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Jan Keitsch (AStA Ruhr Uni): Ohne Wenn und Aber: Studiengebühren sind unsozial!

Jan Keitsch, der Vorsitzende des AStA der Ruhr Universität Bochum,  hält nichts von Studiengebühren und antwortet in seinem Gastkommentar Stefan Winter. Der Professor an der Ruhr Universität hatte gestern erläutert, warum er Studiengebühren aus sozialen Gründen befürwortet. Jan Keitsch studiert seit 2007 Religionswissenschaft und Philosophie und ist Mitglied von Bündnis90/Die Grünen.

Befürworterinnen und Befürworter von Studiengebühren stehen spätestens seit vergangenem Sonntag mit dem Rücken zur Wand. CDU und FDP – die als einzige Parteien weiter an Studiengebühren festhalten wollen – wurden in Nordrhein-Westfalen abgewählt. Ob es zum von Konservativen und Neoliberalen gefürchteten Rot-rot-grünen Bündnis kommt, ist zwar noch ungewiss: Die Studiengebühren in NRW stehen allerdings auf der Kippe.

Damit hatten wohl auch Stefan Winter und seine Kolleginnen und Kollegen der Bochumer Wirtschaftwissenschaft gerechnet und bereits im Vorfeld eine alte Studie aufgewärmt, die die Erhebung der Studienbeiträge als „sozial gerecht und geboten“ bezeichnet. Mit Wissenschaft hat die „Studie“ jedoch wenig zu tun. Stattdessen werden die Leitideen ausgeschlachtet, die Noch-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart bereits seit Jahren predigt.

Kein Wunder also, dass der „wirtschaftswissenschaftliche“ Vorstoß an der Uni mit Unverständnis und Wut aufgenommen wurde. Schließlich müssen viele Studierende, die ohnehin häufig unter Hartz-IV-Niveau leben, für die Studiengebühren hart arbeiten. Das aktuelle Kreditsystem ist unsozial und sorgt dafür, dass die, die sich die Beiträge nicht direkt leisten können, dank Zinsen am Ende fast 250 Euro pro Semester mehr zahlen müssen. Zwar zeigt Winter auf, welche Alternativen es zum aktuellen Kreditmodell gibt – Vorteile gegenüber einer Gebührenfreiheit sind allerdings nicht zu erkennen, Nachteile dafür umso mehr.

Die Erhebung der Studiengebühren ist bereits jetzt ein bürokratischer Aufwand sondergleichen, der große Geldmengen verschlingt. Wenn jetzt noch die individuelle Förderung sozial Schwächerer statt einer generellen Gebührenfreiheit eingeführt werden soll, wächst das bürokratische Monster weiter an. Die Folge: Intransparenz der Entscheidungen und somit das weiterhin bestehende finanzielle Risiko für angehende Studierende. Der Abschreckungsfaktor Studiengebühren bleibt gewaltig, wenn sozial Schwächere letztlich nur in zu überprüfenden Einzelfällen gefördert werden.

Die wirkliche Alternative zu Studiengebühren ist die vollständige Finanzierung der Hochschulen aus Steuermitteln. Winter moniert, dass so auch die Personen für Unis zahlen müssen, die diese niemals von innen gesehen haben. Er bezieht sich dabei eindeutig nicht nur auf die Menschen, die mit geringer Bezahlung und ohne Aufstiegschancen „Akademikerkinder“ finanzieren müssen, sondern auch auf die, die ohne ein Studium viel verdienen.

Wer also viel verdient, aber nie die Leistungen einer Universität in Anspruch genommen hat, soll diese laut Winter also auch nicht in diesem Maße mitzufinanzieren haben. Mit dieser Logik müssten Autofahrer auch eine Steuererleichterung erhalten, da sie die subventionierten öffentlichen Verkehrsmittel nicht nutzen. Winters Studie zielt also ganz klar darauf ab, das Solidarprinzip im Bildungssystem abzuschaffen. Wer Bildung nutzt, soll gefälligst auch dafür bezahlen.

Dass viele Studiengänge jedoch eine wirtschaftlich derart unsichere Zukunft bedeuten, dass die Aufnahme von „Bildungsschulden“ mehr als riskant erscheint, sieht Winter offenbar nicht als Problem. Seine Studie kommt zu dem Schluss, dass es erstrebenswert sei, dass durch Studiengebühren immer mehr junge Menschen in Fächer wechseln, die „individuell rentabel“ sind. Fächer wie Philosophie oder auch Sozialarbeit dürfen laut der Studie also gerne aussterben. Bewertet wird nur anhand marktwirtschaftlicher Rentabilität.

Einen weiteren fadenscheinigen Grund für die Beibehaltung von Studiengebühren sieht Winter in der laut seiner Argumentation aus Gebühren entstehenden Mitbestimmung der Studierenden. Da es sich um ihr Geld handelt, dürfen sie auch mitentscheiden, was damit passiert. Dass dies in der Praxis nicht immer passiert, ist Winter natürlich bekannt. Die Studierenden sind starken Sachzwängen ausgesetzt und haben oft keine Wahl, gegen eine von der Fakultät gewollte Ausgabe der Geldmittel zu stimmen.

Mit der Taktik, „entweder durch Studiengebühren oder gar nicht“, sollen Studis dazu gedrängt werden, grundlegende Aspekte der Lehre aus Gebührenmitteln zu zahlen. Hinzu kommt oftmals ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Studierenden in Fakultätsräten und den Professorinnen und Professoren. Wer seinen Job als studentische Hilfskraft nicht verlieren will, stimmt besser nicht gegen den eigenen Chef. Besonders dann nicht, wenn dieser einem die Wichtigkeit eines bestimmten Projekts – auch im Hinblick auf das eigene Beschäftigungsverhältnis – nahe gelegt hat. Studentische Mitbestimmung muss unabhängig von solchen Sachzwängen existieren können. Die Realität sieht aber anders aus. Im Senat stellen Studierende nur vier von insgesamt 25 Sitzen, die professorale Fraktion stellt 13 Personen. Rein faktisch haben Studierende auf dieser Ebene also keinerlei Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Auch die Entscheidungskompetenzen der gewählten Studierendenvertretung sind mehr als begrenzt.

Denn ginge es nach den Studierenden, wären Gebühren schon längst Geschichte bzw. nie eingeführt wurden. Sowohl eine Urabstimmung vor Einführung allgemeiner Studiengebühren als auch die Ergebnisse der jährlichen Studierendenparlamentswahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Zum dritten Mal in Folge wurde in diesem Jahr ein Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) gewählt, der Bildungsgebühren von der Kita bis zur Hochschule in jeder Form ablehnt und gleichzeitig für die gleichberechtigte demokratische Teilhabe aller Statusgruppen an der Uni kämpft. Es bedarf keiner Studiengebühren, damit Studierende gleichberechtigt mit Profesorinnen und Professoren sowie den Angestellten in Mittelbau und Verwaltung die Uni gestalten können. Ohne den zusätzlichen finanziellen Druck wird es Studierenden sogar deutlich leichter fallen, sich stärker gestaltend einzubringen. Und letztlich zeichnet sich ein Studium doch gerade auch durch Selbstständigkeit und Gestaltungskraft aus.


KreativQuartiere: Keine Ahnung, keine Antworten

bochum_ladenlokalDie Idee klingt gut: Die Ruhr2010 GmbH will Angebote von Vermietern sammeln, die an Unternehmen aus dem Bereich der Kreativwirtschaft vermieten wollen. Peinlich wird es, wenn ein Vermieter bei der Ruhr2010 GmbH anruft.

Viele Unternehmen der sagenumwobenen Kreativwirtschaft haben es nicht leicht, Räume zu finden. Ob Büros oder Ladenlokale – vielen mit einer neuen, ungewöhnlichen Geschäftsidee wird mulmig, wenn sie langfristige Mietverträge unterschreiben sollen. Vermieter indes bevorzugen häufig solvente Ketten als Mieter und fürchten bei Gründern, dass sie, wenn es dumm läuft, vielleicht schon nach ein paar Monaten Mietausfälle riskieren. Die Ruhr2010 GmbH will vor allem Immobilienbesitzer davon überzeugen, auch an unkonventionelle Gründer zu vermieten und Angebot und Nachfrage zusammen bringen.

Im Frühjahr soll es endlich losgehen, vorgestellt wurde die Idee von Bernd Fesel, dem Projektmanager Stadt der Kreativität bei der Ruhr2010 GmbH schon im Herbst vergangenen Jahres.

Mir gefiel die Idee gut, und als ich erfuhr, dass der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum, eine Wohnungsbaugenossenschaft in der ich Mitglied bin, zwei leerstehende, preiswerte Ladenlokale in der Nähe des Bermudadreiecks hatte, schlug ich Norbert Reitz, dem Vorstandsvorsitzenden der Genossenschaft, vor,  die doch der Ruhr2010 GmbH anzubieten. Das Bermudadreieck heißt jetzt ja Viktoriaquartier und soll ein Kreativquartier werden.

Reitz gefiel die Idee, ich besorgte die Telefonnummer von Fesel, und er legte los. Vor ein paar Tagen bekam ich dann einen Anruf von Norbert Reitz: Die Genossenschaft hatte versucht, Fesel anzurufen – der war nicht da. Das kann schon einmal passieren. Etwas peinlich: Niemand bei der Ruhr2010 GmbH hatte von dem Projekt gehört. Nach einem langen Warten in der Telefonschleife gab es schließlich eine E-Mail Adresse. Ein Herr K. würde sich der Sache annehmen. Die Genossenschaft schrieb Anfang Februar daraufhin eine Mail an K. und wollte wissen, wie das so mit den Angeboten läuft, und welche Immobilien überhaupt interessant wären. Die üblichen Fragen, die man so stellt. Sie blieben unbeantwortet. Es gab auch keine Rückrufe. Der Gemeinnützige Wohnungsverein Bochum ist keine Klitsche: Er besitzt über 3.000 Wohnungen und etliche Ladenlokale. Für die Ruhr2010 GmbH offensichtlich kein Grund, sich zu einem Gespräch herabzulassen. Das Immobilienprojekt hat gute Chancen, der nächste Flop zu werden. Und eins der Ladenlokale ist auch schon wieder vermietet.

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Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Bochum: Konzerthausspender verbittert…Der Westen

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Selbstmord: Günter von Gravenreuth ist tot…taz

Nachruf: von Gravenreuth…Gulli

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Ruhr2010 I: Die Vermessung des Weltinnenraums…xtranews

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Castrop: Handwerker prüfen Sammelklage gegen Ayurveda-Hotel…Der Westen

Ruhr2010 II: Erfolgreiche Local Heroes…RP Online

Zensursula-Anhörung: Es bleibt viel zu tun!…Netzpolitik

3 FÜR 7 – Drei Interventionsmöglichkeiten für die aktuelle Woche



Gestern im Lokalteil der Regionalzeitung: Populistischer Klassenkampf reinsten Wassers. Ein „Frei“-Bad in Essen soll geschlossen werden, und die Nutzer argwöhnen schon in der Überschrift, das Geld würde stattdessen bestimmt wieder irgendeinem Theater zukommen. Nun arbeiten einige Theatermenschen ja schon seit langem daran, sich durch Anpassung an den Massengeschmack oder Einbeziehung sozialer Aspekte etwas unangreifbarer zu machen, aber das wird in sozialen Brennpunkten wie dem Ruhrgebiet in Zukunft wahrscheinlich nicht genügen. Erst recht wenn ein Blatt wie die WAZ/NRZ das Match „Freibad vs. Theater“ in einer Überschrift überhaupt aufmacht.

Warum nur? Weil die WAZ ja so der Anwalt der „Armen und Schwachen“ ist? Aber was macht ein Freibad sozialer als Kultur? Der hohe Grad an Elendsidylle? Wurde inzwischen locker vergessen, was diese Oase eben genau für ein Korruptionsding und Millionengrab war und ist, im Gegensatz zu vielen gut wirtschaftenden Kulturinstitutionen? Eines ist klar: Umso mehr Größenwahn sich die Kulturelite hier gönnt, desto schärfer schlägt der Backlash zu. Aufpassen, Ruhr2010. Und wehe, wenn nicht! (Aber dann sind die meisten ja wieder weg.) Nun zu: „Peer Gynt“, „Treffen außerirdischer DJs“, „2-3 Straßen“.

Öffentliche Probe und Premiere von „Peer Gynt“ (nach Henrik Ibsen, s. Foto) unter der Regie von Roger Vontobel (zuvor „Das Goldene Vlies“, „Die Orestie“) sind bereits ausverkauft – die Bewohner Essens scheinen sich nach wie vor nicht alle damit abgefunden zu haben, dass mensch doch gleich ins Stadion, den Puff oder die nächste Eckkneipe gehen kann. Und daran hat natürlich auch das Grillo unter Anselm Weber einen verdienstvollen Anteil. Mal schauen, ob die nächste Intendanz dann mehr „abschottet“ – dann können wir uns hier bald fragen, was nach den Zechen, Kirchen und Bädern denn mit all den leer stehenden Theatern passieren soll. Die Disco im Grillo läuft ja eh schon ganz passabel, und der sympathische Fußballverein von nebenan könnte auch mal mehr Geld bekommen – dann mucken seine Anhänger auch nicht auf. Vielleicht ein Thema für die WAZ?

Irgendwo lauern ja immer so ganz gescheit-verwirrte Leute und machen die Studierenden und ihr Umfeld nochmal richtig kirre, wo Luhmann, Chaos-Theorie, Habermas, Judith Butler und Genesis P. Orridge (haha, u.a. natürlich) schon genug für Verwirrung gesorgt haben. So ein Schlitzohr, irgendwo zwischen Anarcho-Songwriting und lebendem Interventionismus angesiedelt, ist Knarf Rellöm. Als irgendwann Chicks On Speed & Co. mit Sun Ra Namedropping angefangen haben, hat er sich direkt den Mantel des Psychedelic Free Jazz Mystikers übergeworfen (und nicht den von Sylvesterboy wie dereinst Schorsch Kamerun aus ähnlichem Umfeld) und so eine Art pseudo-metaphysischen Popart-Trash erfunden, der ihn anders als Tocotronic z.B., aber auch, weit vom üblichen „Glaubt mir, ich bin hier der Star“ weggeführt hat. Aus dieser Position heraus kann man denn auch mal einfach mit Mikro und Plattensammlung in der Goldkante auftauchen und als „King Fehler“ mit dem werten DiscoCaruso aus Essen … eine äh Post-Funpunk-Show abziehen. Inklusive all der handelsüblichen „White Nigger?, links oder nicht?, typisch Pudel, haha“-Doppelbödigkeiten, natürlich. (Bei Unverständnis bitte einfach „Hamburger Schule“ googlen und noch einmal Adorno vs. Habermas nachvollziehen. Buchtipp hier, Restexemplare gibt es bei der Mayerschen in Essen noch in geringer Stückzahl, aber immerhin. Scheint hier nicht allzu trendy zu sein.)

Ein alter Schulkollege des Schreibers dieser Zeilen wohnt nun für genau ein Jahr in Dortmund, und zwar als einer der Bewohner von „2-3 Straßen“. Er wohnt dort mietfrei, schreibt hin und wieder etwas in eine Maschine, und der Künstler Jochen Gertz macht aus diesen Texten wie aus denen vieler anderer Bewohner dann am Ende etwas. Um zum Beginn dieses Textes hier zurück zu kommen: Das kostet wenig, bringt Menschen verschiedenster Art im Rahmen eines Kunstprojektes zusammen und interveniert so an drei „toten Punkten“ der Städte Dortmund, Duisburg und Mülheim. Überhaupt richten sich ja derzeit viele Kameras auf die Problemzonen der hiesigen Städte und tun den Standortpolitikern der Region eben nicht den Gefallen, auf die gewünschte „Heile Welt“-Show 2010 hereinzufallen – die mit dem tollen Tourismus- und Investorenanlock-Effekt, wir erinnern uns vage. Ist das nun eine Schweinerei der Metropolenkonkurrenz oder einfach ganz normaler Katastrophentourismus? Der Schreiber dieser Zeilen wird die „2-3 Straßen“ bzw. eine davon jedenfalls mal im Laufe des Jahres hin und wieder aufsuchen um zu sehen, was Kunst und Menschen in einem schwierigen Stadtteil leisten können – ganz ohne verspätetes Freibadlobbyistenfußvolk. Mal schauen, ob all die mehr oder minder „kreativen“ Mieter und ihre „prekären“ Nachbarn ganz neue „prä-revolutionäre“ Verbindungen eingehen (und wo die Gentrifizierungsdebatte dann ist).

(Erstaunlich viele Anführungszeichen diesmal, Verzeihung. Sind nicht Titel gemeint, so ist es wohl weil die gebräuchlichen Begriffe einfach … mies, aber gebräuchlich sind.)

„Peer Gynt“ u.a. am 27. und 31. Januar im Grillo.
„Treffen außerirdischer DJs“ am Freitag in der Goldkante.
„2-3 Straßen“ noch bis zum 31.12.2010.

Der ewige Opel-Patient

Bochum muss nach dem geplatzten Deal mal wieder um seine Jobs beim Autobauer bangen

Foto: Ruhrbarone

Bochum. Als sich morgens um kurz vor sechs Uhr die Kameras auf ihn richteten wusste Daniel Hadert sofort: Sein Job ist in Gefahr. „Es ist die fünfte Krise die ich durchmache“, sagt der 42-Jährige Bandarbeiter bei Opel. Aber diesmal sei alles noch viel schlimmer. In der ersten Schicht des Tages sei es still gewesen unter den Opelaner. „Was sollen wir denn noch sagen?“, fragt der schlaksige Mann.

Vielen Arbeitern scheinen am Tag nach der überraschenden Wende von General Motors die Worte zu fehlen. Beim Schichtwechsel rennen sie im Nieselregen zu ihren vorm Werkstor geparkten Astras und Omegas. Sie kennen die Rituale der Krise, die fragenden Reporter, die Kameras. Vor wenigen Monaten erst bangten sie um einen Milliardenkredit der Bundesregierung, dann hofften sie auf einen Verkauf an Magna. Nun beginnt das Spiel von vorne.

„Reine Veräppelung war alles“, sagt Ralf Beneke und setzt sich in seinen historischen und giftgrünen Ascona. Unter der Belegschaft blühen inzwischen ganz eigene Theorien über den geplatzten Deal. „Es ist doch sonnenklar, dass ein Amerikaner einem Russen nichts verkauft“, sagt Beneke. Und die Bundesregierung habe nur versucht, sich über die Wahl zu retten. „Das ist ein ganz übles Spiel“, sagt er und macht mit dem Zeigefinger das Kotzzeichen. Seiner Meinung nach sollte nun nicht mehr über Lohnzugeständnisse verhandelt werden. „Wir haben die letzten zehn Jahre verzichtet und gebracht hat das gar nichts“, sagt er aufgebracht. Am Ende würden alle nur weniger Arbeitslosengeld bekommen. Die Bochumer sind ausgelaugt. Sie haben das Gefühl, bei ihnen würde immer als erstes gespart, schlimmer als am Hauptwerk in Rüsselsheim. „Wir sind am Ende der Kette“, sagt Beneke.

In der Krise sind die Opel-Arbeiter zwischenzeitlich immer mal wieder zu Konkurrenten geworden. Schon immer hat General Motors versucht die einzelnen Werke gegeneinander auszuspielen. Dabei hat bislang jedes Werk bluten müssen. Knapp 6000 Menschen arbeiten bei Opel in Bochum, 35 Betriebsräte wachen über die Löhne und Stellen. Früher eine dankbare Aufgabe: Die zu Spitzenzeiten rund 25 000 Arbeiter verdienten überdurchschnittlich, hatten viele Urlaubstage und jedes Jahr mehr Kollegen. Seit 15 Jahren kriselt es. Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann fordert nun eine harte Reaktion. „Wir können nicht nur zwei Stunden lang die Arbeit nieder legen und dann wird alles gut“, sagt sie mit Blick auf die so genannten „Informationsveranstaltungen“, die am heutigen Donnerstag republikweit stattfinden sollen. Jetzt müssten alle Werke in Europa zusammen stehen. „Wir werden um wirklich jeden Arbeitsplatz kämpfen“, so die Betriebsrätin. Ein bloßer Erhalt der Standorte sage noch gar nichts aus. „Das kann auch heißen das nur noch der Pförtner dort rumsitzt.“ Jahrelanges Feilschen um Stellen und Geld haben die Arbeitnehmervertreterin misstrauisch gemacht.

Vor vier Jahren waren sie noch mächtiger. Mit ihrem wilden Streik hatten sie damals die Produktion in Europa lahm legen können. Diese Druckmittel sind nun verschwunden– General Motors hat nach dem eindrucksvollen Arbeitskampf die Produktion der Werke unabhängig gemacht. Aus Bochum kommen nur noch einige Pressteile für England und Antwerpen. Nun können die Bochumer nur noch ihre eigenen Bänder still legen.

Eine bedrohliche Situation in einer Stadt, die erst im vergangenen Jahr 2500 Jobs bei Nokia verloren hat. Opel ist – neben der Ruhruniversität- der größte Arbeitgeber der Ruhrgebietskommune. Das Opelwerk ist für das Ruhrgebiet nicht einfach nur eine Fabrik. Es war seit der Ansiedlung in den 1960er Jahren ein Symbol für den Strukturwandel, für eine Zukunft nach der Zeche, auf deren Grundstücken die Werke hochgezogen wurden.

Heute reisen Politiker nur noch zu Krisengifpel an. Am heutigen Donnerstag werden sie sich wieder am Werkstor drängeln. Wie vor einigen Monaten und wie vor einigen Jahren. Karina Pietrowska wird dieses Mal nicht dabei sein. Die Produktprüferin „kann nicht mehr.“ Die zierliche Frau mit den wasserstoffblonden kurzen Haaren arbeitet seit zwanzig Jahren bei Opel, auch ihr Schwager und ein Onkel stehen in Bochum am Band. „Wir stehen ständig kurz vor dem Tod“, sagt sie und schließt demonstrativ ihre Augen. An eine neuerliche Wiederbelebung glaubt Pietrowska nicht mehr.

Wäre Bochum Literatur…

Bochum führt bekanntlich ein Buch im Stadtwappen. Gerne möchte die etwas zu große, zu leere Stadt auch als Literaturhochburg punkten. Kein Wunder, dass Wahlkampf hier ein Krieg der Wörter ist. Genauer: der Wie-Wörter. Mit einem klaren Ergebnis: Schlechter Stil. Mit Adjektiven unbedingt sparsam umgehen.

Fotos: ruhrbarone

Im Einzelnen:

"Menschlich" nennen sich sowohl CDU und SPD.

"Stark", SPD und FDP.

"Sozial", SPD und Soziale Liste.

"Mutig", CDU und SPD.

Als Alleinstellungsadjektive können wir nur "modern" für die CDU verzeichnen und "klug" für die SPD, bzw. "Dr." Ottilie Scholz.

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Hamlet in Hamme

Wegen Peter Zadek kamen Leute wie meine Eltern nach Bochum. Zwei Stunden hin, zwei zurück, Welttheater im Ruhrgebiet gucken, Hamlet in Hamme. Damals war ich zu klein, aber seit Jahrzehnten wohne ich nur ein paar Meter entfernt von der Fabrik, in der wilde Gestalten wie aus dem Gestiefelten Kater nicht weniger als sechs Stunden lang den kompletten Hamlet auf die Rampe wuchteten. 

Abbildungen: Gisela Schiedler, Zadeks Hamlet in Hamme, Bochum u. Frankfurt/M 1977.

Ich meinte ihre schweren Schritte immer noch zu hören, das Keuchen Ulrich Wildgrubers, das Getrippel von Eva Mattes, die schräge Rosel Zech, Hermann Lause, Magdalena Montezuma. Ich glaube, die war später auch mal bei uns zuhause, angetrunken.

So oder so: Die Aufführung in der leer stehenden Meier-Fabrik war Industriekultur, als es noch keine hochnäsigen Worte brauchte, um Leerstand wieder zu beleben.

Das Schauspielhaus blieb an der Haldenstraße, die Halle wurde zum Malersaal, bis sie 2001 Jahren einfach abbrannte. Heute ist hier nur noch Brache am Rande einer Grünanlage, die übrigens etwas später durch ihre seltsamen "Dogstoppsperren" auffällig wurde.

Zadek habe ich nicht im Ruhrgebiet erlebt – er nannte das hier "Kumpelland" – aber 1979 als Regisseur der "Dröhnland Symphonie"-Tour von Udo Lindenberg und später von  "Ghetto" am Hamburger Thalia. Jetzt ist der große Zadek also gestorben. Aber was sagt der König zu Hamlet: "In Trauer zu beharren, verrät einen gottlosen Trotz. Es ist unmännlich!"

Live vom Bildungsstreik-Streik

Wer will, kann heute aufgebrachten Studenten im Web folgen, die sind im Ausstand, dem so genannten Bildungsstreik. Es gibt dafür tweets
und urls – in Bochum freuen sich die Aktivisten schon wie Bolle, dass Kamerateams von SAT1 und WDR vor Ort waren. Heute Abend, twittert der Protestmob deshalb an seine Onlinegemeinde, Fernsehen gucken, Lokalzeit. Das ist natürlich lustig.

Denn ich sehe sie vor mir, die Studenten des Ruhrgebiets, wie sie Streik hin, Streik her, wie immer um 16:54 die U35 Richtung Bochum Hauptbahnhof nehmen, dort den Zug nach Wanne, den Bus nach Recklinghausen. Um noch rechtzeitig im elterlichen Reihenhaus im Jugendzimmer den Fernseher anzuwerfen, Sat1, 17:30, um es bloß nicht zu verpassen. Ihren Streik an der Uni: "Komma kumma Mutti, da hinten, das bin ich." Dann Abendbrot. Schreibtisch, etwas Daddeln.

Nein, vielleicht ist es auch ganz anders, bin ja nicht dabei. Aber wenn ich lese von "kreativen" Aktionen, die heute morgen mit einem "Paukenschlag" eröffnet werden sollten, dann glaub ich nicht dran, nicht an Streik, nicht an Studentenbewegung.
Ist vielleicht ohnehin ein Missverständnis: Studenten und Revolution. Erst Recht im Ruhrgebiet, wo sie sich wie Azubis fühlen und führen, schon immer. Mit Schnittchen aus Tupperdosen, Thermotassen und für Zwischendurch auch den Apfel nicht vergessen.

Als ich selbst noch studentenbewegt war, in Bochum, da wollte ich natürlich auch die agitieren, die partout nicht agitiert werden wollten. Mittlerweile mag ich die Ruhr-Unis wie sie sind: Ausbildungungsbetriebe mit gewissenhaften, aber nicht übereifrigen, und, ich sag Ja zum Klischeee: bodenständigen Studentinnen und Studenten. Was braucht es da Streiks?