Weltliteratur über erotische Themen? Das Literaturbüro Ruhr begann am Donnerstagabend in der Essener Stadtbibibliothek die Veranstaltungsreihe “Von Sinnen”, die vom 28.08 bis zum 03.11.2014 in differenten Städten des Ruhrgebiets gastieren wird, in jeweils unterschiedlicher Besetzung und mit verschiedenen Themen. Insgesamt ist das Literaturbüro dreimal in Essen, dreimal in Duisburg, je einmal in Gladbeck, Oberhausen und Herne zu Gast.
Mark Ammerns „Siechenhaus“
Der Autor Mark Ammern, ansässig im Ruhrgebiet, hat in den vergangenen Wochen die Prosa “Siechenhaus” in seinem Blog verfasst und zum Lesen zur Verfügung gestellt. Ausgang bietet das Ruhrgebiet und die Stadt Duisburg, die historisch auf ein ehemaliges Siechenhaus zurückblicken kann, das einst vor den Toren angesiedelt war, gleich neben dem Galgen.
Eine Geschichte bietet der Autor nicht. Der Ich-Erzähler der Prosa tritt als Touristenführer auf, der seine Kundschaft zunächst mit der älteren Historie knapp vertraut macht, dann mit einer Gaststätte ‘Siechenhaus’, die über den Zweiten Weltkrieg bis in die Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Generationen verband, bevor es zum Bruch kam.
Übrig blieb lediglich eine Straßenbahnhaltestelle und ein Straßenname. Mit dem Lösen einer ‘WildCard’ wäre es aber möglich, ein Siechenhaus entstehen zu lassen. Dies geschieht tatsächlich, nicht durch einen der Touristen, sondern den Touristenführer.
Kurze darauf werden sie als Besucher eines Gerontologischen Klinikums begrüßt, von einer Mitarbeiterin der Abteilung Öffentlichkeit. Wie sich allmählich herausstellt, handelt es sich bei der Klinik um ein überregional renommiertes Demenzzentrum, das seine Patienten manchmal auf Tournee schickt, z.B. zu einer Spezialbehandlung nach Düsseldorf, und sogar über einen eigenen Himmel, eine Hospizstation verfügt. Die demografische Entwicklung der Gesellschaft wird das zentrale Thema.
Überwiegend wird von Ammern direkte Rede verwendet, ohne sie als solche kenntlich zu machen. Lediglich wenige Passagen sind anders gestaltet: als innerer Monolog, wie sich kurze Zeit später herausstellt, und erzählerisch. Von keiner der auftretenden Personen ist ein Name übermittelt, wie dies für öffentliche Situationen durchaus typisch ist. Einlesen kann sich jeder in Ammerns Blog: Die Sprache der Minuskeln.
DIE Alternative zur öden WM-Eröffnung!
Das Maschinenhaus Essen (www.maschinenhaus-essen.de) präsentiert im Rahmen seiner Scratch Nights am Donnerstag, dem 12. Juni 2014 um 20 Uhr (Eintritt frei):
Ein Schock am Wörtersee
Heute mal der Tusch für die Welt! Ein dichtes, schnelles Tagebuch von Elmar Krekeler und der Abdruck der Eröffnungsrede des Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt. Es spricht Josef Winkler. Nein, es seziert, blamiert, schockiert da einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller eine Stadt ohne Bibliothek, aber dafür mit Korruption und Unfalltot um ein nutzloses EM-Stadion direkt am Wörthersee. Herausragend. Leider weniger herausragend die Überschrift: Autor Josef Winkler "brüskiert Haider Witwe". Das ist natürlich – wie sagt man es noch dort drunten? – a Schmarrrrn. Und zwar: Oan großer!
Finanzkrise: Zeichen der Zeit
Die freie Wirtschaft (Auszug)
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht.
Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn –
wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht.
Aber wir.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge –
kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier …
Ihr nicht.
Aber wir.
Kurt Tucholsky in: Die Weltbühne, 4. März 1930, Nr. 10, S. 351