Mit „Einige Nachrichten an das All“ hatte Kay Voges einen der ersten ganz großen Erfolge am Schauspiel Dortmund. Aus dem Text von Wolfram Lotz machte er einen Film, den er als Vorstellung im Theater zeigte. Die mediale Unschärfe wohnt allen Lotz-Texten inne. Das derzeit vielgespielte „Die lächerliche Finsternis“ ist ursprünglich ein Hörspiel, funktioniert aber ebenso auf der Theaterbühne. Auch „In Ewigkeit Ameisen“ ist zunächst Hörspiel gewesen. Doch Lotz‘ Texte hantieren ohnehin immer mit der Verwirrung der Mittel. Seine Besetzungslisten enthalten oft reihenweise so detaillierte wie kaum realisierbare Darstellerangaben und in seinen Regieanweisungen findet sich massenhaft völlig unmögliches.
Elektra im Schauspielhaus Dortmund: IS, Pegida und Revolte
Regisseur Paolo Magelli und Dramaturg Alexander Kerlin haben sich in der Inszenierung von „Elektra“ nach Euripides viel vorgenommen. Zu viel. Das Stück bietet ausreichend Stoff, um es in die moderne Zeit zu übertragen. Das über 2400 Jahre alte Stück ist immer noch relevant, in den vergangenen Jahrtausenden haben sich die grundlegenden Fragen des menschlichen Seins nur wenig verändert: Macht, Loyalität und Rache sind heute genauso aktuell wie damals.
Alles dreht sich um einen Königsmord, der an Agamemnon begangen wurde. Sein Sohn Orest kehrt nach seiner Flucht vor den Mördern nach Hause zurück, um den Tod seines Vaters zu rächen. Auch Elektra, die Tochter des erschlagenen Königs, will sich mit der Mordtat ihrer Mutter nicht abfinden. So ist voller Hass gegen ihre Mutter und jetzige Königin, die sich die Macht mit dem neuen König, ihrem Liebhaber, teilt. Regisseur Magnelli sieht in der Figur der Elektra das „Symbol der politischen Unzufriedenheit, die personifizierte, reine Revolte“.
Mit dieser Interpretation wird das Stück in die Jetzt-Zeit geholt. Regisseur Paolo Magelli, Intendant des Teatro Metastasio Stabile della Toscana, doch möchte keine soziologische Analyse auf die Bühne bringen, sondern: „Diese politische Klaustrophobie, die ich persönlich erlebe, kann ich nicht ertragen und muss daher versuchen (…) sie zu verarbeiten.“
Dramaturg Alexander Kerlin hält sich an die ursprüngliche Geschichte, krempelt sie aber gleichzeitig radikal um. Ein guter und interessanter Plan. Kerlin schrieb das über 200 Seiten starke Stück nicht nur umfassend um, sondern aktualisierte es bis zum letzten Probentag mit den sich überstürzenden aktuellen Ereignissen. In die Tragödie wurde work in progress der Mordanschlag auf Charlie Hebdot, die rechtspopulistische Pegida-Bewegung, die ansteigenden Flüchtlingszahlen, die IS-Morde in Syrien und im Irak und – ganz allgemein – die „ideologische Verwirrung“ angesichts uneindeutiger politischer Verhältnisse verarbeitet. Ein bisschen Kapitalismuskritik musste auch sein. Überraschend war schon eher das Zitieren von Bundespräsident Joachim Gaucks Statement: „Euer Hass ist unser Ansporn“.