„Dass Dinge mit Parteibuch schneller funktionieren ist nicht der Sinn von Demokratie“

Thomas Reinke tritt für 5 Parteien als OB-Kandidat in Herne an (Foto: Angela Aßmuth)
Thomas Reinke tritt für 5 Parteien als OB-Kandidat in Herne an (Foto: Angela Aßmuth)

Herne – Für Fünf auf einen Streich. So könnte das Motto von Thomas Reinke sein, der versucht an diesem Sonntag OB von Herne zu werden. Blickt man auf die Wahlplakate in Herne hat Reinke nur einen Konkurrenten, den amtierenden Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda von der SPD. Die CDU in Herne schickt wohl auch einen Kandidaten ins Rennen, allerdings scheint der nicht eines einzigen Plakates würdig zu sein. Keine Überraschung, wird Herne doch von einer großen Kooperation von SPD und CDU reagiert.

Sebastian Bartoschek traf Thomas Reinke, um mit ihm über die Situation in Herne zu sprechen. (Weiter unten findet sich eine YT-Link, über den das Interview ungekürzt und unbearbeitet gehört werden kann.)

Sebastian Bartoschek: Herr Reinke, Sie wollen OB von Herne werden?

Thomas Reinke: Genau.

Das wollten ja schon viele vor Ihnen und im Endeffekt wird es immer die SPD.

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Für immer Werner

Werner Kolter ist Bürgermeister von Unna, seit ich denken kann. Dieses Jahr traut sich niemand, gegen ihn in den Wahlkampf zu ziehen. Dabei ist er kein besonders gewiefter Politiker, kein innovationsgeiler Macher. Die Stadt ist trotzdem verliebt in den Mann – vielleicht, weil sie sich ähnlich sind.

Werner Kolter kam ins Amt, als ich zehn war. Ich wüsste nicht, wer den Job vor ihm gemacht hat. Eine Welt, in der Werner nicht beim Stadtfest das Fass ansticht, liegt außerhalb meines Vorstellungsvermögens.

Unnas Maskottchen ist eigentlich ein Esel. Aber inzwischen könnte es genau so gut Werner Kolter sein. Bei jedem Grillwurst-Kinderschminken Sommerfest, jedem langweiligen Empfang, jeder obligatorischen Weihnachtsfeier ist er zugegen, schüttelt Hände, lächelt, spricht Worte der Begrüßung, steht stramm für Pressefotos. Alle laden ihn ein. Alle finden ihn okay. Parteigrenzen: irrelevant.

Auch weiterhin Kolters Arbeitsplatz: das Rathaus neben der Kirche St. Katharina
Auch weiterhin Kolters Arbeitsplatz: das Rathaus neben der Kirche St. Katharina

Dieses Jahr versucht kein CDU-Mensch, kein Parteiloser, nicht mal ein gelangweilter Puff-Besitzer, gegen den Meister of the Bürgermeisters anzutreten. Es wäre Kandidatenverschwendung. Weil er ja sowieso gewinnt. Im schlimmsten Fall wie bei der letzten Wahl mit beeindruckenden 65% der Stimmen. Kolter bleibt, solange er nicht geht.

Zwar sind in Unna noch keine diktatorischen Zeiten angebrochen – der geneigte Wähler hat im September immerhin die Entscheidungsfreiheit zwischen: „Ja zu Werner“, „Nein zu Werner“ und „Werner, hm, weiß nicht“. Das Wort Bürgermeisterwahl bekommt trotzdem einen höchst ironischen Beigeschmack, wenn auf dem Stimmzettel nur ein Name steht.

Unna ist okay. Irgendwie schön. Der Stadtkern, die Fachwerkhäuser, die Parks. Es gibt ein Kino und Museen und einen Anflug von Kultur, mit der Bahn kommt man gut hin und weg. Natürlich ist da auch Königsborn und das Problem-Quartier Berliner Allee, da ist die Leere, die Überalterung und das Café Extrablatt. Aber selbst diese hässlichen Seiten von Unna rangieren in der Mittelmäßigkeit herum. Stört niemanden. Ist in Ordnung. Wie Werner Kolter.

Diese Mittelstadt mit ihrer mittelmäßigen Größe, ihren mittelgebildeten, mittelverdienenden Einwohnern lässt alles an sich vorbeiziehen. Hitzewellen, Kältetiefs, Schweinegrippen, Finanzkrisen, Nazis. Wie alle Kinder hatte ich früher Angst vor der Vogelgrippe, vor den Bösen und vor Krieg. Aber ich konnte mich stets damit trösten, dass Unna wahrscheinlich viel zu egal ist, um von einer Bombe getroffen oder durch eine Epidemie ausgelöscht zu werden. Eine solche Stadt zu bürgermeistern muss ein gut bezahlter Spaß sein.

Jedoch: selbst hier, in der mittelmäßigsten aller Mittelstädte, hätte ich ein bisschen mehr Unmut über den ausbleibenden Wahlkampf erwartet. Unnaer, was ist mit euch los? Wollt ihr nicht Brot und Spiele, Werbung um eure hohe Gunst, Plakate, Kugelschreiber, Ballons und Podiumsdiskussionen? Erwarten die Medien nicht Füllung fürs Sommerloch oder wenigstens marginale Kritik am allzu selbstbewussten Werner Kolter von irgendeiner Seite?

Der Aufschrei bleibt aus. Noch schlimmer: die Stimmen, die man hört, schlagen vor, die Wahl einfach ganz abzusagen – ist doch nur Geldverschwendung. Um die Wahlmoral zu stärken, haben alle Parteien gemeinsam in Plakate investiert: „Unna geht wählen“ steht darauf, nicht mehr. Dazu wird etwas von demokratischen Rechten daherpalavert, die man nutzen müsste. Eigentlich bin ich ein demokratiegeiler Mensch. Aber wenn dieses Jahr viele unnaer Bürger keinen Gebrauch machen von ihrem demokratischen Recht, Werner Kolter zu wählen – es wäre durchaus verständlich.