Nicht nur der unfreiwilligen Metaebenen wegen, die der #metoo-Skandal um Louis C.K. seinem neuen Film nachträglich verliehen hat, ist „I love you, Daddy“ die sicherlich sehenswerteste amerikanische (Nicht-)Veröffentlichung der vergangen Jahre. Dass jedoch C.K., wie er selber zugegeben hat, beim konsensualen Wichsen vor Kolleginnen, nicht jedes Mal berücksichtigte, welche Macht er über sie haben könnte und dass darum seine Produktionen momentan nicht mehr gezeigt werden, ist der Komik und dem Tiefgang eines Filmes, der immerhin von der Beziehung eines jungen Mädchens zu einem erfolgreichen, fast 70-jährigen Filmemacher handelt, keineswegs abträglich; In der Szene ihres Kennenlernens beantwortet er ihr, die gerade erst vom Springbreaken aus Florida zurück ist, fundiert und sehr geduldig, welche feministischen Strömungen und Theorien dieser Tage populär sind und wo die Akteure seines Erachtens jeweils ihre Punkte haben. Mercedes Nabert
Geschichtsstunde auf taz.de: Annexion Jerusalems durch die 68er
Anlässlich der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt des Staates Israel durch U.S. Präsident Donald Trump wird, erwartungsgemäß, von sehr vielen deutschen Zeitungen sehr viel Falsches geschrieben. Kaum ein Texterzeugnis jedoch ist moralisch derartig verfehlt und inhaltlich so fehlerhaft, wie das Interview der taz-Nahostkorrespondentin Susanne Knaul mit Sami Adwan. Der Professor für Erziehungswissenschaften in Bethlehem, den taz.de aus unerfindlichen Gründen als „Historiker“ bezeichnet, hat anscheinend den Sechstagekrieg verdrängt und wünscht sich einen zweiten.
Das gesamte Interview – und dabei hat es kaum 2500 Zeichen – mutet mindestens so an wie ein 2/3-Lehrbuchbeispiel für den 3-D-Test für Antisemitismus. Ganz so, als ob ein jeder anerkannter Staat nicht auch in jedem anderen Fall seine Hauptstadt selbst bestimmen könne, wird die Entscheidung der U.S.-Regierung offenbar von beiden Gesprächspartnern als illegitim und provokatorisch angesehen, gar als „ein kolonialistischer Akt“. Als wäre es hingegen das normalste und verzeihlichste der Welt, parlieren sie über die Möglichkeit neuer Gewalt – und ob vielleicht mal wieder eine Intifada anstehen könnte: „Wie heftig und wie lang es dauert, hängt auch an der Haltung der arabischen Staaten.„ Die israelische Unabhängigkeit wird hiermit, wie so oft, aber infernalisch folgenschwer in Frage gestellt.
WDR: Lange Nacht der Antisemitismus-Verharmlosung
Vergangene Nacht. Ein neuer Tiefpunkt der Öffentlich-Rechtlichen. Nachdem Arte den Film nicht senden wollte und Bild ihn geleakt hat, sahen sich der WDR und weitere Sender gezwungen, ihn doch noch auszustrahlen. Das Thema: „Antisemitismus in Europa“. Allerdings ließe er sich nur sehen, so wurde es sicherheitshalber vor der Vorstellung erklärt, wenn einige Anmerkungen berücksichtigt werden. Diese beträfen beispielsweise „rechtlich relevante Mängel“ und sind unter doku-faktencheck-wdr.de nachzulesen. Im Anschluss gab es bei Maischberger eine „Diskussion zum Film“ — es ging um die Besatzung…
In der Version des WDRs beginnt der Film um 22.15 mit einem Hinweis. Weiße Schrift auf schwarzem Grund und zusätzlich eine ernste Vorleserstimme teilen dem Zuschauer mit, dass für den WDR „Antisemitismus ein zentrales, gesellschaftliches Thema“ sei. Im nächsten Bild heißt es, erst auf „ausdrückliche Bitte hin“ hätte der Produzent einige Änderungen vorgenommen. Da diese jedoch nicht ausreichend seien, würde die „Dokumentation […] nun mit rechtlich notwendigen zusätzlichen Anmerkungen [ausgestrahlt]“. Warum? „Damit schützen wir die Rechte Dritter, die im Film angegriffen, aber nicht — wie auch journalistisch geboten — angehört wurden“.
Antisemitismus-Doku: Rechte sehen nur, was Rechte sehen wollen
Zuerst von dem Sender Arte in Auftrag gegeben, dann nicht ausgestrahlt und jetzt in der Prüfung beim WDR, rätselten Medienlandschaft und Gesellschaft, was an einer Dokumentation zum Thema „Antisemitismus in Europa“ denn so schlimm oder falsch sein könnte. Seit Dienstag kursiert sie dank Bild.de im Netz. Von vielen verstanden wurde sie nicht. Wer die Begeisterung sieht, mit welcher der Film von rechtspopulistischen Geschichtsrevisionisten geteilt und empfohlen wird, könnte jedoch leicht glauben, es handle sich um Partei-Werbung. Scheinbar wurde – und dies lässt sich aus unterschiedlichsten Kreisen vernehmen -das Thema verfehlt. Unter anderem gerade deshalb sollte der Leak noch weiter verbreitet werden.
„Wir als AfD Solingen setzen uns daher weiter konsequent gegen Antisemitismus ein. Denn das Christentum entspringt aus dem Judentum.“ So lapidar argumentiert die AfD Solingen auf Facebook gegen „importierten Antisemitismus“ und empfiehlt einen Film, in dem sowohl christlicher Antisemitismus aufgegriffen, als auch in den ersten fünf Minuten gesagt wird: „Antisemitismus ist ein unzivilisiertes Herzstück europäischer Kultur“.
Dieses Posting ist exemplarisch. Nicht nur für eine ganze Reihe ähnlicher Aussagen von AfD-Politikern zu diesem Thema, sondern – und das macht es erst berichtenswert – für die wachsende Tendenz in der Partei, sie als einen „der wenigen politischen Garanten jüdischen Lebens“ (Zitat Petry) zu stilisieren. Unter anderem wirbt sie sogar in Seniorenheimen um Mitglieder, indem sie alte, oft auch traumatisierte jüdische Bewohner vor der neuen Gefahr durch geflüchtete Muslime warnt. Gleichzeitig hat die Parteiführung in einer unlängst erschienen Umfrage der jüdischen Werteinitiative nicht einmal vermocht, sich auf mehr als eine unkonkrete Antwort bei insgesamt acht Fragen zum Themenkomplex Antisemitismus zu einigen.
Wie Wecker niemals Benjamin las
Sollte je auch nur einer leiser Zweifel daran bestanden haben, dass der große Liedermacher Konstantin Wecker kein großer Denker oder Leser ist, vor fünf Tagen hat er sie beseitigt. Auf seiner Facebook-Seite postete er zwei Zitate, eines von Walter Benjamin, das er vorgibt einst beim Lesen aufgeschnappt zu haben. Eines aus einer Rede von Max Frisch, in der der unmittelbar nächste Satz jenes Benjamin-Zitat darstellte.
In einem Werbepost für sein neues Programm „Poesie und Widerstand“ versucht Wecker wieder einmal den Eindruck zu vermitteln, er wisse, wovon er redet. Sich in linken Diskuren auszukennen, wenn man bürgerlicher eigentlich kaum sein könnte, ist nämlich wichtig für die Credibility eines Mannes, mit überwiegend bauchlinkem Publikum. Dabei setzt er unter anderem auf zwei Zitate, die er sich aus der Rede Klaus Brinkbäumers bei den Buchtagen 2015 notiert hat. Was ihm dabei entgangen ist: Sie gehören zusammen.
Feminismus darf sich verkaufen
„Feminism is not supposed to be fun.“ Es gibt eine Kritik am Feminismus, die von ganz weit feministisch und links kommt und die sich unverhohlen gegen Frauen, gegen Vergnügen, gegen das Leben richtet. Mit dabei: Das Frauenmagazin Refinery29, eines der erfolgreichsten Medien-Startups dieser Tage, auf dessen Startseite sich aktuell Ratschläge zur Ernährung vom Nachwuchs und zum Umgang mit Cellulite finden. In der Kategorie Unterhaltung wurde gestern ein Text hochgeladen, der mit dem Titel „Warum sich der Feminismus dem kapitalistischen System ergeben hat“ neugierig macht.
Beraterin, Designerin, Autorin Stephanie Johne hat von dem Feminismus, wie er sich ihr in dieser durchkapitalisierten Welt zumeist darbietet, genug. In zwölf Absätzen und einer Mischung aus Buchbesprechung (Andi Zeisler) und eigener Streitschrift rechnet sie mit der Moderne ab. Sie vermisst revolutionäre Energie: „Was aber ist aus unserer echten Stimme geworden? Was aus handfesten Aktionen?“ Sie fürchtet, dass der Netzfeminismus, prominente Feministinnen, wie Emma Watson und Miley Cyrus – dieser ganze Mainstream – vom Wesentlichen ablenken würden: „Eine massentaugliche Laune kapitalistischer Konsumkultur, die sich weniger mit den eigentlichen Problemen, als vielmehr seinem unter Umständen nur kurzlebigem Ruhm befasst.“ Und sie vertritt, dass dies alles keinen Spaß machen sollte.
Frauen als Opfer der Flüchtlingskrise
Frauensicherheit und Flüchtlingskrise. Spätestens seit der Silvester-Vorfälle vor einem Jahr scheinen diese beiden Themen untrennbar miteinander verknüpft. Durch jüngere prominent gewordene Verbrechen, die von Männern mit Migrationshintergrund an Frauen ohne einen solchen begangen wurden, ist die Debatte neu angeheizt. Der bevorstehende Jahreswechsel, den man heute Nacht auch in Köln nicht wird ausfallen lassen können, tut sein übriges. Doch was hat sich für Frauen wirklich verändert? Welche harten Fakten stehen zur Verfügung, wo wird gemogelt und was wird in dem Diskurs vergessen? Ein Blick auf das wesentliche.
Die Zahl der Asylanträge in Deutschland und Europa ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das Jahr 2015, das als Beginn dieser sogenannten Krise datiert wird, war mit knapp einer Million Flüchtlingen der Höhepunkt dieser Entwicklung. In diesem Jahr wurden mit weiteren 300.000 gerechnet – eine erschreckend hohe Anzahl, die heute beinahe erreicht wurde. Auf 80 Millionen deutsche Staatsbürger und 357.168 km² verteilt sind diese Zahlen allerdings noch immer zu gering, um – besonders in Großstädten – wirklich ins Gewicht fallen zu können. Es sei denn, man glaubt, wie es viele zu tun scheinen, dass Gewaltstraftäter und Frauenverachter einen signifikanter Anteil unter ihn ausmachten. Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind ein beliebtes Argument gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Rechtspopulisten nennen Männer afrikanischer und nahöstlicher Herkunft gerne abfällig „Antänzer“.