Wider das Nützlichkeitsdogma – Arbeitslosigkeit geht alle an

Wohin mit unserem Sozialstaat? Nach der Jungen Union vertritt nun die Chefin der Jusos, Franziska Drohsel, bei den Ruhrbaronen ihre Ansicht von einem menschenwürdigen Leben – auch für Hartz IV-Empfänger. Sie sagt: Der alte Grundsatz „Nur wer arbeitet, soll auch essen“ dürfe nicht gelten. Das Grundgesetz schütze alle Menschen, auch die Armen. Aber genug der Vorrede. Es schreibt unsere Gastautorin Franziska Drohsel:

In unserer Gesellschaft gibt es zunehmend eine Stimmung, die Menschen in nützlich und nutzlos teilt. Dabei findet eine immer stärkere Ausgrenzung von Erwerbslosen statt. Sie bekommen zu hören, dass sie zu faul, undiszipliniert und arbeitsscheu seien. Das ist verheerend.

Arbeitslosigkeit ist ein gesellschaftliches Problem und darf nicht zu einem individuellen verklärt werden.

In den letzten zehn Jahren ist die Armut deutlich gestiegen. Unter der Armutsschwelle lebt knapp ein Viertel aller 19 -25-Jährigen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die ALG II-Regelsätze für Kinder nicht dem tatsächlichen Bedarf entsprechen. Deshalb muss es endlich ein Verfahren zur Bedarfsfeststellung von Kindern geben, mit dem das soziokulturelle Existenzminimum ermittelt wird.

Die populistische Stimmungsmache, wie Guido Westerwelle sie betreibt, ist diffamierend und trägt zu noch stärkerer Ausgrenzung bei. Besonders schockierend wird es, wenn es heißt, dass nur Menschen, die sich nützlich einbringen und sich „arbeitsbereit“ halten, ein Recht auf eine menschenwürdige Existenzsicherung haben. Das ist eine Vorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben, die nicht nur zutiefst inhuman ist, sondern auch gegen unsere Verfassung verstößt. In der Konsequenz bedeutet diese Ideologie nämlich: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Das Grundgesetz schützt das Recht auf Leben. Dazu gehört ein soziokulturelles Existenzminimum, um überleben zu können. Dieses ist nicht an die Arbeitsbereitschaft geknüpft, sondern an die Tatsache, Mensch zu sein.

Deshalb muss man offensiv gegen diesen Nützlichkeitswahn vorgehen. Als erstes müssen die Sanktionen gegen Erwerbslose abgeschafft werden. Im Rahmen der Hartz-Reformen wurden auch die Sanktionsmöglichkeiten gegen Erwerbslose verschärft. So gibt es die Möglichkeit, einem Erwerbslosen den ALG II-Regelsatz um 100 Prozent zu kürzen. Diese muss als Erstes fallen! Denn es ist die eindeutige Konsequenz der Ideologie, dass den Arbeitslosen nur mehr Druck gemacht werden müsse, damit sie wieder einen Job finden.

Das ist falsch! Arbeitslosigkeit hat gesellschaftliche Ursachen und genauso muss sie auch behandelt werden. Deshalb muss auch sozialer Ausgrenzung offensiv entgegengetreten werden. Mehr Teilhabemöglichkeiten und mehr Mitsprache der Betroffenen sind notwendig.

Jeder muss in dieser Gesellschaft die Möglichkeit und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben haben und jeder Relativierung muss dabei konsequent entgegengetreten werden.

Foto: Jusos