Jenseits vom Eden

Hotel Eden

Heute ist Totensonntag, der Weihnachtsmarkt ist geschlossen und so sitze ich in meiner Kammer und denke über den Tod nach. Ich denke nach über den schleichenden Tod des Hotels Eden am Ring in Bochum, das jetzt nach jahrelangem Leerstand abgerissen werden soll.

Obschon nur 5 Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, habe ich dieses Kleinod, diesen Sehnsuchtsort, erst viel zu spät entdeckt. Das 1956 erbaute Haus hat eine wahnsinnig sympathisch einfallslose und hässliche zeittypische Architektur, das Gebäude ist das, was man guten Gewissens mit "Schuppen" oder "Klotz" bezeichnen kann. Dann jedoch sieht man das Schild mit dem größenwahnsinnigen Namen Eden. War dies das Paradies? Es wird für niemanden das Paradies gewesen sein, weder für die Reisenden, die in den 50er Jahren hier abgestiegen sind, noch für die Damen des horizontalen Gewerbes, denen die Zimmer auch stundenweise überlassen wurden. Eher schon für ihre Freier, man weiß es nicht. Bis 1995 diente dann das Eden als Asylantenheim. Seitdem stand es leer. Und verfiel. Und erreichte seinen traurigen Charme einer alternden Diva.

2001 planten Studierende der FH Dortmund die Kunstausstellung "2 Wochen Eden". Unterstützt wurde das Projekt vom Kulturbüro der Stadt Dortmund, doch nach wenigen Tagen schloss das Bauordnungsamt das ehemalige Hotel aufgrund von Sicherheitsmängeln. Die Ausstellung wurde schließlich doch wieder geöffnet, aber nach den zwei Wochen gab es kein offizielles Leben mehr im Eden.

Vom geheimen Leben im Eden zeugen Gerüchte von wilden Raverparties und von innen gesprühte Graffiti an den Fenstern. Wenn man nachts auf der anderen Straßenseite steht und durch ein  geöffnetes Fenster sieht, wie sich die vergilbte Gardine bewegt, glaubt man Geister zu sehen, die Geister der Reisenden, der Nutten, der Asylbewerber, der Künstler.

Für viele war diese Ecke ein Schandfleck, sie sind jetzt froh, dass das Hotel, das tragender Wände beraubt wurde und als Eden somit keine Chance mehr gehabt hätte, abgerissen wird. Einen Steinwurf entfernt von Bochums neuen Prestige-Objekt, dem Viktoria-Quartier, will nun ein Investor einen Glückspielbetrieb, vulgo Spielhölle, errichten. Bis die Bagger kommen, werde ich noch oft auf der anderen Straßenseite stehen und die Gardine beobachten.

Intendant durch Initiativbewerbung?

Foto: volksoper.at

Eins ist ganz sicher: Die WAZ hat heute für eine Vorentscheidung im Bochumer Intendantenzirkus gesorgt. Anselm Weber, seit 2005 Chef des Essener Grillo-Theaters, soll Nachfolger von Schauspielhaus-Intendant Elmar Goerden werden, berichtet und kommentiert das Blatt.

Bochums Kulturdezernent, der aus Winterberg stammende Karl-Michael Townsend, habe seine Wahl getroffen. Zitate und Belege bleibt uns die Zeitung allerdings schuldig. Und fairerweise ist die Überschrift von "derwesten" auch recht vorsichtig ausgefallen: Anselm Weber wird hier nur als " sicherer Kandidat" geführt. Heute hat DPA nachgehakt und nun bestätigen Bochumer Stadtrats- und Essener Theater-"Kreise" die Geschichte. Auch das freilich ohne Zitate und Klarnamen.

Ich stelle mir eine Frage: Welche Geschichte wird von DPA bestätigt? Ist Anselm Weber designierter Nachfolger oder nur sicherer Kandidat im Pitch um den Chefsessel am Bochumer Traditionshaus. Das wäre nun wirklich gar nichts Neues. Vor allem nicht für die WAZ-Leser.

Mir haben Bochumer Theaterkreise übrigens schon vor drei Wochen bestätigt, dass Anselm Weber unbedingt Intendant an der Königsallee werden will. Er habe sogar – verriet mir eine Quelle und fremdschämte sich sichtbar – eigenhändig ein Bewerbungsschreiben an Kulturausschuss und Dezernenten in Bochum abgefasst. Mit der einstigen Theaterhochburg gehe es halt bergab, grummelte es in Theaterkreisen, da würde man sich auch mit zweitklassigen Konkurrenten aus Essen zufrieden geben. Früher, hieß es schließlich, früher sei das undenkbar gewesen! Und: Vorhang.

Schweres Knalltrauma*

Ich schwärme für den Reviersport. Früher habe ich mich auf jeden Wochentag mit "o" gefreut, dann gab es eine neue Ausgabe. Ich habe die Hefte sogar aufgehoben in Ikea-Schubern und sie erst Jahre später an einem traurigen Tag weggeworfen. Heute kaufe ich mir Reviersport nur noch selten, aber die Essener Durchhalter verehre ich immer noch; auch wenn das Blatt seit Frühjahr zur "Dr.Oetker" Gruppe gehört. Seit Anfang August bin ich nun zum Stammgast der Online-Ausgabe geworden. Denn hier schreibt Thorsten Legat. Nochmal: Thorsten. Legat. Schreibt. Kolumnen. Uff.

Foto: flickr.com

"Thorsten Legat schreibt" klingt erstmal wie "Michael Phelps ertrinkt" oder "Wolfgang Clement entschuldigt sich". Im ersten Moment dachte ich deshalb, ich habe mich verlesen: Dass Legat schreit, laut in den Diskant kippend, soll ja vorkommen. Aber nein, der Mann aus Bochum-Werne schreibt. Jede Woche. Und wie.

Die erste Kolumne hieß "Man meint, man hätte einen Panzer auf dem Rücken". Was für ein Titel. Ich habe es vor mir gesehen: Tarzan Legat auf der Außenbahn, seine Rufe kreischen über den Platz, japsend trägt er einen Leo II. auf dem verschwitzten breiten Kreuz. Ansonsten handelt der Erstling von der ersten Pokalrunde mit eigenen Gesetzen gegen unterklassige Mannschaften. Naja. Legat verspricht natürlich die eine oder andere Überraschung, mutmaßt, dass Borussia es in Essen schwer haben wird. Es kam anders, Schwamm drüber.

Legats zweiter Streich "Van Buyten hatte nicht einmal Bezirksliga-Niveau" kann dann das Niveau der Überschrift locker halten. Eine Tirade gegen hüftsteife, übergroße Verteidiger: "Was bringt mir ein Sechs-Meter-Mann, der in der Luft alles wegholt?" fragt sich der menschgewordene Außenbordmotor. Natürlich rein rhetorisch. Um dann einzuräumen, dass alle Bundesligisten im DFB-Pokal eine Runde weitergekommen sind, "hätte ich nie gedacht!" Selbstkritik bei Legat, das ist zu schön.

"Bei der E-Jugend in Wermelskirchen sind genauso viele Leute am Seitenrand" ist dann die dritte und wohl reifeste Arbeit des hauptberuflichen Übungsleiters von TuRa Rüdinghausen. Hoffenheim an der Tabellenspitze ist für Legat ein Alptraum. Seinen beiden Söhen habe er beim Fernsehgucken erstmal erklären müssen, wo Hoffenheim liegt – wenn man die Tabelle umdrehe, da gehöre der Club hin, beklagt der einstige Star des VfL Bochum. Den Leuten, die jetzt meinen würden, Hoffenheim könne Meister werden, hält Legat eine schallendes "Was denn, Kartoffelmeister?" entgegen, um sich kurzerhand mit einem routinierten "Ich bin mal gespannt, wie es weitergeht" zu verabschieden. Ich bin es auch, Herr Kollege, ich bin es auch.

*Ach ja: Georg Koch schreibt leider noch keine Kolumnen, wären aber gewiss lesenswert. Mein Lieblingstorwart hat sich am Wochende beim Wiener-Derby verletzt, ein Feuerwerkskörper explodierte neben seinem Ohr. Diagnose, auch auf Reviersport gelesen: "Schweres Knalltrauma". Ganz zauberhaft.

History Repeating

Schön, ne! Super Foto, Gerdas Durchschnittsfamilie traumhaft aufm Tippelsberg (ja?). Nur das reingestempelte "unbeugsam seit 1848" stört. Ist mir ein bisschen viel historische Kontinuität für einen von den Nazis zusammenfusionierten Verein. Aber dafür steht man motivisch ganz auf Seiten von Freedom & Democracy: 


Andererseits, wer "Flags of our Fathers" beziehungsweise "Letters from Iwo Jima" gesehen hat, weiß selbst das nicht mehr so genau. Letztlich funktionierte das übrigens gestellte Flaggen-Photo aber als prima Werbemaßnahme für neue Kriegsanleihen.

Und was das Fußballerisch zu bedeuten hat?

1) Ein anderes un-wort "unabsteigbar" brachte dem VfL schon einmal Pech

2) Würde gerne wissen, wie die Fußballfan-Adaption der amerikanischen Siegerästhetik im pazifischen Krieg dem Japaner Ono im Kader des Bundesligisten gefällt.

3) Tatsächlich haben die US-Truppen den Kampf um Iwo Jima nach Wochen mit tausenden Toten gewonnen und schließlich eine fast unbewohnbare Insel erobert. Was könnte uns das über den Saisonverlauf 2008/09 sagen? Wahrscheinlich: Nichts. 

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„Wer bin ich?“ Oder: Ein heiteres Präsidentenraten

Ich traf T. auf dem Treppenabsatz wieder. Nach zehn Jahren. Hat mich gefreut. Sein neuer Arbeitsplatz mache ihm Spaß bislang, sagte er, es werde hier längst professionell gearbeitet, sagte er, auch deshalb könne er die Kritik am Lieblingssündenbock, sagte er, nicht ganz nachvollziehen, der nehme sich das nämlich sehr zu Herzen, sagte er, vielleicht zu sehr, sagte er noch. Dann klingelte sein Telefon, "da ist er ja", Abschied. Kleines Ratespiel: Wer ist wer?

Es freut mich wirklich, dass einer wie Thomas Ernst jetzt in Leitungsfunktionen im Bundesligafußball steht. Dass Leute wie Klaus Hilpert weg sind. Dass in Dortmund ein fröhlicher Brillenträger den Fußballlehrer gibt. Dass die magenbitteren Zeiten vorbeigehen. Dass "my generation" dran kommt.

Denn wer hätte sich vor zehn, fünfzehn Jahren vorstellen können, dass der Pressesprecher von Schalke ein ironisches Vademecum über seinen Verein zusammenträgt? Dass sein Kollege beim VfL Bochum auch mal ein Programmkino managte. Dass bei Rot-Weiß-Oberhausen ein Theatermannn den Laden zusammenhält, dass ausgerechnet dort, am trüben, tristen Niederrheinstadion, heiter mit Malocherschichten und anderen Ruhrgebietsklischees geworben wird – und dazu ein Überraschungsaufstieg in die Zweite Liga gelingt!

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass einer wie Thomas Ernst Bochum-Manager wird, der seinerzeit als Lizenztorwart mit Hools, Ultras, Fanzinemachern und Bochumer-Schauspielhaus-Leuten schräge Abende organisierte? Blau-weiße-Montage hießen die zu frühen Vorläufer von Scudetto und Co.  Gestandene Fußballprofis spielten da im Theater Unten zu den Klängen des unvergleichlichen Mambo-Kurts etwa das Rateteam von "Was bin ich?". Einer wie Michael Bemben gab dann Annette von Aretin oder Marianne Koch – erst mit Scham, dann mit großem Vergnügen.

Einerseits. Andererseits finde ich es gut, dass es Leute wie IHN beim VfL gibt. Den alten, knirschenden, lispelnden Ruhrpottpatron. Unaustauschbar. Unmöglich. Unangepasst. Godfather of Fußballbochum. Also: Wer ist er? (Moritz Fiege stimmt nicht)    
 

 

Bochum-Total: der Sonntag

Meine kleine Rundtour-Empfehlung für Bochum-Total heute: Leland P., Fotos, Schwefelgelb, Polarkreis 18 und Alec Empire.

Nach dem kaum zu toppenden Auftritt meines persönlichen Favoriten Belasco am Freitag – dazu später mehr – und einem Tag Zwangspause hier meine warmen Empfehlungen für das heutige Programm auf Bochum-Total:

Leland P. – 16.00 Uhr, WAZ-Bühne – Ambient / Electro / Nu Jazz aus Bochum/Krefeld

Fotos – 17.00 Uhr, 1Live-Bühne – deutscher Indie-Pop/Rock aus Hamburg

Schwefelgelb – 18.15 Uhr, Ring/Schattenreich-Bühne – New Wave Trash/Electroclash aus Essen; demnächst auch auf dem juicy beats im Westfalenpark (2. August)

Polarkreis 18 – 19.30 Uhr, 1Live-Bühne – Emo / Electro / Indie-Pop aus Dresden

Alec Empire – 20.45 Uhr, Ring/Schattenreich-Bühne – Electro / Rock / Electronica (Ex-Atari Teenage Riot Frontmann)

Der Preis ist heiß

Foto: Flickr/ doergn

 

Heute Abend ist es wieder soweit: zum vierten Mal werden in der Bochumer Jahrhunderthalle die Steiger Awards verliehen. Steiger Awards? Was ist das? Ein Orden für verdiente Bergleute? Nein, der „Preis, entstanden aus Privatinitiative und dem Wunsch der kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Förderung der Rhein-Ruhr-Region, wird alljährlich an Persönlichkeiten verliehen, die sich besonders in den Bereichen Toleranz, Charity, Musik, Film, Medien, Sport, Umwelt und das Zusammenwachsen der europäischen Staatengemeinschaften verdient gemacht haben.“ Also ein Preis für ALLES, Mufuprix, Multifunktionspreis. Es fehlt lediglich die Kategorie Kochen, in heutigen Tagen ein gehöriger Lapsus, da jeder kocht, dies am liebsten vor der Kamera und die Fernsehnation hingerissen zuschaut.

Der potthässliche Staubfänger, der von Design her an schwiegermütterliche Weihnachtsgeschenke angelehnt ist, wird in einer Gala-Veranstaltung verliehen. Gala-Veranstaltung bedeutet, dass es eine Moderatorin gibt, Andrea Ballschuh, welche 1991 das Gymnasium Alexander von Humboldt mit dem Abitur abgeschlossen hat und seitdem eine steile Karriere hingelegt hat: „Mein Zittau hat 3 Ecken“, „Ein Tag rund um den Verzicht“ und „quickie – das schnelle Quiz“ stellen die Highlights ihres (MDR)-Fernsehschaffens dar. Damit Fräulein Ballschuh sich nicht einen Wolf moderiert oder die Gala-Veranstaltung nicht zum Quickie verkommt, engagierte Chef Sascha Hellen unter anderem das Ensemble des Musicals Mamma Mia als Show-Einlage. Abba ist gut, Musical ist gut, nur schade, dass es im Ruhrgebiet kein Fernsehballett gibt, das hätte sich bestimmt auch prima bei dieser Veranstaltung gemacht.

Für nur € 175,00 inklusive der sehr kruden Mischung bestehend aus einem Drei-Gänge-Menü (man muss ja was im Magen haben, wenn man 13 Preisträger samt Laudatoren durchstehen soll), Begrüßungscocktail (Club Las Piranjas?), Galabuch (Abi-Zeitung vom Gymnasium Alexander von Humboldt? Starschnitte der Preisträger, die man sich mit güldenem Edding unterschreiben lassen kann) und aller Gebühren (Gebühren? Vergnügungssteuer? Zwangsspende für die „Charity“?). Immerhin haben alle Preisträger ihr persönliches Kommen zugesagt, da gibt man doch gerne mal € 175,00 inkl. aller Gebühren aus, um Persönlichkeiten wie: Edmund Stoiber (Kategorie Europa), Hape Kerkeling (Kategorie Entertainment) Jens Lehmann und Egidius Braun (Kategorie Sport) und Udo Jürgens (Kategorie Musik) zu sehen. Der Untergang des Abendlandes manifestiert sich in den Kategorien Charity und Nachwuchs: Claudia Cardinale sowie Jimi Blue und Wilson Gonzalez Ochsenknecht. Zweimal Idole ihrer Zeit, hier Hauptdarstellerin von Spiel mir das Lied von Tod, dort die hauptamtlichen Söhne von Uwe Ochsenknecht und Darsteller der wilden Kerle. Jimi Blue sagte in einem Interview mit dem SZ-Magazin, dass er mit der Schule aufgehört habe: „ich habe zwar noch einen Privatlehrer, wegen der Bildung, aber sonst ist Schule einfach nichts für mich.“ Na dann. Wenn Jimi Blue nur ein Fitzelchen Bildung aus den Gesprächen mit den Preisträgern oder Laudatoren mitnimmt, hat sich der Abend ja wenigstens für einen gelohnt.

Die Häschenschule ? Einer flog über das Kuckucksnest II

Foto: Flickr/Lexnger

Löffelalarm! Hasen sind hip, keine Frage. Ostern steht vor der Tür und Til Schweiger hat uns vorgemacht, dass Ohren nicht unbedingt notwendig sind, Keinohrhasen tun es auch. Jorinde Dröses Bochumer Psychiatrie-Patienten fühlen sich wie Hasen und setzten sich große Plüschhasenköpfe auf. Mit sehr großen Ohren, welche traurig nach unten hängen, wenn die Patienten gemeinsam bei der Gruppensitzung auf ihren durchsichtigen Hüpf- – pardon – Sitzbällen hocken.

Eine Woche nach der Premiere am Theater Oberhausen hat jetzt auch das Schauspielhaus Bochum seine Version von Dale Wassermanns Drama auf die große Bühne gebracht. Zweimal hintereinander das gleiche Stück zu sehen verheißt Langeweile, indes gelingt Jorinde Dröse in Bochum eine zauberhafte Inszenierung, die unbedingt sehenswert ist.

Während das Oberhausener Regieteam die Geschichte um eine Flüchtlingsthematik erweitert, bleibt die Bochumer Regisseurin näher am Text, was diesem gut tut, das Stück ist klarer und besser verständlich, da weniger Text gestrichen wurde. Von Anfang an ist hier klar, dass Häuptling Bromden nicht wirklich taubstumm ist. Mittels Videotechnik erzählt er seine Geschichte. In graubraun gestreiften Pyjamas putzen seine Kollegen von der Station die Bühne mithilfe von aus Pappe und Papier gefertigten Wischmopps, Bohnermaschinen und Sprühflaschen. Zusammen mit den Bällen und den Hasenköpfen ergibt sich eine Ästhetik der Unwirklichkeit, die perfekt die Situation der Patienten verdeutlicht: der großen Schwester Ratched unterlegen, kindlich verspielt und eben ein bisschen verrückt. In diese Spielwelt platzt McMurphy. Alexander Maria Schmidt spielt ihn laut und großmäulig, ist aber weniger cool als Martin Müller in Oberhausen.

Jorinde Dröse schickt ihr Ensemble auf einen Angelausflug, welcher den Höhepunkt der Inszenierung darstellt. Mittels Video sieht der Zuschauer die Patienten der Station mit ihrem Arzt Spivey in kindergartenbuntem Ölzeug in ein Pappauto steigen, um auf einem Pappschiff nach Pappfischen zu angeln. Über den Umweg Video wird hier virtuos mit dem Medium Theater gespielt: alles ist aus Pappe, also sehr artifiziell und im Hintergrund sieht man noch die Bühnentechniker das Schiff bewegen. Ganz entspannt besinnt sich das Theater auf seine Qualitäten und liefert eine wundervolle Szene, die das Premierenpublikum mit Szenenapplaus belohnte.

Die Bochumer Inszenierung ist nicht perfekt aber überaus charmant, weswegen Einer flog über das Kuckucksnest zur Kultinszenierung avancieren könnte.

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Netzer der Woche: Marcel „Lachflash“ Koller

Screenshot reviersport.de

Begründung: Marcel Koller ist der Wochen-Netzer, weil
sich der Bochumer Trainer über den allerersten Bochumer Sieg im Weserstadion nach 37 Jahren
so ungemein mitreißend freuen kann, die Apres-Ski-gestählte Stimmungskanone aus der Schweiz, Hut ab!

Ja, man freut sich richtig mit, wenn Koller (in fröhlichem anthrazit-schwarz) sagt (dazu verschränkte Arme): "Nee, (kopschüttelnd) die Freude (fragend) ist da (Sorgenfalten) und das sieht man auch (Blick schweift …) – in den(… zum Fenster) Trainingseinheiten (Augen verdüstern sich), den Spielen, (nochmal leichtes Kopfschütteln) das hat eigentlich (Betonung, Pause) sehr viel Spaß gemacht (Augen zugekniffen).

PS: Der erste der Bochumer Versuche auf Bremer Boden einen Sieg zu erringen, endete 2:0 für Werder und fand 1971 statt. Genauer: Am Todestag von Nikita Chruschtschow – übrigens ein 11.9. (sic!)

schurians runde welten: Global Player

Foto: Ruhrbarone 

"Jetzt gewinnen wir hier immer." (Martin Maltritz)

Dass Fußball spielen auch nur eine Arbeit ist, weiß, wer sich Spiele in Schottland ansieht. Es ist deshalb überhaupt kein Zufall, dass es ein schottischer Profi war, der für dieses denkwürdige Urteil am Internationalen Sportgerichtshof gesorgt hat: Dank Andrew Webster wird die Macht der Clubs über ihre Spieler eingeschränkt. Der moderne – auf reichlich Schmerzensgeld fußende – Menschenhandel wird etwas fairer, die Freizügigkeit der balltretenden Angestellten gestärkt.

Fortan dürfen Profis nach zwei, maximal drei Jahren ihren Arbeitsvertrag einseitig kündigen. Der bisherige Club erhält keine Ablöse mehr, sondern eine Entschädigung, die sich am Gehalt des Abgängers orientiert. Einzige – höchst fragwürdige – Einschränkung: Der Spieler muss ins Ausland wechseln.

Foto: Ruhrbarone


Da, wo Andrew Webster dem Ball hinterher läuft, fühlt sich alles etwas kälter, feuchter, schwerer an. Auch dieses Pokalspiel in Paisley war nichts als harte Arbeit für alle Beteiligten: Die Maskottchen, Pandabären mit Bierbauch, mussten sich in der Halbzeitpause mit den Ersatzspielern warm machen. Die Zuschauer warteten bis zum Schlusspfiff auf einen Treffer und warteten und warteten. St. Mirrens Mittelstürmer namens Mehmet unterlief tatsächlich jeden Abschlag seines Torwartes. Nur die leise aufkeimende Angst meiner deutschen Kleingruppe vor einer Verlängerung war natürlich unbegründet. Das unentschiedene Spiel muss wiederholt werden. St. Mirren muss nach Dundee. Ohne deutsche Kleingruppe.

Schwierig zu sagen, was das Webster-Urteil auslösen wird. Ich glaube, dort wo Fußball Arbeit ist, wird es immer hektischer zugehen. Ein Verein, der mit Spielern und Ablösesummen spekuliert, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, als die besten Spieler mit Gewinn zu verkaufen, um weiterhin ein konkurrenzfähiges Team aufbieten zu können, sprich: der VfL Bochum wird förmlich zum Spielerverlauf gezwungen. Wenn Profis schon nächste Saison kündigen können, müssen sie an den Mann gebracht werden, so lange es Geld für sie gibt.

Ich glaube, hier irrt der eigentlich so angenehm unaufgeregte Bochumer Geschäftsführer Ansgar Schwenken, wenn er auf deutsches Arbeitsrecht pocht. Was im Arbeitsplatzwechsel zwischen EU-Staaten gilt, wird auch in Deutschland durchgesetzt. Zum Schaden der kleineren Clubs. Und der noch kleineren. Und der noch kleineren…

Andererseits, ein Verein, der in Bremen gerade eines der ehernen Naturgesetze des Fußballs aus den Angeln gehoben hat, der wird wohl auch dieses Erdbeben auf dem Transfermarkt überstehen. Wir anderen müssen uns dank Globallisierung daran gewöhnen, das wir, kaum das wir einen Spielernamen stolperfrei, unfallfrei, stotterfrei aussprechen können, schon einen nächsten lernen müssen.