Die Wut über das Aus von Nokia und die Weigerung, über eine Perspektive des Bochumer Standortes auch nur zu reden, hat zum Nokia-Boykott im Ruhrgebiet geführt. Die Oberbürgermeister und Landräte des Reviers haben heute beschlossen, ihre Verwaltungen anzuweisen, künftig keine Geräte des finnischen Unternehmens mehr zu kaufen. Landrat Jochen Welt: „Das Verhalten von Nokia ist hinterfotzig und ein schwerer Schlag für das Ruhrgebiet. Alleine im Kreis Recklinghausen kostet das Nokia-Ende 375 Arbeitsplätze. Daran hängen aber noch die Familien und die Geschäfte vor Ort. Insgesamt sind hier Tausende betroffen.“
Welt fordert zudem eine Änderung der Subventionspraxis: „Das Nokia-Aus ist auch eine Niederlage der auf Subventionen aufbauenden Wirtschaftsförderung. Die Verpflichtungen, die mit dem Erhalt von Wirtschaftsförderungen verknüpft sind, müssen verschärft werden."
Welt, auf dessen Initiative hin der Nokia-Boykott im Ruhrgebiet zurückgeht, will heute gemeinsam mit dem Personalrat des Kreises Recklinghausen auch die Mitarbeiter auffordern, künftig keine Nokia-Handys mehr zu kaufen.
Parteipolitik mit Nokia wird populär
Zur Ankündigung von Nokia, den Standort Bochum platt zu machen, sagt der Bochumer Europaabgeordnete, Dr. Frithjof Schmidt von den Grünen:
"Ich begrüße die klaren Worte von Kommissions-Präsident Barroso heute im Europa-Parlament. Die Verwendung von Geldern aus den EU-Strukturfonds für eine Produktionsverlagerung nach Rumänien, Ungarn oder Finnland ist nicht zulässig. Die EU-Regeln sind hier eindeutig."
"Das hat Präsident Barroso heute klar gestellt und eine Überprüfung des Vorgangs angekündigt. Die zuständige Kommissarin Hübner hatte schon vorher erklären lassen, dass bisher keine Gelder geflossen sind. Die Regeln sind klar: Sollte Nokia zukünftig entsprechende Anträge stellen, muss die Kommission sie ablehnen. Sollten aber doch Gelder geflossen sein, war das unzulässig und das Geld muss zurückgezahlt werden."
"Dass in Rumänien und Ungarn Gelder des PHARE-Programmes für die Schaffung von Infrastruktur in Industrie-Parks verwendet werden – wie entsprechende Mittel in Deutschland auch – ist nicht zu kritisieren."
Offenbar war der Zungenschlag von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel aber tatsächlich anders: Zunächst hat er europäische Hilfen für die Verlegung der Bochumer Nokia-Fabrik nach Rumänien ausgeschlossen. Strukturmittel für die Verlagerung von Betrieben habe es auf jeden Fall nicht gegeben. Es habe schlicht Geld für den Bau von Industrieparks gegeben, das war alles – laut Barroso.
Das muss dann auch der Grüne Haudrauf einsehen und sagt kleinlaut:
"Dass in Rumänien und Ungarn Gelder des PHARE-Programmes für die Schaffung von Infrastruktur in Industrie-Parks verwendet werden – wie entsprechende Mittel in Deutschland auch – ist nicht zu kritisieren."
Und dann rief Barroso nicht zur Generalinventur der rumänischen Wirtschaftsförderung auf, so wie es der besorgt tuenden Schmidt nahelegte. Stattdessen forderte der Komissionschef seine "deutschen Freunde" auf, "den Mut zu haben, auch über die Vorteile der EU-Erweiterung aufzuklären". Schließlich müsse es erlaubt sein, Betriebe von Deutschland nach Rumänien zu verlagern, wenn auch Fabriken von Finnland nach Deutschland gebracht werden könnten. Alles egal laut Barroso, schließlich blieben die Arbeitsplätze innerhalb der EU.
Zur Ehrenrettung des Grünen muss gesagt werden, dass auch die anderen Politfreaks versuchen ihr Kapital aus der Nokia-Krise zu schlagen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung prüfe, ob sie vom finnischen Mobilfunkkonzern 17 Millionen Euro aus Fördermitteln zurückzufordern könne, sagte die NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Möglicherweise seien mit den Subventionen verbundene Beschäftigungszusagen nicht eingehalten worden. Ihren Angaben zufolge hat Nokia öffentliche Mittel in Höhe von 88 Millionen Euro kassiert. CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers warnte den Weltmarktführer für Mobiltelefone deshalb schonmal vor einem Image als "Subventionsheuschrecke", die Fördermittel kassiere und dann weiterziehe.
Aber was soll das ganze Theater? So funktioniert das nunmal. Produziert wird da, wo es billig ist und den meisten Profit bringt. Die Scheingefechte um Subventionen bringen nicht viel. Sie sollen nur verdecken, dass die Politiker nicht viel tun können. Der Konzern Nokia ist Herr seiner Dinge. Wenn er seine Fabrik verlagern will, kann er das tun. Wenn er die Leute rauswerfen will, kann er das tun. Wenn er sein Kapital in Brausepulver oder irische Kokosnüsse investieren will, darf er das. Die Finnen von Nokia können ihre Kohle sogar einfach nur versaufen. Dagegen können Rüttgers und Co nichts tun.
Was bleibt, ist die moralische Keule. Der Grüne Schmidt schwingt sie:
"Ein Skandal ist dagegen das Verhalten der Nokia-Führung. Sollten sich die Informationen bestätigen, dass das Nokia-Werk in Bochum Gewinne und keine Verluste gemacht hat, verstößt seine Schließung gegen alle Grundsätze einer sozial verantwortlichen Unternehmensführung, wie sie im entsprechenden Verhaltens-Kodex für Unternehmen der OECD festgelegt sind. Der Haushalts-Ausschuss des EP wird sich mit dem Vorgang in seiner nächsten Sitzung beschäftigen."
Für Subventionen, um beim Scheingefecht bleibt, heißt das: Am besten lebt man ohne sie. Wer keine Beihilfen gibt, kann auch keine Beihilfen verlieren.
Zudem macht man den Leuten keine trügerischen und falschen Hoffnungen. Denn das ist das schlimmste.
Wenn das Vertrauen in die Zukunft zerbricht.
Und das ist in Bochum passiert. Es ist unredlich aus dieser Notlage der Menschen nun politisches Kapital schlagen zu wollen.
Zehn Gründe kein Nokia-Handy mehr zu kaufen
1. Die meisten Nokia-Handys der letzten Jahre sehen aus, als ob das Design von Menschen mit – sagen wir einmal, Problemen, entwickelt wurden.
2. Ich traue Unternehmen aus Ländern nicht, in denen es meistens dunkel ist und die Menschen selbstgebrannten Schnaps trinken. Das kann ins Auge gehen. Ausnahme der Regel: IKEA
3. Ich mag keine Subventionsempfänger
4. Handys sollten besser nicht explodieren
5. Die Bluetoothverbindung mit meinen Macs ist eine Katastrophe
6. Das iPhone
7. Firmen sollten nicht mit den Sprüchen von KZ-Eingangstoren werben
8. Man schleimt nicht gegenüber dem Wettbewerb. Obwohl – Steve wird sich totgelacht haben
9. Die Nokia Night of the Proms ist peinlich. Wirklich peinlich. Ganz schlimm. Ehrlich.
10. Sie schmeißen drei meiner besten Freunde raus
Overkill in Bochum
Nokia Bochum Foto: ruhrbarone
Nokia macht dicht. Von diesem Schlag muss sich die Opelstadt erstmal erholen! In der Mitteilung untertreibt Nokia: Insgesamt sind allein am Standort Bochum über 3000 Jobs futsch. Die Produktion wird nach Osteuropa verlagert. Im Moment laufen auf dem Werksgelände Informationsversanstaltungen. Nokia hat Sicherheitskräfte im Werk zusammen gezogen. Die Stimmung bei den Mitarbeitern ist niedergeschlagen. Niemand arbeitet mehr.
Mit dem Bochumer Werk und seinen insgesamt über 3.000 Mitarbeitern schließt nach Witten, Gladbeck und Kamp-Linfort der letzte Telekommunikationsstandort im Ruhrgebiet. Die Branche, an die einst im Strukturwandel so hohe Erwartungen geknüpft wurden, gibt es nicht mehr.
Die Entscheidung von Nokia, die Produktion in Bochum stillzulegen, kommt nicht überraschend: Die Gerüchte kursierten seit Jahren in der Stadt und hatten sich in den vergangenen Monaten, zumindest was die aus mehreren hundert Ingenieuren bestehende Entwicklungsabteilung betraf, verdichtet. Nokia begründet die Schließung mit der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Eine Erneuerung des Standorts Bochum, so die Finnen, würde zusätzliche Investitionen erfordern, doch selbst diese würden nicht dazu führen, die Produktion in Bochum weltweit wettbewerbsfähig zu machen.
"Die geplante Schließung des Werkes Bochum ist notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit von Nokia langfristig zu sichern,"
sagte Veli Sundbäck, Executive Vice President von Nokia und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Nokia GmbH.
"Aufgrund der Marktentwicklung und der steigenden Anforderungen hinsichtlich der Kostenstruktur ist die Produktion mobiler Endgeräte in Deutschland für Nokia nicht länger darstellbar. Es kann hier nicht so produziert werden, dass die globalen Anforderungen hinsichtlich Effizienz und flexiblem Kapazitätswachstum erfüllt werden. Daher mussten wir diese harte Entscheidung treffen."
Hilfreich war wohl, dass die Europäische Union den Bau neuer Nokia-Werke in Rumänien mit Steuergeldern subventioniert. Das zumindest ist Landeswirtschaftsministerin Christa Thoben in einer ersten Erklärung sauer aufgestossen:
"Es scheinen jetzt weitere öffentliche Mittel – in diesem Fall von der EU – von Nokia dafür eingesetzt zu werden, einen neuen Standort in Rumänien aufzubauen."
Thoben erwartet in dieser Auseinandersetzung die Unterstützung durch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos – bislang allerdings ein nicht durch sonderlichen Tatendrang auffällig gewordener Minister.
Nokia war am Standort Bochum seit 1988 präsent. Erst wurden in dem alten Graetz-Werk Fernseher hergestellt. Später dann Mobiltelefone. Tragisch: Die Ingenieure in Bochum waren mit die ersten im gesamten Konzern, die an Mobiltelefonen gearbeitet haben und somit die technologische Grundlage für die Erfolgsgeschichte Nokias gelegt haben. Ab dem Sommer müssen Sie sich neue Jobs suchen. Schon heute steht für die meisten fest: Sie werden im Ruhrgebiet kaum Arbeit finden und nach Süddeutschland ziehen müssen. Für 240 von ihnen besteht indes die Möglichkeit, von anderen Unternehmen übernommen zu werden – sicher ist das aber noch längst nicht.
Auch für die Mitarbeiter in der Produktion ist die Perspektive düster: Neue, relativ gut bezahlte Jobs in der Industrie sind selten geworden im Ruhrgebiet, und dass sich auf der Fläche noch einmal ein Produktionsbetrieb von der Größe der finnischen Telefonbauer ansiedelt, ist unwahrscheinlich.
An der insgesamt positiven Lage der Wirtschaft in NRW und dem Ruhrgebiet, so Uwe Neumann vom RWI in Essen, ändert sich durch das Nokia-Aus jedoch nichts:
"Die Werksschließung allein gefährdet nicht den Aufschwung in NRW."
Bochums OB Ottilie Scholz und Wirtschaftsdezernent Paul Aschenbrenner
"Heute ist ein schlechter Tag für Bochum und das Ruhrgebiet."
Mit diesen Worten leitete Bochums Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz die nach dem bekannt werden der Nokia-Schließung eilends einberufenen Pressekonferenz im Bochumer Rathaus ein.
Sie selber sei um 8.45 Uhr persönlich vom Aufsichtsratchef von Nokia, Jorma Ollila, über die Schließung des Standortes Bochum informiert worden. Nokia hätte auch vor Bekanntgabe des Schließungsbeschlusses, der am gestrigen Tag vom Nokia-Aufsichtsrat beschlossen worden war, NRW-Ministerpräsident Rüttgers und NRW-Wirtschaftsministerin Thoben informiert.
Die sichtlich betroffene Oberbürgermeisterin macht sich wenige Hoffnungen auf einen möglichen Erhalt des Werkes. Nun gehe es vor allem darum, dass die Mitarbeiter einen vernünftigen Sozialplan erhalten. Außerdem wolle man sich um den Erhalt einzelner, forschungsintensiver Abteilungen am Standort Bochum bemühen. Immerhin gäbe es eine enge Kooperation mit der Uni-Bochum. Nokia-Vertreter machten indes auf einer Informationsveranstaltung innerhalb des Betriebes klar, dass es keine wichtigen Kooperationen mit Hochschulen in Europa gäbe.
Scholz machte deutlich, dass Bochum sich in den vergangenen Jahren intensiv um Nokia bemüht habe. Ob Erschließungen oder Lärmschutz zur Vermeidung von Konflikten mit den Anwohnern – Bochum hätte sich stets stark für das Werk engagiert.
Der Bochumer Wirtschaftsdezernent Paul Aschenbrenner war ebenfalls von der Entwicklung enttäuscht:
"Hier wurde mit einem Federstrich eine jahrelange Zusammenarbeit beendet."
Es müsse nun darum gehen, deutlich zu machen, mit welchen Summen die neuen Werke in Osteuropa aus Deutschen Steuergeldern finanziert worden seien. Ein Nokia-Mitarbeiter:
"Wir haben mit unseren eigenen Steuerzahlungen viel Geld für die Abschaffung unserer eigenen Arbeitsplätze bezahlt."
Am Freitag werden OB Scholz, Wirtschaftsministerin Thoben und Arbeitsminister Laumann in Bochum zusammen treffen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Gute Psychopathen, schlechte Psychopathen
Hmmm…
Motortown muss ein wichtiges Stück sein. Im Foyer ist es brechend voll, der Zuschauerraum ebenfalls. Schräg vor mir sitzt der Kulturdezernent Michael Townsend, er wird vom Intendanten Elmar Goerden per Handschlag begrüßt. Nach der Vorstellung blockiert Townsend den Ausgang, als er dem WDR-Mann ein Statement zur Premiere gibt. Die Mannschaft des Bochumer Schauspielhauses hat gespielt, trainiert wurde sie von Regisseur Dieter Giesing, und Beckenbauer aka Townsend diktiert warme Worte ins Mikro. Dann habe ich die blaue Schaumstoffkugel vor der Nase und meine Worte sind frostig. Das Stück und die Inszenierung sind kurzweilig, aber es steckt wieder wenig dahinter. Wieder ein neues Stück, das zu kurz und zu oberflächlich ist.
Ein britischer Soldat, der im Irak stationiert war, kehrt zurück in die englische Provinz und verhält sich wie ein Psychopath. Aha. Der Taxi Driver ist wieder da, nur dass er im Irak war und nicht im Vietnam und Brite statt Amerikaner. Autor Simon Stephens behandelt ein bekanntes Thema, das aber leider zeitgemäß in kleinen, zu leicht verdaulichen Häppchen serviert wird. Blackouts und laute „Umbau“-Musik (gebaut wird da gar nichts, die Schauspieler stellen sich auf ihre Position auf der Bühne) trennen die einzelnen Szenen.
Danny kommt aus Basra zurück und erfährt von seinem autistischen Bruder, dass ihn seine Ex-Freundin Marley nicht mehr sehen will. Manchmal lohnt es sich, ein Programmheft zu kaufen, denn Alexander Maria Schmidt spielt den Bruder debil, aber keineswegs autistisch, was er laut Stephens‘ Inhaltsangabe im Programm sein soll. Verantwortlich für Marleys abweisendes Verhalten sind Dannys Briefe, die er ihr aus Basra geschrieben hat, Briefe, die so schrecklich sind, dass sie wieder und wieder im Stück erwähnt werden. Diese Briefe bleiben indes ein Mysterium, der Zuschauer erfährt nicht genauer, was Danny schreckliches erlebt hat, er darf nur miterleben, was Danny schreckliches tun wird. Er kauft sich eine Waffe, lässt sie auf scharfe Munition umrüsten und richtet anschließend die 14jährige Lolita-Freundin des Waffen-Tuners hin. Nachdem er sie erschossen ist, wird die Bühne wieder dunkel und aus den Lautsprechern ertönt Suzi Quatros Stumblin’ In.
Ohne Popmusik wäre das deutsche Regietheater sicherlich um ein paar sichere Pointen ärmer. In der nächsten Szene sehen wir Helen, die Medienschlampe in der durchsichten Bluse und ihren Mann, den Vertrauenslehrer Justin. Martin Horn gibt einen prächtigen Vertrauenslehrer ab, dem man allerdings das Interesse an frivolen Dreierspielchen nicht abkauft. Ausgerechnet Danny suchen sie sich dafür aus, doch er geht nicht mit aufs Hotelzimmer, sondern zurück zu seinem Bruder.
Einmal kurz nicht aufgepasst – und schon hat man den Schluss nicht verstanden. Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht, und wer falsch steht, schaut einfach noch mal ins Programmheft rein, da steht die Auflösung drin. Nach nur 70 Minuten spendet das Publikum begeisterten Applaus, der für das Ensemble, allen voran Sascha Nathan als Danny wohl verdient ist, sie können ja nichts dafür, was Stephens geschrieben hat, beziehungsweise, was er leider alles weggelassen hat.
Motortown wurde in der Kritikerumfrage von Theater Heute 2006 zum »Ausländischen Stück des Jahres« gewählt, was schön ist für den Autor und die Bühnen, die es aufführen und sich somit über eine Menge Zweifel erhaben glauben, aber schlecht für das Theater an sich. Wenn das die beste verfügbare Gegenwartsdramatik ist, muss sich das Medium Theater der Frage nach seiner Daseinsberechtigung stellen. Stephens und Giesing liefern schöne Bilder, aber das reicht nicht. Bunte Bilder, laute Musik und brutale Morde bekommt der Film besser hin.
Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino, die haben einfach die besseren Psychopathen.
(Un)-Logik des Herzens
Am 10.01. hatte im TuT des Schauspielhauses Bochum ein kleiner Monolog von Mark Ravenhill Premiere: Das Produkt. Die Theaterleitung sowie Regisseur Hans Dreher scheinen der Werbung von Ravenhills deutschem Verlag Rowohlt erlegen zu sein, denn Das Produkt ist neben Pool (Kein Wasser) bereits die zweite Inszenierung Drehers eines Ravenhill-Stückes in Bochum innerhalb kurzer Zeit.
In Das Produkt versucht Filmproduzent James die Schauspielerin Olivia für seinen neuen Film zu gewinnen. Olivia soll Amy spielen, deren Freund bei den Anschlägen am 11. September umkam. Amy verliebt sich in Mustafa, einen Al-Qaida-Kämpfer, was zu absurden Verwicklungen führt, wie der Verlag schreibt. Wer „absurde Verwicklungen“ sucht, geht in Bochum in die Comödie (oder alternativ in das gleichnamige Haus in Duisburg oder ins Theater im Rathaus nach Essen, der Boulevard ist im Pott ganz gut aufgestellt).
Die Amour Fou beginnt – wie passend – im Flugzeug. Mustafa, der „Dunkelhäutige“ im Kaftan, verstaut seinen Gebetsteppich neben Amys Gucci-Handtasche. Amy erkennt schnell, dass es sich nicht um eine Yoga-Matte handelt und richtet ihren Schmerz ob des umgekommenen Freundes in einem hysterischen inneren Monolog gegen den Fremden. Anschaulich spielt Produzent James (Christoph Pütthoff) Olivia vor, wie er sich die Szene denkt.
Als das Flugzeug landet, beginnt die „Logik des Herzens“, wie der Filmemacher ankündigt, und die Boulevardmaschine läuft an. Es gibt nur ein Taxi, das Amy und Mustafa wundersamerweise in ihr Loft bringt. Amy entjungfert Mustafa, welcher „fremd ist in unserer Welt ist und fremd in der Welt der animalischen Sexualität“ und hat dabei den besten Orgasmus ihres Lebens. Darauf verliebt sie sich unsterblich in ihn und toleriert die Bildung einer Terrorzelle in ihrem Loft. Eines Tages steht Osama – von Pütthoff als eine Art Darth Vader interpretiert – persönlich vor der Tür: der große Tag ist gekommen, Mustafa soll sich in Disneyland Paris in die Luft sprengen. Auf der Bühne geschieht das Unglaubliche und Osama erlaubt Amy, Mustafa zu begleiten.
Nach einem Streit, weil Amy zwar mit ihm sterben, aber keine Kinder mit in den Tod reißen möchte, zündet sich Mustafa an. Amy stürzt in seine Arme und beide fallen…
Das Stück endet hier noch nicht, denn sie stürzen in einen Pool (im Gegensatz zum anderen Stück mit Wasser). Mustafa wird jetzt doch mal verhaftet und landet in Guantanamo. Amy absolviert eine Ausbildung à la Beatrix Kiddo, um ihn zu befreien, was ihr gelingt.
Christoph Pütthoff zeigt eine großartige Leistung in diesem Einpersonenstück ohne Bühnenbild und Requisiten. Der Text indes überzeugt nicht. Amys und Mustafas Geschichte ist überzogen, es ist nicht nachvollziehbar, warum Amy diesem Mann verfällt, seine Gefühle bleiben sogar ganz außen vor. Ravenhill hätte die Thematik besser in ein Zweipersonen-Stück packen sollen. Der Monolog eines Produzenten lässt sich allenfalls als Satire auf das Filmbusiness sehen, diese wird jedoch von der Nine-Eleven-Thematik zu sehr überlagert. „Das Produkt“ ist weder Fisch noch Fleisch, zwar solide Theaterunterhaltung, aber kein großer Wurf.
McDonalds trägt Hotpants
Foto: Hooters-Angestellte in Singapore
Wenn man diesem Zähler trauen kann, wird am 31. Januar in Bochum eine, wie sagt man, Gastwirtschaft eröffnet, die auf deutsch Möpse hieße. Da es sich um die zweite deutsche Dependance einer US-amerikanischen Kette handelt, heißt der Laden Hooters, es gibt Hamburger und Hühnerflügel und bedient wird man(n) ausschließlich von Kellnerinnen in orangenen Hotpants und weißen T-Shirts. Bochum ist die zweite Niederlassung der "wings of germany", so nennt sich der deutsche Arm von Hooters, die andere hat vor zwei Jahren im saarländischen Neunkirchen eröffnet, dort ging man hin, weil es in der Nähe Gi-Kasernen gibt.
Der Laden im Bochumer Bermudadreieck ist also der erste richtige Angriff auf den deutschen Markt, sollte bereits im Dezember aufmachen. Es zog sich etwas hin und es gab reichlich Ärger in Bochum. Die Chefs des größten Kneipenviertels des Ruhrgebiets kritisieren die Mischung aus Sex und Fett, sprechen von Chauvinismus, haben den Verpächter aus dem Vorstand der Interessengemeinschaft geworfen. Und natürlich, haben sie Recht mit der Kritik am Playboy zum Futtern und mit der Befürchtung, dass das Dreieck zum Tummelplatz von heftigen Junggesellenparties wird – bislang finden hier eher Junggesellinnenparties statt.
Andererseits ist das Dreieck – auch ohne Hooters – längst eine am Wochenende von bergischen und sauerländischen Trinktouristen übervölkerte, überteuerte Kneipenmeile aus Gastroketten geworden. Der einstige Charme ist verflogen. Und wahrscheinlich regt sich deshalb kaum jemand auf über Hooters, weil man den Bermudadreieck-Chefs ihre Kritik angesichts der Kommerzialisierung im Thekenterritorium nicht abnimmt.
Deshalb folgt hier eine glaubwürdigere Kritik an Hooters: Frauen, die in den USA bei Hooters kellnern, müssen unterschreiben, dass sie keinerlei Probleme damit haben, sich in einer sexualisierten Atmosphäre zu bewegen und mit Dienstkleidung und aufreizendem Gehabe für die Verkaufssteigerung der Marke zu sorgen. Gibt es in Bochum wirklich Frauen, die so einen unterirdischen Scheiß unterschreiben beziehungsweise mitmachen wollen?
Da es aber wahrscheinlich doch genug bescheuertes Personal gibt, noch eine Info: Hooters deutscher Zweig hat zwei Geschäftsführer mit Sitz im Saarland. Und was machen Michael Rennig und Axel Umlauf sonst so? Sorgen für das Radioprogramm in den deutschen McDonald’s Fillialen. Wenn sie also wirklich was gegen Hooters unternehmen wollen, sollten Dreieck-Manager einfach mal bei McDonalds nachfragen, ob die Familienrestaurant-Kette gerne gemeinsame Sache macht mit Leuten, die Möpse verkaufen?
Wanderer, kommst Du nach Bochum?
Bochum bekommt ein Jugendgästehaus. Wie schön. Jugendgästehäuser zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht so sehr in der Pampa liegen wie Jugendherbergen, dafür aber nicht so hip sind wie Backpacker Hostels.
Gerne erinnere ich mich an Erlangen zurück. Ich wusste nichts Wissenswertes über Erlangen, also quartierte ich mich ein im dortigen Jugendgästehaus, um meine Einschreibungswoche („Warum stehen Sie hier und nicht in der anderen Schlange?“ – „Ich hab ein außerbayerisches Abiturzeugnis“ – „Ah. Da muss ich den Chef holen.“). Ähnlich freundlich war meine Unterkunft, Kiefernmöbel, Karovorhänge und ein winziges Einzelzimmer. Das Frühstücksbüffet war ebenso übersichtlich wie die pulsierende City der fränkischen Metropole. Immerhin konnte man zwischen Pfefferminz- und Hagebuttentee wählen, ein Vorzug gegenüber den Jugendherbergen meiner „Jugend“, welchen sich das Jugendgästehaus ebenso wie das luxuriöse Einzelzimmer auch entsprechend bezahlen ließ.
Jahre später – mein Erlangen-Gastspiel dauerte genau eine Woche – lese ich jetzt also, dass Bochum eine Jugendherberge im Bermudadreieck bekommen soll. Diese im Vorbeigehen aufgeschnappte Schlagzeile stellte sich als ungenau heraus, handelt es sich doch erstens um ein Jugendgästehaus und liegt es zweitens nur am Bermudadreieck. Das ist ein bedauernswerter Unterschied, denn ein DJH-Etablissement beispielsweise in der Kortumstraße hätte immensen Charme gehabt. Astra statt Hagebuttentee, Hooters-Girls statt Herbergsmuttis, das wäre es gewesen.
Da das Haus aber in der Humboldtstraße entstehen soll, haben die Gäste mehr Gelegenheit, sich auf die Attraktionen zu stürzen, die Joachim Barbonus, Chef des Jugendherbergs-Landesverbandes, den Bochum-Besuchern schmackhaft machen will: „Starlight, Symphoniker, Theater: da gibt es interessante Verknüpfungen wie auch zu VfL, Bogestra und Planetarium. All diese Dinge wollen wir Gruppen als Programm anbieten.“. Ob dies reicht, die Massen anzulocken wird sich zeigen, falls nicht, bleibt ja noch das gute alte Bermudadreieck. Und die Hooters-Girls sind bis zum Sommer hoffentlich auch eingezogen.
Im Pulverdampf
Nach dem Industrieschnee kam Böllersmog.
Bochumer Sylversternacht mit Sichtweiten unter zehn Metern. Schwefelgeruch in der Luft, nasse Haare, gute Laune. Wir sahen einen Mann vor einem Auto herlaufen. Als wir ihn vor dem Gefährt warnten, sagte er "meine Freundin" und lotste sie auf die Autobahnauffahrt.
Und welches Wetter machen wir uns als nächstes:
Chemiehagel, RWE-Gewitter, Windradorkan?
Wünsche nur das Beste für 08!