Geständnis eines Euro-Befürworters

 
Ja, ich gestehe: auch ich hatte zu denen gehört, die damals – also so vor zehn, fünfzehn Jahren – die Einführung einer europäischen Gemeinschaftswährung befürwortet hatten. Ja, ich weiß: es erscheint bigott, etwas zuzugeben, was ohnehin nicht zu leugnen ist. Ich möchte nicht dastehen, wie ein überführter Politiker, der scheibchenweise nach jeder neuen Enthüllung ein neues Teilgeständnis nachschiebt. Ich packe aus. Alles.

Ja, ich hatte für den Euro geworben – überall, zu jeder sich bietenden Möglichkeit. Selbst dann noch, als er längst eingeführt war, die Leute dies jedoch noch nicht bemerkt hatten, weil sie noch die guten alten Scheine und Münzen im Portemonnaie hatten und die Preise im Supermarkt mit dem D-Mark-Zeichen ausgezeichnet waren. Ich hatte für den Euro geworben, wohl wissend, dass ich ohnehin nicht die Mehrheit von meiner Auffassung überzeugen werde … – und, dass es darauf aber auch nicht ankommen würde.

Ich wusste, dass die politische Elite dieses Landes das Projekt in jedem Fall durchziehen würde. Dennoch hielt auch ich es für geboten, in der Bevölkerung zumindest für ein Mindestmaß an Verständnis zu werben. So machte ich mir die Argumente zu eigen, die in der Kampagne für den Euro landläufig benutzt worden waren. Das, wenn schon nicht unbedingt überzeugendste, so doch stärkste war, dass die Gemeinschaftswährung so stark werde wie die geliebte D-Mark.

Aus diesem Grund hatten die Deutschen die sog. Maastricht-Kriterien als Aufnahmebedingungen in die Eurozone durchgesetzt. Obgleich ich wusste, dass diese Kriterien nicht nur absolut willkürlich gesetzt, sondern auch ökonomisch durch nichts zu rechtfertigen waren, ging ich mit ihnen hausieren. Auf skeptische Rückfragen konnte ich sogar versichern, dass die Maastricht-Kriterien nicht nur die Aufnahmebedingungen waren, sondern auch fortwährend als Spielregeln gelten würden, deren Nichteinhaltung bestraft werden würde.

Freilich war mir völlig klar, dass es völlig idiotisch ist, wenn für jede Phase des Konjunkturzyklus die gleichen Vorgaben für Inflation und Staatsverschuldung gelten. Mir war auch klar, dass solange es keine einheitliche europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik gibt, gleiche Kriterien für sich unterschiedlich entwickelnde Volkswirtschaften völlig unsachgerecht, ja: letztlich gar nicht einzuhalten sind. Insbesondere mit einheitlichen Leitzinsen, die von einer nach deutschem Vorbild in Deutschland errichteten unabhängige Zentralbank festgelegt werden, würde das Projekt Euro niemals gelingen können, wenn es nicht zu einer zentralen Wirtschaftspolitik, also zu einer europäischen Wirtschaftsregierung käme.

Dies war absolut klar. Klar war aber auch, dass es besser war, diese ökonomische Binsenweisheiten hinter dem Berg zu halten, wenn man zu einem Quäntchen mehr Legitimation der Gemeinschaftswährung beitragen wollte. Eine Währungsunion ohne Wirtschaftsunion würde niemals funktionieren können, und so vertraute ich auf die „normative Kraft des Faktischen“. Etwas amüsiert nahm ich zur Kenntnis und wertete es als Zeichen, dass sich der Euro auf dem richtigen Weg befände, dass ausgerechnet die Deutschen die ersten waren, die gegen den von ihnen noch einmal auf die Maastricht-Kriterien draufgesattelten Stabilitätspakt verstoßen hatten, woraufhin sie, um der „Strafe“ zu entgehen, sogleich die Regeln an die Realität anpassten.

Spätestens jetzt war ich sehr zuversichtlich, dass der Weg zu einer echten Wirtschaftsunion frei ist, womit unausweichlich auch eine politische Union vorgegeben wäre. Ich wollte das mit der Wiedervereinigung größer und souverän gewordene Deutschland unumkehrbar in den europäischen Integrationsprozess eingebettet wissen. Ich war ein überzeugter Anhänger der vom damaligen Bundeskanzler vorgegeben Linie, dass die deutsche und die europäische Einigung zwei Seiten einer Medaille seien, also: zu sein hätten. In diesem Punkt wurde Helmut Kohl auch vom damaligen Vorsitzenden meiner Partei, Oskar Lafontaine, umstandslos unterstützt.

Ich beschäftigte mich zu dieser Zeit intensiv mit Norbert Elias, der mich gelehrt hatte, dass das Erlangen einer größeren Integrationsstufe unvermeidlich mit einer temporären Entdemokratisierung einhergeht. Außerdem sträubte sich in mir alles, den Deutschen in dieser zumindest für den ganzen Kontinent entscheidenden Frage ein „nationales Selbstbestimmungsrecht“ zuzubilligen. Da sich auch alle demokratischen Parteien für den Euro stark gemacht hatten, hatte ich diesbezüglich nicht die geringsten Bedenken. Im Gegenteil: ich hielt es für meine Pflicht als Demokraten, für den Euro zu werben. Mit der – wie ich damals annahm – daraus zwingend entstehenden Wirtschaftsunion, die eine politische Union nach sich ziehen werde, würde das Risiko Deutschland ganz wesentlich entschärft werden.

Ja, ich gestehe: auch ich hatte vor der Irreführung der deutschen Öffentlichkeit nicht zurückgeschreckt. Ich gebe zu, dass gerade die ablehnende Haltung der Mehrheit mir Ansporn war, meinen kleinen Beitrag dazu beizutragen, dass mit dem Euro klar Schiff gemacht wird. Dabei hätte mir klar sein sollen, dass es auf Dauer nicht gelingen kann, ein Wirtschaftsmodell (und damit verbunden ein politisches Modell) gegen den Willen des Volkes stabil zu halten. Dass der Euro jetzt am Rande des Zusammenbruchs steht, ist letztlich eine Folge seiner nach wie vor mangelnden Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung.

Wenn der Euro scheitert, dann nicht wegen der Refinanzierungsprobleme von Staaten wie Griechenland, Irland oder Portugal. Jedes dieser Länder erwirtschaftet nur ein bis zwei Prozent des BIP in der Eurozone. Umgekehrt wird ein Schuh draus: die Refinanzierungsprobleme dieser kleinen Länder erklären sich aus der Euro-Krise – nicht umgekehrt. Der Schutzschirm für den Euro kann diese drei Staaten auch nach Abkopplung vom Kapitalmarkt mit dem nötigen Geld versorgen. PIG (Portugal, Irland, Griechenland) geht; für PIGS (das „S“ steht für Spanien) wird es schon nicht mehr reichen. Und auch die Spanier müssen schon jetzt einen Zinssatz berappen, der so hoch ist wie der der Griechen im Mai.

Dass die Zinssätze in dermaßen absurde Höhen spekuliert worden sind, liegt nicht allein an der Unfähigkeit der Merkel-Regierung. Sie geht letztlich zurück auf den Unmut der Deutschen, in einer europäischen Wirtschaftsunion leben zu wollen. Auch jede andere Regierung stünde vor kaum zu meisternden Problemen, wollte sie eine Ausweitung des Schutzschirms der Bevölkerung gegenüber legitimieren. Der Schutzschirm ist vom Volumen auf 600 Mrd. Euro und zeitlich bis Ende 2012 limitiert. Jeder weiß, dass beides vorn und hinten niemals ausreichen wird – auch der „Markt“, der gnadenlos die Antwort der Deutschen einfordert, ob sie nun den Euro haben wollen oder nicht.

Dabei liegt die Antwort im Grunde längst auf dem Tisch. Auch das Gefasel über ein „geordnetes Insolvenzverfahren“, das für die „Sünder“ ab 2013 gelten solle, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Es steht zu befürchten, dass der Euro die nächsten beiden Jahre nicht überleben wird. Ich hatte die Hartnäckigkeit der Deutschen unterschätzt. Die Folgen eines Scheiterns der Gemeinschaftswährung wären verheerend. Ich weiß: die Deutschen übersehen nicht, was auf sie zukäme, wenn sie es statt mit dem Euro wieder mit der guten, alten D-Mark oder – was auf Dasgleiche hinausliefe – mit einem kleinen Währungsverbund der „starken“ Nachbarländer zu tun hätten. Gegen das, was in diesem Fall auf sie zukäme, sind die ökonomisch-sozialen Verwerfungen, unter denen die Griechen, Iren und Portugiesen derzeit zu leiden haben, fast kaum der Rede wert.

Das haben sie nicht verdient – meine deutschen Landsleute. Ich hatte das nicht gewollt. Keiner von uns hatte das gewollt. Es tut mir leid. Entschuldigung!

Von einer Frau besiegt?

Schlimm genug, dass D gegen E verloren hat. Ganz schön merkwürdig, dass die inoffizielle Turnier-Lala – White Stripes Seven Nation Army – verblüffend an Eviva Espana erinnert. Ruhig mal ausprobieren: PoopopopopopooopoooEVIVA Espana!

Aber am allerbösesten ist diese Bezopfte auf Spaniens Bank. Haben wir tatsächlich gegen eine Assistenztrainerin verloren? Gegen eine Frau? Das ist so grausam, so gemein. Kennt die wer? Oder ist das die Pflegerin von Spaniens Coach Luis Aragones, auch nicht mehr der jüngste… Andere Vorschläge, Hintergründe, Beruhigendes bitte hier posten. Sofort.

Revierfußballer des Jahres

"Es war eine Wahl von Experten. Es tut mir gut, es schadet niemandem."

Der beste Spieler der EM? Für mich, bisher: Hamit Altintop aus Gelsenkirchen-Ückendorf. Erst 25. Spielgestalter. Halbfinalist. Obwohl sie einen – wie sagt es H.? – "schwierigen", verrückten Trainer haben. Hamit macht das Spiel, veränderte sich von Rechts Hinten ins Zentralfeld. Rockt den Raum, immer am Gegner, versucht was, macht weite Wege, haut spektukuläre Dinger in den Strafraum. Und das vor allem dann: Wenn die Mannschaft zurück liegt. Das Geheimnis der Aufholtürken heißt Altintop. Oder das Bayern-Gen.

Genauso präsent stellt er sich den Mikrofonen nach dem Spiel, gibt schlaue Interviews (hier oder hier). Analysiert ohne Siegestaumel, schluckt souverän seinen Sprachfehler weg. Er weiß, was gut und schlecht war. Lässt sich nicht vom Atatürkischen-Pathos anstecken. Altintop macht den Unterschied. Und ist damit wenigstens ein Ruhrgebietskicker mit Fortune und Klasse. Deutschland kann bis auf Jens Lehmann auf Spieler aus dem RGB verzichten.

 

Foto: hamit-altintop.com

Public Viewing (2): Im Bett mit Netzer

Christina Stürmer singt dieses Lied zur Euro, und mich musste es erwischen: 39 Grad, Bettruhe, Langeweile. Da denkt man sich "Wetten, dass"-Wetten aus. An Hupkonzerten 16 Nationalitäten erkennen. Ich könnte das. Also Vormfernsehgedöse. Vitamingetränke. Sich über die  Fußballbegeisterung wundern. Und sich denken, im Bett ist meiner einer am besten aufgehoben. Stinkstiefelig, verschnupft, vergreist.

Seltsam, die jungen Menschen mit schwarzrotgelben Hawaiketten, Goaties, freundlichen Augen, Migrations-Hintergründen, wie die sich freuen können?! Ambivalente Gefühle aus Neid und Abscheu. Wie beim Karnevalgucken, einerseits möchte man schon dabei sein, mitbützen, mitkippen, lachen, singen, wehmütig katholisch sein. Andererseits: Warum?

Hab ich erwähnt, dass wir seit Tagen zwei Buntspechte im Garten haben, sie hacken in den halbwelken Riesenkirschbaum, rufen dazu lustig aufgeregt und sehen ganz zerzaust aus – fast wie Deutschlandfans.
PS: Muss sagen, als das erste Mal die Fahnen wieder rauskamen, achtzehn Jahre ist das her, da war ich jünger und auch draußen gucken. Bis zum Halbfinale war es wirklich nett – dann kam der Mob. War schon damals nichts für mich, Stinkstiefel bleibt Stinkstiefel.

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Saurons Auge

bildschirmfotos: zdf.de/mediathek

Losgegangen, nein, losgefetzt ist sie, die Europameisterschaft mit einem wiederum wie entfesselten Jürgen Klopp als ZDF-Experten. Die Jungs hätten enorm viel investiert, johlte der Neu-Dortmunder unter einem riesigen magischen Auge wie in Tolkiens Herr der Ringe.

 

Kloppo jubelte jedenfalls wieder auf allerhökschtem Niveau: Die Jungs hätten die Räume gut zugestellt, die Jungs hätten gut verschoben, hätten Vollgas gegeben, die Jungs hätten die Polen geschickt angegriffen, wenn die im Ballbesitz gewesen wären (wann sonst?). Die Jungs hätten dann mental einen Wackler gehabt und einzelne seien von einzelnen Polen zu weit weg gewesen. Aber insgesamt hätten es die Jungs ganz großartig gemacht, das alles jauchzt der Ex-Mainzer Profi und Trainer ins Mikrofon, lässt sich dann auch noch einmal die Hintertorkamera geben, macht einen Kreis aufs Spielfeld, noch ein paar Striche und lässt die Spielszene weiterlaufen. Toll.  

"Rausköpfen mit Niveau"

Jürgen Klopp, der in Dortmund als Neu-Coach so etwas wie ein Hoffnungsträger ist, stand also geschlagene zwei Tage auf einer zugigen, verregneten Plattform in einem alpenländischen See zusammen mit dem dauerdoofen Kerner und diesem Urs Soundso, der mal Schiedsrichter war, aus der Schweiz kommt und nur etwas zu sagen hat, wenn er drangenommen wird. (Dass die anderen ihn mögen bzw. dulden, hat sich Urs Soundso übrigens teuer erkauft, vor zwei Jahren hat er mit einem 500 Euroschein in einem McDonalds am Kölner Dom für die ganze Mannschaft eingekauft! Echt. Peinlich)

Dauerlutschersendung
 
Klopp und dieser Urs Soundso sind wie beim so genannten Sommermärchen die gedungenen Fußball-Europameisterschafts-Experten für das ZDF, wobei man sich fragt, wie diese Experten auf der Bregenzer Seebühne irgend etwas vernünftiges über ein Spiel sagen können, das sie gerade am Fernsehen gesehen haben. Statt wieder einmal seltsam aufgekratzt taktische Selbstverständlichkeiten von sich zu geben, könnten sie an diesem Unort am Ufer des Gebirgsnebels viel besser die Bildregie analysieren, die Interviews am Spielfeldrand oder den Live-Kommentar – der von Bela Rethy hatte übrigens auch den ein oder anderen mentalen Hänger. Aber ob und wie Fußball gespielt wurde in Klagenfurt, in Basel oder in Wien, wissen die von der Opernbühne doch nur vom Übertragungsraten. Und wer immer noch meint, am Bildschirm sehen zu können, was ist, der sollte zu nicht unter 100 Stunden Medienkompetenz-Schulung verdonnert werden.

Mindestens genauso gespenstisch wie das aufgekratzte ZDF-Trio ist freilich das Erscheinen der Aberhundertschaften von Fußballreisegruppen auf den Tribünen in Bregenz. Sie kommen freiweillig und sorgten gestern tatsächlich für Atmosphäre, sprich: Atmo. Stemmten ihre Transparente, winkten mit schwarzrotgeilen Puscheln und machten genau das, was der Fernsehfunk im Ausnahmezustand braucht: keinen Ärger und reichlich Stimmungsbilder. Dass schon nach dem bundesdeutschen Favoritensieg im Vorrundenspiel tausende Autos hupend durch deutsche Großstädte kurvten, kann bei so viel Einsatz nicht mehr verwundern. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, mich künftig vor Saurons alles verschlingendem Auge in Acht zu nehmen. Und vor den Drei von der Drehbühne. Heute sind Netzing & Deller dran.

Public Viewing (1): IRgendWO

Gestern startete in Oberhausen der Zugucksommer, das "umsonst & draußen" dieser Zeit. Die Ruhrbarone werden auch hin und wieder zusehen in den nächsten drei Wochen. Heute beginnt unser Streifzug durch Fernsehlandschaften.  

FOTOS: Schurian/ Ruhrbarone

Es war rührend schön, trotz Coca-Cola Oase, trotz Videowand, gestern in Oberhausen. Eigentlich liegt das Kommerzensemble aus Backstein, Flachwasser und Schinkenstraße ja im Nirgendwo auf Gutehoffnungsgebiet. Irgendwo im  Drescherland, in Retorte, Decentro. Draußen gab es jedenfalls zwei Buden mit Bauchfleisch und eine kompakte Menschenmenge, vielleicht 1.000, die zusammen Union Berlin gegen RWO schauten. Es ging um den Zweitligaaufstieg. Wie immer beim Public Viewing war das Bild körnig und blass, von der Sonne überstrahlt. Und der Ton aus der "Alten Försterei" dröhnte, als käme er über Kurzwelle und dann aus den Gitarrenverstärkern einer Punkband. Zuerst trugen nur die Vereins-Vips optimistische T-Shirts, nach dem klaren Dreinullsieg streifte sich der ganze Platz das Aufstiegsmotto: "Maloche lohnt" über. Selten so ein glückliches Fußballvölkchen gesehen. Selten gab es solch einen überraschenden Aufstieg in die zweite Liga. Selten einen erfolgreicheren Abschied vom Traineramt (Hans-Günter Bruns will nicht mehr, wird Sportdirektor und Luginger fortan Trainer). Selten glücklichere Vereinsfrauen (siehe unten,die sich so freut, ist  die Freundin von RWO-Aufsichtsrat Thomas Dietz). Zur Feier also zwei Jubelserien aus Oberhausen, rührend schön trotz Coca-Cola-Oase, trotz Centro.