Web Fractures: Fettervogel, Muzak, Santogold

Blicke ins Netz

Fettervogel.de eine freie Seite fürs Handy-Tuning. Ja eigentlich nicht mehr unsere Zielgruppe. Oder doch? Hier soll man mit herkömmlichen MP3 oder aus Videostreams bei Youtube Klingeltöne für iPhone basteln können. Bei meinem ersten Test habe ich abbrechen müssen und jetzt dauert es auch schon zu lange. Selber probieren oder doch besser die Finger von lassen wg. Zeitloch? Mach einfach Klck 

Muzak, was`n das? Kennen wir spätestens seit dem genialen Film Decoder von Klaus Maeck mit FM Einheit, William S. Burroughs, Genesis P. Orridge und Christiane F aus den 80ern. FM Einheit, der ehemalige Schlagwerker der Einstürzenden Neubauten demonstriert hier wie man subversive Musik machen kann, die Besucher von Schnellrestaurants – keine Name jetzt – zum K***en bringt. Das war 1984 Fiktion. Heute wir sind es gewohnt überall mit Muzak beschallt zu werden: Fahrstühle, Kaufhäuser und ganz böse in Hotelrestaurants zum Frühstück. Das hat jetzt eventuell ein Ende, denn der Marktführer hat Konkurs angemeldet. Mehr beim Klck

Aus Everybody`s Darlin` und dem Newscomer der Jahres 2008 Santogold wird Santigold. Wieso? Steht unterm Klck

Buzzcocks live im Webstream

Am 11. Februar spielt die meines Wissens älteste Punkband der Welt live und in Farbe im Internet.

Buzzcocks Website Foto: Screenshot

Gegründet wurden die Buzzcocks immerhin 1975.1978 waren sie mit "What do I get?" erstmals in den britschen Charts vertreten. 

Ihr Konzert am Mittwoch 11. Februar im Amsterdamer Paradiso wird leicht zeitversetzt ab ca. 19.30 im Internet beim Fabchannel gestreamt. 

Fabchannel.com ist ein holländisches Portal das bereits vor dem großen Hype um Youtube.com und allen "MeToos" aus dem Webvideobereich Konzerte live streamed. Ein Großteil der Gigs ist als Konserve auch nach dem Konzert abrufbar. Rechtemäßig scheinen die Holländer uns da ein paar Schritte voraus zu sein. 

Hierzulande gibt es zwar mit Concertonline auch Ansätze, Konzerte online verfügbar zu machen. Das Ganze ist aus meiner Warte wenig userfreundlich und ich habe es daher auch noch nicht ausprobiert. Hupsa, sehe gerade, dass die schon wieder weg vom Fenster sind. NACHTRAG: Concert-Online.de hat  scheinbar nur die Url verändert und ist jetzt hier zu erreichen. Zudem haben sie just im Januar eine weitere Finanzierung von der Venture Abteilung des Verlags DuMont aus Köln erhalten.

Zu Fabchannel muß man sagen, das die Tonqualität vorzüglich ist und mit den Jahren auch die Bildqualität extrem zugenommen hat. Kein Vergleich mit dem Daumenkino bei Youtube. 

Beim Stream kommt es Anfangs zu Verzögerungen. Daher mein Tipp etwas später einsteigen.

Das Ende der GEMA wie wir sie hassen? – Eine Behörde kapituliert vor dem 21. Jahrhundert

Vielleicht ist es die richtige Zeit: In den Metropolen Deutschlands übertreffen Firmenfeiern so langsam das Angebot der öffentlichen und privaten Veranstalter. Da könnte ein Reformversuch der GEMA-Statuten zugunsten der Künstler und Kleinveranstalter großzügig durch gewunken werden. Es begann in Sonthofen…

 In einem Schreiben von Mitte August, das ruhrbarone.de vorliegt und nun auch in Ruhrgebietskreisen seine Runden zieht, schreibt Monika Bestle von der Sonthofer Kultur-Werkstatt, wie sie das Geheimnis der GEMA-Ausschüttung an Künstler ergründete und warum Kleinveranstalter innerhalb dieses Systems benachteiligt werden. Man mag sich erinnern: Gerade in Zeiten der massiven Umsonstmusik via Internet hatte sich die GEMA letztens noch gern als Bewahrerin des geistigen Eigentums positionieren wollen. Aber für wen sprach sie da eigentlich? Das geneigte Auge wirft einen Blick in den Rundbrief der Frau Bestle aus Sonthofen:

Beispiel 1 (Veranstaltungen): Kommen in einen 100qm großen Raum 100 Besucher, die je Euro 10,- bezahlen, und es werden den ganzen Abend nur GEMA-geschützte Werke gespielt, werden Euro 87,- an die Behörde fällig. Kommen drei Besucher in denselben Raum, die bis zu Euro 20,- bezahlen und es wird nur ein einziges solches Stück gespielt, kostet das Ganze Euro 107,-. Raumgröße(!), Anzahl der geschützten Werke und die Höhe des Eintrittsgeldes sind die Kriterien – der einfachen Abrechnung halber. Ausgehebelt werden kann dies nur durch eine sogenannte Missverhältnisklausel, die aber nicht wirklich öffentlich gemacht wird. Zusammen mit diversen Steuern und zusätzlichen Unkosten bei weit gereisten Künstlern erklärt dies vielleicht bereits, warum es eigentlich fast nur noch Arenenkonzerte und Gigs von Kapellen aus der Nachbarschaft gibt.

Beispiel 2 (Künstler): Die Tantiemen richten sich nach den bespielten Bezirken(!) und den angemeldeten Stücken. Kurz gesagt: Tourt man viel und hat viel angemeldet ist egal wer zuguckt. Ausgerechnet gepresste CDs bewirken einen Bonus, Radio und Fernsehen sowieso. Und was einmal im großen GEMA-Topf verschwindet, wird vielleicht gar nicht richtig weiter gegeben, schon gar nicht ins Ausland. Lieber an die Onkelz.

Eine Atempause.

Es gibt mittlerweile Internetradios, die pro gespieltem Stück Tantiemen an Künstler ausschütten, behördenunabhängig.

Kaum einE KünstlerIn führt derart Buch (und bezahlt womöglich noch etwas an die GEMA dafür), die Karriere nach Bezirken zu organisieren und Tantiemen orientiert zu arbeiten. Ganz zu schweigen von CDs und Medien, die eher den „Großen“ nützen.

Und wie will eigentlich eine Behörde all die Millionen gespielten Stücke im Internet kontrollieren? Also, ich lasse meine Lieblingskünstler den ganzen Tag einfach durchlaufen, vor allem meine eigenen Stücke…

Zurück nach Sonthofen, denn der Fall wurde bereits der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zugetragen, und die Petition beinhaltet folgende Punkte:

·        Genaue und für jeden verständliche Geschäftsbedingungen

·        Größtmögliche Transparenz

·        Änderung der Beitragberechnungsgrundlagen für Kleinveranstalter

·        Offenlegung und Vereinfachung der Berechnungsgrundlagen zur Auszahlung der Künstlertantiemen,

·        Änderung der Inkasso-Modalitäten

Die Petition und weitere Informationen gibt es hier: in**@ku*******.de

Es lebe das Schneeballsystem!

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Loveparade, Laufparade – Verkehrschaos am Samstag

Besucherrekord bei der Loveparade in Dortmund – wunderbar, aber sicher wäre es noch ’ne Million mehr Besucher geworden, wenn der öffentliche Nahverkehr funktioniert hätte.

Am Samstag Nachmittag hieß es am Essener Hauptbahnhof über die Lautsprecher: "Ein Zugverkehr in Richtung Bochum und Dortmund ist zur Zeit aufgrund von unbefugten Personen im Gleisbereich nicht möglich. Wir halten Sie auf dem Laufenden." Gleise quollen über vor traurigen Ravern, Züge fielen aus, die Polizei verhinderte das Betreten der Bahnsteige, und das mehrere Stunden lang. Allerorts entnervte Fahrgäste. Ein denkwürdiger Tag der Immobilität. Zu Fuß wärs vielleicht noch gegangen. Laufen anstatt Abzappeln…

Gestern bei Neil Young

 

Ich war gestern bei Neil Young. Und es war gut. Das Konzert war in Oberhausen. Irgendwie ging es um Rock’n Roll. Aber irgendwie auch nicht. Getanzt hat eigentlich keiner. Hier und da Hände. Sitztänzer, Schulterwipper, Fußklapper.

 

Bei „Into the blue“ war es wie früher, dachte ich. Wenn die Frauen 20 Jahre jünger wären und die Kerle 30.

Fotos gingen leider nur vom Handy. 🙂

Ich war bei Neil Young. Und es war gut. Wen interessiert es, dass die Zuschauer älter werden. Wen juckt es, dass niemand tanzt. Bei „Mother Earth“ geht es sowieso ums zuhören.

Und das funktioniert. Neil Young hat mich auf eine Traumreise geschickt. Ich habe drüber nachgedacht, über alles mögliche. In Ruhe anderthalb Stunden lang. Dabei gute Musik auf den Ohren. Das war Luxus. Ich habe an die Akten gedacht, die ich gerade durcharbeite. An den Sprengsatz, den ich da jeden Tag kompletiere. An diesen seltsamen Vogel im LKA. Ich musste darüber nachdenken, dass es wichtig ist, diese Arbeit zu machen. Dass irgendeiner diese Arbeit machen muss. Schließlich geht es immer irgendwie um die Freiheit, sagt Neil. Ich musste drüber nachdenken, dass einige Leute Sorgen haben müssen, wenn ich mit den Akten durch bin und anfange zu schreiben.

Dann ging es um „Back to the country“. Und diesmal musste ich daran denken, dass Neil Young Gitarre spielt, wie Joe Cocker singt. Einfach unansehnlich. Den Renterarsch rausgestreckt und auf spitzen Füßen rumhüpfen. Ehrlich Neil Young sah manchmal aus wie ein Gummiball, auf den man einen Fiffy montiert hat. Aber OK, die Musik war klasse.

Ich mag Neil Young. Ich hoffe er lebt ewig.

Das Foto hab ich eine halbe Stunde später geschossen. 🙂

Als das Konzert zu Ende war, ging ich mit meiner Frau durch den Seiteneingang raus. Durch die Absperrung für die Raucher. Es gab ein Freibier. Jedem in die Hand gedrückt. Lemon Bier. Also so eine Mischpampe.

Ich habs getrunken. Und mich gefragt, wo die Cowboys waren.

P.S. Die Harten waren natürlich die "The Hives". Die Vorband. Mein Gott haben die abgerockt. Es war höllisch gut, laut und rein. Schönes Kontrastprogramm zum Nachdenkbarden Neil. OK, die sind auch 50 Jahre jünger.

Ging leider nicht anders. Die Hives waren zu fix für mein Handy

 

Bochum-Total: der Sonntag

Meine kleine Rundtour-Empfehlung für Bochum-Total heute: Leland P., Fotos, Schwefelgelb, Polarkreis 18 und Alec Empire.

Nach dem kaum zu toppenden Auftritt meines persönlichen Favoriten Belasco am Freitag – dazu später mehr – und einem Tag Zwangspause hier meine warmen Empfehlungen für das heutige Programm auf Bochum-Total:

Leland P. – 16.00 Uhr, WAZ-Bühne – Ambient / Electro / Nu Jazz aus Bochum/Krefeld

Fotos – 17.00 Uhr, 1Live-Bühne – deutscher Indie-Pop/Rock aus Hamburg

Schwefelgelb – 18.15 Uhr, Ring/Schattenreich-Bühne – New Wave Trash/Electroclash aus Essen; demnächst auch auf dem juicy beats im Westfalenpark (2. August)

Polarkreis 18 – 19.30 Uhr, 1Live-Bühne – Emo / Electro / Indie-Pop aus Dresden

Alec Empire – 20.45 Uhr, Ring/Schattenreich-Bühne – Electro / Rock / Electronica (Ex-Atari Teenage Riot Frontmann)

Datteln: Provinz oder Top-Spielort?

Gary Moore (C) www.rocknroll-reporter.de

Ist es nun eine Auszeichnung für eine "Stadt" wie Datteln (etwa 35.000 Einwohner), dass Gary Moore dort in die Saiten greift oder ist es für Datteln der Beweis, tiefste Provinz zu sein, in der nur noch Ex-Stars absteigen? Diese Frage galt es zu beantworten, als der Ausnahmegitarrist, der einmal die Westfalenhalle füllte, am Mittwochabend auf die Bühne trat.

Obgleich er die Zuschauer eine halbe Stunde warten ließ, lechzte das gut gefüllte Auditorium (rund 1000 Zuschauer in der Dattelner Sporthalle) nach jeder seiner oft für Bluesverhältnisse derb verzerrten, pentatonischen Griffbrettflitzereien. Moore macht dabei durchaus einen guten Eindruck, technisch überragend, mit gutem Feeling ausgestattet, bluesrockte er sich durch einen überzeugenden Set. "Das einzige, was ich dem Blues gegeben habe, ist die Lautstärke", sagte Gary Moore vor Jahren und in der Tat stimmt die Aussage insofern, dass es immerhin bei Gary Moore-Gigs etwas gibt, was aus dem traditionellen Blueskonzept ausbricht: die bluesuneigne Aggressivität eines ehemaligen Rock-Gitarristen. Etwa zwei Stunden dauerte die Reise durch seine Blueskarriere, zwei Stunden, die nicht immer hinreissend spannend gestaltet wurden, doch unterm Strich einem Konzerterlebnis nahe kamen. Dass die akkreditierten Fotografen hingegen ausschließlich während des zweiten Songs fotografieren durften, lässt vermuten, dass Mr. Moore den Zeiten größerer Popularität nachtrauert, gibt aber lediglich winzige Abzüge in der B-Note (und wenige verschiedene Bilder der fast gänzlich dunklen Bühne). Ach ja, da war ja noch was: Die Beantwortung der Eingangsfrage! Diese muss eindeutig "sowohl als auch" lauten, dicht gefolgt von einem "gut, dass wir dabei waren."

Mehr Bilder gibt es HIER

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Schreiben lassen (1)

Foto: flickr/photos/kubia

In sehr loser Folge veröffentlichen wir hier nun auch aktuelle Beiträge, die aus unerfindlichen Grüßen noch nicht abgedruckt wurden. Den Anfang macht eine Rezension vom Kollegen Christian Werthschulte. Auf gehts, Bua:  

Alpinisten der Improvisation

Österreich, du hast es besser. Dank einer nachhaltigen Kulturförderung hast du im Übermaß, was das Ruhrgebiet nur am Rande hat – Schmankerl der experimentellen Musik. Wer davon probieren wollte, war am Samstag bei „Felix Austria" im Dortmunder Künstlerhaus an der richtigen Adresse.
Michael Moser ist eigentlich Cellist. Doch anstatt sein Instrument mit klassischer Musik zu langweilen, erforscht er lieber seine Klangeigenschaften, streicht mal zart über die Seiten und nutzt den Korpus für Halleffekte – wie einst im Fluxus. Doch der Fortschritt hat vor der improvisierten Musik nicht Halt gemacht. Ein Computer nimmt die Klänge auf und manipuliert sie sanft und bei bloßem Hinhören kaum wahrnehmbar.
Anders Billy Roisz und Silvia Fässler. Als Silly setzen sich die beiden vor ihre Laptops, verziehen keine Miene und starren für die Dauer ihres Sets gebannt auf die Monitore. Was dort passiert, lässt sich nur erahnen. Kurze Pianoloops werden hörbar, unterbrochen von einem minimalen Rhythmus und digitaler Klangsynthese. Das ist laut, humorvoll und kickt auf angenehm unklimaktische Art und Weise. Doch wo Silly dafür den Computer bemühten, hat sich Werner Dafeldecker der Analogtechnik verschrieben. Mit Hilfe eines Bandechos wurde aus einem einfachen Sinuston eine Klangkaskade, die nuancenreich zwischen Lärm und Stille oszillierte.
Zum Abschluss collagierte dieb13 Fragmente aus der Jazzgeschichte mit drei Plattenspielern. Dass dabei von den Originalaufnahmen wenig erhalten blieb, verdankt er einer selbstgeschriebenen Software, die im Inneren eines kleinen Holzkastens ihr Werk tat und ihre Ergebnisse zurück in die Mix-Melange speiste. Eine Form von musikalischer Aneignung, die ihre politischen Ambitionen nicht verleugnet. Zum Schluss seines Sets ertönt eine geloopte „Internationale" in der Spieluhr-Version, dieb 13 riss die Regler nach oben und entließ seine Zuhörer ins weiße Rauschen. Hat Spaß g’macht.

Kurzfilmtage Oberhausen 2008, ein Ausschnitt: Die 68er, die 89er und das geneigte Publikum

Die 54. Oberhausener Kurzfilmtage bringen auch in diesem Jahr durch ihre Panels, Wettbewerbe und kuratierten Filmreihen wieder Fragen aller Art auf den Tisch: Wohin geht es mit dem Kurzfilm? Wie erreicht man ein Publikum? Wozu eigentlich Kritiken? Und: Was sind eigentlich Musikvideos? Ein Erlebnisbericht.

Heraus zum 2. Mai! Freundlicher Empfang am Meldebüro, studentisches Viertelstündchen genau eingehalten zum Podium am Morgen: „Ist Kritik noch zeitgemäß?“ fragt Michael Girke Teilnehmer und Gäste und bringt damit bereits ein Thema des Tages auf den Tisch. Die Old School Vertreter der Kritischen Theorie auf dem Podium (Heide Schlüpmann und Klaus Kreimeier) geben bei diesem Generationentreffen daraufhin immer wieder gerne den Rahmen vor, an dem sich die „Poplinke“ (Kerstin Grether und Jörg Heiser) dann abarbeiten darf. Fast wie im richtigen Leben. Die jüngere Generation vermisst an der Frankfurter Schule Empathie und Affirmation, die ältere vermisst an der „Hamburger Schule“ offensichtlich … Erfolge. Ist der Marsch durch die Institutionen also auch in den Medien gelungen? Das Feuilleton in Deutschland gar eine Bastion der Aufklärung? „Warum verdient man dann nur bei den rechts-konservativen gut?“ fragt die Digitale Boheme. Der Berufsrevolutionär von damals schweigt wissend, fast mitleidig.

Und? Ist Kritik (als Kritik) jetzt nicht mehr zeitgemäß? Später am Abend wird das Thema noch einmal aufgerollt, dann international gehalten unter dem Titel „Embedded Criticism“ und unter Berücksichtigung verschiedenster Formen von Presseunfreiheit in Europa und Amerika. But: Does the audience care? Die eigentlichen Akteure der diesjährigen Kurzfilmtage, die Kurateure und Programmchefs, muten dem Publikum im Wissen um die großartigen kreativen Möglichkeiten des Festivals jedenfalls einiges zu – auch wissend dass immer jemand mithört und zweckentfremden wird, was vielleicht einmal emanzipatorisch und aufklärerisch war (und weiterhin hier und da auch noch ist).

Ungleichzeitigkeit, auch ein Thema bei der Reihe „Wessen Geschichte?“, die z.B. Alexander Kluge mit minimalistischem Dekonstruktivismus der letzten Jahre koppelt und den Kampf gegen das Mainstreamkino zum Kampf um die Köpfe der Menschen macht. „Warum gibt es kaum eine vernünftige Geschichtstheorie?“ fragt Ian White in seinem Katalogsessay und zeigt Instrumentalisierungen von Darstellern, Filmmaterial und natürlich jedes Mal auch realen Personen im Wandel der Zeiten. Ein Diskutant kritisiert, man könne die heutige Generation nicht mehr mit Anti-Atomkraft-Idylle und Black Power füttern, da diese Codes inzwischen entwertet seien und nur weiter diskreditiert würden. (Tatsächlich hatte es viele zynische Lacher im Publikum gegeben.) Der Kurator verweist sinngemäß darauf, dass sozusagen ein wenig Empathie und Affirmation … usw. Natürlich geht es aber bei weitem nicht nur um Formen von Dokumentation und Inszenierung, sondern auch um Montage, (Selbst-)Entlarvung, Reduzierung, Annektion und andere Techniken, die das Publikum nicht nur als Konsumenten zu behandeln suchen. Und das gelingt Ian White tatsächlich hervorragend in seiner Reihe, einer Fortsetzung des „Kinomuseums“ vom letzten Jahr.

Nochmal Stichwort „Publikum“: Als Magnet für dieses gelten bei den Kurzfilmtagen die Musikvideos beim MUVI Award. Doch was ist ein Musikvideo? Ergibt es sich, wenn man zu einer vorher bestehenden Filmidee verfügbares Musikmaterial einer halbwegs bekannten Band hinzufügt? Oder spielt gutes Handwerk eine Rolle? Eher, denn das reicht für Platz drei. Das Infragestellen der Kategorie „Bestes Deutsches Musikvideo“ durch einen Film gleichen Namens mit hinzugefügter Musik und etwas Performance? Immerhin Platz zwei. Das im Grunde einzige originäre Musikvideo von Simone Gilges für „Ich bin der Stricherjunge“ von Stereo Total gewinnt nach heftigeren Diskussionen als je zuvor. Auch hier sehr wichtig: Empathie für die Band, das Sujet, den Song.

Welchen Sinn haben also Kategorien? Kann man in jedem Fortschritt den Fortschritt auch sehen? Und wie politisch kann der Film von heute sein und Fehler von gestern und morgen verhindern? Diese Fragen werden ständig und auf viele Arten auch in diesem Jahr neu gestellt, so noch bis Dienstag in weiteren empfehlenswerten Reihen und Diskussionen. Eine umfangreiche Materialsammlung findet sich auf kurzfilmtage.de, der Blogger Ihres Vertrauens wird seine Eindrücke am Mittwoch in einem zweiten Teil noch einmal zusammenfassen.