Kunst in Essen

Die Besetzung und gleichzeitige kulturelle Nutzung des Essener DGB-Hauses an der Schützenbahn ist gescheitert. Verwunderlich ist dieser verzweifelte Versuch, Raum für junge Kunst zu schaffen, nicht. In Essen mangelt es an Möglichkeiten und die Stadt schaut im Kulturhauptstadtjahr zu. Von unserem Gastautor Marc Limbach

Sucht man auf den städtischen Internetseiten im Bereich Kultur nach Hinweisen für Förderungsmöglichkeiten oder Ausstellungsmöglichkeiten, trifft man nach langem Suchen auf eine einzige Datei, die auflistet, was es in Sachen Bildender Kunst gibt. Von der reinen Quantität könnte der junge Künstler erfreut sein. Spätestens nach dem glücklosen Klinken-Putzen dürfte er ernüchtert sein. Solche kreativen, urbanen Nutzungsmodelle im Kollektiv, wie sie die „Freiräumer2010“ umsetzen wollten, scheinen nicht in das Strickmuster zu passen.

Wer Künstler in Essen ist, hat meist ein Atelier in einer der Randlagen. Oder er ist in einer Atelier-Gemeinschaft, das macht die Miete erschwinglicher. In den wenigen, städtischen Ateliers ist kein Platz mehr – vorausgesetzt sie existieren in Zukunft überhaupt noch, da Gutachter einige in einem umstrittenen Bericht auf die Abschussliste gesetzt haben. Fazit: Wer in kleinen Dimensionen arbeitet und sich die Miete leisten kann, sollte fündig werden. Ein Punkt, der die jungen Künstler wohl vor Schwierigkeiten stellt, da ein Verkaufsdruck wohl kaum zu vermeiden ist. Außer man ist Hobby-Künstler, Lehrer oder Hausfrau mit solventem Ehemann.

Schwieriger sieht es beim Thema Ausstellung oder Galerie aus. Die bereits bestehende freie Szene mit entsprechenden Räumlichkeiten zeichnet sich eher durch personelle Konstanz, was die lokalen Teilnehmer ihrer Ausstellungen betrifft, als durch Neuerungen aus. Wer nicht mit qualitativen, will sagen verkaufsträchtigen Arbeiten bei Essener Galeristen vorstellig wird und als Arbeitsort Essen angibt, dürfte gegen Windmühlen ankämpfen. Im Programm der Galerien, wie es der aktuelle Gallery-Guide zeigt, sind wenige Beispiele mit Lokalkolorit zu entdecken. Für junge Künstler könnte diese Broschüre eine Argumentationshilfe darstellen, wenn sie hören sollten, es sei kein Geld zur Unterstützung dar. Zur Hälfte hat das Kulturbüro den oben genannten Guide für die Galeristen mitfinanziert. Die Kritik aus den Reihen freier, städtischer Kulturträger, die sich über ihre Nichterwähnung bzw. -berücksichtigung mokierten, verhallte ungehört.

Ein weiteres Beispiel ist das Forum Kunst und Architektur am Kopstadtplatz, das die Vereine „Ruhrländischer Künstlerbund“, „Werkkreis bildender Künstler“, „Bund Deutscher Architekten“ und „Kunstverein Ruhr“ bespielen. Die beiden Erstgenannten sind Künstlervereine. Sie rühmen sich mit der Wahrung von Folkwang‘schen Traditionen. Ihre Attraktivität für junge Künstler ist durch die altbackenen Strukturen und ihre wenig nachvollziehbare Qualitätsdoktrin eher zu verneinen. Kehrseite der Medaille: Wer bei ihnen Mitglied ist, kann sich präsentieren. Sei es bei Vereinsausstellungen im Forum, städtischen Künstleraustauschprogrammen oder ähnlichen Projekten. Freie Künstler gucken in dem Fall in die Röhre. Eine Beteiligung erhält man hier nicht nur über Qualität, sondern über die Vereinszugehörigkeit. Ausschreibungen sucht man vergeblich. Ein repräsentatives Abbild städtischen Kunsttreibens sieht anders aus.

Kommen wir zurück zu „Freiraum2010“. Für ihre Aktion haben sie sich ein vortreffliches Viertel ausgewählt. Die nördliche Innenstadt, die bedingt durch die Pläne des Investors Wolff vor Aufbruchsstimmung geradezu überläuft, leidet an vielen Leerständen. Das DGB-Haus an der Schützenbahn ist darunter eine große Örtlichkeit unter vielen. Auch die Stadt hat in der Nähe eine leere Immobilie, das ehemalige Gesundheitsamt. Weitere, schon länger leer stehende Gebäude ließen sich problemlos im Stadtgebiet finden. Diese „Filetstückchen“ hat die städtische Immobilienverwaltung GVE bis dato nicht an den Mann bekommen. Vielleicht sollten die „jungen Wilden“ einmal den Essener Kulturdezernenten Andreas Bomheuer behelligen. Oder sie warten bis August. Dann soll im Rahmen der „Unprojekte 2010“ die nördliche Innenstadt belebt werden. Temporäre Bespielung einiger, leerer Ladenlokale steht dabei auch auf dem Programm und die Vermieter haben dem sogar zugestimmt. Die Federführung dafür hat übrigens die Kreisgruppe Essen des Bundes Deutscher Architekten inne.

Update II: DGB hat Anzeige erstattet – Offener Brief an Dieter Gorny, Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt: Helfen Sie den Essener Besetzern!

Update II: Das besetze Künstlerhaus hat die erste Nach überstanden. Nach Angaben der Polizei hat der Besitzer, eine Vermögensgesellschaft des DGB, mittlerweile eine Anzeige gestellt. Innerhalb der nächsten Tage könnte das Haus nun geräumt werden. Es bleibt also noch Zeit für Verhandlungen. Die sollten jetzt allerdings schnell gehen. Auf den offenen Brief, der auch an Dieter Gornys E-Mail-Adresse ging, gab es bislang keine Antwort.

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An die Leitung der Ruhr2010

Sehr geehrte Herren Gorny, Scheytt und Pleitgen,

gestern haben mehrere dutzend Künstler aus dem Ruhrgebiet ein seit drei Jahren leerstehendes Haus des DGB an der Schützenbahn in Essen besetzt. Sie wollen es als Galerie und Künstlerhaus nutzen. Die Vermögensverwaltung u. Treuhandgesellschaft des DGB mit Sitz in Berlin droht den Besetzern über ihre Anwaltskanzlei Heinemann und Partner mit der Räumung.

Wir fordern Sie auf, sich sofort beim DGB dafür einzusetzen, dass die Künstler die Räume weiter nutzen können. Schalten Sie sich als Moderatoren ein und helfen Sie, eine Lösung zu finden.

Die Besetzer machen das, was  Sie  als Verantwortliche der Kulturhauptstadt seit langem propagieren: Sie führen alte Räume einer neuen Nutzung für Kultur zu. Sie vitalisieren einen Teil der Essener Innenstadt. Sie eröffnen neue Perspektiven.

Die Besetzer sind genau die Leute, von denen Sie behaupten, dass das Ruhrgebiet sie dringend braucht, dass es diese Leute nicht verlieren darf: Junge Kreative, die den Mut haben, ihre eigenen Wege zu gehen. Die nicht warten, bis andere ihnen ein subventioniertes Bett gemacht haben, sondern die bereit sind, für Ihre Arbeit ein Risiko einzugehen. Sie haben sich den Raum genommen, von dem sie sagen, er muss an andere Stelle für viel Geld geschaffen werden. Die Besetzer machen Ihren Job!

Wenn irgendetwas von dem, was Sie in den vergangenen Jahren auch in unsere Mikrofone gesagt haben, ernst gemeint war, greifen Sie jetzt zu ihren Handys und nutzen Sie  Ihre Kontakte. Tun sie es nicht, war nichts von dem, was sie gesagt haben, ernst gemeint. Können sie es nicht, haben wir Sie wohl überschätzt.

Stefan Laurin

Für das Blog Ruhrbarone

Hausbesetzung in Essen

Gestern hat eine Gruppe von Künstlern das leerstehende DGB-Haus in Essen Mitte besetzt.

Die Besetzung des DGB-Hauses in Essen ist innerhalb von wenigen Wochen die zweite Hausbesetzung in Nordrhein-Westfalen. Im Frühling wurde in Köln-Kalk durch eine Besetzung ein Autonomes Zentrum gegründet.

Nach Angaben der Besetzer sollen in dem seit drei Jahren leerstehenden Gebäude ab jetzt täglich ab 18.00 Uhr Kulturveranstaltungen  stattfinden. Die Besetzung ist langfristig angelegt:

Und diese Besetzung ist erst der Anfang! Wir wollen nicht nur die Galerie wir wollen im DBG ein Kunsthaus – von KünstlerInnen gemacht- aufbauen, dass mindesten 400 Jahre steht. Nachhaltigkeit pur!

Wir sind 25, die sich bekennen und bereits mehr als 50 auf der Warteliste. Wir wollen Arbeitsräume für Kunst !:
Jetzt, für lau (wir zahlen natürlich Strom & Wasser), für alle die Kunst machen wollen ob mit Farben, Füßen, Stimmen mit Stühlen oder zwischen ihnen.
Kunst sucht und erfindet Schönheit für unsere Welt und wann damit Geld verdient wird können und wollen wir nicht planen:
Deswegen jetzt: Freiraum2010 und Haus der künstlerischen Arbeit unterstützen! Für Essen, für alle, für mindestens 400 Jahre…

Mal schauen wie die Kulturhaupstadt Essen mit dieser Aktion umgeht. Angeblich hat man ja ein Herz für Kreative.

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John Cale: „I come from Wales…“

In den 80ern stritten mein Freund Atta und ich häufig über die Frage, wer der wichtigere Mann bei Velvet Underground war: John Cale oder Lou Reed? Die Frage darf mittlerweile als beantwortet gelten: John Cale natürlich. Morgen und übermorgen ist er in Essen zu sehen.

Und auf einmal steht er da rum: Dreiviertel-Cargo-Hose, weiße Haare, Turnschuhe. Der Mann hat sich gut gehalten.  John Cale im Salzlager der Zeche Zollverein. Nur wenige Journalisten sind gekommen. Das ist schade, denn sie haben einen der wichtigsten Musiker der letzten 50 Jahre verpasst. John Cale war Mitgründer von Velvet Underground. Als er 1968 rausgeworfen wurde, wurde Velvet langweilig. Cale hat so fantastischer Platten wie Paris 1919 oder Hobosapiens aufgenommen. Seine Solo-Klavier-Version von Heartbreak-Hotel ist der ideale Soundtrack zum eigenen Selbstmord. Ich kenne kein Stück das so tieftraurig ist.

John Cale ist allerdings nicht nur begnadeter Rockmusiker. Er hat klassische Musik studiert, mit John Cage noch vor der Velvet-Zeit die Minimal Musik geprägt und zahlreiche Musikperformances gemacht. Und klar, natürlich auch Filmmusik.

In Essen wird John Cale morgen und übermorgen im Salzlager „Dyddiau Du – Dunkle Tage“ aufführen. Im Rahmen des Festivals Theater der Welt. Ein Konzert zu fünf Filmen über seine Heimat Wales. Cale ist in dem Bergarbeiterdorf Garnat aufgewachsen. Sein Vater war ein aus England zugezogener Bergmann. Und nach allem was Cale im Halbdunkel des Salzlagers, umgeben von den großformatigen Stills der Filme, erzählt, war Garnat ein harter, trauriger Ort. Musik am Sonntag? Gab es nicht. Wenn der junge John im Radio Brahms oder Schostakowitsch hören wollte, ging das nicht. Der Vormittag gehört Gott und das einzige Geräusch, das die Stille des Morgens unterbrach, waren die Schritte der Kumpels auf dem Weg zur Kirche. Eindrücke, die sich in Dunkle Tage wieder finden.
John Cale erzählt viel von sich an diesem Nachmittag im Salzlager: Dass er von seiner Großmutter aufgezogen wurde. Und dass die seinen Vater lange nicht mochte: Kein Engländer in der Familie! Als sie ihre Meinung änderte, war ihr Lebenszeit fast abgelaufen. Dass die Mutter abhaute, als er elf war. Cale wusste nicht warum und niemand beantwortete seine Fragen. Über so etwas redete man nicht im Wales der 50er. Seine Großmutter hat ihn geprägt, gefördert und Mut gemacht. Man hört in Cales Sätzen noch immer seine tiefe Liebe zu ihr.

Das Bergarbeiter-Wales in dem John Cale aufwuchs und dass er früh verließ, um London Musik zu studieren, war ein harter Ort. Ein Ort, den es so nicht mehr gibt. Mitte der 80er Jahre ging der Bergbau Groß-Britanniens unter. Die Bergleute wehrten sich mit einem Streik gegen Thatchers Politik, der das Land an den Rand des Abgrunds führte. Streikführer Arthur Scargill avancierte zu einem Popstar. Bands wie Wham und Style Council gaben im Wembley Stadion Benefiz-Konzerte für die Kumpels. Test Dept. lieferte den atonalen Soundtrack zum Klassenkampf. Genutzt hat das alles nichts.

Garnant ist heute ein sterbender Ort. Es gibt ein wenig Tourismus. Paraglider mögen Garnant. Wikipedia weiß von einem Golfplatz. Die Einwohnerzahl kennt das Online-Lexikon nicht. Die Filme zu der Cale improvisieren wird, zeigen dann auch Bilder eines sterbenden Ortes. Bilder von Verlusten. Verfallene Gebäude, leer Häuser. Auch das Haus in dem Cale aufwuchs ist zu sehen. Ein harte Kontrast zur Musealisierung des Ruhrgebiets. Über 1000 Industriedenkmäler gibt es heute hier. Eine Entwicklung, die Cale gut findet. Er bedauert den Verfall seiner Heimat und man sich allmählich kaum noch eine Vorstellung von der Vergangenheit machen kann. Das Ruhrgebiet kennt er gut. Dutzende von Konzerte hat er hier gegeben.

Ist John Cales Arbeit melancholisch? Sicher. Aber der Mann ist es nicht. Cale ist ein großer Erzähler. Auch am gestrige Nachmittag. Und er erzählt unprätentiös, offen und sehr persönlich. John Cale begegnen zu dürfen war ein Geschenk. Ein großes.

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