Es blieb friedlich, relativ friedlich, gestern am Freitag, am elften Tag des Aufstands in Kairo. Damit war nicht unbedingt zu rechnen am „Tag des Abgangs“, wie die Demokratiebewegung den 4. Februar nannte, weil ihr Rücktrittsultimatum an Mubarak gestern auslief. Und weil es am Donnerstag und in der Nacht zum Freitag Tote gab. Es wurde geschossen auf und um den Platz der Befreiung im Kairoer Stadtzentrum, die Schergen des Mubarak-Regimes ritten auf Pferden und Kamelen überfallartig in die demonstrierende Menge oder rasten in Tötungsabsicht mit Autos in Gruppen nichtsahnender Menschen.
Am Freitag war in der FTD zu lesen, dass ein Reisebüro am Platz der Befreiung (Tahrir-Platz) zu einer Gefängniszelle umfunktioniert wurde, und was sich darin am Donnerstag ereignet hatte. Silke Mertins berichtete von drei Männern, denen mit Gewalt Pullover und Jacken ausgezogen wurden. Auf die nackten Oberkörper wurden ihre Namen geschrieben, dann wurden sie mit eilig herbeigeschafften Kabelbindern gefesselt.
Nun findet ein Verhör statt: „Entweder du sagst uns, wer Donnertagnacht auf uns geschossen hat und was ihr jetzt vorhabt, oder … – „Ich weiß nichts!“ schreit einer der Männer, der mit blutverklebter Stirn am Boden vor den Schreibtischen liegt. Es hagelt Ohrfeigen. Was aus diesen drei Männern geworden ist, konnte Silke Mertins nicht mehr in Erfahrung bringen. Auch nicht, was aus den etwa 400 weiteren Gefangenen geworden ist, denen es ähnlich ergangen ist. Auch die Antwort auf ihre Frage, wo sie sind, wurde ihr „aus Sicherheitsgründen“ verweigert. Wo? „Hier auf dem Platz, an einem geheimen Ort.“ In der Moschee? Im U-Bahn-Schacht? In einem Gebäude? „Das können wir aus Sicherheitsgründen nicht sagen.“
Die FTD-Reporterin zitierte Adel Abdulatif, einen Aktivisten der Demokratiebewegung. Bei den Gefangenen handelte es sich um Zivilpolizisten und / oder Geheimdienstleute des Mubarak-Regimes, die der Oppositionsbewegung in die Hände gefallen sind. Die Fernsehbilder der erbeuteten Dienstausweise – von den Demonstranten wie Trophäen präsentiert – gingen um die Welt. Jetzt haben wir eine zumindest grobe Vorstellung davon, was mit den Ausweisinhabern währenddessen geschehen ist. „Entweder du sagst uns, wer Donnertagnacht auf uns geschossen hat und was ihr jetzt vorhabt, oder …“ – Oder was? … „Oder wir werden euch der Menge draußen überlassen.“
In diesem Fall hätten die gefangenen Stasi-Leute, wie Mertins schrieb, „kaum auf Gnade hoffen“ können – gewiss zutreffenderweise, vielleicht verständlicherweise. Man bedenke, dass gleichzeitig ihre Kollegen damit beschäftigt waren, Anhänger der Demokratiebewegung auf und um den Tahrir-Platz zu töten. Am Donnerstag Abend herrschten dort bürgerkriegsähnliche Verhältnisse. Aber rechtfertigt dies das Foltern von Gefangenen? Nach unserem Rechtsverständnis gewiss nicht, nicht einmal dann, wenn wir den Folterern im Namen von „Freiheit, Demokratie und Frieden“ (Hamed Abdel-Samad) eine Notwehrsituation zubilligen.
“Man kann nicht Demokratie predigen, aber mit Diktaturen ins Bett gehen”, sagt Abdel-Samad. Aber kann man Demokratie predigen, während man seine Feinde foltert? Gut, eine Revolution – wo gehobelt wird, fallen Späne. Schwamm drüber. Was aber, wenn das Folterverbot nicht nur einmal kurzfristig außer Kraft gewesen sein, sondern prinzipiell überhaupt kein Bestandteil in der Vorstellungswelt der ägyptischen Oppositionsbewegung sein sollte? Was, wenn „Freiheit, Demokratie und Frieden“ der Folter ebensowenig entgegenstehen wie der Todesstrafe, der Unterdrückung der Frau und vielen anderen im Westen an und für sich nicht gern gesehenen Herrschaftsinstrumenten, auf die in der arabischen Welt keineswegs die Muslimbrüder einen Monopolanspruch erheben können?
Während sich am Donnerstag Abend auf und um den Tahrir-Platz in Kairo all die zitierten grässlichen Dinge ereigneten, plauderte eine Handvoll Nahost-Experten in der ZDF-Sendung Illner über die Ereignisse. Akhtam Suliman, der Deutschland-Korrespondent von Al-Dschasira, erklärte dazu, dass die ägyptische Jugend jetzt keine – auch noch so gut gemeinten – Ratschläge aus dem Westen brauche, sondern verwies stattdessen auf das Selbstbestimmungsrecht des ägyptischen Volkes. Und der „Journalist und Israel-Kenner“ Henryk M. Broder, Abdel-Samad Reisegefährte in der ARD-Reihe „Entweder Broder“, kam sich vor wie 1989.
Er sei „voller Bewunderung für die Menschen in Ägypten“, erzählte Broder, und hege „tiefe Verachtung“ für die Bedenkenträger auf Deutschlands Sofas, die, anstatt sich zu freuen, die Risiken der gegenwärtigen Entwicklung betonen. Ja, die Freiheit sei ein Risiko, so Broder. Recht hat er, und so bleibt mir nichts Anderes, als mit seiner tiefen Verachtung leben zu müssen. Allerdings: von Broder verachtet zu werden, ist immer noch leichter erträglich, als von einer Kanaille wie Jürgen Todenhöfer bescheinigt zu bekommen, „schöne Sachen“ zu sagen. Wer nicht einmal Bedenken bekommt, wenn er mit einem „bekennenden Kriegsgegner“ wie Todenhöfer, um die Metapher Abdel-Samads aufzugreifen, ins Bett geht, ist vor lauter Liebe blind geworden.
Es wäre nicht der Rede wert, wenn Broder der einzige wäre, der hierzulande zwischen den Sympathien für den Muslimhasser Sarrazin und der Kumpanei mit dem Taliban-Begleiter Todenhöfer hin und hergerissen ist. Doch er ist nicht der einzige. Wenn in Deutschland irgendwo irgendwie die Humanität auf der Strecke bleibt, ist man des Beifalls der Massen sicher, wenn man erklärt, wie schön das doch ist.