Eine Zumutung? Die Furcht vor der Freiheit

Christiane Jochum (Foto: privat)

Selten wurde um einen Begriff und seine Bedeutung so hart gerungen wie um die Freiheit. In ihrem Namen wurde und wird gekämpft, demonstriert, sie wird in Liedern besungen, viele Regalmeter in den philosophischen Abteilungen der Universitätsbibliotheken sind mit entsprechenden Werken gefüllt und doch bleibt sie uns seltsam fremd. Von unserer Gastautorin Christiane Jochum.

Auf die Frage: „Fühlst du dich frei?“ antworten die meisten Menschen hierzulande mit einem klaren „Ja“. Warum auch nicht? Niemand schreibt uns vor, ob wir morgens den schwarzen oder weißen Pullover aus dem Schrank holen, ob und wohin wir verreisen, welchen Beruf wir wählen, kurz: welche Lebensentscheidungen wir für uns im privaten Raum treffen. Alles ist selbstverständlich. Oder?

Schauen wir zurück. Die Jahre der Coronapandemie haben uns deutlich gezeigt, wie fragil unsere vermeintliche Freiheit geworden ist. Ausgangsbeschränkungen, Lockdowns, Kontaktverbote griffen tief in unsere Grundrechte ein und verunsicherten viele Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt den Stellenwert der Freiheit nicht besonders hoch geschätzt haben, eben weil sie selbstverständlich war, so schien es zumindest.

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Entscheidungsfreiheit? Lieber nicht – bei deutscher Rente

Und: Arm im Alter? (Foto von Tim Mossholder auf Unsplash)

Man gibt den Menschen eine Wahl. Zwei Rentenversicherungen. Die eine ist teurer, weil Provisionen für Vermittler drinstecken. Die andere ist günstiger – aber man muss das Honorar für die Beratung selbst zahlen. Was tun die meisten Deutschen? Sie nehmen die teurere Variante – natürlich. Sagt nicht irgendein Bauchgefühl, sondern eine repräsentative Studie der Fachhochschule Dortmund.

Über 2.000 Menschen zwischen 25 und 55 Jahren wurden online von einem KI-Avatar zu einer Rentenversicherung beraten. Zur Wahl standen zwei Varianten:

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Heringe mit Köpfen

Camping Foto Bundesarchiv, Bild 183 – 1990-0802-408 / Sindermann, Jürgen Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Der passionierte Campingliebhaber Björn Staschen legt mit „Gebrauchsanweisung fürs Camping“ ein großartiges Praxishandbuch für das angewandte Übernachten in freier Natur vor.

Während wir im vergangenen Corona-Jahr ausgiebig die Gelegenheit hatten, in unserem Home-Office sämtliche Erhebungen der heimischen Rauhfasertapete einzeln zu zählen, nach Wänden geordnet zu kartografieren und als Landschaftskunstwerke auf Instagram zu vermarkten, wird es jetzt Zeit, endlich mal wieder vor die Tür zu kommen. Gelegenheit also für den nächsten Urlaub in der freien Natur.

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Cartoons ohne Bilder #105


U-Bahn. Ein Mann mit ausladendem Bierbauch und großspurigem Blick blockiert breitbeinig und unter Zuhilfenahme mehrerer Einkaufstüten vier Plätze. Vor ihm steht ein verzweifelt dreinschauender kleiner und schmächtiger Mann.
Sprechblase über dem Sitzenden: „Sorry, aber Ihre Freiheit endet da, wo meine beginnt.“

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Der Preis der Freiheit

Eugène Delacroix – Die Freiheit führt das Volk


In der aktuellen Krise müssen wir nicht nur beweisen, wer wir sind, sondern vielmehr definieren, wer wir zukünftig sein wollen. In welchem Maße sind wir als Gesellschaft bereit, gefühlte Sicherheit mit einem sicheren Verlust an Freiheit zu erkaufen?

Margaret Atwood formulierte in „The Handmaid’s Tale“, dass Freiheit nicht nur als Freiheit zu, sondern auch Freiheit von verstanden werden kann. In den ersten Tagen der Pandemie haben sich weltweit Stimmen überschlagen und in nahezu ekstatischen Exzessen den Verzicht auf Freiheit gefordert. Ausgangssperren, Lockdowns, Verbote, die Rhetorik konnte gar nicht scharf genug sein. Nach der französischen Revolution haben sich die Jakobiner gegenseitig darin überboten, ihr pro-revolutionäres Verhalten zur Schau zu stellen. „Jakobinertum“, als Synonym für willkürlichen Zerstörungsdrang, fand nachfolgend Eingang in den sprachlichen Kanon.

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Debatte: Volker Beck und die Panzerschokolade

Drogen-Symbolbild
Volker Beck und die Panzerschokolade (Symbolbild)

Nach einem Bericht der Bild-Zeitung ertappten Polizisten den Grünen-Politiker Volker Beck beim Verlassen einer Berliner Dealer-Wohnung. Er soll 0,6 Gramm Metamphetamin mit sich geführt haben. Beck trat daraufhin von seinen Ämtern als innen- und religionspolitischer Sprecher seiner Fraktion und als Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe zurück. Notwendig war das keineswegs. Denn nicht der Konsum von Drogen ist verwerflich, sondern die Bestrafung opferloser Verbrechen.

Eines vorweg: Sollte Volker Beck -was hier keinesfalls unterstellt werden soll- ein Drogenproblem haben, sei ihm eine erfolgreiche Therapie gewünscht. Sollte er aus Freude am Rausch gelegentlich Drogen konsumiert haben, ohne dass sein persönliches Umfeld und seine politische Arbeit darunter leiden, sei  ihm der Spaß gegönnt. 

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‘Waldorfpädagogik ist gefährliche Esoterik’ – André Sebastiani im Interview mit der taz über die geplante ‘staatliche Waldorfschule’

Flucht aus der Waldorfschule

 

Noch im Januar 2013 warb Christian Füller in der taz für die umstrittene erste „staatliche Waldorfschule“ Deutschlands und diffamierte dabei André Sebastiani, Gastautor der Ruhrbarone, tollpatschig als „Rudolf-Steiner-Hasser“. Nun bietet die taz Sebastiani die Chance, in einem Interview die Gründe für die von ihm initiierte Petition „Gegen die geplante staatliche Waldorfschule in Hamburg“ darzustellen. Von Andreas Lichte.

Sebastiani nutzt seine Chance, gibt der taz ein eindrucksvolles Interview, Leseempfehlung!

Ich möchte hier nur einen wichtigen Punkt herausgreifen, und ergänzen, Zitat taz:

„taz: Hamburg will in dem Schulversuch diejenigen Teile der Waldorfpädagogik übernehmen, die gut funktionieren. Viel Kunst und Musik und keine Noten. Da spricht doch nichts dagegen.

Sebastiani: Natürlich nicht. Aber für all das brauche ich keine Waldorfpädagogik. Die staatliche Schule, an der ich unterrichte, ist ebenfalls notenfrei. Meine Befürchtung ist, dass es nicht bei ein paar guten pädagogischen Elementen bleibt, sondern man sich die ganze unsinnige Weltanschauung dahinter mit in die Schule holt.

Der Bund der Freien Waldorfschulen hat in einer ersten Mitteilung zum Schulversuch ‘Waldorf light’ ausgeschlossen. Inzwischen haben sie die Mitteilung interessanterweise von ihrer Homepage gelöscht.“

Unwidersprochen bleibt hier der Mythos, dass Waldorfschulen Kunst und Kreativität fördern. Ein Kommentar zum taz-Interview stellt das richtig (die Autorin ist mir persönlich bekannt), Zitat:

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