicksalhaft klingt mir zu dramatisch. Das würde die doch begrenzte Rolle, die Lehrkräfte im Leben der meisten Kinder spielen, übertreiben. Die psychische Abhängigkeit von einer einzelnen Lehrkraft kann schwerwiegende Folgen haben, muss es aber nicht.
Lichte: Ist es nicht eine Überforderung des Klassenlehrers, 8 Jahre lang alle Fächer unterrichten zu müssen? Welche Qualität kann so ein Unterricht noch haben?
Hopmann: Natürlich hat die Konstruktion, eine einzelne Lehrkraft allzuständig sein zu lassen, zwei entscheidende Risiken: Zum einen gibt es keine Lehrkraft, die tatsächlich sämtliche Schulinhalte auf einem so hohen fachlichen Niveau beherrscht, dass sie die unterschiedlichen Lernbedürfnisse und Lernschwierigkeiten angemessen berücksichtigen kann. Die
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