„Wenn Sauerland das überstehen sollte, glaube ich nicht mehr an den Rechtsstaat.“ Dieser Satz hätte von mir sein können. Hätte er, tut er aber nicht. Und wenn ich dies gesagt hätte, was ich – wie gesagt – nicht habe, dann hätte ich mich mit dem, was der Duisburger Oberbürgermeister wohl kaum im Amt „überstehen“ könne, auf Sauerlands Rolle bei der Loveparade-Katastrophe bezogen. Und das wäre ungerecht gewesen – weniger gegenüber Adolf Sauerland, eher schon gegenüber dem Rechtsstaat. Denn, nur einmal angenommen, also rein hypothetisch, es wäre tatsächlich so gewesen, dass Sauerland nicht nur die politische Verantwortung für das Loveparade-Desaster trägt, sondern sich darüber hinaus auch noch persönlich schuldig gemacht hätte (wie gesagt: ein reines Gedankenspiel), dann bedeutet Rechtsstaat eben auch, dass Schuld bewiesen werden muss.
Konkret: die Staatsanwaltschaft müsste eine Dienstanweisung oder ein vergleichbares Schriftstück vorlegen, um zu beweisen, dass Sauerland Verwaltungsmitarbeiter angewiesen hat, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Selbst unter der rein hypothetischen Annahme, dass Sauerland solch eine strafbare Handlung eventuell hätte begangen haben können, wäre fast sicher davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft nicht über ein derartiges Schriftstück verfügt. Erstens, weil die Staatsanwaltschaft Duisburg sicherheitshalber auch Wochen nach dem Schadensfall noch engagiert die Kriminalpolizei Köln von einer Razzia im Duisburger Rathaus abgebracht hatte. Und zweitens, weil Sauerlands „Regierungsstil“ das Mündliche eindeutig dem Schriftlichen vorzieht. Deshalb werde ich auch weiterhin an den Rechtssaat glauben, selbst wenn Sauerland die Ermittlungen in der Loveparade-Sache überstehen sollte.
Der Umstand, dass mir das Verhalten einer einzigen Staatsanwaltschaft unerklärlich erscheint, kann meinen Rechtsstaatsillusionen insgesamt nämlich noch nichts anhaben. Schließlich gibt es nicht nur die Staatsanwaltschaft in Duisburg, sondern auch die in Wuppertal. Das ist die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Korruption, was uns thematisch zum Landesarchiv NRW führt, das in Duisburg gebaut werden soll. Sie geht dem Verdacht auf Geheimnisverrat, Untreue und Betrug nach, weil im Januar 2007 ein privater Immobilieninvestor für fast vier Millionen das Grundstück erworben hatte, als nur Insidern das große Interesse des Landes daran bekannt sein konnte. Der Verkaufspreis, den die Firma kurze Zeit später beim Land NRW erzielen konnte, lag bei 21,6 Millionen. Der Verdacht, dass es Adolf Sauerland war, der 2007 dem Essener Unternehmen Kölbl Kruse vertrauliche Informationen über den künftigen Standort des Landesarchivs gegeben haben könnte, ist nicht ganz neu.
Neu ist jedoch, dass dem WDR jetzt ein Brief vorliegt, in dem die Firma Kölbl Kruse ausdrücklich auf den Sauerland verweist, um den Verkäufer von ihrer deutlich besseren Offerte davon zu überzeugen, das Geschäft nicht mit dem Land abzuschließen: „Herr Sauerland selbst riet uns zu einem kurzfristigen Notartermin“. Nun muss auch nicht jede Behauptung einer Immobilienfirma in einem Brief an einen Geschäftspartner immer gänzlich den Tatsachen entsprechen. Insofern beweist auch dieses Schriftstück für sich genommen noch nicht viel. Nur: es wäre das „missing link“ in der ansonsten äußerst dubiosen Affäre um das NRW-Landesarchiv. Irgendjemand aus dem kleinen Kreis, der im Januar 2007 in der NRW-Staatskanzlei von der Entscheidung für Duisburg wusste, muss geplaudert haben. Kölbl Kruse nennt im Brief Adolf Sauerland. Jürgen Zurheide kommt in seinem WDR-Beitrag zu dem Ergebnis: „Das, was wir hier vorliegen haben, ist leider so dicht, dass wir davon ausgehen müssen, dass es stimmt.“ Deshalb rechnet Zurheide damit, dass die Ermittlungen der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, die sich bislang gegen Unbekannt richten, demnächst gegen Sauerland als Beschuldigten geführt werden.
Allerdings – wir kennen dies aus einem anderen Verfahren – geht auch die Staatsanwaltschaft Wuppertal davon aus, dass es noch Monate dauern kann, bis sich der Verdacht der Korruption und des Betrugs hinreichend belegen lässt. Und unter Verweis auf diese Ermittlungen – auch dies kennen wir aus dem anderen Verfahren – ist Sauerland nicht bereit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Wenn Sauerland das überstehen sollte, glaube ich nicht mehr an den Rechtsstaat“, sagte Hans Glassl der Nachrichtenagentur dpa. Glassl ist ein Privatdetektiv, der in diesem Fall für einen Makler ermittelt hat, der sich um drei Millionen Euro Provision betrogen fühlt. Der Schaden für den Steuerzahler sei zehnmal so hoch, meint Glassl. „Da ist soviel schief gelaufen. Das kann alles gar nicht wahr sein.“ Der Detektiv hat seine Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Wuppertal weitergegeben. Sie ermittelt inzwischen gegen einige Beschuldigte, verschweigt aber deren Namen. Auch das gehört zum Rechtsstaat. Auch darauf hat Adolf Sauerland ein Recht. Zu Recht.