Die Antideutschen sind junge, ziemlich obskure Menschen, die meinen, der Kapitalismus würde sich nur durch immer mehr Kapitalismus überwinden lassen, weshalb sie aus Prinzip für England, USA und für Israel sind, die einzige westliche und marktwirtschaftliche Demokratie im Nahen Osten. So weit habe ich es verstanden. Doch was haben die eigentlich gegen Deutschland? Herrschen nicht auch hier Marktwirtschaft und Demokratie? Anders gefragt: Warum dürfen wir nicht teilhaben an der Entfesselung der globalen Marktkräfte auf dem Siegeszug zum Kommunismus? Vielleicht habe ich es jetzt begriffen – durch Fußball: Denn nirgendwo auf der Welt war und ist es so schwer für den Kick. Auch Leibesübungen sind auf dem deutschen Sonderweg. Immer noch.
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Als der Fußball noch Trendsport war, stellte sich die deutschtümelnde Turnbewegung Strauchballspielen, Fußlümmelei und " englischer Krankheit" erst in den Weg, um die immer populärer werdende Sportart dann einzuheimsen – allerdings zu ihren Bedingungen: Man spricht seither Deutsch aufm Platz, Eckball statt Cornerkick, Elfmeter statt Penalty, Spielkaiser, Schiedsrichter statt Ref. Und alle mussten Amateure sein und den Fußball, um seiner selbst willen treten. Wer ausscherte, Geld annahm, wurde bestraft und gesperrt, auch mal ins Ausland oder den Freitod getrieben.
Mehr als 70 Jahre lang hielt das der Deutsche Fußballbund von 1900 eisern durch. Keine Profis, keine Profiliga, stattdessen Vertragsspieler, strikte Gehaltsobergrenzen, Werbeverbote. Erst als im Bundesligaskandal herauskam, das Nationalspieler für ein paar Tausender käuflich waren und selbst Weltstars wie Günter Netzer oder Gerd Müller mit der Herausgabe von Stadion-Magazinen nebenbei ihre Bezüge aufbesserten, wurde mehr Marktwirtschaft gewagt: Spielergehälter wurden frei gegeben, Trikots durften Werbung bekommen, die Gründung einer Zweiten Bundesliga.
Doch die Beharrungskräfte im deutschen Fußball waren nur geschlagen, nicht besiegt. Bis heute machen DFB und deutsche Sportöffentlichkeit den Profi-Fußball hier anders als anderswo. Der verhinderte Einstieg eines Finanz-Investoren beim Traditionsclub 1860 München KLICK zeigt mal wieder, wie schwer sich Verband, Liga und Fußballöffentlichkeit mit dem Kapitalismus tun. Oder warum untersagen ausgerechnet Statuten einer Profiliga, dass Geldgeber Einfluss auf Gremien und Management nehmen dürfen, dass Fußballclubs geschützt sein müssen vor Übernahmen? Trotz Börsenganges von Borussia Dortmund, trotz der FC Bayern München AG – am Traditions-Verein wird immer noch festgehalten. In der Finanzkrise gilt Verein sogar als Rettungsmodell.
Vereinsmeierisch fummelt sich der FC Schalke 04 übrigens gerade an die Tabellenspitze. Gestern startete der Club eine eigene Veranstaltungsreihe namens "Tore und Gewinne" KLACK. Obwohl Schalke längst ein Wirtschaftsunternehmen mit Veranstaltungsstätte ist und vor neun Jahren eine AG gegründet hat, unter derem Dach einige Töchterunternehmen agieren, preisen sie in Gelsenkirchen die heimelige Vereinstradition. Und Schalke-Präsident Josef Schnusenberg – als langjähriger Berater des dem Schalker Aufsichtsrat vorstehenden Feischmagnaten Clemens Tönnies marktwirtschaftlichem Treiben durchaus zugetan – begreift Fußball mindestens als soziale Marktwirtschaft, lieber noch als Volksgut.
Schalke, soll der Steuerberater gestern Abend auf Schalke gesagt haben, Schalke gehöre keinem "arabischen Scheich, keinem russischen Milliardär, keinem reichen Onkel". Schalke gehöre seinen Mitgliedern. Natürlich wird Applaus aufgebrandet sein – auch bei Ehrenredner Günter Netzer: "Ein Fremdinvestor", soll der ehemalige Schalkemanager, heutige Wahlschweizer, Fernsehstar und Sportrechtehändler gesagt haben, würde die "Schalker Identität verfälschen".
Leider habe ich den aufschlussreichen Abend im "Tibulsky" verpasst. Oder zum Glück: Ich hätte mich gut antideutsch geärgert. Vemutlich weniger über Wirtschaftsemigranten Netzer – irgendwie hat er ja Recht mit den Grenzen der "Schalker Identität". Mehr über Schnusenberg Angriffe auf das Gebahren der englischen Premier League. Denn auf der Insel herrsche "Gigantomanie", die Premier League sei eine Art "Fußball-Bank", die das Geld einsammle, aber hinter den Kulissen türmten sich "hässliche Schuldenberge" auf. Deshalb gelt es die Engländer genaustens zu beobachten. Und auch hierzulande müsste man sich den Anfängen erwehren. Und dann soll Präsident Schnusenberg sich auch noch zu diesem hübschen Satz verstiegen haben: "Im 18.Jahrhundert stand der Manchester-Kapitalismus für den Niedergang der englischen Fußball-Kultur. Dieser Fußball-Kapitalismus frisst seine Fans, die zum Teil gar nicht mehr in der Lage sind, die hohen Ticket-Preise zu bezahlen. Diese Entwicklung im Mutterland des Fußballs ist für mich nur noch tragisch".
Abgesehen vom historischen Lapsus – im 18. Jahrhundert gab es keine englische Fußballkultur die der Manchester-Kapitalismus hätte zerstören können – hätten das deutsche Turnväter und andere Protofaschisten kaum besser sagen können. Vor mehr als hundert Jahren!
Letzte Frage: Weiß jemand, ob sich Antideutsche für Fußball interessieren? Fordern sie das Ende des Fußballprotektionismus? Den umgehenden Einstieg ausländischer Investoren in den deutschen Fußball? Die Umbennnung der Bundesliga in Pepsi-Cola-League? Die dezentrale Vermarktung aller Fernsehrechte an Fußballspielen? Das Ende einer öffentlich-rechtlichen Fußballgrundversorgung? Die Abschaffung aller Einsatzschranken für Fußball-Ausländer? Und die bedingungslose Anerkennung der ersten Fußballweisheit: "Geld schießt Tore"?
Sie wären mir nicht unsympathisch.
PS: Ich werde heute Abend eine Michael-Ballack-Fahne anfertigen.