Mehr Hagen wagen

Hatte meinen Bruder zu Besuch, wollte mit ihm nach Hagen in die neuen Museen. Ich habe ihn vorgewarnt: Stell Dir die hässlichste Stadt Deutschlands vor, sagte ich zu ihm, nein, noch hässlicher, das ist Hagen. War da früher nur zu Terminen. Mir schien die Batteriesäure der Akkumulatorenfabrik Häuser, Gehwege und Menschen zu zersetzen. Alles Sonnenlicht wurde von einer grässlichen  Stadtautobahn geraubt. Damals. Und heute? Ein dickes Lob.

Fotos: ruhrbarone.de

Ab nach Hagen, hilft ja nichts, gibt seit Ende August das Emil-Schumacher-Museum, das neue Osthaus-Museum, früher Folkwang-Ursprung. Von der A 45 führt gar keine brutal aufgestelzte Bahn, sondern eine saftig begrünte Autostraße in die im Tal verdichtete, darüber aber luftig in die Hänge wachsende Stadt. Mit Blick auf Waldhügel bis zum "Museumsquartier" – das ist nun etwas großspurig, denn eigentlich handelt es sich nicht um ein Stadtviertel, sondern um ein neues Museumsgebäude, das an das Jugendstil-Folkwang-Osthaus-Haus angedockt wurde.

Aus dieser warmen, edelhölzern, gediegenen Folkwang-Keimzelle tun sich nun Durchgänge auf in getünchte Galeriearchitektur aus Emporen, Treppen, Innensichten und Aussichten auf Umgebung und das Alt-Museum. Zur Zeit hängen hier Werke von Christian Rohlfs, seine zweite Lebenshälfte verbrachte der Maler in Hagen.

Angelockt vom heimischen Kunstförderer Karl Ernst Osthaus wurde Rohlfs‘ bald zum Local Hero der Industriestadt. Konnte stilistisch tatsächlich alles – mir ist er ein bisschen zu sehr Kopist. Aber offenbar ein sehr inspirierender: Der alte Maler bewohnte später eine Etage im Museum, auch nach dem Verkauf der Folkwang-Idee und -Sammlung an Essen. Und er hatte einen besonderen Fan, der Rohlfs bei der Arbeit über die Schulter geschaut haben soll. Durchs Fenster, heimlich, genau hier: Emil Schumacher.

Fenster, Glas, Atelieridee, damit beschäftigt sich auch die Architektur des neuen Schumacher-Museums. Auf den hellen Folkwang-Osthaus-Flügel trifft ein grober Betonklotz, umbaut von einer Glasfront, die von riesenwüchsigen Schäkeln gespannt wird. Eine steile Granittreppe führt zum Höhepunkt, den Meisterwerken eines Großmeisters: Emil Schumachers Gemälde, besser, Malereiskulpturen.

Verkohltes Holz auf großen Formaten, wüste Pechstränen, tiefe Ölpfützen, blendend satte Farben, Blau, Gelb, Rot. Tief hinein geht es in den Untergrund der Arbeiten, vorbei an filigran verleimten Papierschichten, Brandmale, Kratzspuren, Anschläge, Farbkleckse. klick  All das unglaublich komponiert. Im Abstrakten fand Schumacher zu uralten Bildern von Pferden, Vögeln, Leitern.

Der 1999 verstorbene Documentakünstler hat ein gewaltiges Werk geschaffen, nun zu sehen in einer klugen, schönen Schau und einem gelungenem Museumsbau. Ganz am Aufgang der Granittreppe, etwas versteckt in einem Seitenraum, steht eine Staffelei Schumachers. Rot, gelb, blaue Farbtropfen umformen das Holzgerüst wie erkaltetes Wachs einen Kerzenständer. Auch das Farbskulptur – Schumacher wollte nicht auf oder gegen etwas Malen, sondern mit und durch Material und Farbe. Übrigens ist Schumacher zwar auf Ibiza gestorben, hat Nordafrika, den Irak bereist, blieb aber in Hagen wohnen, zeitlebens, für mich der größte Künstler des Ruhrgebiets.

Nach dem Museum noch etwas Innenstadt, noch eine Überraschung. Es schien die Sonne, zwei proppere Einkaufstraßen führen auf einen weiten Platz mit witzigem Belfried. Nett. Vielleicht war es die Sonne? Die Stadtreinigung? Noch eine seltsame Installation in der Fußgängerzone, Steinmetz und Friedhofsgärtnerei haben einen kleinen Friedhof aufgebaut. Zaun, Grassoden, Grabsteine, der Passant sitzt davor und ist sein Eis. Auch das: interessant. Kein Wunder, das das taufrische (und weiß schon: tendenziöse!) Unternehmer-Städteranking der Initiative Neue Marktwirtschaft Hagen nach Mülheim und Hamm zur drittbestplazierten Ruhrgebietsstadt erklärt hat. Kann mich nur anschließen und rate hiermit dringend zu einem Ausflug.