Unser Gastautor Peter Ansmann hat das Buch „Kurdistan“ von Tobias Huch gelesen.
Ein Geschenk Gottes an alle Nahost-Experten, Journalisten und politische Analysten: Der Nahe Osten ist die ewige Quelle um die Welt mit Artikeln und Sachbüchern zu den Auseinandersetzungen dieser permanent unfriedlichen Region zu versorgen.
„Kurdistan“ von Tobias Huch – ist ein gerade erschienenes Buch zu dieser Region im Dreiländereck Türkei – Syrien – Irak.
Seit der Neugründung des Staates Israel sind seine Konflikte mit den arabischen Nachbarn ein Dauerthema. Andere Regionen im Nahen Osten sind seit dem arabischen Frühling, der den Zusammenbruch zahlreicher Autokratien mit sich brachte, in den Focus gerückt: Der Bürgerkrieg in Syrien und das Machtvakuum nach dem Sturz Saddam Husseins waren Nährboden für die Terrormiliz Daesch, dem arabischen Akronym für den sogenannten „Islamischen Staat“: Entstanden aus dem Ableger al-Quaidas im Irak durch Amin az-Zawahiri, gewachsen unter einer Gruppe von ehemaligen Geheimdienstlern aus der Saddam-Ära unter ihrem Strategen Hadschi Bakr.
Zehntausende durch Krieg und Not aus ihren Herkunftsländern vertriebene Menschen sind in den letzten Monaten auf der Suche nach einem sicheren Ort in Europa angekommen. Ein großer Teil von ihnen kommt aus Syrien, in dem seit mehreren Jahren ein furchtbarer Bürgerkrieg tobt. Lange haben die Mitgliedsländer der EU diesen Bürgerkrieg ignoriert. Angesichts der Menschen, die durch den Bürgerkrieg und das faschistische Terrorregime des IS aus Syrien vertrieben wurden, und nun in Europa Schutz und Hilfe suchen, können die EU und ihre Mitgliedsstaaten nicht länger Augen und Ohren vor der Lage in Syrien verschließen – sowohl in einem wohlverstandenen Eigeninteresse als auch im Interesse der Menschen in Syrien.
Eine Politik zu entwickeln, die die Lage in Syrien zum Besseren wenden kann, setzt eine gute Analyse und Kenntnis der Situation vor Ort voraus. Der Wiener Politikwissenschaftler Thoma Schmidinger hat dazu mit seinem Ende 2014 erschienen Buch „Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan – Analysen und Stimmen aus Rojava“ einen hervorragenden Beitrag geleistet.
Vor einem Jahr – am 15. September 2014 – fiel der IS/ISIS in den vorwiegend von Kurden bewohnten Kanton Kobanê in Nordsyrien – kurdisch: Rojava – ein. Knapp zwei Wochen später, am 28. September, begann der IS-Angriff auf das Stadtgebiet von Kobanê. Trotz des erbitterten Widerstandes der kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG/YPJ) konnte der IS in den folgenden Wochen große Teile der Stadt unter seine Kontrolle bringen. Der IS war den Kurden zahlenmäßig und militärtechnisch überlegen. Doch sowohl der IS als auch die internationale Öffentlichkeit hatten den Widerstandswillen der Kurden unterschätzt.
Der Berliner Journalist Enno Lenze, Lesern dieses Blogs auch als Gastautor bekannt, berichtet zur Zeit wieder aus dem irakischen Teil Kurdistans. Dort griff die türkische Luftwaffe Stellungen der PKK an.
Ruhrbarone: Hallo Enno, wo hältst Du Dich gerade in Kurdistan auf?
Enno Lenze: Gerade bin ich in Sulaimaniyya , der zweitgrößten Stadt und sowas wie die zweite Hauptstadt. Kurdistan ist politisch zweigeteilt. In der Hauptstadt Erbil leben größten Teil Freunde der DPK hier in Sulaimaniyya die Freunde der PUK.
Ruhrbarone: Wie schätzt man bei Euch die Angriffe der Türkei ein? Vor allem als Angriff auf den IS oder mehr als Angriff auf die Kurden?
Enno Lenze: In dem fall waren es zwei oder vier F-16 der türkischen Luftwaffe die dich an der iranischen Grenze lang bis Kandil flogen und in einem Angriff mehrere PKK Stellungen
Der Konflikt zwischen der Türkei und der als Terrororganisation geltenden PKK hat sich in dieser Woche drastisch zugespitzt. In der vergangenen Nacht griff die türkische Armee die Rückzugsgebiete der PKK an, auch von Angriffen auf kurdische Dörfer wird berichtet. Unter dem Vorwand, gegen den „Islamischen Staat“ vorzugehen, führt die Türkei nun eine groß angelegte Operation gegen ihren alten Feind, die Kurden, durch. Dies war schon gestern Morgen abzusehen. Über 200 Menschen wurden in der Türkei festgenommen, die Aktion wurde als Aktion gegen den IS gelabelt, bei einem Großteil der Verhafteten handelt es sich allerdings um Anhänger linker und pro-kurdischer Organisationen. Nach den Angriffen in der Nacht kündigte die PKK den Waffenstillstand mit der Türkei offiziell auf. Kurdische Jugendorganisationen rufen zur Revolte in der Türkei auf.
Das NATO-Land Türkei befindet sich im Krieg. Nicht etwa gegen den erklärten Feind „des Westens“, die Islamisten, sondern gegen den bisher effektivsten Gegner des IS, gegen die Kurden. Ja, ein paar Stellungen der Islamisten werden auch angegriffen, aber der Hauptfeldzug der Türkei richtet sich gegen die PKK und ihre Schwesterorganisationen jenseits der Grenze. Für die Türkei eine innen- wie außenpolitische Win-Win-Situation. Innerhalb der Türkei soll es so gelingen, die pro-kurdische Partei HDP zu schwächen, bei den letzen Wahlen hatte die Partei die 10-Prozent-Sperrklausel überwunden. Für die islamische AKP von Präsident Erdogan ist derzeit keine Regierungsbildung möglich. Bei wahrscheinlichen Neuwahlen könnte die HDP als Terrorpartei stigmatisiert oder sogar verboten werden. Außenpolitisch geht es der Türkei darum, das kurdische Autonomiegebiet in Syrien zu destabilisieren. Das Ansehen, dass die Kurden als Gegner des IS mittlerweile International genießen, stört die Machthaber in Ankara. Außerdem weckt das erfolgreiche Projekt Rojava auch bei den Kurden im Süden der Türkei den Wunsch nach mehr Autonomie.
Wenn der Konflikt zwischen der Türkei und der PKK nicht weiter eskalieren soll, braucht es jetzt eine kluge Politik „des Westens“. Die kurdischen Gruppen, die seit einem Jahr von den USA und europäischen Staaten unterstützt werden, benötigen weitere Unterstützung. Auf die Türkei muss Druck ausgeübt werden, gegen den „Islamischen Staat“ vorzugehen und nicht unter diesem Vorwand innenpolitische Probleme zu lösen. Aber auch die PKK und ihre Ableger müssen, bei aller berechtigter Wut und Verzweifelung, mit kühlem Kopf handeln. Morde an türkischen Polizisten sind nicht dazu geeigntet, große Sympathien zu erlangen.
Für heute rufen kurdische Gruppen zu Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet auf. In Nordrhein-Westfalen wird um 14 Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof protestiert.
In Bielefeld haben heute, nach Polizeiangaben, 6000 Menschen gegen den Terror des „Islamischen Staates“ (IS) demonstriert. Hauptorganisatoren der Veranstaltungen waren yezidische Vereine, die im gesamten Bundesgebiet moobilisiert hatten. Neben den Yeziden waren kurdische Organisationen, Aleviten, und Assyrer sichtbar auf der Demonstration vertreten. In ihrem Aufruf appelierten die Organisatoren an die Bundesregierung, „den Schutzbedarf yezidischer Flüchtlinge […] großzügig anzuerkennen.“ Außerdem forderten sie Schutzmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft, für die Minderheiten im Irak. Auch zu Spenden für die Menschen in Singal wurde aufgerufen.
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