Eine echte Ruhrgebietsmetropole war Recklinghausen nie. Die Kreisstadt im Norden des Reviers glänzte stets mit ihrem individuellen Charme und mit ihrer vergleichsweise gepflegten Altstadt, zog damit tausende Besucher aus der gesamten Region an. In meiner Jugend, in den 1980er- und 1990-er-Jahren war ich regelmäßig und gerne zu Gast dort. Mindestens einmal pro Woche machte ich mich von Waltrop aus nach Recklinghausen auf, um dort zu shoppen oder auch um am dortigen Kulturleben teilzuhaben.
Diese Zeiten sind lange vorbei. Inzwischen bietet die Stadt nur noch ein trauriges Bild. Vor etlichen Jahren schon setzte eine Verödung der dortigen Innenstadt ein, wie sie selbst im auf breiter Front kriselnden Ruhrgebiet wohl ihres gleichen sucht.
Als am Montag die offizielle Nachricht von der angedachten Schließung des großen Dortmunder Karstadt-Hauses am Westenhellweg, was seit ein paar Jahren unter dem sperrigen Namen ‚Galeria Karstadt Kaufhof‘ firmiert, verkündet wurde, war ich trotzdem noch irgendwie geschockt.
Viele Innenstädte im Ruhrgebiet machen, wie viele hier aus ihrem eigenen Alltag sicherlich wissen, gerade eine sehr schwere Zeit durch. Da bildet auch das 30.000-Einwohner Städtchen Waltrop im Kreis Recklinghausen, in dem ich lebe, keine Ausnahme. Immer mehr Leerstand ist auf Seiten der Ladenlokale in der Fußgängerzone zu verzeichnen. In den vergangenen Jahren haben wir uns damit hier im Blog der Ruhrbarone schonhäufiger beschäftigt.
Auch der Wochenmarkt, vor Jahren noch einer der attraktivsten im gesamten Ruhrgebiet, schlittert derzeit in eine deutlich erkennbare Krise. Viele Markthändler sind in den vergangenen Jahren ersatzlos verschwunden. Gründe dafür gibt es sicherlich viele. Das geht von der Konkurrenz der Lebensmittel-Discounter bis hin zu den vergleichsweise unattraktiven Arbeitszeiten und Verdienstmöglichkeiten der Marktbeschicker.
Wer kürzlich neu hinzukam, war (sowohl auf der Seite der Geschäfte als auch auf der der Markthändler) im Vergleich zum Angebot der Vorgänger, häufig nur von minderer Attraktivität bzw. Klasse (Stichwort 1-Euro-Shop).
Die generelle Abwärtsbewegung wurde im Laufe der vergangenen Jahre von immer mehr Zeitgenossen beobachtet, und soll nun offenbar auch (endlich) von der Lokalpolitik entschlossen bekämpft werden. Doch das scheint komplizierter als gedacht, denn erhebliche Widerstände tun sich dabei auch von unerwarteter Seit auf: den Händlern selber.
Seit einigen Tagen findet man sie wieder überall, die Berichte und Diskussionen rund um die Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof. Der Konzern soll derzeit schon wieder staatliche Hilfe benötigen, wenn er nicht in Kürze ganz vor die Hunde gehen soll, und angeblich stehen derzeit weitere rund 40 Filialen deutschlandweit vor dem Aus.
Die Emotionen schlagen deshalb hoch. Es wird auch über mögliche Investoren diskutiert und die Zukunft der Warenhauskette in Gänze. Die dabei teilweise zur Schau gestellte Überraschung und das Entsetzen über die schwierige Lage des Konzerns verwundert dann aber schon.
Um zu erkennen, dass die Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof alles andere als rosig aussehen dürfte, muss man kein ausgewiesener Experte oder gar Wirtschaftsfachmann sein. Schon ein interessierter Blick mit dem Auge des Kunden reicht grundsätzlich um zu bemerken, dass die aktuell noch deutlich über 100 Warenhäuser in der jetzigen Form keine große Zukunft mehr haben werden.
Die Innenstadt von Recklinghausen gehörte früher einmal zu den schönsten ihrer Art im Ruhrgebiet. Im Gegensatz zu den führenden Metropolen Dortmund und Essen, war es in der Kreisstadt im Norden des Reviers vergleichsweise anheimelnd und charmant. Viele kleine Gassen, schier unzählige inhabergeführte Geschäfte, nette Gaststätten und auch eine im Vergleich zu anderen Städten der Region schöne Architektur gab es dort.
Recklinghausen bot zwar nie die große Auswahl an Kaufhäusern und echten Attraktionen wie die benachbarten Mitbewerber, hatte dafür aber seine eigenen Vorzüge zu bieten. Das erscheint inzwischen eine kleine Ewigkeit weit entfernt.
In weiten Teilen der Wirtschaft scheint noch immer nicht angekommen zu sein, wie weitreichend das Internet unsere Gesellschaft verändert hat und es zukünftig noch tun wird. Da liest man aktuell zum Beispiel von offenkundigen Streitigkeiten rund um verkaufsoffene Sonntage in den Innenstädten unseres Landes.
Zum Hintergrund: Das NRW-Wirtschaftsministerium hatte per Erlass vier verkaufsoffene Sonntage bis Ende des Jahres 2020 erlaubt, um Umsatzeinbußen durch Corona zumindest zum Teil ausgleichen zu können. Die Richter des Oberverwaltungsgerichts in Münster hatten diese Pläne zahlreicher Gemeinden und Städte zuletzt per Eilverfahren gekippt.
Und jetzt wird ganz aufgeregt darüber diskutiert, wie das Ganze gelöst werden kann und soll. Dabei ist das völlig irrelevant.
Ich oute mich jetzt hier mal als jemand, den einige von unseren Lesern sicherlich als ‚Hamsterer‘ ansehen würden. Mit solchen und ähnlichen Vorwürfen sehe ich mich nämlich in meinem privaten Umfeld schon seit einigen Wochen konfrontiert, wenn auch bisher noch stets spaßig gemeint. In Anbetracht der öffentlichen Debatten, die vielfach in eine aus meiner Sicht schlicht falsche Richtung laufen, möchte ich mich hier aber einmal kurz erklären.
Ich habe in den vergangenen Jahren immer schon eine recht gut gefüllte Vorratskammer in meiner Wohnung gehabt. Schon lange vor der Corona-Krise. Von Produkten des regelmäßigen Bedarfs habe ich stets ein paar Packungen an Reserve vorgehalten. Nicht aus Angst vor irgendetwas, sondern aus reinen Kostengründen.
Seit Jahren schon prüfe ich regelmäßig die Prospekte der Supermärkte auf Sonderangebote. Dinge, die für mich interessant sind, die kaufe ich dann und stelle sie mir in den Vorrat. Da lässt sich einiges an Geld sparen, ohne dass mich das groß Mühe kosten würde.
Ich gehe als Freiberufler, der seine Zeit im Regelfall gut einteilen kann, ohnehin fast an jedem Vormittag in die Stadt und wechsle dabei die angesteuerten Ziele werktäglich ab. Man will ja Abwechslung in seinem Alltag haben. 😉
Und für jemanden, der mit Sicherheit weit weniger Geld verdient als der Durchschnittsbürger, hatte das den angenehmen Nebeneffekt, dass ich deutlich mehr aus meinem Geld machen konnte als ich es geschafft hätte, wenn ich keine Rücksicht auf Sonderangebote genommen hätte. Das macht sich nun doppelt bezahlt.
Sie kommen in Rudeln. Sie stellen ihre Fallen an gut besuchten Kreuzungen auf. Sie suchen sich Orte, an denen es kein Ausweichen gibt. Sie tragen bedruckte Regenjacken in Einheitsfarben, wie Gangmitglieder. Wenn man sie eine Zeit lang aus der Ferne betrachtet, kann man beobachten, wie sie sich gegenseitig aufstacheln, wie sie sich Mut machen, eingeschworene Teams, Predatoren auf Adrenalin. Sie tänzeln auf der Stelle, in einer Mischung aus Jagdfieber und aufgesetzter Fröhlichkeit. Manche Passanten lassen sie unbehelligt durch, vielleicht, weil sie nicht ins Beuteschema passen, vielleicht auch nur, weil sie sich schon von Weitem auf ein anderes Opfer eingeschossen haben, das sie im Blick halten wie ein Raubvogel.
Als Waltroper habe ich schon Zeit meines Lebens immer wieder Kontakt zu ‚unserer‘ Kreisstadt Recklinghausen gehabt. Obwohl meine Familie von Anfang an deutlich mehr in Richtung meiner Geburtsstadt Dortmund orientiert war, gehörten regelmäßige Besuche in Recklinghausen in meinem Leben lange Jahre stets mit dazu.
In meiner Kindheit hat mein Vater dort gearbeitet, mein Kieferorthopäde war dort niedergelassen. Später bin ich dann als junger Erwachsener mindestens einmal in der Woche selber zum Einkaufen dorthin gefahren.
Wenn Recklinghausen doch auch nie so viel zu bieten hatte wie Dortmund, wurde es als nette Alternative von uns doch immer auch gerne besucht. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre ließ das allerdings schrittweise nach. Recklinghausen vergammelte, Leerstand machte sich breit.
Sehr kritisch sah ich daher vor einigen Jahren auch den Versuch mit dem Neubau des Shoppingcenters ‚Palais Vest‘ die alte Innenstadt wieder zu beleben.
Inzwischen war ich seit der Eröffnung des neuen Konsumtempels direkt gegenüber des historischen Rathauses nicht mehr in der Innenstadt von Recklinghausen. Zu deprimierend erschien mir der Zustand der dortigen Altstadt inzwischen. Und das ‚Palais Vest‘ entpuppte sich schon bei seiner Eröffnung 2014 als gesichtslose Mall ohne große Highlights. Wenn ich so etwas besuchen will, dann wähle ich die größeren Alternativen in Dortmund, Essen oder Oberhausen. Recklinghausen war mir zuletzt keinen Besuch mehr wert.
Und da ich in dieser Woche ohnehin einmal komplett frei habe, habe ich die Gelegenheit am heutigen Montagvormittag gleich einmal ergriffen, mir ein paar frische Eindrücke vom Geschehen in der Recklinghäuser Altstadt besorgt.
Wenn Städte, so wie hier im Ruhrgebiet, finanziell ‚klamm‘ sind, dann neigen sie bekanntlich dazu sehr oft und gerne nach irgendwelchen öffentlichen Fördertöpfen zu hechten. So können Sie ihren Bürgern dann doch noch irgendetwas bieten, den sich offenkundig stark beschleunigenden Verfall der Infrastruktur, zumindest scheinbar, abbremsen, ihm zumindest kurzzeitig etwas entgegenwirken, den Bürgern doch noch ein paar neue ‚Attraktionen‘ vor Ort bieten.
Es drängt sich einem da als Beobachter inzwischen teilweise der Eindruck auf, dass gut ist, was nicht selber bezahlt werden muss. Häufig genug wird die Sinnhaftigkeit der so ermöglichten Projekte dabei jedoch nicht wirklich gründlich hinterfragt, wie es scheint.
Aktuell kann bzw. muss ich das persönlich direkt vor meiner Haustür, in Waltrop (Kreis Recklinghausen) mal wieder miterleben. Das ehemals schöne Vorzeigestädtchen am Nordrand des Ruhrgebiets hat sich inzwischen offenbar sogar in die Top-10 der Städte mit der höchsten pro-Kopf-Verschuldung in NRW ‚emporgearbeitet‘.
Neue Investitionen sind der 30.000 Einwohner-Stadt selber daher so gut wie gar nicht mehr möglich. Was hier neu ist, das haben in der Regel Privatleute oder öffentliche Fördertöpfe bezahlt. Die Stadt selber hat keinen finanziellen Spielraum mehr, hat nicht einmal mehr ausreichend Mittel zur Verfügung um die gröbsten Instandhaltungsarbeiten im Stadtgebiet zu finanzieren. Im Ruhrgebiet so allerdings auch nicht ungewöhnlich, wie viele Leser hier sicherlich aus eigenem Erleben in ihrer Heimatstadt werden bestätigen können.
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