Antideutsche Fußballgedanken

Die Antideutschen sind junge, ziemlich obskure Menschen, die meinen, der Kapitalismus würde sich nur durch immer mehr Kapitalismus überwinden lassen, weshalb sie aus Prinzip für England, USA und für Israel sind, die einzige westliche und marktwirtschaftliche Demokratie im Nahen Osten. So weit habe ich es verstanden. Doch was haben die eigentlich gegen Deutschland? Herrschen nicht auch hier  Marktwirtschaft und Demokratie? Anders gefragt: Warum dürfen wir nicht teilhaben an der Entfesselung der globalen Marktkräfte auf dem Siegeszug zum Kommunismus? Vielleicht habe ich es jetzt begriffen – durch Fußball: Denn nirgendwo auf der Welt war und ist es so schwer für den Kick. Auch Leibesübungen sind auf dem deutschen Sonderweg. Immer noch.

Foto: ruhrbarone.de

Als der Fußball noch Trendsport war, stellte sich die deutschtümelnde Turnbewegung Strauchballspielen, Fußlümmelei und " englischer Krankheit" erst in den Weg, um die immer populärer werdende Sportart dann einzuheimsen – allerdings zu ihren Bedingungen: Man spricht seither Deutsch aufm Platz, Eckball statt Cornerkick, Elfmeter statt Penalty, Spielkaiser, Schiedsrichter statt Ref. Und alle mussten Amateure sein und den Fußball, um seiner selbst willen treten. Wer ausscherte, Geld annahm, wurde bestraft und gesperrt, auch mal ins Ausland oder den Freitod getrieben.

Mehr als 70 Jahre lang hielt das der Deutsche Fußballbund von 1900 eisern durch. Keine Profis, keine Profiliga, stattdessen Vertragsspieler, strikte Gehaltsobergrenzen, Werbeverbote. Erst als im Bundesligaskandal herauskam, das Nationalspieler für ein paar Tausender käuflich waren und selbst Weltstars wie Günter Netzer oder Gerd Müller mit der Herausgabe von Stadion-Magazinen nebenbei ihre Bezüge aufbesserten, wurde mehr Marktwirtschaft gewagt: Spielergehälter wurden frei gegeben, Trikots durften Werbung bekommen, die Gründung einer Zweiten Bundesliga.

Doch die Beharrungskräfte im deutschen Fußball waren nur geschlagen, nicht besiegt. Bis heute machen DFB und deutsche Sportöffentlichkeit den Profi-Fußball hier anders als anderswo. Der verhinderte Einstieg eines Finanz-Investoren beim Traditionsclub 1860 München KLICK zeigt mal wieder, wie schwer sich Verband, Liga und Fußballöffentlichkeit mit dem Kapitalismus tun. Oder warum untersagen ausgerechnet Statuten einer Profiliga, dass Geldgeber Einfluss auf Gremien und Management nehmen dürfen, dass Fußballclubs geschützt sein müssen vor Übernahmen? Trotz Börsenganges von Borussia Dortmund, trotz der FC Bayern München AG – am Traditions-Verein wird immer noch festgehalten. In der Finanzkrise gilt Verein sogar als Rettungsmodell.

Vereinsmeierisch fummelt sich der FC Schalke 04 übrigens gerade an die Tabellenspitze. Gestern startete der Club eine eigene Veranstaltungsreihe namens "Tore und Gewinne" KLACK. Obwohl Schalke längst ein Wirtschaftsunternehmen mit Veranstaltungsstätte ist und vor neun Jahren eine AG gegründet hat, unter derem Dach einige Töchterunternehmen agieren, preisen sie in Gelsenkirchen die heimelige Vereinstradition. Und Schalke-Präsident Josef Schnusenberg – als langjähriger Berater des dem Schalker Aufsichtsrat vorstehenden Feischmagnaten Clemens Tönnies marktwirtschaftlichem Treiben durchaus zugetan – begreift Fußball mindestens als soziale Marktwirtschaft, lieber noch als Volksgut.

Schalke, soll der Steuerberater gestern Abend auf Schalke gesagt haben, Schalke gehöre keinem "arabischen Scheich, keinem russischen Milliardär, keinem reichen Onkel". Schalke gehöre seinen Mitgliedern. Natürlich wird Applaus aufgebrandet sein – auch bei Ehrenredner Günter Netzer: "Ein Fremdinvestor", soll der ehemalige Schalkemanager, heutige Wahlschweizer, Fernsehstar und Sportrechtehändler gesagt haben, würde die "Schalker Identität verfälschen".

Leider habe ich den aufschlussreichen Abend im "Tibulsky" verpasst. Oder zum Glück: Ich hätte mich gut antideutsch geärgert. Vemutlich weniger über Wirtschaftsemigranten Netzer – irgendwie hat er ja Recht mit den Grenzen der "Schalker Identität". Mehr über Schnusenberg Angriffe auf das Gebahren der englischen Premier League. Denn auf der Insel herrsche "Gigantomanie", die Premier League sei eine Art "Fußball-Bank", die das Geld einsammle, aber hinter den Kulissen türmten sich "hässliche Schuldenberge" auf. Deshalb gelt es die Engländer genaustens zu beobachten. Und auch hierzulande müsste man sich den Anfängen erwehren. Und dann soll Präsident Schnusenberg sich auch noch zu diesem hübschen Satz verstiegen haben: "Im 18.Jahrhundert stand der Manchester-Kapitalismus für den Niedergang der englischen Fußball-Kultur. Dieser Fußball-Kapitalismus frisst seine Fans, die zum Teil gar nicht mehr in der Lage sind, die hohen Ticket-Preise zu bezahlen. Diese Entwicklung im Mutterland des Fußballs ist für mich nur noch tragisch".

Abgesehen vom historischen Lapsus – im 18. Jahrhundert gab es keine englische Fußballkultur die der Manchester-Kapitalismus hätte zerstören können – hätten das deutsche Turnväter und andere Protofaschisten kaum besser sagen können. Vor mehr als hundert Jahren!

Letzte Frage: Weiß jemand, ob sich Antideutsche für Fußball interessieren? Fordern sie das Ende des Fußballprotektionismus? Den umgehenden Einstieg ausländischer Investoren in den deutschen Fußball? Die Umbennnung der Bundesliga in Pepsi-Cola-League? Die dezentrale Vermarktung aller Fernsehrechte an Fußballspielen? Das Ende einer öffentlich-rechtlichen Fußballgrundversorgung? Die Abschaffung aller Einsatzschranken für Fußball-Ausländer? Und die bedingungslose Anerkennung der ersten Fußballweisheit: "Geld schießt Tore"?

Sie wären mir nicht unsympathisch.

PS: Ich werde heute Abend eine Michael-Ballack-Fahne anfertigen.

Anne Will zurück zur Sportschau?

Foto: daserste.ndr.de

Fußballgucken statt Autowaschen, glotzen statt ausgehen, Flimmerkiste statt Sportplatz. Der Fußballfanatiker muss sich ab Sommer 2009 entscheiden. Heute hat die Deutsche Fußballliga (DFL) die Fernsehrechte für die kommende Spielzeit 2009/10 vergeben. allesaussersport.de berichtet mal wieder perfekt über die sportökonomische Großentscheidung. Fazit: Der Fußball bekommt noch mehr Platz im Fernsehen. Und Anne Will kann ja zurück zur Sportschau, die auf ihren Sendeplatz rutschen könnte.

Aber der Reihe nach: Den Zuschlag für Bundesligasenderechte für Fernsehen teilen sich wie bisher ARD/ZDF/DSF/Premiere. Die Telekom überträgt weiterhin im Mobil-TV, Web-TV und IPTV. Nur die Auslandsrechte vermakelt die Liga nun selbst; vorher besorgte das übrigens der in Deutschland so inkriminierte Wettanbieter bwin.

Die DFL – die ingesamt 412 Millionen Euro pro Jahr einstreichen wird, sieben Millionen mehr als zuvor – behauptet, dass es mit Beginn der kommenden Saison nur "wenige spürbare Veränderungen" am Fernseh-Wochenende geben werde. Doch das stimmt nicht wirklich: Wer ab kommenden Sommer den Premiere-Übertragungen folgen will, kann an einem normalen Bundesligaspieltag 22 Stunden (!!!) vor dem Fernseher sitzen. Freitags von 17.30 bis 22.30 Uhr. Samstags von 12.30 bis 20-30. Sonntags von 13 bis 19.30 Uhr. Montags von 19.45 bis 22.30 Uhr. klick (pdf)

Im kommenden Herbst werden dem Fußballzuschauer inklusive Champions League und UEFA-Cup beziehungsweise DFB-Pokal rund 35 Stunden Live-Fußball-Shows pro Woche angeboten. Und selbst vom Zusammenfassungs-Zuschauer ist mehr Sitzfleisch gefordert: Zur Sportschau kommt das Aktuelle Sportstudio mit exklusiven Ausschnitten des Samstagabendspieles. Am Sonntag Abend zeigt "Das Erste" nach dem Tatort nicht mehr Talk, sondern Torejagd – oft mit drei Partien aus der ersten Liga. Sonntag, viertel vor Zehn, war da nicht was?

Man kann über Anne Wills Talkshow jeder Meinung sein. Man kann es mit Fug und Recht sterbensöde finden, wenn wieder Peter Scholl-Latour auf Gerhart Baum trifft, wenn wieder das bisschen deutsche Terrorgeschichte aufgepustet wird – erst Recht nach Mumbai. Aber dass die Sportschau dem öffentlich-rechtlichen Sender wichtiger sein soll als der traditionellste Abendtalk im deutschen Fernsehen, liegt so daneben wie die berufenen Abwiegler aus der ARD. Die Entscheidung ab 21:45 Bundesliga zu zeigen bedeute für Anne Will ja erstmal gar nichts, heißt es bei den Senderchefs.

Stimmt schon, Anne Will könnte ja einfach weitermachen. Wie heißt es auf der Anne Will-Seite: "Als erste Frau moderierte sie 1999 die ARD-Sportschau." Doch das Politische hätte ein weiteres Zeitfenster verloren.             

 

Soccerdad im weißen Haus

Fotos:flickr.com

Sind Demokraten die besseren Fußballer? Doofe Frage. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Fußball ist der demokratische Sport. Fußball ist billig, man braucht wenig mehr als einen Ball und ein bisschen Gelände, jeder kann mitspielen. Die Gruppe muss komplexe Aufgaben lösen, Rückschläge und Erfolge verkraften. Man muss sich an Spielregeln halten und ist gleichzeitig auf der Suche nach dem Spektakel des Spiels. Das "the beautiful game" so beautiful ist, hat ungefähr der gesamte Globus begriffen, bis auf die USA. Vermutlich wird sich auch das unter Barack Obama verändern.

Barack Obama spielt zwar Basketball. Aber anders als der kadettenhafte Football, das verschnarchte Baseball oder das derbe Icehockey ist Basketball die einzige Sportart, die in den Staaten mit Fußball zu vergleichen ist. In den Städten gibt es überall öffentliche Plätze, als Freizeitsport kann das jeder spielen. Wie Fußball ist es kein Sport der Reichen, sondern der Armen, Migranten. Einziger Unterschied, zwei Meter und mehr hilft ungemein.

Obama spielt nicht Fußball. Aber seine Tochter kickt, Mutter Michelle ist Soccer-Mom, auch Obama guckt mal zu – auf mitgebrachten Klappstühlen. Im sommerlichen Grant Park – was hier vor ein paar Tagen geschah, wissen wir. Und mit den Obamas, den Demokraten zieht – wie einst bei Chelsea, Bill und Hillary – auch Fußball wieder ins Weiße Haus. Nur ein weiterer Schritt einer Fußballerisierung der amerikanischen Stadt-Gesellschaft. Besonders die Briten haben daran natürlich ihren Spaß: Sportkolumnist Steven Wells u.a. vom Guardian beobachtet schon länger, wie sich Soccer in den USA breit macht. Jetzt hat er seine Beobachtungen in einer interessanten Betrachtung zusammengefasst.

"Soccer: the Barack Obama of sports" – Fußball, das Obama des Sports.  Besonders schön an dem klugen Beitrag. Wells zieht eine Verbindung zu den angesagten TV-Serien der USA "Mad Men" und "Life on Mars", die in den Sixties und Seventies spielen, beide versuchen sich an einer Rekonstruktion der amerikanische Vergangenheit. Bei Mad Men ist das etwa die hedonistische, aufgekratzte, obereitle Vergangenheit einer Kette rauchenden Werbebranche. Was dem Mann vom Guardian auffällt? Natürlich gibt es keinen Fußball in diesen Bildern, aber es gibt überhaupt wenig Sport. Mit Style, mit Sex, Sprüchen wurde damals geworben, aber niemals nicht mit Sport. Heute wäre so etwas undenkbar: Sport ist Bindemittel. Und Fußball ist das rollende, kommende dicke Ding in den USA. Die Soccer-Moms und Soccer-Girls und Soccer-Dads, nicht die Hockey-Moms, haben die Wahl gewonnen.

Auch der einstige Bush-Herausforderer John Kerry hatte vor vier Jahren darauf gesetzt. Hielt engste Kontakte zu den erfolgreichen US-Nationalspielerinnen, es gibt ungelenke Kopfballbilder von ihm. Das Konzept kam zu früh, galt als zu unamerikanisch in xenophober Terrorangst. Bei den Clintons passte die Frauenfußballliebe – nein, die Tochter heißt trotzdem nicht nach einem Fußballclub! – zu den avantgardistischen Marotten einer lebenslustigen Kleinfamilie. Die Obamas nun repräsentieren nicht nur sportlich das städtische Amerika: Basketball, Fußball und etwas Ballett. Und die dazugehörigen Mütter.

 

  

Versuch über den VfL

 

"Denk nicht so bochumerisch", ermahnte mich Christian Gruber. Der scheidende Pressesprecher des VfL Bochum hat gut reden. Er arbeitet bald für den 1. FC Kaiserslautern. Bochumerisch ist zwar ein selten hässliches Adjektiv, aber fußballerisch (noch so eins) beschreibt es zutreffend eine besondere Haltung beim Fußball schauen und spielen: Grauen Pessimismus.

In Bochum scheinen nur Misantropen im Stadion zu sein, kurz gesagt: das Gegenteil von Erfolgsfans, die nicht an den Erfolg glauben. Misserfolgsfans, verzagte Menschen, denen das ganze Leben eine Tortur und Fußballspiele darin nur eine weitere Bestrafung sind. Wer Spaß und Freude sucht, sollte einen weiten Bogen machen um Fußballbochum. Denn das Bochumerische ist ansteckend.

Gestern Abend war eigentlich alles schön. Kalt war es, nicht feucht. Der Flutlichthimmel leuchtete weißblau über der Stadt. Zehntausende machten sich auf durch klare Luft und Geräusche des Spieltags. Dann Knistern, Rauschen, das "heute-geht-was-Gefühl" und ein frühes Heimtor gegen das Sensationsteam aus Hoffenheim. Es hätte jetzt ganz leicht werden können, ein Vergnügen, verzagte Gegner  – aber nicht in Bochum. Es wurde schwer.

Nach 20 Minuten stöhnten die Zuschauer, wenn ein Ball versprang, nach 30 Minuten schauten sie auf die Uhr, murmelten, bloß kein Ding mehr vor der Pause. Nach 40 Minuten war klar, der Schiri ist auf Seiten der anderen. Und in der Pause wurde gejammert, muss es wirklich eine zweite Halbzeit geben?!

Der Tribünenmisantrop ist nur ein Ausdruck des Bochumerischen – auf dem Platz herrscht der Fußballfatalist. Der Schulterhängenlasser, Ballindenfusshabenwoller, Mitspielermitblickenbestrafer, Zweikampfverluststehenbleiber und natürlich der Mussichallesalleinemacher. In Bochum wird noch aus jedem aufgedrehten Jungspieler ein schwerbeiniger Abstiegskämpfer. Das dauert Wochen, vielleicht ein Jahr, aber dann ist es so weit.

Bochumer Fußballprofis spielen das Gegenteil von Euphoriefußball. Weil sie um die Härten des Geschäfts wissen, weil sie immer das Messer am Hals spüren, können sie sich kaum freuen, weil schon die nächste Prüfung lauert. Können sich nicht befreien, weil doch nur der nächste Angriff droht. Sie verfolgen jeden Abpraller mit bangem Blick, starrschreck jeden Kullerball im Strafraum, weil sie gelernt haben, eine überstandene Torraumszene, ist eine überstandene Torraumszene, mehr nicht. Der Fußball als eine Welt der Schrecken, das Leben eine Sünde. Bochums Trainer – ein Schweizer, vermutlich Calvinist – ist der Hohepriester des Fußballskeptizismus. Doch hier hat die Tristesse ein lange Tradition, es ist eine Art Erbkrankheit.

Es gab Versuche, Bochum anders zu denken. Angriffslustiger, optimistischer, verrückter, lustiger. Ein Schnurrbartträger und Mopedfahrer, der vor der Fankurve in weißen Socken und ausgebleichten Jeans tanzte. Ein Lockenkopf mit den heilenden Augen, dem immer das Hemd aus der Hose hing. Der Heisere, den sie auf Schultern trugen, in dieser einzigen wirklich schwerelosen Bochumer Zeit. Als die Helden der Abstiegskämpfe plötzlich absteigbar wurden, war das kein Trauma, sondern eine kollektive Befreiung, eine Erlösung, ein Freudentaumel. Bis sie wieder erstklassig waren.

Auf Dauer hält die Alternative nicht. Letztlich ist Bochum vom Existenzialistenfußball besessen. Bochum heißt Motzen lernen, Bochum heißt, in Internetforen auf Verein, Mannschaft, Trainerstab, Fankurve herumzutrampeln und alles noch viel schlimmer zu machen. Bochum soll keinen Spaß machen, sondern Sorgen, verkniffene Gesichter, düstere Gedanken.

Und Bochum ist ansteckend. Natürlich kann ich auch nicht aus meiner Haut, es gibt für mich keinen anderen Verein. Auch gestern nicht gegen Hoffenheim. Das Team der Fußballroboter, auf denen eine SAP-Software läuft, kann mir keine Freude machen. Im Gegenteil. Irgendwann habe ich sie verabscheut, die neunmalkluge Bank, den Hockeyideologen, die "schaffe, schaffe" Rhetorik, ein Assistenztrainer, der seinen "Fans" Schmährufe gegen Bochum erfolgreich untersagte. Vermutlich steckt eine Sekte hinter Dietmar Hopp, Rangnick und der badischen  Fußballblase. Mir sind die unheimlich, wie damals, als plötzlich überall Lidls auftauchten.

Schlusspfiff, mit dem Rad nach Hause, was flattert im Wind? Ein Gruß aus Hohenlohe.

Bochumerisch, das ist noch auf dem Fahrrad gedemütigt zu werden!

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Schweres Knalltrauma*

Ich schwärme für den Reviersport. Früher habe ich mich auf jeden Wochentag mit "o" gefreut, dann gab es eine neue Ausgabe. Ich habe die Hefte sogar aufgehoben in Ikea-Schubern und sie erst Jahre später an einem traurigen Tag weggeworfen. Heute kaufe ich mir Reviersport nur noch selten, aber die Essener Durchhalter verehre ich immer noch; auch wenn das Blatt seit Frühjahr zur "Dr.Oetker" Gruppe gehört. Seit Anfang August bin ich nun zum Stammgast der Online-Ausgabe geworden. Denn hier schreibt Thorsten Legat. Nochmal: Thorsten. Legat. Schreibt. Kolumnen. Uff.

Foto: flickr.com

"Thorsten Legat schreibt" klingt erstmal wie "Michael Phelps ertrinkt" oder "Wolfgang Clement entschuldigt sich". Im ersten Moment dachte ich deshalb, ich habe mich verlesen: Dass Legat schreit, laut in den Diskant kippend, soll ja vorkommen. Aber nein, der Mann aus Bochum-Werne schreibt. Jede Woche. Und wie.

Die erste Kolumne hieß "Man meint, man hätte einen Panzer auf dem Rücken". Was für ein Titel. Ich habe es vor mir gesehen: Tarzan Legat auf der Außenbahn, seine Rufe kreischen über den Platz, japsend trägt er einen Leo II. auf dem verschwitzten breiten Kreuz. Ansonsten handelt der Erstling von der ersten Pokalrunde mit eigenen Gesetzen gegen unterklassige Mannschaften. Naja. Legat verspricht natürlich die eine oder andere Überraschung, mutmaßt, dass Borussia es in Essen schwer haben wird. Es kam anders, Schwamm drüber.

Legats zweiter Streich "Van Buyten hatte nicht einmal Bezirksliga-Niveau" kann dann das Niveau der Überschrift locker halten. Eine Tirade gegen hüftsteife, übergroße Verteidiger: "Was bringt mir ein Sechs-Meter-Mann, der in der Luft alles wegholt?" fragt sich der menschgewordene Außenbordmotor. Natürlich rein rhetorisch. Um dann einzuräumen, dass alle Bundesligisten im DFB-Pokal eine Runde weitergekommen sind, "hätte ich nie gedacht!" Selbstkritik bei Legat, das ist zu schön.

"Bei der E-Jugend in Wermelskirchen sind genauso viele Leute am Seitenrand" ist dann die dritte und wohl reifeste Arbeit des hauptberuflichen Übungsleiters von TuRa Rüdinghausen. Hoffenheim an der Tabellenspitze ist für Legat ein Alptraum. Seinen beiden Söhen habe er beim Fernsehgucken erstmal erklären müssen, wo Hoffenheim liegt – wenn man die Tabelle umdrehe, da gehöre der Club hin, beklagt der einstige Star des VfL Bochum. Den Leuten, die jetzt meinen würden, Hoffenheim könne Meister werden, hält Legat eine schallendes "Was denn, Kartoffelmeister?" entgegen, um sich kurzerhand mit einem routinierten "Ich bin mal gespannt, wie es weitergeht" zu verabschieden. Ich bin es auch, Herr Kollege, ich bin es auch.

*Ach ja: Georg Koch schreibt leider noch keine Kolumnen, wären aber gewiss lesenswert. Mein Lieblingstorwart hat sich am Wochende beim Wiener-Derby verletzt, ein Feuerwerkskörper explodierte neben seinem Ohr. Diagnose, auch auf Reviersport gelesen: "Schweres Knalltrauma". Ganz zauberhaft.

History Repeating

Schön, ne! Super Foto, Gerdas Durchschnittsfamilie traumhaft aufm Tippelsberg (ja?). Nur das reingestempelte "unbeugsam seit 1848" stört. Ist mir ein bisschen viel historische Kontinuität für einen von den Nazis zusammenfusionierten Verein. Aber dafür steht man motivisch ganz auf Seiten von Freedom & Democracy: 


Andererseits, wer "Flags of our Fathers" beziehungsweise "Letters from Iwo Jima" gesehen hat, weiß selbst das nicht mehr so genau. Letztlich funktionierte das übrigens gestellte Flaggen-Photo aber als prima Werbemaßnahme für neue Kriegsanleihen.

Und was das Fußballerisch zu bedeuten hat?

1) Ein anderes un-wort "unabsteigbar" brachte dem VfL schon einmal Pech

2) Würde gerne wissen, wie die Fußballfan-Adaption der amerikanischen Siegerästhetik im pazifischen Krieg dem Japaner Ono im Kader des Bundesligisten gefällt.

3) Tatsächlich haben die US-Truppen den Kampf um Iwo Jima nach Wochen mit tausenden Toten gewonnen und schließlich eine fast unbewohnbare Insel erobert. Was könnte uns das über den Saisonverlauf 2008/09 sagen? Wahrscheinlich: Nichts. 

„Wer bin ich?“ Oder: Ein heiteres Präsidentenraten

Ich traf T. auf dem Treppenabsatz wieder. Nach zehn Jahren. Hat mich gefreut. Sein neuer Arbeitsplatz mache ihm Spaß bislang, sagte er, es werde hier längst professionell gearbeitet, sagte er, auch deshalb könne er die Kritik am Lieblingssündenbock, sagte er, nicht ganz nachvollziehen, der nehme sich das nämlich sehr zu Herzen, sagte er, vielleicht zu sehr, sagte er noch. Dann klingelte sein Telefon, "da ist er ja", Abschied. Kleines Ratespiel: Wer ist wer?

Es freut mich wirklich, dass einer wie Thomas Ernst jetzt in Leitungsfunktionen im Bundesligafußball steht. Dass Leute wie Klaus Hilpert weg sind. Dass in Dortmund ein fröhlicher Brillenträger den Fußballlehrer gibt. Dass die magenbitteren Zeiten vorbeigehen. Dass "my generation" dran kommt.

Denn wer hätte sich vor zehn, fünfzehn Jahren vorstellen können, dass der Pressesprecher von Schalke ein ironisches Vademecum über seinen Verein zusammenträgt? Dass sein Kollege beim VfL Bochum auch mal ein Programmkino managte. Dass bei Rot-Weiß-Oberhausen ein Theatermannn den Laden zusammenhält, dass ausgerechnet dort, am trüben, tristen Niederrheinstadion, heiter mit Malocherschichten und anderen Ruhrgebietsklischees geworben wird – und dazu ein Überraschungsaufstieg in die Zweite Liga gelingt!

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass einer wie Thomas Ernst Bochum-Manager wird, der seinerzeit als Lizenztorwart mit Hools, Ultras, Fanzinemachern und Bochumer-Schauspielhaus-Leuten schräge Abende organisierte? Blau-weiße-Montage hießen die zu frühen Vorläufer von Scudetto und Co.  Gestandene Fußballprofis spielten da im Theater Unten zu den Klängen des unvergleichlichen Mambo-Kurts etwa das Rateteam von "Was bin ich?". Einer wie Michael Bemben gab dann Annette von Aretin oder Marianne Koch – erst mit Scham, dann mit großem Vergnügen.

Einerseits. Andererseits finde ich es gut, dass es Leute wie IHN beim VfL gibt. Den alten, knirschenden, lispelnden Ruhrpottpatron. Unaustauschbar. Unmöglich. Unangepasst. Godfather of Fußballbochum. Also: Wer ist er? (Moritz Fiege stimmt nicht)    
 

 

Von einer Frau besiegt?

Schlimm genug, dass D gegen E verloren hat. Ganz schön merkwürdig, dass die inoffizielle Turnier-Lala – White Stripes Seven Nation Army – verblüffend an Eviva Espana erinnert. Ruhig mal ausprobieren: PoopopopopopooopoooEVIVA Espana!

Aber am allerbösesten ist diese Bezopfte auf Spaniens Bank. Haben wir tatsächlich gegen eine Assistenztrainerin verloren? Gegen eine Frau? Das ist so grausam, so gemein. Kennt die wer? Oder ist das die Pflegerin von Spaniens Coach Luis Aragones, auch nicht mehr der jüngste… Andere Vorschläge, Hintergründe, Beruhigendes bitte hier posten. Sofort.

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Revierfußballer des Jahres

"Es war eine Wahl von Experten. Es tut mir gut, es schadet niemandem."

Der beste Spieler der EM? Für mich, bisher: Hamit Altintop aus Gelsenkirchen-Ückendorf. Erst 25. Spielgestalter. Halbfinalist. Obwohl sie einen – wie sagt es H.? – "schwierigen", verrückten Trainer haben. Hamit macht das Spiel, veränderte sich von Rechts Hinten ins Zentralfeld. Rockt den Raum, immer am Gegner, versucht was, macht weite Wege, haut spektukuläre Dinger in den Strafraum. Und das vor allem dann: Wenn die Mannschaft zurück liegt. Das Geheimnis der Aufholtürken heißt Altintop. Oder das Bayern-Gen.

Genauso präsent stellt er sich den Mikrofonen nach dem Spiel, gibt schlaue Interviews (hier oder hier). Analysiert ohne Siegestaumel, schluckt souverän seinen Sprachfehler weg. Er weiß, was gut und schlecht war. Lässt sich nicht vom Atatürkischen-Pathos anstecken. Altintop macht den Unterschied. Und ist damit wenigstens ein Ruhrgebietskicker mit Fortune und Klasse. Deutschland kann bis auf Jens Lehmann auf Spieler aus dem RGB verzichten.

 

Foto: hamit-altintop.com

Public Viewing (2): Im Bett mit Netzer

Christina Stürmer singt dieses Lied zur Euro, und mich musste es erwischen: 39 Grad, Bettruhe, Langeweile. Da denkt man sich "Wetten, dass"-Wetten aus. An Hupkonzerten 16 Nationalitäten erkennen. Ich könnte das. Also Vormfernsehgedöse. Vitamingetränke. Sich über die  Fußballbegeisterung wundern. Und sich denken, im Bett ist meiner einer am besten aufgehoben. Stinkstiefelig, verschnupft, vergreist.

Seltsam, die jungen Menschen mit schwarzrotgelben Hawaiketten, Goaties, freundlichen Augen, Migrations-Hintergründen, wie die sich freuen können?! Ambivalente Gefühle aus Neid und Abscheu. Wie beim Karnevalgucken, einerseits möchte man schon dabei sein, mitbützen, mitkippen, lachen, singen, wehmütig katholisch sein. Andererseits: Warum?

Hab ich erwähnt, dass wir seit Tagen zwei Buntspechte im Garten haben, sie hacken in den halbwelken Riesenkirschbaum, rufen dazu lustig aufgeregt und sehen ganz zerzaust aus – fast wie Deutschlandfans.
PS: Muss sagen, als das erste Mal die Fahnen wieder rauskamen, achtzehn Jahre ist das her, da war ich jünger und auch draußen gucken. Bis zum Halbfinale war es wirklich nett – dann kam der Mob. War schon damals nichts für mich, Stinkstiefel bleibt Stinkstiefel.