Die närrischen Tage haben begonnen.
Gestrandete Zugreisende erklärten am Freitag auf dem Bahnsteig in die Fernsehkameras, sie hätten bis heute nicht verstanden, warum überhaupt gestreikt werde. Angesichts des relativ hohen Empörungsgrades verbieten sich sämtliche Zweifel an diesen Einlassungen. Zumal es tatsächlich nicht ganz so einfach ist zu verstehen, warum die Lokführer streiken. Etwas leichter verständlich war da schon die am Donnerstag in sämtlichen Nachrichten verkündete Meldung, dass die Gewerkschaft der Lokführer streikt. Hätten die heutigen Bahnreisenden schon einmal diese Nachricht verstanden – also die, dass am Freitag gestreikt wurde, hätte ihnen dieses Wissen einige Unannehmlichkeiten ersparen können. Auch der Frage, warum gestreikt wird, hätten sie sich mit etwas mehr Gelassenheit nähern können.
So wie es aussieht, werden die Streiks in der kommenden Woche fortgesetzt. Dann werden wieder Kameras auf den Bahnsteigen stehen und gestrandete Zugreisende filmen, die wieder erklären werden, immer noch nicht verstanden zu haben, warum überhaupt gestreikt werde. Und dass sie jetzt aber wirklich langsam sauer würden. Närrisch. Ob am Aschermittwoch alles vorbei sein wird?
Duisburg: Guttenberg, die Fans und die Polizei
Ramon van der Maat ist Pressesprecher der Duisburger Polizei. Seine Aufgabe ist, Erklärungen abzugeben. Damit verdient er sein Geld. Würde man sich also damit abgeben, zu all seinen Erklärungen Erklärungen abgeben zu wollen, müsste man wohl sämtliche Aufgaben abgeben, mit denen man sich ansonsten noch so abgibt. Da dies zu Erklärungsnöten führen könnte, begnügen wir uns mit den jüngsten Erklärungen, die van der Maat – wie sagt man? Ach ja – abgegeben hat.
Beginnen wir mit dieser hier: “Ich finde es schade, dass nun ein engagierter Politiker weniger auf der Regierungsbank sitzt.“ Sie ahnen, zu welchem Thema sich van der Maat erklärt hat. Richtig: zum Rücktritt Guttenbergs vom Amt des Verteidigungsministers. Ich weiß es nicht, erkläre mir das aber so, dass sich Herr van der Maat nicht dienstlich, sondern privat zu diesem die Republik bewegenden Vorgang geäußert hat. So genau geht das aus der heutigen Printausgabe der Duisburger WAZ nicht hervor.
Doch wie sollte es sonst sein? Dienstlich haben Polizeibeamte nämlich keine politische Meinung, allenfalls gewerkschaftlich – aktuell: zur vermeintlich drohenden „Flüchtlingslawine“ aus Nordafrika – oder, was in diesem Fall wahrscheinlicher ist, da van der Maat bislang nicht als Polizeigewerkschafter in Erscheinung getreten ist, privat.
Stellen Sie sich das doch bloß einmal vor!
Stellen Sie sich das doch bloß einmal vor! Ich gebe zu: die ganze Sache ist etwas weit hergeholt. Aber es hätte doch sein können. Und dann? Unvorstellbar.
Stellen Sie sich doch bloß einmal vor, der Freiherr von und zu Guttenberg hätte als junger Familienvater seine Doktorarbeit selbst angefertigt, also neben seiner beruflichen Beanspruchung als Schlossherr und seiner politischen Karriere als Bundestagsabgeordneter auch noch in mühevollster Kleinarbeit Einleitung und Schlussteil seiner Dissertation ohne Rückgriff auf anderer Leute geistigem Eigentum selbst geschrieben und in den Kapiteln dazwischen sämtliche Zitate sowohl kenntlich gemacht als auch in sinnvoller Weise in den eigenen Gedankengang eingebettet.
Kurz: Guttenberg hätte in untadeliger Weise seinen Doktor gemacht. Oder, weil diese Vorstellung in der Tat äußerst abstrus ist, der ganze Schwindel wäre erst ein paar Monate später aufgeflogen. Oder schon ein paar Monate zuvor. Hätte doch sein können. Nur mal so als fixe Idee. Und dann stellen Sie sich bitte weiter noch vor, die Völker Arabiens hätten die ganzen Aufstände, Revolutionen oder, wie auch immer wir diese Dinge bezeichnen wollen, noch eine Weile zurückgestellt. Wenn sich die Araber einfach gesagt hätten: jetzt haben wir jahrzehntelang all diese Despoten ertragen, da kommt es auf ein paar Monate mehr oder weniger auch nicht an.
Gänsefüßchen-Affäre: Scheiß auf den Doktor!
Nein, es kommt nicht auf einen Doktortitel mehr oder weniger an. Selbstverständlich nicht. Auf wen die magischen zwei Buchstaben so ähnlich wirken wie ein Adelstitel, der macht sich auch etwas aus Adelstiteln. Der wird nicht imstande sein zu erkennen, wie wenig edel so mancher Blaublüter agiert geschweige denn, wie viele mit akademischen Graden ausgestattete Flachköpfe mit Wort und Tat die Gegend verunsichern. Da jedoch unverkennbar auch noch das 21. Jahrhundert übervölkert ist mit Leuten, denen ein Herr Doktor allein durch seine Präsenz Minderwertigkeitsgefühle bereiten kann, und die vor einem Herrn Baron beinah vor Ehrfurcht erstarren, gleichzeitig aber dieselben Leute mit dem in modernen Demokratien üblichen Wahlrecht ausgestattet sind, sind diese Kindereien ganz so belanglos dann eben doch nicht.
Davon abgesehen ist die politische Relevanz des Umstands, dass Guttenberg bei seiner Dissertation gepfuscht hatte, gleich Null. Afghanistankrieg, Bundeswehrreform, Skandale um zweifelhafte Männlichkeitsrituale in der Truppe – das wären eigentlich die Themen, die eine demokratische Öffentlichkeit zu beschäftigen hätten. Fairerweise muss erwähnt werden, dass diese politischen Fragen ja auch tatsächlich medial erörtert wurden und werden. Offensichtlich nicht annähernd mit der Leidenschaft, mit der Guttenbergs Schummelei gegenwärtig durchgekaut wird. Politisch an und für sich vollkommen irrelevant; doch es lässt sich einfach nicht davon absehen, dass auch heute (noch?) die angeführte „demokratische Öffentlichkeit“ gegen die dominierenden Elemente vordemokratischen Bewusstseins wenig ausrichten kann.
Wäre es anders, wie viele Leute würden sich einer solch strapaziösen Prozedur eines Promotionsverfahrens ohne Not unterziehen? Wie hoch wäre im Falle einer „demokratische Öffentlichkeit“, die sich auf politisch relevante Vorgänge konzentriert, die Auflage der Bildzeitung, wie viele Visits hätten dann – nur mal so als ein Beispiel – die Ruhrbarone? Warum interessieren selbst wir uns für die Glaubwürdigkeit eines Politikers, gerade so, als wenn es in einer Demokratie darauf ankäme, einem Politiker irgendetwas zu glauben? Ein offenkundig vordemokratisches Bewusstseinselement. In einer Demokratie – so sollte man meinen – tritt ein Politiker / eine Politikerin / eine Partei vor der Wahl mit einem Programm an, um dann nach der Wahl regelmäßig Rechenschaft abzulegen, sprich: sich demokratisch kontrollieren zu lassen.
Wir glauben gar nichts; wir kontrollieren. Glaubwürdigkeit unterstellt – aus nachvollziehbaren Gründen -, dass Politiker bescheißen. Der nachvollziehbare Grund: es sind hinreichend Leute vorhanden, die sich bescheißen lassen. Ich bin darüber hinaus fest davon überzeugt, dass eine überaus große Zahl der Wähler sich bescheißen lassen will. Dies ist jedoch in der aktuellen Gänsefüßchen-Affäre nicht der springende Punkt. Und selbst wenn: der Beschiss sollte nicht so offensichtlich zutage treten, dass es selbst den romantischsten Zeitgenossen schwer fällt, sich weiterhin selbst zu bescheißen. Man will es lieber nicht so genau wissen. Und wer versteht schon etwas von den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens – in einem Land, in dem es kein Privileg der Boulevardpresse ist, den Lesern erklären zu müssen, was eine Dissertation ist?
Insofern wohnt, wie die Frankfurter Rundschau (FR) kommentiert, dem jetzigen Schlamassel für Guttenberg eine „tiefere Gerechtigkeit“ inne. Oder sagen wir besser, weil Gerechtigkeit ein ebenso abgründiger Begriff ist wie Glaubwürdigkeit, so dass man gar nicht wissen möchte, was wohl eine tiefere Gerechtigkeit sein könnte: der ganze Schlamassel kommt nicht von ungefähr. „Es war Guttenberg, der diesen Weg der apolitischen Selbstvermarktung – man könnte auch sagen: der Trivialisierung von Politik – betrat. Genau das fällt jetzt auf ihn zurück.“ (FR – nichts mehr ohne Quellenangabe!).
Und weil das so ist, hilft auch der Hinweis, seine Doktorarbeit sei doch völlig schnurze, kein Stück weiter. Da kann dieser Franz Josef Wagner in der Bildzeitung flehen, so laut er will: „Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor“. Es nützt nichts. Natürlich kann man auf den Doktor scheißen; das denkt sich auch der beknackteste Bildzeitungsleser. Aber man darf nicht bescheißen. Das machen zwar alle anderen Politiker ohne Unterlass, denkt sich der Bildzeitungsleser. Alle anderen Politiker außer Guttenberg. Der Guttenberg, der eben nicht. Genau der, das war einer mit Glaubwürdigkeit – plus Adelstitel, plus Doktortitel, hübsche Frau, süße Kinder. Und ausgerechnet der hat „seine“ Universität beschissen, alle diese hohen Herren, Damen und Herren – nur Professoren!
Die Verteidigungslinie „Scheiß auf den Doktor“ ist also völlig daneben gebaut. Thema verfehlt, setzen, sechs. Auch das Gequater von einem „politisch motivierten Angriff von ganz Linksaußen“ (CSU-Friedrich) wird nicht viel helfen – jetzt, wo die Frankfurter Allgemeine und die Neue Zürcher an der Spitze der Bewegung stehen. Auch die Mahnung um Besonnenheit, man möge doch erst einmal die Untersuchungsergebnisse abwarten, sind nichts als Tinnef: die Belege sind eindeutig, mannigfaltig, und … sie stehen im Internet. Obwohl: genau das ist es! Untersuchungsergebnisse abwarten. Na klar! Für Guttenberg wird alles davon abhängen, ob er sich „nur“ eine Rüge einfängt oder ob ihm der Doktortitel aberkannt wird. Das ist die Frage aller Fragen.
Bleibt es bei einer Rüge, hat Merkel immerhin 2013 Ruhe vor ihm. Ist der Doktortitel futsch, haben wir alle Ruhe vor ihm. Für immer.
Es läuft nicht gut für Guttenberg
Es läuft nicht gut für Karl Theodor Guttenberg. Hochgepusht zum beliebtesten Politiker Deutschlands schlägt jetzt das eherne Gesetz der Mediendemokratie erbarmungslos zu. Ab sofort geht es auf der Achterbahn der Politbarometer steil abwärts. Ab sofort ist Guttenberg freigegeben. Doch sind wirklich „die Medien“ schuld, dass es jetzt für das „Phänomen Guttenberg“ so knüppeldicke kommt?
Es begann im Januar mit den drei Bundeswehr-Affären, die den Verteidigungsminister in die Bredouille brachten. Seinen exzellenten Umfragewerten konnten die beiden Todesfälle und das systematische Durchschnüffeln der Post zwar nichts anhaben. Guttenberg reagierte nichtsdestotrotz äußerst giftig, nach seinen eigenen Maßstäben also „unprofessionell“ auf die entsprechenden Anwürfe.
Bekanntlich gehört es zum Schicksal eines jeden Verteidigungsministers, früher oder später durch den Schlamm der Komissköppe in größte Schwierigkeiten gebracht zu werden. Auch wenn Struck, seinem Vor-Vorgänger, diesbezüglich größere Unbill erspart geblieben war, fällt es schwer anzunehmen, dass Merkel diesen Aspekt außer Acht gelassen haben könnte, als sie Guttenberg auf die Hardthöhe abkommandierte.
Nachdem all die Bundeswehr-Unstimmigkeiten dem Medienstar nichts anhaben konnten, legte letzte Woche Schäuble nach und verglich das „Phänomen Guttenberg“ mit einer dümmlichen Schlagersängerin. Es erschien wie ein Foul im üblichen Duell zwischen Finanz- und Fachminister; doch es war ein ungewöhnlich schweres Foul. Und vor allem: der Pfiff des Schiedsrichters, in diesem Fall der Schiedsrichterin, blieb aus.
Alles noch im Rahmen des gesetzmäßigen Medien-Auf-und-Abs? Und jetzt das! Guttenberg hatte bei seiner Doktorarbeit geschummelt. Wobei dies noch recht milde formuliert ist angesichts dessen, was Andreas Fischer-Lescano heute über die Süddeutsche Zeitung ans Licht gebracht hat. Das Material, was der Juraprofessor über die Fachzeitschrift „Kritische Justiz“ vorgelegt hat, ist schlichtweg erdrückend.
Gewiss, wir schreiben alle ab, bis dass die Schwarte kracht. Erst recht im Zeitalter von Google & Co.; doch erstens gebietet es der gute Stil, hier und da zumindest mal den ein oder anderen Satz ein wenig umzustellen. Und zweitens gelten für Dissertationen – aufgrund der magischen Bedeutung, die den zwei Buchstaben auch heute noch zugemessen werden – nun einmal etwas strengere Maßstäbe.
Guttenberg schreibt in seiner Doktorarbeit seitenweise ab, ohne die Quellen anzuführen. Obgleich er dabei sogar die Kommafehler eins zu eins übernimmt, erwähnt er das verwendete Material nicht einmal im Literaturverzeichnis. Prof. Fischer-Lescano und sein Kollege Dr. Felix Hanschmann, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht mit Plagiatsfällen beschäftigt hatte, sind sich deshalb ziemlich sicher, dass man Guttenberg seinen Doktortitel entziehen kann.
Um dem Plagiatsvorwurf zu entgehen: so steht es in der Süddeutschen Zeitung. Ob Guttenberg dem Plagiatsvorwurf wird entgehen können, steht dahin. Ein Promotionsausschuss wird darüber zu befinden haben. Genau vor einem Jahr ist Dieter Jasper, CDU-Abgeordneter aus dem Bundestagswahlkreis Steinfurt III, mit einer gekauften Dissertation aufgefallen. In der Folge wurde ihm der Doktortitel aberkannt, und der Fall war erledigt.
Bei Guttenberg liegt der Fall anders als bei Jasper. Was die Dissertation betrifft: Guttenberg hat sie nicht gekauft, sondern offenbar gefälscht. Was die Politik betrifft: Guttenberg ist eine andere Nummer als Jasper. Glaubte er jedenfalls. Glaubten wir jedenfalls. Glaubte das Volk unerschütterlich. Jetzt aber läuft es nicht gut für Karl Theodor Guttenberg. Der Ausgang ist ungewiss, der Promotionsausschuss ist der Rat der Götter. Was vor Gericht und auf hoher See gilt, gilt erst recht vor dem Promotionsausschuss und der hohen Generalität. Und vor Frau Merkel.
Was tun? Wie geht´s? Wie fühlst Du Dich?
Die Moderne, die Postmoderne, der Wandel der Zeiten. Dem großartigen Matthias Beltz verdanken wir hierzu die Einsicht, dass die Leninsche Schlüsselfrage „was tun?“ (Moderne) abgelöst wurde durch das empathische „wie geht’s?“ (Postmoderne). Beltz ist viel zu früh gestorben; selbst einer wie er konnte nie und nimmer ahnen, zu welch grandiosen Weiterentwicklungen in Sachen menschlicher Wärme und so die spätkapitalistische Gesellschaft noch in der Lage sein würde. „Wie geht’s?“ – Mein Gott, wie unpersönlich!
Okay, auch Matthias Beltz war nur ein Kind seiner Zeit. Was hätte er sonst tun sollen, als die Umgangsformen seiner sozialen Außenwelt zu analysieren. Der angeführte Quantensprung vom „Was tun?“ zum „Wie geht´s?“ liegt dreißig Jahre zurück. Mindestens. Beltz hatte seine Erkenntnis bereits Anfang / Mitte der 1980er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Wie geht´s?“ – pah! „Wie fühlst Du Dich?“ So muss das heißen! „Wie geht´s?“ heißt ja schließlich nichts Anders als „Wie geht es?“ Wenn man – aus heutiger Sicht – so recht drüber nachdenkt: eine Unverschämtheit.
„Wie fühlst Du Dich?“ – Ja, es hat sich ganz schön was getan in den letzten Jahrzehnten. Heute lässt sich eine solche Frage – gleichsam ein Dokument der Humanität – ganz unbefangen stellen, ohne dass man Angst haben müsste, seinem Mitmenschen zu nahe zu treten. Aber damals? 80er Jahre. Diese ganzen Typen damals; wir brauchen keine Namen zu nennen. Halten wir uns schlicht vor Augen, wen es damals alles noch nicht gab. Zum Beispiel unser aller Lena. Die gab es überhaupt noch nicht. Unvorstellbar.
Oder bei den Politikern. So einen wie unser aller Baron von und zu Guttenberg. Okay, den gab es zwar schon, jedoch nur in Ansätzen und noch nicht als Politiker. Was war das damals bloß für eine öde Zeit! Keine Lena, kein Ken, und „Wie fühlst Du Dich?“ konnte man außerhalb der Sponti-Szene irgendwie auch nicht so ohne weiteres bringen. Ehrlich gesagt: mir ist das damals gar nicht so aufgefallen. Ich musste schon über Beltz´ „wie geht´s?“ lachen. Mein Gott, was waren wir damals alle kaputt! Total gefühllose Knochen. Entsetzlich.
Wie gut, dass wir heute zivilisatorisch einen Riesenschritt weiter sind. Doch seien wir wachsam! Der Prozess der Zivilisation vollzieht sich bekanntlich auf dünnem Eis. Und unter der Oberfläche der Freundlichkeit ist das Alte noch da. Mitunter auch über der Oberfläche, mitunter auch der Alte. Schäuble zum Beispiel, so ein Politiker der 80er Jahre. Übrig geblieben. Wie der schon aus der Wäsche guckt, macht klar, dass er nicht vorhat, noch einmal als Top-Kandidat in einem Wahlkampf vor sein Volk zu treten.
Dem passt das alles nicht. Den braucht man auch gar nicht erst zu fragen: „Wie fühlst Du Dich?“ Ein Blick in sein Gesicht erübrigt jede Frage, und es hätten sich noch eindrucksvollere Bilder finden lassen als dieses Artikelbild hier. Jetzt hat der alte Knötteropa der „Zeit“ ein Interview gegeben und darin das gesagt, was das ZDF freundlicherweise – siehe Artikelbild – in der Sendung „Berlin direkt“ ganz fett auf den Bildschirm gestellt hat: „Gucken Sie sich nur den Zirkus mit Lena auf der einen Seite oder das Phänomen Karl-Theodor zu Guttenberg auf der anderen Seite an.“
Die Leute vom ZDF hatten es sich nicht nehmen lassen, das Phänomen Guttenberg höchstselbst zu fragen, was er denn so von diesem Vergleich halte, den Kabinettskollege Schäuble mal so ganz nebenbei eingeworfen hatte. Ken – ganz cool lächelnd – „fand das einen wunderbaren Vergleich“. Sie können mir ruhig glauben, ansonsten klicken sie sich einfach bei Minute 14:00 in „Berlin direkt“ hier ein. Die Frage ist freilich, ob man Guttenberg glauben kann. „Wunderbarer Vergleich“ – na, sag´ mal! Ken, wie fühlst Du Dich? Originalton Guttenberg – kein Witz, echt passiert: „Ich fühle mich wie Karl Lena Meyer Guttenrut.“
Wie fühlst Du Dich? Der Bundesminister der Verteidigung fühlt sich wie Karl Lena Meyer Guttenrut. Daraus ergibt sich – m.E. zwingend – die Frage: „Wie geht´s?“ An ihn. Und an uns: „Was tun?“
Das Murren der Komissköppe und das Gezeter über den Schnellschuss-Minister
Verteidigungsminister Guttenbergs Entscheidung, Norbert Schatz als Kommandanten der Gorch Fock mit sofortiger Wirkung abzuberufen, ist von der liberalen Presse und der parlamentarischen Opposition heftig kritisiert worden. Er habe „den Kapitän der Gorch Fock gefeuert“, schreibt der Westen, „um sich selbst zu retten“. Die Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online und viele andere verweisen darauf, dass Guttenberg noch am Freitag erklärt hatte, erst die Untersuchungsergebnisse abwarten zu müssen, heute dann aber eine „rasche Entscheidung“ (Spiegel) getroffen habe, die „kein Führungsstil“ (SZ) sei. Von einer „übereilten“, gar „hastigen“ Personalentscheidung spricht der Westen, die zeige, „wie sehr der Minister unter Druck steht“. Außerdem gingen die „gewiss erdrückenden Vorwürfe“ ausschließlich auf „Medienberichte“ zurück. Gemeint ist die Bildzeitung.
Auch SPD und Grüne attackierten Guttenbergs Vorgehen. Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour, der mit dem Führungsstil und den Medienberichten als Entscheidungsgrundlage den liberalen Medien offenbar die Stichworte geliefert hatte, fällte das vernichtende Urteil über Guttenberg: „Das ist beliebig“. Und SPD-Fraktionschef Steinmeier erwartet vom Minister, dass dieser nicht wieder (!) Sündenböcke suche, sondern „dass er dieses Mal Manns genug ist, seine eigenen Fehler dann auch als solche einzugestehen.“
So können wir es im Spiegel-Online-Artikel lesen, der die Überschrift trägt: „Der Schnellschuss-Minister“. Selbstverständlich werden auch die ARD-Tagesthemen etwas zum Thema machen; angekündigt ist ein Beitrag mit dem Titel – dreimal dürfen Sie raten, richtig: „Der Schnellschuss-Minister“.
Es ist nicht abzustreiten: wenn der Verteidigungsminister gestern ankündigt, erst Untersuchungsergebnisse abwarten zu wollen und heute Herrn Schatz feuert, ist es die Pflicht der Opposition wie der Presse, hier kritisch nachzuhaken. Und wenn Herr Nouripour die ganze Sache ein wenig koordiniert, kann man nur sagen: gute Arbeit. Auch wenn Herr Steinmeier es für angemessen hält, seinen häufig bemühten „Anstand“, weil es hier um Komissköppe geht, ganz martialisch durch ein „Manns genug“ zu ersetzen, mag man es als seine Sache abtun, wie er gedenkt, sich als Kanzlerkandidat der SPD zu profilieren. Wenn er jedoch mit den Wörtchen „diesmal“ und „wieder“ ganz diskret einen Vergleich zieht zum vom Oberst Klein befohlenen Luftangriff am 4. September 2009, dann beweist dies, dass Steinmeier im Grunde das Massaker von Kundus bis heute nicht verstanden hat.
Der Tod der jungen Kadettin auf der Gorch Fock war vermutlich ein Unfall, vielleicht – wie die Mutter klagt – lag auch fahrlässige Tötung vor. Ein Vergleich mit dem Gemetzel von Kundus verbietet sich von vornherein. Herrn Guttenberg zu kritisieren, kann eigentlich nie verkehrt sein. Dass er jedoch dafür kritisiert wird, dass im Zuge der Kundus-Afffäre zwei deutsche Generale ihren Job verloren hatten, stimmt allein deshalb nachdenklich, weil dabei irgendwie unter den Tisch fällt, dass bei Kundus mehr als Hundert Zivilisten ihr Leben verloren hatten. Und doch: das, was über den Kapitän Schatz zu erfahren ist, und sei es auch „nur“ aus Medienberichten, sollte allemal ausreichen, Guttenberg nicht ausgerechnet dafür zu schelten, diesen Kerl suspendiert zu haben.
Na sicher hat Guttenberg so gehandelt, um sich selbst zu retten. Was ist das denn bloß für ein bescheuerter Vorwurf?! Zweifellos zeigt sein Herumeiern in einer der gegenwärtig drei aktuellen Affären, die den Verteidigungsminister beschäftigen, dass der Superstar der deutschen Politik gnadenlos überschätzt wird. Gut so. Man mag darüber schreiben. Dass aber liberale Medien und rot-grüne Politiker den Eindruck erwecken, diesem Kommandanten Schatz könne womöglich Unrecht widerfahren sein, stellt ein unerträgliches Anbiedern an den Corpsgeist der Bundeswehrführung dar. Schnellschuss-Minister … – Bei so einem Typen wie Schatz kann man gar nicht schnell genug schießen. Und wenn Guttenberg jetzt geschossen hat, wie auch immer und warum auch immer, dann kann man ruhig einmal schreiben: gut getroffen, Kleiner!
Keine Sorge! Man macht damit keine Reklame für diesen ach so beliebten, angeblich so sympathischen Nachwuchsstar. Im Gegenteil: wer Guttenberg dafür kritisiert, diesen Schatz degradiert zu haben, macht sich gemein mit Herren, mit denen sich weder ein unabhängiger Journalist noch ein roter oder grüner Politiker gemein machen darf.
Individuelle Fehler in lageabhängiger Rückzugsstrategie bei Einhaltung der Meldewege
„Meine Tochter fällt da nicht einfach runter“, ist sich die Mutter der 25-jährigen Offiziersanwärterin sicher. Aber welche Umstände dazu geführt haben, dass die junge Soldatin im November von der Takelage der Gorch Fock in den Tod gestürzt ist, wolle ihr die Marine nicht mitteilen. Deshalb weiß die Mutter bis heute nicht genau, wie und warum ihre Tochter ums Leben gekommen ist. Der Bundestag weiß es nicht, die Mitglieder des Verteidigungsausschusses wissen es nicht, und wie viel der Bundesverteidigungsminister über diesen Vorfall weiß, was man im Ministerium wusste, ist ebenfalls einstweilen nicht aufgeklärt.
Klar scheint zu sein, dass Gorch-Fock-Kommandant Norbert Schatz kurz nach dem Tod der Kadettin einigen Soldaten den unsinnigen Befehl gegeben hatte, in die Takelage zu klettern, und als diese sich weigerten, den Vorwurf der Meuterei erhoben hatte. „Meuterei auf der Gorch Fock“ – nachdem zunächst diese Schlagzeile es sogar mit den aktuellen Meldungen aus dem RTL-Dschungelcamp aufnehmen konnte, hat nun der Wehrbeauftragte – und nicht nur er – festgestellt, dass diese so nicht stattgefunden hatte. Dafür ist jetzt von sexuellen Übergriffen auf dem Schulungsschiff die Rede und von „menschenunwürdigem Drill“. Minister Guttenberg sah sich veranlasst klarzustellen, dass dieser „nicht geduldet werden“ könne.
Es läuft nicht rund in diesen Tagen für den Shooting Star der deutschen Politik. Vertuschen dürfe nie die Vorgehensweise der Bundeswehr sein, „und das ist es auch nicht“, gibt der Minister zu Protokoll. Und niemand fragt, warum es dann überhaupt erwähnenswert ist. Weil es nämlich inzwischen in allen Medien gemeldet wurde, dass „es da Versäumnisse gegeben hat“. Und wenn das so ist, wenn „die Meldewege nicht eingehalten wurden“, wenn – ja, der Guttenberg! – „es da Versäumnisse gegeben hat“, dann, ja dann – was glauben Sie denn?! -, dann „wird auch das Folgen haben. Das muss alles aufgeklärt werden“. Ein Mann greift durch. „Klare Konsequenzen“; man wird sehen. „Ich bin da wenig geduldig.“ Schön.
Reden kann er ja, der Karl-Theodor zu Guttenberg. Jetzt muss er nur noch die klaren Konsequenzen ziehen, und schon ist wieder alles in Butter. Wenn etwas nicht ganz so rund läuft, klare Kiste, muss man freilich eine Vorstellung haben, woran dies denn wohl liegen könnte. Der junge Minister aus dem Adelsstand weiß Bescheid: „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, so hätten wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit individuellem Fehlverhalten zu tun.“ Der Verdacht drängt sich auf. Individuelles Fehlverhalten – dieser Schatz auf der Gorch Fock scheint es in der Tat übertrieben zu haben mit dem Drill. Ob der auch allein verantwortlich ist für die angeblichen sexuellen Übergriffe? So ein Schatz. „Sie werden von mir keine Vorverurteilung hören.“ Ja, der Guttenberg; Recht hat er.
Individuelles Fehlverhalten dürfte – jedenfalls aller Wahrscheinlichkeit nach – auch im Fall des in Afghanistan erschossenen Soldaten eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt haben. Das war ja ohnehin von vornherein klar. Denn ob sich nun bei diesen Waffenspielereien der Schuss aus der Pistole des Verstorbenen gelöst hat, wie wir ursprünglich annehmen mussten, oder aus der Waffe eines Kameraden: tot ist tot. Ein individueller Fehler, wie wir beim Fußball sagen, völlig unnötig. Wahrscheinlich hatte der Kamerad mit seiner Pistole vom Typ Heckler & Koch P8 „gespielt“. Menschlich vielleicht verständlich; aber es leidet natürlich die ganze Mannschaft (in diesem Fall: Truppe) darunter. Blöde Spielerei: ein absolut unnötiger Fehler.
Wahrscheinlich. Denn auch hier gilt Ähnliches wie auf der Gorch Fock: „Zu laufenden Verfahren, die die Ermittlung der tatsächlichen Vorgänge zum Inhalt haben, können wir uns auch mit Blick auf Betroffene nicht äußern“ (Guttenberg). Unschuldsvermutung, Fürsorgepflicht, Kameradschaft, Kameraderie und alles. Im Bundestag wird die Informationspolitik des Verteidigungsministers beklagt. Immer langsam, wie gesagt: zu dieser Sache kann sich Guttenberg auch mit Blick auf Betroffene gar nicht äußern. Falsch informiert, verschleppt, immer wieder Informationen verschwiegen, … – das übliche Gezeter der Opposition. Man scheint vergessen zu haben, dass der Minister erst kürzlich in einer Talkshow direkt aus dem Feldlager aufgetreten ist. Sogar mit Gattin. Informationen aus allererster Hand. Dieses Dschungelcamp dagegen sollte eigentlich verboten werden, sagte Guttenberg beim Wahlkampfauftakt der CDU in Hamburg. Müssen wir uns das antun, was da Menschen angetan wird?
Die Menschenwürde. Menschen werden öffentlich vorgeführt. Befehl und Gehorsam. Anzeichen von Verrohung. Das unbekannte Gelände. Ganz abgesehen vom Risiko, von den Gefahren für Leib und Leben. Der Lagerkoller. Keine Privatsphäre. Keine Intimsphäre. Und immer wieder dieses individuelle Fehlverhalten. Wie jetzt zum Beispiel auch beim illegalen Öffnen der Feldpost. Auch hier: gegenwärtig ist nicht bekannt, wer die Briefe gefleddert hat. Sie werden von mir keine Vorverurteilung hören. Auch hier: „Wenn die Untersuchungen ergeben, dass hier irgendwelche Dinge vorsätzlich geschehen sind, muss das selbstverständlich Konsequenzen haben“ (Guttenberg). Klare Konsequenzen, wie wir annehmen dürfen. Ganz klar: „Das Öffnen von Briefen von Soldaten ist ein unhaltbarer Zustand“ (auch hier: Guttenberg). Genau wie der menschenunwürdige Drill, wie die sexuellen Übergriffe, wie die Waffenspielereien – wie all diese individuellen Fehler.
Jetzt muss er klare Konsequenzen ziehen. Der beliebteste deutsche Politiker in der Stunde seiner Bewährung. Eine Affäre schärfer als die andere; eigentlich hätte er es gar nicht nötig, gegen das Dschungelcamp zu zürnen. Wenn er jetzt eine gute Figur abgibt, hat er seine Dschungelprüfung so gut wie bestanden. Dann sollte der Weg frei sein. Noch hapert es etwas; das heißt aber nichts: bringt Karl-Theodor genug Sterne zurück ins Lager, kann er König werden. König von Deutschland. Das ist aber auch eine geile Show! Dagegen ist das, was die Gattin mit den Kinderschändern macht, direkt langweilig. Sicher: auch Stephanie hat Menschen öffentlich vorgeführt, die Menschenwürde missachtet. Trotzdem: langweilig! Genauso langweilig wie der politische Alltag, mit dem sich ihr Freiherr auch noch herumschlagen muss.
Heute haben im Bundestag die Beratungen über die Verlängerung des Mandats für den ISAF-Einsatz in Afghanistan begonnen. Nächsten Freitag wird abgestimmt; die Mehrheit gilt als sicher – für den Krieg, wie Guttenberg den Auftrag der Truppe zutreffenderweise nennt. Und weil dieser Krieg, wie jeder weiß, nicht zu gewinnen ist, wird diesmal auch gleich ein Rückzugsplan mitbeschlossen. Ein Datum für den Beginn des Truppenabzugs und vielleicht auch noch eine Jahreszahl für das Ende des Abzugs. Wobei es, wie Guttenberg erklärt hat, „wurscht“ ist, welche Jahreszahl genannt wird. Und damit hat der Minister nicht zuletzt auch deshalb Recht, weil er es geschafft hat, den kleinen Nebensatz „soweit es die Lage zulässt“ in den Antrag der Bundesregierung mit reinzupacken. Angenommen, der Bundestag beschließt ein Jahressteuergesetz mit den von der FDP so ersehnten Steuersenkungen. Dann ist es doch völlig wurscht, welche Steuersätze da genau drinstehen, solange sie mit dem Zusatz versehen sind: „soweit es die Lage zulässt“. Zu überlegen wäre, ob der Bundestag nicht nur noch Gesetze beschließen sollte, die von der Regierung nur vollzogen werden dürfen, soweit es die Lage zulässt. Etwas auszuführen, was die Lage gar nicht zulässt, ist schließlich ziemlich unverantwortlich.
Es gab Zeiten, zu denen Sozialdemokraten einem Gesetz dieser Machart nicht zustimmen wollten. Früher. Damals.
Freiherren, Freigeister und diese Sehnsucht: ein Wintermärchen als Vorschlag zur Güte
Die stellvertretende Vorsitzende der Partei „Die Linke“ Katja Kipping hat die Weihnachtspause genutzt, die Abschaffung der Adelstitel zu fordern. Unter Bezug auf das österreichische „Adelsaufhebungsgesetz“ von 1919 sagte Kipping: „Es ist an der Zeit, dass wir das auch in Deutschland tun.“ Adelstitel seien nämlich in einer Demokratie überflüssig.
Auch in Deutschland wurden zwar seit 1918 keine Adelstitel mehr verliehen, und mit der Weimarer Reichsverfassung alle Privilegien des Adels zumindest juristisch beseitigt, nach wie vor ist es jedoch gestattet, den Titel als Namenzusatz zu führen – wenn man adelig ist, versteht sich. Derlei Traditionspflege hat keinerlei juristische Konsequenzen; man kann nicht einmal einen Anspruch darauf geltend machen, entsprechend angeredet zu werden.
Schon insofern hat Frau Kipping Recht: solch ein Titel ist so überflüssig wie nur was. Und dennoch scheinen diese mehr oder weniger hübschen Titel ganz so überflüssig doch nicht zu sein. Immerhin ließe sich mit all den Vons und Zus eine „vordemokratische“ Sehnsucht stillen, die Kipping „in Teilen der Bevölkerung“ auszumachen glaubt.
Diese werde insbesondere von Verteidigungsminister Guttenberg ausgenutzt, der versuche, „sich als jemand darzustellen, der anders ist als das politische Establishment“, erklärte Kipping der Süddeutschen Zeitung. Damit knüpfe Guttenberg „an die Unzufriedenheit mit der real existierenden Demokratie“ an und spiele „mit dem Bedürfnis nach einem aristokratischen Führungsstil“.
Ganz offensichtlich hat Katja Kipping mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Adelstitel ein gutes Näschen bewiesen. Denn kaum hatte sie ihren Vorschlag gemacht, hagelte es auch schon Widerspruch von allen Seiten. Mehr ist über Weihnachten kaum zu erwarten. Sowohl in den Kommentaren unter den entsprechenden Meldungen als auch in den Blogs war zu vernehmen, dass nicht die Adelstitel, sondern vielmehr Forderungen nach ihrer Abschaffung überflüssig seien.
Schließlich sei doch der Adel in Deutschland seit 1919 abgeschafft, die heutigen Namenszusatzträger genössen keinerlei Privilegien, bei dem ganzen blaublütigen Gedöns handele es sich ohnehin nur um ein Unterhaltungssegment der Klatschpresse, und außerdem gäbe es im Lande weitaus wichtigere Themen.
Mit diesen sollten sich Politiker, insbesondere linke Politiker befassen, anstatt zu versuchen, um der eigenen Profilierung willen unpolitische Diskussionen über unpolitische Sachverhalte zu entfachen. Adelstitel seien letztlich bedeutungslos, und deshalb messe ihnen auch kein Mensch – von einigen den Lady-Di-Heftchen verfallenen älteren Damen einmal abgesehen – auch nur irgendeine Bedeutung zu.
Gewiss wäre es schade, wenn jetzt – ausgerechnet an Weihnachten – Zank und Streit darüber entstünde, wie wir es in diesem unserem Lande mit den vom blauen Blute zeugenden Titeln halten. Deshalb halte ich es mit Kippings Kritikern: eine solche Debatte wäre überflüssig. Die kann dieses Land nun wirklich nicht gebrauchen. Und sie tut auch nicht Not.
Denn bei allen Differenzen im Detail stimmen ja ihre Kritiker mit Frau Kipping überein, dass nicht nur eine Diskussion über sie, sondern auch die Adelstitel selbst heutzutage absolut überflüssig sind. Deswegen mache ich um des lieben Friedens willens folgenden Vorschlag zur Güte:
ausgehend von der Einigkeit aller Demokraten in dieser Sache verständigen sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages darauf, ohne viel Aufhebens – sagen wir: eingestilt über den Ältestenrat – unter dem Tagesordnungspunkt „ferner liefen“ die Adelstitel abzuschaffen und das Tragen dieser Namenszusätze zu verbieten.
Dieses ganze Prozedere kann ohne eine solche einer Demokratie absolut unwürdigen öffentlichen Debatte über die Bühne gehen. Das Parlament beschließt diese reine Selbstverständlichkeit ohne irgendeine Aussprache, so wie der Bundestag alle möglichen anderen Lappalien ebenfalls beschließt, ohne dass irgendjemand irgendeine Notiz davon nähme. Der Beschluss kommt ins Bundesgesetzblatt, und fertig ist die Lauge.
Die Betroffenen erhalten nach Inkrafttreten des Gesetzes eine amtliche Mitteilung, wann und wo sie sich ihre neuen Personalausweise, Pässe, Führerscheine etc. abzuholen haben. Die Gebühren für diesen Verwaltungsakt dürfen die üblichen kommunalen Preise nicht überschreiten. Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger sind von den Kosten der Entadeligung ihrer Namen freizustellen. Gewiss kämen mit dieser massenhaften Streichung von Namenszusätzen erhebliche Kosten auf die Städte und Gemeinden zu.
Doch dieses Geld ist den Demokraten die Demokratie wert. Das Adelstitelaufhebungsgesetz regelt im einzelnen, dass und wie Bund und Länder den Kommunen den Großteil dieser (Opportunitäts-) Kosten abnehmen. Obgleich sie sich in den vertraulichen Beratungen des Ältestenrats nicht mit ihrem Ansinnen durchsetzen konnte, dem ehemaligen sog. Adel selbst diese Kosten aufzubrummen, trägt die Linksfraktion diesen interfraktionellen Antrag mit.
Die Linke ist froh, diesen Fremdkörper aus der Demokratie verbannt zu haben, und bildet sich ein, auf ihrem Weg zum demokratischen Sozialismus ein Stück voran gekommen zu sein. Die anderen Fraktionen sind froh, Frau Kipping in ihrer Agitation gegen die „real existierende Demokratie“ etwas Wind aus den Segeln genommen zu haben. Die ehemaligen sog. Adeligen sind froh, diese absolut lächerlichen Namenszusätze endlich losgeworden zu sein, ohne befürchten zu müssen, auf ihren Sippentreffen blöde angeguckt zu werden.
Und alle Demokraten sind froh, dass nach langer, langer Zeit ein weiteres Stück Mittelalter abgeschüttelt werden konnte. Grafen, Fürsten und Barone und wie sie alle heißen gibt es jetzt nur noch im Märchen. Wohlbemerkt: das war jetzt nur so ein Vorschlag zur Güte von mir. Wenn Sie so wollen: ein Märchen. Denn selbstverständlich lassen sich die Adelstitel nicht einfach mal so nebenbei abschaffen.
Für solch ein Wintermärchen gäbe es nie und nimmer eine politische Mehrheit. Das weiß jeder; das weiß auch Katja Kipping. Man mag über ihre Motive streiten, man mag ihr Wort von der „real existierenden Demokratie“ für verunglückt halten, doch es ist ihr Verdienst, darauf aufmerksam gemacht zu haben. Adelstitel abschaffen, Revolution spielen, und sei es auch nur eine bürgerliche Revolution. So etwas gibt es hier nicht! Nicht in Deutschland. Wenn hier überhaupt mal Revolution gemacht wird, dann …
Ach, lassen wir das! Es ist noch Weihnachten.