Im Sommer 2015 saß eine Frau in einer U-Bahn. Dort griffen Hooligans eine Passantin an. Wie man es immer lernt, stand die Frau auf und rief: „Lasst die Passantin in Ruhe! Heh, schaut mal alle her, hier ist jemand in Not. Steht alle auf und helft mir!“ Aber die anderen Passagiere steckten ihre Nasen in ihre Smartphones und drehten sich weg. Die Frau war mit dem Notfall alleine.
Diese Frau hieß Merkel, der Notfall war die Flüchtlingskrise und die, die wegschauten waren die anderen EU-Länder.
Das Empörende ist nicht, dass Frau Merkel sich entschieden hat zu helfen. Das Empörende ist der niederträchtige Egoismus der anderen europäischen Länder, mit deren Hilfe die Aufnahme dieser Millionen Flüchtlinge noch problemloser möglich gewesen wäre. Ich bin überzeugt, dass die Kanzlerin mit dieser fehlenden Solidarität nicht gerechnet hat.
Es ist derzeit Mode, Frau Merkel vorzuwerfen, sie habe in der Flüchtlingsfrage immer noch nichts verstanden. So heißt es von der CSU, aber auch in diversen Kommentaren. Der Wahlerfolg der AfD zeige, dass die Menschen mit ihrer Flüchtlingspolitik nicht einverstanden seien. Dabei sind diesem Ergebnis nach ja nur die Rechtsradikalen nicht einverstanden. Die Mehrheit hat die CDU gewählt oder eine der Parteien links von ihr (wo die FDP wirklich steht, muss sich noch erweisen). Im Übrigen ist es ja bezeichnend, dass die Wechselwähler Frau Merkel den Mindestlohn verziehen haben, den Atomausstieg, dass sie aber dann, wenn es an ihre Ressentiments gegen Ausländer geht, keinen Spaß mehr verstehen.
Was will man von Merkel? Soll sie sich hinknien und Besserung geloben? Die Ausländerpolitik der Bundesregierung wurde nach der so genannten Flüchtlingswelle bereits erheblich verschärft. Vielleicht sogar so sehr verschärft, wie es verfassungsrechtlich überhaupt möglich war. Die Deals mit diversen Diktaturen kann man nur schmutzig nennen. Das alles reicht aber anscheinend nicht. Sie soll öffentlich sagen, ihre Entscheidung, notleidenden Menschen zu helfen, sei ein Fehler gewesen. Solange sie zu ihrer Zivilcourage steht, sind Seehofer und AfD nicht zufrieden.
Seit Horst Seehofer vor einem Jahr gefordert hat, Flüchtlinge zu bevorzugen, die aus einem christlichen Kulturkreis stammen, ist die CSU für mich endgültig eine verfassungswidrige Partei. Die Rettung einer Person von ihrem kulturellen Hintergrund abhängig zu machen, verstößt gegen jedes rechtsstaatliche Grundprinzip.
Ich hoffe Frau Merkel kündigt die Fraktionsgemeinschaft mit diesen Bayerischen Bullterriern einfach auf und lässt sie mit der AfD um den rechtsradikalen Knochen streiten. Irgendwann reicht es ihr bestimmt auch.
Europa in politischer Bedrängnis
Das Fehlen einer europäischen Politik hat zur Entstehung der sogenannten Flüchtlingskrise maßgeblich beigetragen. Ohne politisch relevantes Parlament und eine agile Regierung lässt sich zwar eine Bürokratie betreiben, nicht jedoch politisch angemessen reagieren. Zwar gibt es ein von Bürgern gewähltes Parlament, doch die Befugnisse sind beschränkt. Die Kommission, die ähnlich einer Regierung fungieren könnte, ist nur durch die Länderregierungen legitimiert. Mehr als ein länderübergreifender bürokratischer Versuch, die Flüchtlingsströme zu verteilen, ist bislang nicht zustande gekommen. Das Konzept eines partnerschaftlichen Zusammenlebens der Mitgliedsländer ist den gesellschaftlichen Veränderungen nicht gewachsen, ist apolitisch, beruht auf einem naiven Idealismus. Es handelt sich nicht um eine Flüchtlingskrise, sondern um eine europäische politische Katastrophe.
Das ist Malak
Das bedeutet „Engel“. Malak kommt aus Damaskus und ist am Sonntagmorgen gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Aya und ihren Eltern in Dortmund angekommen. Sie wurde dort von hunderten winkenden und klatschenden Menschen begrüßt. Ihr langer Weg hat sie zuletzt durch die Flüchtlings-Hölle Ungarn und durch Österreich geführt. Ich bin mir sicher, dass sie in den wenigen Jahren ihres bisherigen Lebens schon so einiges erlebt und durchgemacht hat. Und trotzdem schaut sie so unglaublich tapfer drein, wie ich es wohl nie können werde.