Eine Geschichte aus New York: Williamsburg – Teil 9: Die Scene Changer

williamsburg-9Die letzte Phase der Gentrification, die der Scene-Changers  überlappt sich insofern, dass die Scene-Seekers, wenn sie denn dauerhafte Bewohner werden, selbst in die Rolle der Scene-Changer schlüpfen.  Es kommen aber jetzt auch die hinzu, die mit der Szene vorher nicht einmal als Besucher was zu tun hatten. Sie suchen ganz allgemein nach Wohn- und Lebensraum in  New York und bekommen von Experten oder Freunden den Tipp „Upcomming Williamsburg“.

Die Szene dort interessiert sie nicht im Geringsten, sondern nur das, was sie als Ambiente und als Infrastruktur geschaffen hat. Das kann man ihnen auch nicht für Übel nehmen, denn so läuft Marktwirtschaft nun mal.

Aber sie bedeuten damit unausweichlich eine neue Stufe des Wandels. Zum einen weil sie gleich auf dem höchsten Mietniveau einsteigen, weil sie es auch bezahlen können und dafür natürlich auch Entsprechendes erwarten. Sie gehören deswegen in der Regel auch einer anderen sozialen Schicht, auf jeden Fall aber einer wesentlich höheren Einkommensklasse an als alle bisherigen Bewohner.  Zum anderen beteiligen sie sich so gut wie gar nicht an den bestehenden bzw. gewachsenen sozialen Strukturen und Organisationen und bilden stattdessen eher ein eigenes Milieu aus. So auch in W-Burg.

Selbst die örtliche Kunstszene ist für sie eher Ambiente, denn Treffpunkt oder Raum des eigenen Engagements. Das gleiche gilt erst recht für die Beteiligung an den örtlichen Mieterorganisationen, die sich in W-Burg zunehmend im Abwehrkampf gegen die immer höheren Mieten befanden und noch befinden. Meistens bildet diese Kategorie der Zuzügler gerade in New York,aber nicht nur dort, auch eher Eigentum, als dass sie zur Miete wohnen wollen. Konflikte zwischen den Kreativen und diesen sogenannten Yuppies  wurden so auch in Williamsburg unvermeidlich. Aber auch von den ursprünglichen polnischen und lateinamerikanischen Einwohnern ist diese Gruppe der neusten  „Invasoren“ nur wenig gelitten.

Das alles spiegelte und spiegelt  sich auch im Straßenbild wieder. Der Bohemien- bzw. der Buntheitsfaktor nahm in den letzten Jahren massiv  ab. Das Schaulaufen derer, die unbedingt auffallen wollen, nahm  dagegen kontinuierlich zu. Das Viertel ist jetzt auch offiziell hipp, denn es steht so in den New Yorker Reiseführen und in weltweiten Szenemagazinen. Deswegen tauchen auch die ersten Promis auf, zumindest aber wird jetzt vermutet, dass man dort entdeckt werden könnte, wenn  man nur genügend aufgedreht rum läuft. Von einem Galeristen, Literaturagenten, Regisseur usw. Egal ob der in Williamsburg als Scout unterwegs ist oder vielleicht dort sogar fest wohnt.

Fotografiert und gefilmt wird in Williamsburg schon länger und viel, und zwar von den unzähligen Kunststudenten und Künstlern die dort wohnen. Aber die richtigen Shootings der Meister aus Manhattan haben länger auf sich warten lassen. Einer der ersten  habe ich selbst noch auf dem Dach bei S. erlebt. Die Locationscouts der New Yorker Filmgesellschaften und Fotoagenturen suchen wie überall auf der Welt nun mal immer neue und  interessante Orte.  Filmleute habe auf Grund ihrer normalen Security auch nicht ganz soviel Angst vor Straßenüberfällen. Deswegen ist eine Vorhut von ihnen schon kurz nach der ersten Künstlerwelle aufgetaucht.

Der erste große Hollywoodlike-Film der Williamsburg ins internationale Licht rückte kam jedoch erst später: „Perfect  Murder“ mit Michael Dougles. Eines der Fabriklofts in Greenpoint war dabei eines der wichtigsten Aktionsstätten und ein  dubioser Künstler nahm im Plot auch eine mörderische Hauptrolle ein.

Die ersten Locationsscouts kamen aber nach Williamsburg weil dort der spektakuläre Blick auf Manhattan von den Dächern aus auch noch billig zu kriegen war. In Manhattan kostete selbst die kurzeitige Nutzung solcher Spannungsorte zu dem Zeitpunkt noch locker das 10 fache. Heut sind auch dafür die Preise in Williamsburg mit den sonstigen Mieten enorm angestiegen.

Vor ein paar Jahren wurde ich mehrfach im Stadtteil angesprochen, weil ich  irgendeinem berühmten Schauspieler  aus einer bestimmten Perspektive und bei etwas weniger Licht offensichtlich sehr ähnlich sah.  Meine Zeit als Promi-Copy währte allerdings nur eine Woche. Die Tatsache, dass ich schon über viele Jahre so regelmäßig und  jeweils lange genug vor Ort war, so dass neben meinen Arbeitspartnern und Freunden  mich auch Nachbarn immer wieder erkannten und begrüßten, ja um meine genau Herkunft wussten, tat das seinige dazu.

Ich saß nach getaner Arbeit sehr oft am Abend auf einer der vor den vielen Szeneläden gestellten kleinen Bänke, auf denen man den Passanten auf der Bedford , so lange wie man wollte, zusehen konnte. Dabei  hatte ich fast  immer dieses herrliche New York Village Gefühl, was man in Manhattan zwar auch haben kann, nicht aber so relaxt. So bekam ich über die Zeit auch die Änderungen der Streetstyles und damit die soziale Zusammensetzung der Szene in ihrer äußeren Erscheinung mit.

Williamsburg wurde wirklich weltweit tonangebend. Hier habe ich fast alle szenigen Modeänderungen immer gut ein bis 2 Jahr eher mitbekommen, als  sie in Berlin ankamen. Z.B. das man oder besser frau knallbunte Gummistiefel auch im Sommer trägt, oder die jungen Männer Hütchen und Bärtchen und die jungen Frauen Tag und Nacht riesige Sonnenbrillen. Single Speeds, d.h. Fahrräder  ohne Gangschaltung und Fixies , d.h. Fahrräder mit feststehender Hinterradnarbe ohne Gangschaltung und Bremsen, wurden hier mindesten 5 Jahr eher als in Berlin gefahren. Das erste Single Speed in Deutschland habe ich allerdings in meinem Lieblingsfahrradladen im Bochumer Bermuda3Eck entdeckt. Weit bevor die Berliner überhaupt wussten, was das überhaupt ist.

Streetstylemäßig war allerdings der Wandel W-Burgs am deutlichsten an einer neuen Art von Hunden zu sehen , die vorrangig auch jetzt die jungen Frauen mit sich führten. Nach dem das Sicherheitsproblem auf den dortigen Straßen endgültig gelöst war, gab es lange Zeit keine Hunde mehr in W-Burg. Jetzt tauchten statt der damaligen richtigen Hunde zunehmend Zier- und Spielhündchen an der Seite der junger Leute auf. Der Weg vom  Kampfhund zum Schoßhündchen  zeigt am klarsten worum es in New York bei der Gentrification neben Infrastruktur und Urbanität am meisten geht: Um Sicherheit.

Aber auch die vielen individualistischen modischen  Einzelinnovationen, von denen ich schon in einem der anfängliche Folgen berichtet habe, nahmen jetzt exponentiell zu. Eine junge Gruppe von Williamsburger  Modedesignern hatte  vorher schon das heute auch in Manhattan, und demnächst sicher auch in Europa in Erscheinung treten werdende Label „Booklyn Industries“ ins Leben gerufen.

Den ersten richtigen Verkaufsladen gab es natürlich an der Bedford nahe North 7th. Und natürlich den Stress mit der Lokal-Szene wegen des  zunehmenden „kapitalistischen“ Erfolgs per Graffiti auf den Schaufenster und Türen der Boutique.  Den gibt es allerdings seit  Beginn der immer noch aktuellen Phase des Scenechanging nicht mehr.

Vielmehr ist neuste Mode jetzt auf der Bedford und drum herum normal. Auch die von „Brooklyn Industries“. Der noch verbliebene individuelle Style, neuerdings Controverse (Self)design genannt, weil jeder Style jetzt auch seinen Namen haben muss, denn Williamsburg ist jetzt „maßgebend“, also „supercool“, ist dadurch immer anstrengender geworden.  Er wird schnell in der Szene selbst, dank Style Book auch weltweit, kopiert, weil was wirklich Neues auch in den heute sogenannten Kreativvierteln dieser Welt kaum noch einem einfällt.

Der Trend geht deswegen in den letzten Jahren vom Künstler zum Künstler(selbst)darsteller, was sich natürlich aus der Natur der Sache immer schon gegenseitig  bedingte und wechselseitig spiegelte. In Williamsburg hat das jedoch dazu geführt, dass sich diese beiden inneren Bilder nun rollenmäßig im Straßenbild zunehmend als personell getrennt manifestierten. Als verschiedene Personengruppen.

Die die real kreativ waren und auch davon ihren Lebensunterhalt mit realer  Entlohnung bestreiten konnten trennten sich von denen, die sich das wünschten aber nicht schafften. Und erst recht von denen die einfach nur so aussehen wollten. Letztere Gruppe nahm seit der Change-Phase ebefalls rasant zu.

In diesem Viertel hatte man eben auch als Rechtsanwalt oder Broker, oder einfach nur als kunstsinniger Berufserbe oder als  Durchschnittsstudent ohne jede besondere Ambition irgendwie kreativ auszusehen. Cool zumindest. Und die Standards dafür setzte und setzt immer noch die Szene bzw. die die sich dazu gehörig fühlten.

Das, was in der sozialen Realität zunehmend zerbrach, funktionierte immer noch als Style. Die Stylisten waren aber nicht mehr die Kreativen, zumindest nicht, wenn sie sich nicht selbst zur Modebranche zählten. Es waren selbsternannte „Kreative“, sozusagen ihre modischer Abklatsch als Lebensaufgabe.

Eine spezielle Gruppe unter ihnen die schon länger W-Burg bevölkerten waren die sogenannt PPA´s, ausbuchstabiert Parent Payed Artists. Sie hatten natürlich richtige, häufig sogar überdurchschnittlich große, Künstlerlofts, machten auch Kunst darin, aber jeder der nur etwas Ahnung hatte wußte, dass das sie weder davon lebten noch jemals davon würden leben können. Das allerdings taten sie über Jahre. Und sie trugen fast immer Klamotten und Schuhe auf den Spuren künstlerischer Arbeit sichtbar waren.

Die erfolgreichen Kreativen dagegen zogen und ziehen sich zunehmend aus dem Straßenleben zurück. Zumindest als Selbstdarsteller.  Sie benutzen sie zunehmend wie die zu gezogenen Scene-Changer nur noch als Ambiente und Infrastruktur. Die Kreativendarsteller dagegen übernahmen und übernehmen weiterhin die Straße in einer Weise, dass es für den Eingeweihten schon eine  lächerliche Note bekommen hat. From being cool to being a fool it´s only a little step. Die wirklich Coolen suchen derweil schon nach neuen Treffpunkten für die wirklichen In-People. Für die, die nicht mehr unbedingt anders sein wollen aber dafür  nur noch unter sich. Wie in Manhattan eben.

Oder wie in einem Teil von Williamsburg, an dem der ganze Hype spurlos vorüber gegangen ist, obwohl dort die Leute wohnen, die wahrscheinlich am meisten an der Gentrification ihres Stadtteils verdient haben. Aber dazu in der letzen Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg Story IV…Klack

Die Williamsburg Story V…Klack

Die Williamsburg Story VI…Klack

Die Williamsburg Story VII…Klack

Die Williamsburg Story VII…Klack

Eine Geschichte aus New York: Williamsburg – Teil 8: Die Preise explodieren

williamsburg-71Die Phase der Scene-Seekers, die für den erhöhten Besuch des gentrifizierten Viertels von außen sorgen, brachte auch in W-Burg nicht nur die Professionalisierung und Einnahmesteigerung im Viertel voran, sondern unausweichlich Leute mit sich, die aus dem sporadischen oder regelmäßigen Besuch des Viertels einen Daueraufenthalt machen wollen. Die zusätzlich auf den dortigen Wohnungsmarkt drängen.

Der aber war in Williamsburg in der Zwischenzeit schon durch die zunehmenden und qualifizierten Wohnbedürfnisse der kreativen Eroberer enger geworden. Genau das  war das endgültige  Einfallstor der Immobilienhändler. Genauer gesagt hatten die, die schon länger in Williamsburg spekulierten genau auf diesen Moment gewartet. Auf die eigentliche Phase der Aufwertung, auf die, die sich auch in dauerhaft höheren Grundstücks-, Wohnungs- und Hauspreisen niederschlägt.   Sie bedeutet zugleich auch den Durchbruch der überlokalen Großspekulanten an der Waterfront.

Die Ironie dabei war, dass gerade die Befürchtung der Verdrängung ihrer angestammten Wähler aus der polnischen und lateinamerikanischen Community, die örtlichen Politiker bewog, den Neubauplänen am Wasser schlussendlich zuzustimmen. Die Waterfront wurde nach fast 15jähriger Auseinandersetzung in Wohngebiet umgewandelt. Um die Protestler zu befrieden, wurde der wilde Stadtteilpark von der Neubebauung ausgenommen, die Wohntürme am Wasser in der Anzahl und  in der Höhe reduziert und eine für alle begehbare Uferpromenade versprochen.

Für die Neubebauung außerhalb der unmittelbaren Waterfront wurde die Traufhöhe auf den Durchschnitt der vorhandenen Bebauung begrenzt. Dabei muss man jedoch den in New York  überall möglichen Luftrechtekauf mit berücksichtigen. Der bedeutet nämlich dass, wenn jemand die mögliche Geschossanzahl nicht ausnutzt, er diese als zusätzliches Geschosshöhe an den Besitzer des nächst gelegenen Grundstücks verkaufen kann. Dem flächendeckenden Wohnungsneubau war damit mit auf einem Schlag in Williamsburg Tür und Tor geöffnet und der Markt dafür war endlich vorhanden.

Der Immobilienboom begann mit einem heut noch währenden  Kampf um jede noch bebaubare Fläche, die nicht all zu weit vom Wasser entfernt liegt.
Die, die diese Flächen rechtzeitig genug gekauft hatten, waren dabei natürlich im Vorteil und oft wechselten die Grundstückseigentümer monatlich bevor endlich gebaut wurde. Und jedes Mal wurde und wird natürlich die Baufläche teurer. Der Abriss von unter- oder abgenutzten Gebäuden wurde attraktiv. Williamsburg verändert innerhalb von nur wenigen Jahren sein Gesicht total. Im neuen Jahrtausend brummten endlich die Kassen der Immobilienbesitzer, denn jetzt wollte jeder vom Boom profitieren und die berühmt berüchtigten Mondpreise begannen zu entstehen. Die in New York in solchen Fällen übliche lokale Immobilienblase.

Aber zugleich war dieser Stadtteil endgültig im Gesamtimmobilienmarkt der Metropole angekommen. Hier wollten jetzt auch die hin, die in Manhattan genug verdienten und trotzdem dort nicht mehr die Mieten bezahlen konnten. Bzw. denen der Mietanteil an ihrem hohen Einkommen zu groß geworden war.  Und auch die ausländischen Immobilienanleger hatten „Upcoming Williamsburg“ entdeckt.  Unterstütz von einem immer stärker werdenden Euro. Die Immobilienpreise, vor allem aber die bei Aus- und Umzug fälligen Neumieten explodierten.

20 m² mit kleinem Bad und eingebauter Küchenzeile in einem der neuen Türme mit direktem Blick auf die Skyline kosten als Eigentumswohnung jetzt  600-700.000 Dollar. Ein One-Bedroom Apartment mit Blick zur Miete ist unter 3.000 pro Monat nicht mehr zu kriegen. Aber auch die Mieten um die Bedford Avenue sind trotz der vielen Neubauten in schwindelerregende Höhen geraten. Es reichte nicht mehr aus am äußersten Rand von Williamsburg und ganz weit weg von jedem Blick auf die Skyline und von einer Station der L zu hausen, um noch an der Szene teilhaben zu können. Jetzt versuchte man im anliegenden Bushwick einen bezahlbaren Unterschlupf zu finden. Wenn möglich in der Nähe einer  U-Bahn-Station der Linie L die auch diesen Stadtteil durchquert. So ist man immer noch relativ schnell am Hotspot Bedford/North 7th, der letzten Station bevor es unter den Fluss nach Manhattan geht.

Von dort kreuzen jetzt jeden Abend die Yellow Cabs auf und bevölkern W-Burgs Straßen. Wer billiger fahren will ruft den Brooklyn-Taxi-Service an, eine von Latinos geführtes Unternehmen, das mit dem Williamsburg Boom mit gewachsen ist. Aber Limos gibt es jetzt hier auch zu mieten. Die ersten Hummer stehen in den Straßen rum.  Schwere Jeeps sind gang und gäbe.  Porsche und Maseratis noch selten. Selbst die farbige Schickeria lässt sich ab und zu sehen. In riesigen weißen Geländewagen.  Sie kommen aus dem afroamerikanischen Brooklyn abends mal schnell ins nun  vorwiegend junge und weiße Central-Williamsburg.  Genauso wie die ebenfalls mehrheitlich weißen Manhattangirls and –boys , die hier jetzt täglich zum Lunch oder Dinner erscheinen. Selbst meine Freundin J. ist letztes Jahr gekommen und war begeistert.

Meine Künstlerfreunde aus meiner Loft Garage jedoch müssen dieses Jahr sehr wahrscheinlich dicht machen. Nach Ende des Vertrages wird die Mietet mindestens verdreifacht und muss jährlich neu ausgehandelt werden. Der Kaufpreis ist im Verhältnis zu der Zeit als sie nach Williamsburg kamen mindersten beim 10 fachen angelangt.  Die Garage liegt in der zweiten Linie zur Waterfront und das Grundstück darf mindestens doppelt so hoch bebaut werden wie die heutige ehemalige Lastwagengarage. Sie überlegen in die Bronx zu gehen. Aber selbst diesen neuen Trend haben die Immobilienhaie schon mitbekommen.

Die Lage ist recht aussichtslos, was die nicht so erfolgreiche Kreativszene in Williamsburg betrifft und auch die Winner unter ihnen kommen in Schwierigkeiten. Die Studentenszene hat sich ebenfalls geändert. In Williamsburg können jetzt nur noch die Kinder reicher Leute studentisch wohnen. Aber deren Anzahl hat auf Grund des amerikanischen Millionärsbooms der letzten Jahrzehnte erheblich zu genommen. Da zahlen die Eltern gerne höhere Mieten, wenn der Sohn und/oder  die Tochter wenigstens ein paar Jahre im nun hippsten  und irgendwie noch immer Künstlerviertel  der Welthauptstadt wohnen möchten.  Wenn es von zu Hause nicht ganz so reicht, dann teilt man sich zu mehreren ein Loft,  so wie die ersten kreativen Zuwanderer.  Nur dass die Gesamtmiete jetzt ein Vielfaches höher ist.

Auch das Straßenbild hat sich geändert, aber dazu in der nächsten Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg Story IV…Klack

Die Williamsburg Story V…Klack

Die Williamsburg Story VI…Klack

Die Williamsburg Story VII…Klack

Eine Geschichte aus New York: Williamsburg – Teil 7: Vom Lagerhaus zum Loft

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Lastwagengaragen bzw.  deren Reperaturwerkstätten gab es in Williamsburg zu Hauf. Die Güter auf den Schiffen an den ehemals florierenden Piers des Industrie- und Arbeiterstadtteils Williamsburg, von denen nur noch der an der Raffinerie in Funktion stand, wurden meistens direkt in die Lastwagen umgeladen und dann zu den naheliegenden Fabriken und Lagerhäusern oder sonstwo in die Stadt gebracht. Mit dem niedergehenden Hafen standen dann neben den Lager- , Ver- und Bearbeitungsstätten auch die Transportergaragen zunehmend leer.

Sie wurden von den kreativen Stadtteilzuwanderern mit viel Fantasie nicht nur zu Musikclubs und Restaurants sondern auch zu Lofts um- und ausgebaut. Ihre Höhe und ihre Fläche waren dazu perfekt geeignet. Die Baubehörden drückten beide Augen zu bzw. wurden sie gar nicht erst informiert. Erst wenn man erwischt wurde wurde nachinvestiert und nachgearbeitet. Vor allem was feuer- und hygienerechtliche Bedingungen betraf. Sanitärtechnisch waren die meisten Lofts zu Anfang auf einem sehr niedrigen Niveau ausgestattet.

Die Landlords waren erst einmal nur an der Miete bzw. überhaupt an Einnahmen interessiert, denn die Buden standen vor der Umnutzung oft viele Jahre leer. Sie spielten das Versteckspiel mit und so konnte so ein Umbau viele Jahre ohne große behördliche Kontrolle existieren. Ich hatte die ersten Jahre viele Monate an der Berrystreet bei S. verbracht und haben dann Leute kennengelernt, die Lofts monatsweise vermietet haben. In einer dieser umgebauten Garagen, was weniger Blick bzw. mehr  Ober- statt Seitenlicht bedeutete, denn die Garagen standen oft mit anderen Gebäuden Seite an Seite in einer Straßenflucht.

Aber da ich sehr  viele Zeit außerhalb des Lofts verbrachte war das relativ egal. Erst recht weil es auch eine wunderbare Dachterrasse für alle Mieter gab. Dort trafen sich alle „Lofties“ am Abend. Die meisten waren Künstler, viel davon aus Europa und später auch aus Asien und Lateinamerika. Die Umgangssprache war natürlich englisch bzw. amerikanisch. Manchmal aber auch Deutsch, den zunehmend hatte es sich auch in meinem Heimatland in einer kleinen Szene rumgesprochen, dass  es in Williamsburg komplette Lofts auf Zeit und zu einem fairen Preis zu mieten gab.

Die weiteren Treffpunkte  waren die Kneipen an und um die Bedford und natürlich unser wilder „Stadtpark“ am Wasser. Kocheinrichtungen gab es die ersten Jahre in den Lofts nur behelfsmäßig so dass man oft zum Essen ausging, was zu diesem Zeitpunkt in der Nachbarschaft sehr günstig war. Es gab zunehmend Auswahl bis man alles an internationaler Küche ein paar Straßen entfernt rauf und runter essen konnte. Und immer noch viel billiger als in Manhattan.

Dort bin ich nur noch zu Mahlzeiten gegangen, wenn ich dort auch unterwegs war und natürlich wegen meiner Freundin J. die sich standhaft weigerte außerhalb von Manhattan Nahrung zu sich zu nehmen, wie sehr ich ihr auch immer Williamsburg anpries. Da die Tangoszene und ihre Lokalitäten sich ebenfalls in Manhattan konzentrierten und noch konzentrieren, und natürlich die Shoopingmöglichkeiten dort insgesamt tausend Mal größer waren, war ich  gleichzeitig  „Brooklinite“ und „Manhattanie“ geworden. Ich kannte allerdings nach einiger Zeit auch die anderen Stadteile wie meine Westentasche, denn ich fuhr von  Anfang an in dieser Stadt leidenschaftlich gerne Fahrrad. Aber das ist eine andere Geschichte.

Viele meiner sporadischen Mitmieter in unserem Loftkomplex hatten, wie die meisten der  dauerhaften Zuzügler, diesen Stadtteil ja ausgewählt, weil er so nahe an Manhattan lag, viel billiger war  und zunehmend ein attraktives kulturelles Eigenleben entwickelte. Viele der Künstler arbeiteten in Ermangelung ihres Erfolges in einem ganz normalen Job in Manhattan. Meistens als Hilfskräfte, manche aber  auch in einem qualifizierten Job. Taxifahren war ebenfalls einer der bevorzugten Verdienstmöglichkeiten. Eine ebenso häufige Tätigkeit war, vor allem für das ganz schnelle Zwischendurchverdienen das „Artmoving“.

Die vielen Galerien und Museen in Manhattan setzen mit Vorliebe junge noch nicht erfolgreiche Künstler als Schlepper- und Transporteure von Kunstwerken ein, weil sie davon ausgingen, dass diese sozusagen naturgemäß vorsichtiger mit dem umgingen was sie zu tragen oder sonstwie zu bewegen hatten. Es gab sogar eine Agentur, die in Williamsburg die schnelle Verbindung zwischen den dortigen Künstlern und den Auftraggebern in Manhattan organsierte. Handys waren zu dieser Zeit noch nicht sehr verbreitet bzw. für die meisten Künstler zu teuer. Festnetz , Kneipe, Straße und Park  waren die vorrangigen Kommunikationsmedien respektive Orte.

Roofpartys waren bei entsprechendem Wetter die fünfte große Interaktionsform. Die Szene lud sich dort gegenseitig ein, es gab zunehmende Unterszenen und immer neue Clubs- und Restos als Treffpunkt, aber alles immer nur jeweils einen Steinwurf voneinander entfernt. Bis später auch die Galerien zu beliebten Meetingpoints wurden.

Danach kamen in einem  noch größerem sozialen Maßstab die ersten gemeinsamen Art- und Musikfestivals dazu,  die die Stadtteilszene gemeinsam organisierte.  Alles erfahren konnte man in den Szenezeitungen die zu Anfang monatlich, dann aber wöchentlich erschienen und fast an jedem Treffpunkt auslagen. Aber mittlerweile auch, was die größeren Events betraf, in „Time Out“ und „Village Voice“, den angesagten Programm- und Szenemagazinen Manhattans.

An den Wochenenden kamen dann zunehmend so viele Besucher aus der restlichen Stadt und aus Manhattan dazu, so dass sich spezielle In-Kneipen ausbildeten, wo die Szene unter sich bleiben wollte und konnte.  Entweder gab es einen bestimmten Dresscode und andere äußere Zeichen oder sie lagen weiter von der Bedford weg als üblich. Oder man traf sich wieder wie früher in den Lofts selbst und feierte dort.

Die erfolgreichen Kreativen hatten meistens auch die Größten und deswegen am besten zum Feiern geeigneten. Die Unterschiede innerhalb des Loft-Lifestyles nahmen, was Ausstattung, Ausdehnung und Lage betraf damit auch zu. Der eigene und dauerhafte spektakuläre Blick auf Manhattan war jetzt auch innerhalb der Szene das äußere Zeichen des Erfolgs. Damit nahm unweigerlich  auch die Wohnkonkurrenz innerhalb der Szene zu.

Es gab jetzt, wo der Stadtteil hip wurde, das Loft nicht nur als besonderen Arbeitsort sondern auch als  neues Statussymbol, vor allem wenn man noch erfolgreichere Kreative aus dem nach wie vor unerreichbaren Manhattan beeindrucken wollte. Die Landlords wussten das natürlich und die Kauf- und Mietpreise für diese Räume stiegen an.  Entsprechend entstanden die ersten nur auf Williamsburg fokussierten Immobilienbüros.  Natürlich an der  Bedford und Umgebung. Zu Anfang kleine Butzen im Souterrain, dann immer protzigere Läden mit einer großen  mit vielen Angeboten bestückten Fensterfront.

Die Leute die mein Loft umgebaut und vermietet hatten waren so klug gewesen für den ganzen Komplex von vorne herein einen langfristigen Vertrag  abzuschließen. Die, die das nicht getan hatten, wurden sehr bald mit ersten Mieterhöhungen konfrontiert, die, wenn sie sie nicht bezahlen konnten, unweigerlich zum Auszug führten. Mit dem vorhandenen Mietbudget musste man dann den guten Lagen in W-Burg entsagen und sich woanders eine neue Bleibe suchen. So wurden auch die Teile von L-City von den Zuzüglern infiltriert, die bislang davon verschont worden waren, was wiederum dort die Mieten tendenziell steigerte.

Damit war die friedliche Phase der Gentrification zu Ende. Jetzt  kamen nicht mehr Leerstände  und untergenutzte Räume ins Spiel sondern schon bewohnte. Die Verdrängung der angestammten Bewohner begann.  Hierzu weiter in den nächsten Folgen.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg Story IV…Klack

Die Williamsburg Story V…Klack

Die Williamsburg Story VI…Klack

Eine Story aus New York: Williamsburg – Teil 6: Sehen und Gesehen werden

williamsburg-6Der Manhattaner Kunstszene, zumindest aber einigen der dortigen Galeristen, war Williamsburg als Künstlerstandort sehr früh bekannt. Mein Freund S. hatte es z.B. in der Zwischenzeit an die Broadway-Galerie O.K Harris geschafft. Aber die Verantwortlichen dort kamen nie zu ihm sondern er besuchte seinen Galeristen in Manhattan.  Nur dann, wenn es wirklich etwas Neues in seinem Loft anzuschauen gab, kamen Leute aus Manhattan zu ihm.

Einen regeren personellen und informationellen Austausch gab es zwischen Manhattan und Williamsburg erst als es dort auch Galerien gab die sich einen wenn auch kleinen Rang und Namen am Kunstmarkt erobert hatten.  Das gelang ihnen, in dem sie mutiger und innovativer in ihrer Künstler- respektive Kunstauswahl  waren und sich eigene Vertriebswege aufbauten.  So wurde in Williamsburg z.B. die kleinste Galerie der Welt erfunden. Nicht viel größer als eine Telefonzelle und dadurch hochmobil. Das Künstlerpotential  selbst war dagegen vor der Haustür und es nahm von Jahr zu Jahr zu.

Bis die etablierten Kunstzeitschriften allerdings einen Artikel über W-Burg schrieben bzw. schreiben ließen vergingen fast 10 Jahre. Auf ein Titelblatt schaffte es „Young and Wild W-Burg“ erst Anfang des neuen Jahrtausends. Danach erst begann der Stadtteil wirklich zu brummen. Vorher hatte jedoch schon die New Yorker und vor allem die Clubszene Manhattans den Stadtteil entdeckt, und das ungefähr zeitgleich mit der Gastroszene, die sich nicht nur hier einander überlappen.

Auch hier waren es vor allem die jungen  und risikofreudigen Leute die zuerst die Angst vorm imagemäßig immer noch als unsicher geltenden W-Burg auf der anderen Seite des Ost-Flusses  verloren. An den Wochenenden schaute man dann doch mal rüber und später auch unter der Woche und musste entdecken, dass die Gegend um die Beford ziemlich cool war.  Die Gesetze von Sehen und Gesehen werden brachen sich Bahn und je mehr Leute als Besucher nach W-Burg gingen  desto mehr kamen neue Besucher hinzu. Die Eigendynamik des Sceneseeking eben.

W-Burg wurde Kult und nun hatten auch weitere Boutiquen und Restaurants ihre Überlebenschance. Natürlich mussten sie selber noch hipper sein als die die schon da waren. Ein richtiggehender  innenarchitektonischer Wettbewerb begann parallel mit der zunehmenden Mode- und Outfitkonkurrenz der Besucher und der kreativen  Community im Outdoorbereich.  Die Gebäude und der städtebauliche Gesamteindruck waren dagegen, im Verhältnis zu Manhattan, nachwievor bescheiden.

Williamsburg war immer noch stadtästhetisch ein hässliches Entlein, dass man nur auf den zweiten Blick schön  finden konnte. Aber die Immobilienentwickler saßen diesbezüglich schon in der Warteschleife. Sie hatten zwar schon reichlich Grundstücke und Häuser gekauft, aber die Kunden die sie nach der Generalsanierung und den damit erheblich höheren Mieten beziehen sollten fehlten noch.  Die Besucher des Stadtteils  wurden immer mehr, auch die zuwandernden Künstler, aber immer noch kam nicht die kaufkräftige weil gut verdienen obere Mittelschicht, und schon gar nicht die ökonomische Elite der Stadt.

Die für diese Gruppe so attraktive Waterfront war immer noch nicht in Wohngebiet umgewandelt, denn gerade die auch zahlenmäßig stark gewordene Künstlercommunity wehrte sich in den diesbezüglichen öffentlichen Anhörungen besonders heftig, was die restlichen Bewohner dazu bewog es ihnen gleich zu tun. Weniger die Hausbesitzer als die Mieter unter ihnen natürlich. Und zunehmend auch die Stadtteilpolitiker, denn die wurden nun mal gewählt und dazu brauchten sie Mehrheiten und das waren immer noch die Mieter und nicht die Landlords von W-Burg.

Die wenigsten Künstler und  Galeristen hatten es in der Zwischenzeit zu Hauseigentum gebracht, was für sie natürlich in Anbetracht dessen, was jetzt auf den Stadtteil bald zukommen sollte, das Beste gewesen wäre.  Bei den zunehmend professionell geführten  Restaurants, Clubs und Boutiquen war das jedoch anders. Hier hatten die Betreiber und ihre Berater sehr schnell erkannt, dass es gut ist nicht nur den Betrieb sondern auch seine bauliche Hülle zu besitzen. Es  gab also schon in der golden Ära der Gentrification mehr oder weniger erfolgreiche unter  den Kreativen. Aber sie saßen fast alle noch im gemeinsamen Boot und wollten die Großspekulanten aus Manhattan von ihrem  W-Burg  möglichste fern halten.

Das große politische Streitobjekt war dabei natürlich die immer noch für Industrie und Gewerbe vorgesehene Uferzone und vor allem eine kleine grüne Brache zwischen den dort noch bebauten respektive gewerblich genutzten Flächen. Sie war auf Drängen einer mittlerweile gegründeten Bürgerintiative und den Lokalpolitikern von der Stadt New York nicht neu verpachtet  worden und somit im öffentlichen Besitz. Der mittlerweile auch in ersten Blueprints deutlich gewordene Traum der Immobilienspekulanten war dagegen, auch diese wilde Brache in eine Reihe von Hochhausbauflächen einzuverleiben, die die zukünftige Waterfront südlich und nördlich der Williamsburg Bridge vor allem vertikal gestalten sollten.

Williamsburg waren solche Highriser bislang aber völlig fremd. Nur einzelne  Lagerhäuser und Fabriken waren hier bisher höher als 4 Geschosse, und genau das machte auch den besonderen Village-Charme dieses Viertels aus. Sowohl für die Besucher als auch für die Bewohner. Niemand wollte also die Hochhäuser die zwar einen fantastischen Blick auf Manhattan, aber dafür keine Fernsicht mehr für den Rest der W-Burger booten. Vor allem aber  keine grüne Lunge mehr mit Blick auf Manhattan für alle. Es gab noch einen kleinen weiteren Uferpark, aber der reichte natürlich bei weitem nicht für die in der Zwischenzeit viel zahlreicher  gewordenen Bewohner aus.

Der grüne Park der noch gar keiner  war, wurde zum Identifikationsobjekt und zu einer alternativen Vision für die Zukunft der Waterfront, denn an die Ansiedlung neuer hafenbedürftige Industrien glaubten auch, bis auf die Gewerkschaften, die meisten Alt- und Neubürger des Stadtteils nicht mehr. Eine Unter-Gruppe meiner Studenten hatte viele Jahre vorher, neben den gut 70 Entwürfen der Gesamttruppe in allen Stadtteilen New Yorks, auch genau zu diesem Areal  einen  Plan gefertigt, der dort eben diesen Park vorsah und visionär zu gestalten versuchte. Er war jedoch , obwohl  in öffentlicher Hand,  immer noch eingezäunt. Nur die immer wieder und eigenhändige  und nächtlich vorgenommene systematisch Durchtrennung des Maschendrahtes erlaubte es durch Gestrüpp und Betonreste der ehemaligen Piers an das  Wasser zu kommen.

Dort saßen dann alle friedlich beieinander. Jung und Alt, schräg oder normal, Künstler, Bohemiens und „einfaches“ Volk  auf selbst gemachten Liegen und Sitzgelegenheiten und verbrachte , redend, schweigend, lesend und angelnd den Abend und häufig auch die Nacht. Die städtischen Ordnungskräfte gaben es nach einiger Zeit auf, den Zaun immer wieder zu reparieren. Es fanden die ersten Land-Art Aktionen statt, es wurden feste Sitzplätze in Eigenregie gebaut.

Es war eine wunderbar friedliche Insel und der Blick von dort auf die Skyline faszinierte auch mich über viele Jahre bis heute, denn nur der Park konnte gegen die  Spekulanten durchgesetzt werden und ist mittlerweile  schlicht und doch schön gestaltet, der Treffpunkt aller geblieben. Nur dass es nicht mehr dieselben sind, wie vorher.

Ich wohnte bis vor kurzem  mindestens den ganzen  Mai und September ganz in der Nähe dieses grünen Treffpunktes. Genauer gesagt nur 100 Meter entfernt in einem Loft in einer umgebauten Lastwagengarage. Aber dazu mehr in der nächsten Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg Story IV…Klack

Die Williamsburg Story V…Klack

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Williamsburg-Story Teil 4: Von Szene-Pionieren zu Szene-Buildern

williamsburg-4An der Bedford  gab es mit der Ausnahme von zwei kleinen öden Bierkaschemmen keine Kneipe weit und breit. Vom christlich-polnischen Greepoint bis zum jüdisch orthodoxen Viertel südlich der Williamsburg Bridge gab es außer Peter Lugers nur eine einzige ernst zu nehmende Bar: das Teddys.

Aber nicht an der Bedford Avenue sondern an der in gleicher Richtung laufenden Berry Street. An der Bedford gab es einen polnischen Metzger und einen italienischen Bäcker nahe der North 7th. Nicht weit davon eine noch heute von einheimischen Latinos betrieben Pizzeria und insgesamt zwei sogenannte Stehchinesen bei denen man auf ein paar abgewetzten Stühlen vor uralten resopalbeschichteten Tischen auch sitzen konnte.

Das eigentliche „Einkaufszentrum“ von Williamsburg lag damals entlang des  Broadways unterhalb der darüber aufgeständerten und schon erwähnte JMZ –Linie, genau auf der Grenze zwischen dem jüdischen und lateinamerikanischen Williamsburg. Eine kulturelle Demarkationslinie die drastischer nicht ausfallen konnte, denn es gibt nichts Widersprüchlicheres als der Unterschied zwischen dem Outfit einer lebenslustigen  Latina und einer strenggläubigen Jüdin.

Die  immer schwarz und mit Käppi und/oder Hut gekleideten jüdischen Männer mit ihre langen gekräuselten Schläfenlocken vielen ebenfalls schon auf 100 Meter Entfernung zwischen den meistens wesentlich kleineren in der Regel mit  Baseballkappen behüteten männlichen Latinos auf. Die damals wie ein Fort bewachte und gesicherte örtliche Poststelle lag und liegt heute noch, wenn auch nicht weit vom Broadway entfernt, auf Latinogebiet.

Ansonsten gab es fast an jeder Straßenecke die üblichen kleinen voll gepackten überteuerten und durch jede Menge Stahl  gesicherten „Marcetas/Markets“ für die Nahversorgung.  Sie wurden in der Regel von Latinos betrieben, die zwischen dem polnischen und dem jüdisch-orthodoxen Williamsburg entlang der Bedford Ave die Mehrheit der Bewohner stellten. Dazwischen haben sich in den letzten 2 Jahrzehnten kontinuierlich die mehrheitlich weißen Neubewohner geschoben und dabei vor allem die Polen und die Latinos verdrängt, bzw. deren angestammten Wohngebiete dezimiert.

Zu Anfang die Künstler und Studenten, später immer mehr gutverdienende Yuppies und junge wohlhabende Familien. Bevor jedoch die Letzteren in Williamsburg das Straßenbild bestimmten, musste erst der berühmt berüchtigte Sicherheitsfaktor erhöht werden. Auch als aus den ersten Pionieren eine kleine Community geworden war, waren Straßenüberfälle und andere gewalttätige Auseinandersetzungen in L-City nämlich nichts Ungewöhnliches. Sie hatten sogar manchmal eine geradezu absurde Note, wenn man nicht selbst betroffen war.

Ich hatte mittlerweile zusammen mit der Universität Aachen und der Columbia-Universität ein großes Studentenprojekt vorbereitet, dessen Kern ein  3monatiger Entwurfsworkshop  im Loft von S. war. Mit insgesamt 120 Studenten. Die waren jedoch nicht alle gleichzeitig da, sondern reisten jeweils in 10-20ger Gruppen an um dann 2 Wochen  intensiv  vor Ort zu arbeiten und zu recherchieren. Eine der anstrengendsten und zugleich spannendsten Zeiten meines ganzen Lebens, denn ich war der einzige fachliche und soziale Betreuer dieser jungintellektuellen Rasselbande.

Insgesamt hatten wir  in den Monaten drei  Überfälle, zwei Diebstähle und die völlige Zerstörung eines Leihwagens zu verzeichnen.  Die Überfälle fanden  in den drei damals klassischen Formaten statt: Messer, Baseballschläger und Pistolen. Alle glücklicherweise ohne jeden Personenschaden, denn alle StudentInnen waren von mir und S. direkt nach ihrer Ankunft ausführlich in „Streetsmartness“ unterrichtet  worden.  Keiner der Täter wurde trotz Anzeige  je von der Polizei gestellt wurde.

Eines Abends schlugen wir uns mal wieder zu Teddys durch.  Wir waren guter Laune bis von Hinten jemand „Attention“ brüllte.  Wir sprangen sofort auseinander und zwischen uns durch raste ein junger Schwarzer mit Irgendetwas, um das er fest seine rechte Hand klammerte. 10 Meter vor uns drehte er im vollen Lauf noch mal kurz den Kopf und rief laut und deutlich „Sorry“.  Ehe wir aus dem Staunen heraus kamen wetzte schwer atmend  ein älterer Latino zwischen uns durch. In einer Hand ein längeres Messer  und offensichtlich der Verfolger des flinkeren Afroamerikaners.  Und auch er drehte nach einigen Metern noch mal kurz seinen fast kahlen Schädel zu uns und brachte, wenn auch nicht so glasklar wie sein Vorläufer, ein deutlich hörbares „Sorry“ heraus.

Das war genau das, was  Prince viel später in seinem wundervollen Song „Style“ präziser besungen hat. „ I got no job, but I got style“.  Man könnte  die beiden Protagonisten dieser Geschichte aber auch im wahrsten Sinne des Wortes als Vorläufer der Street  Art bezeichnen, von der die spätere Künstler-Community Williamsburgs behauptet, dass sie sie erfunden habe.  Mit Sicherheit kann ich jedoch sagen, dass sie im Straßenraum  Williamsburgs mindestens 10 Jahre eher ästhetisch präsent war, als in Berlin. Zu der Zeit allerdings gab es noch keinen der in den üblichen Gazetten über Williamsburg schreiben wollte. Das etablierte Feuilleton hat es halt auch gerne etwas sicherer, ehe es auf Entdeckungsreise geht.

Für eben diese Sicherheit  sorgte dann die Künstler- und Studenten-Community  von Williamsburg selbst.  Zusammen mit den angestammten  Bewohnern, die die Zuzügler erst einmal sehr skeptisch beobachteten. Über die Jahre stellten sie jedoch fest, dass die Neuen auch Vorteile brachten.  Der wichtigste war ihre Anwesenheit selbst, und zwar auf den Straßen und das auch am Abend. Denn Künstler und Studenten gehen weltweit gerne aus, und wenn es nichts in der Nähe auszugehen gibt und die „Restos“  in Manhattan viel zu teuer sind, dann machen die sich schon mal selbst ihre Kneipen auf. Mit der Folge, dass dann auch im Dunkeln mehr Menschen auf der Straße sind und das macht diese  sicherer und die Überfälle auf ihnen weniger.

Erst recht wenn man dabei mit der Polizei zusammenarbeitet, bzw. diese sofort informiert, wenn was passiert oder aber sie immer wieder drängt, endlich was zu unternehmen. Oder aber wenn man sich einen bedrohlich aussehenden Hund kauft, der einen Nachts begleitet, wie es vor allem viele  der weiblichen heute so genannten Kreativen in Williamsburg zu dieser Zeit getan haben. Wenn man dann das preiswert gemietete und selbst renovierte Fabrikloft  noch preiswerter  an die etwas Mutigeren unter den Touristen untervermietet, kommen noch mehr Leute ins Viertel, füllen die selbst eröffneten Kneipen  und die Straßen die zu ihnen führen weiter auf.

Die New Yorker Polizei  fühlte sich ab da in diesem Stadtteil  wieder wohler, weil sie sich von der Bewohnerschaft beim Kampf gegen das Verbrechen unterstützt fühlt.  Sie kam häufiger, was wiederum die Straßensicherheit erhöhte und das lockte wiederum neue Leute in den Stadtteil, die sich bislang nicht getraut hatten und das wiederum vermehrte das Straßenleben und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. So ging allmählich die Zeit der Szene-Pioniere in die Zeit der sogenannten Scene-Builder über. Hierzu mehr in der nächsten Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg-Story Teil 3: Im Visier der Spekulanten

williamsburg3Die  metropolitane Immobilienwirtschaft, New York nennt sich nicht umsonst  „ The World Capital of Real Estate“ , hatte zu dieser Zeit schon länger einen Blick in die „Outer Boroughs“ geworfen. Die Entdeckung der Urban-Waterfront war seit dem spektakulären städtebaulichen Projekt Battery-Park-City in vollem Gange, aber noch sehr stark auf die Wasserlinie um Manhattan fokussiert.

Die weitsichtigeren unter New Yorks Immobilienspekulanten, die örtlichen Banken eingeschlossen, hatten Williamsburg jedoch schon im Visier. Ebenso den  heute so genannte DUMBO-Bezirk unterhalb der Manhattan-Bridge, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls hafenzugehöriges Gewerbegebiet mit riesigen Lagerhäusern war. Down Under the Manhattanbrige Overpath, wie DUMBO mit vollem Namen heute heißt, wurde jedoch aus einer (Immobilien)Hand entwickelt, während Williamsburg von mehreren Developern und lokalen Hauseigentümern/Spekulanten stufen- und straßenweise in den Griff genommen wurde.

Williamsburg war nämlich, im Gegensatz zum sehr sehr viel kleineren DUMBO-Bereich, außerhalb seiner Waterfront zum großen Teil bewohnt. DUMBO, was auch eine eigene Story wert wäre, war dagegen reines Gewerbegebiet das damals schon fast völlig leer Stand. Umgewandelt musste die  arbeitsbezogene  Waterfront jedoch in beiden Fällen werden ehe damit richtiges  Geld verdient werden konnte und zwar in ein Wohngebiet mit eben dem spektakulärem Blick auf Manhattan, der mich bei  meinem ersten Besuch  so fasziniert hatte.

Sowas dauert auch im schnellen aber doch sehr demokratisch organisierten New York sehr lange. In Williamsburg wuchs, im Gegensatz zum  DUMBO-Bezirk, obendrein in der kommenden Zeit etwas heran was die Developer zwar nicht geplant, was ihn aber letztlich die beabsichtigte Aufwertung  erheblich erleichtert hat. S. und seine Freunde waren nur die erste Vorhut von etwas, das in nur wenigen Jahren zur regelrechten Invasion werden sollte. Die Übernahme der reichlich vorhandenen gewerblichen und wohnungsmäßigen Leerstände durch die heute so genannten „Kreativen“.

Williamsburg g a l t in der Stadt nicht nur als arm und gefährlich. Es  w a r es auch wirklich. Wenn auch weniger als das nicht weit davon gelegenen Bushwick oder das sogenannten und gänzlich schwarze BedStuy, ausgeschrieben Bedford Stuyvesant. Diese No-Go-Arrea wurde durch die späteren Filme bzw. „Joints“ von Spike Lee, dem ersten in Amerika und später auch in Europa berühmten afroamerikanischen Regisseur, auch über Brooklyn hinaus bekannt. Er war zu der Zeit als ich Brooklyn zum ersten Mal aufsuchte knapp über 20 Jahre alt und hatte seinen ersten Independent Film gedreht: She´s gotta have it. Eine wundervolle Komödie über eine Afroamerkanerin, aus Brooklyn natürlich, die gleichzeitig mit 4, natürlich afroamerikanischen, Männern flirtete. Natürlich in schwarz weiß gedreht und  Spike Lee war, wie in independent Filmen mit Minibudget nicht unüblich,  nicht nur Regisseur  sondern auch einer der 4 schwarzen  (Proto)Typen. Alle wurden im Plot witzig und selbstironisch persiflierte.

Nicht nur das schwarze New York lachte sich einen Ast, aber alle weißen New Yorker wussten natürlich, dass keiner von ihnen diesen Film hätte genauso drehen dürfen. Und Spike Lee wusste das natürlich auch. Am meisten schmunzeln mussten jedoch  alle darüber, dass einer der Liebhaber aus Manhattan kam. Er war affektiert, selbstverliebt und obendrein kein guter Liebhaber, und diese Anspielung verstand natürlich auch ganz New York City. Der ewige Zwist zwischen den eingebildeten und hochnäsigen „Manhattanies“ und den ehrlich-offenen und bodenständigen „Brooklynites“, den ich erst später so richtig durchschaute, war hier ganz in schwarzer  Haut gespiegelt.

Jahre später lernte ich nämlich beim argentinischen Tango im Central Park ein  eingefleischtes  Manhattan-Girl   kennen. Auch sie ist mir bis heute eine sehr gute Freundin geworden, während ich S. später wieder aus den Augen verloren habe. J. war aber erst vor einem Jahr bereit, mit mir nicht in Manhattan sondern in Brooklyn essen zu gehen, weil man das ihrer Meinung nach, außer bei Peter Lugers,  genauso wenig könnte, wie wohnen.

Peter Lugers galt und gilt bis heute als das beste Steakhouse von ganz New York. Man muss  sich mindestens eine Woche vorher dort einen Tisch buchen. Die Limousinen standen damals in Reihe vor der Tür und die Security. Denn das wunderschöne alte Brownston-Gebäude, in dem der deutsche Einwanderer Peter Luger Ende des 18. Jahrhunderts sein Restaurant eröffnete, stand zwar nicht weit von Manhattan, genauer gesagt am Brooklynfuß der Williamsburg Bridge. Aber eben der Williamsburg- und nicht der gar nicht weit davon entfernt gelegenen Brooklyn Bridge.

Da stand und steht heute das weltberühmte River-Cafe direkt am Wasser und man konnte dort, und kann natürlich auch heute noch, an warmen Sommerabenden unbeschwert draußen herumlaufen, um die Skyline von Downtown Manhattan in der Abendsonne erglühen zu sehen. Wenn man aus Peter Lugers raus kam, wollte man dagegen ganz schnell in die mitgebrachte Limo mit Fahrer oder in das nächste Taxi. Da es aber in der Gegend aus verständlichen Gründen nicht viele gab, hatten die Manager von Peter Lugers selber welche angeheuert, die immer abfahrbereit zur Verfügung standen.

Heute würde einem das kaum einer mehr glauben, denn die Williamsburg Waterfront ist mittlerweile genauso so sicher wie die Wasserterasse des River Cafes. Und viel größer. Damals allerdings standen dort bedrohlich leere und herunter gekommene Lagerhäuser, die riesige, noch aktive Domino-Sugar-Raffinerie und einige der zentralen Müllverarbeitungs- und Weitertransportstationen der Stadt New York. Alles was die „Manhattanies“ halt nicht mehr so haben wollten. Und genau so sahen das auch die noch verbliebenen Einwohner von Williamsburg.

Anders die Künstler und Studenten in Manhattan.  Sie waren, wie S. auf Grund ihres in der Regel knappen Budgets dort immer mehr unter Druck geraten. Soho war zu diesem Zeitpunkt schon komplett gentrifiziert.  Die Lower Eastside  und das East Village standen kurz  davor bzw. war die Sache rund um den Tomskin Square schon im vollen Gange.  Den ebenso herunter gekommenen und drogenverseuchten Union Square  an der 14th Street versuchten die Stadtväter durch die Einrichtung einer Dependance der New York University zurück zu erobern und hatten damit in den kommenden Jahren auch zunehmend Erfolg.

In der Welthauptstadt der Immobilienspekulation hatte das jedoch eine unausweichliche Folge: kontinuierliche bis exponentielle Mietpreissteigerungen. In dieser Zeit schrieb eine Studentenzeitschrift, ich glaube sogar die der Columbia Universität, dass Williamsburg eigentlich gar nicht so unsicher sei wie behauptet würde und nur eine Station von Manhattan entfernt läge. Was eindeutig stimmte, vor allem aber insgesamt nur 4 U-bahnstationen vom Union Square, an dem genau die neue Filiale der NYU entstand. Mit einem mal war damit eine U-Bahnlinie ins Bewusstsein der Stadt gerückt, die bislang – mit Ausnahme der „Brooklynites“ die sie regelmäßig benutzen mussten – kaum jemand kannte: Die L.

Die L-Linie läuft im wahrsten Sinne des Wortes quer durch Manhattan um dann, im Gegensatz zur JMZ, unter dem Wasser nach Brooklyn vor zu stoßen. Über Williamsburg und Bushwick geht sie dann über die Broadway-Junction ebenfalls tief in dieses Stadtgebiet hinein. In dem kurzen Stück innerhalb Manhattans heißt die L auch die 14Th Street Line, weil sie dort von der 8Th Avenue komplett und genau unterhalb dieser Verkehrsader verläuft.
Dadurch hat sie verkehrstechnisch einen für ihre Nutzer uneinholbaren Vorteil: Sie quert nicht nur alle wichtigen Subwaylinien Manhattans sondern sie erlaubt dank ihrer Bahnhöfe auch den schnellen Umstieg in jede von ihnen. Selbst zur Columbia Universität in Harlem geht es dadurch, dank des Express-Local-Systems selbst von Brooklyn aus vergleichsweise schnell.

Aber nur, wenn man in Williamsburg, also genau auf der anderen Seite des Eastriver, eine Studentenbude hatte. Möglichst nah am ersten L-Haltepunkt hinter dem Fluss. Der hieß damals wie heute Bedford Avenue und um ihn herum ist das äußerst quirlige, hippe  und teure Zentrum des neuen Williamsburg entstanden.

Als ich die Bedford Avenue zum ersten Mal in meinem Leben entlang lief, und sie ist verdammt lang, war sie das genau Gegenteil. Hierzu weiter in der nächsten Folge…
Die Williamsburg Story Teil 1…Klack

Die Williamsburg Story Teil 2…Klack

Williamsburg II: Gute Aussichten

williamsburg2Den Hauptgrund für die kommende Aufwertung von Williamsburg bekam ich im wahrsten Sinne zu sehen, nachdem ich von S. an der mehrfach verriegelten großen Stahltür des 6-stöckigen Fabrikgebäudes abgeholt, mit einem uralten klapperigen Lastenaufzug in das oberste Geschoss geholpert war und dort durch eine weitere mit drei Schlössern und einem inneren Querbalken verschlossen Eisentür in ein riesiges, rundum verglastes Loft geführt wurde: Den unverstellten Blick auf Manhattan und die Williamsburg Bridge.

Genauer gesagt auf drei Brücken, denn hinter der stadtteilbezogenen Wasserüberführung reihten sich in südlicher Blickrichtung weiter die Manhattan- und die Brooklyn Bridge auf. Noch überwältigender war jedoch der Besuch des direkt über dem Loft liegenden riesigen flachen Dachs mit dem typischen aufgeständerten Wasserbehälter. S. hatte sich die oberste Fabriketage mit einer Künstlerkollegin geteilt, wobei sie den kleineren Teil, dafür aber die eigentliche Wassersichtfront mit westlichem direktem Blick auf Manhattan bekommen hatte. Dafür verfügte S. über sage und schreibe 600 m² mit den drei anderen Blickseiten von denen zwei, die südliche und die nördliche, wenn auch seitlich, ebenfalls die Skyline im Visier hatten. Nach Westen konnte man weit über Brooklyn selbst schauen.

Auf dem Dach gab es die Totale und das übertraf alles was ich auf den Rooftops in Manhattan mit Ausnahme vom damals noch existierenden World Trade Center und vom jetzt immer noch existierenden Empire State Building gesehen hatte. Die Skyline war von außen gesehen nämlich mindesten so beeindruckend wie von innen. Von hier aus war sie in der ganzen Länge zu betrachten. Von Downtown bis Midtown. Selbst die Queensborough Bridge, die, wie der Name schon sagt, den gleichnamigen Borough mit Manhattan verbindet und ebenso mächtig und filigran wie die Williamsburg Bridge ist, war von hier aus im ständigen Blickfeld.

Dieses Panorama war und ist der Grund für das, was die folgenden 25 Jahre mit ganz Williamsburg geschehen sollte: die systematische soziale und bauliche Aufwertung die meistens auch mit einer Veränderung und Verjüngung der sozialen Struktur der Bewohner einhergeht, die von Fachleuten so genannte Gentrification. Diesen Wahnsinnsblick hatte man nämlich auch dann, wenn man hier nicht so hoch wohnte, und zwar direkt am Wasser. Ebenso unverstellt, noch näher an Manhattan und für alle.

Die Williamsburg-Waterfront war aber zu diesem Zeitpunkt nur an wenigen Stellen zugänglich, denn die Blocks entlang des East River waren immer noch gewerblich-industriell genutzt, wenn auch bei weitem nicht mehr so intensiv wie noch in den 60ger und 70ger Jahren.  Die Deindustrialisierung New Yorks war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon fast abgeschlossen und die gewerblichen Leerstände in Williamsburg entsprechend groß und vielzählig.

So waren S. und seine Künstlerfreunde auch an ihre Lofts gekommen. In den ersten 3 Etagen ihrer Fabrik wurde jedoch noch körperlich schwer gearbeitet. Einer der vielen sogenannten Sweatshops auf Niedrigstlohnbasis die zu diesem Zeitpunkt noch in New York mit ihrer Verlagerung in die Entwicklungsländern konkurrieren konnten. Die Latinos der Umgebung fanden hier noch bezahlte Arbeit, mussten dafür jedoch Arbeitsbedingungen akzeptieren, die auch den New Yorker Behörden die Haare hätten zu Berge stehen lassen, wenn sie den vorbei gekommen wären. In solche Gegenden kamen die städtischen Ordnungskräfte aus gutem Grunde jedoch nicht so oft und die Arbeitslosigkeit in solchen Vierteln war so hoch, dass die, die dort noch Arbeit fanden, froh waren, dass sie überhaupt eine hatten.

Wenn man jedoch von dem Panoramablick auf dem Dach oder aus den riesigen fabrikmäßigen Fenstern eingefangen war, vergaß man das alles sehr schnell. Erst recht wenn man wusste, wie billig er war. S. zahlte für das ganze Loft nicht mehr als 600$, also etwas mehr als 1$ pro Quadratmeter. Und die eine U-bahn-Station von Manhattan entfernt. Er war genau deswegen aus Manhattan weggegangen. Dort konnte schon damals ein noch nicht erfolgreicher Künstler die Miete selbst in der letzten Bruchbude nicht mehr bezahlen. Heute können es selbst die Erfolgreichen kaum noch.

Jetzt wird das auch in Williamsburg immer schwieriger. S. wurden vor ein paar Monaten mehrere 100.000$ von seinem Landlord geboten, wenn er nur endlich ausziehen würde. Der Umzug selbst würde ihm natürlich sowieso bezahlt. Seine Miete ist auch schon lange höher als zu Anfang. Aber durch die für amerikanische Verhältnisse immer noch recht mieterfreundliche Gesetzgebung des Staates und der Stadt New York, ist sie, dank eines kunstgesonnenen Rechtsanwaltes, den S. in Ermangelung von Bargeld immer nur mit Bildern bezahlt hatte, für ihn immer noch bezahlbar. Im Verhältnis zu den jetzigen Neuvermietungen sogar spottbillig. Was seinen Landlord natürlich in den Wahnsinn treibt.

Arbeitsplätze gibt es in der Fabrik überhaupt keine mehr. Dafür eine neuen Aufzug, der gesetzlich die Voraussetzung für die offizielle Wohnvermietbarkeit schafft und damit für enorme Mietsprünge bei Neuvermietungen. Hintergrund ist ein lange Kampf der New Yorker Immobilienkamarilla zur Veränderung der Bodennutzungsregelung in Williamsburg, die am Wasser vor allem industrielle Nutzung vorsieht bzw. vorsah. Sie haben ihn am Ende gewonnen, mussten dabei aber ein paar Kompromisse mit der Bevölkerung schließen, die gerne noch gewerbliche Arbeitsplätze im Stadtteil behalten hätte. Nicht zuletzt weil die ihrer insgesamt eher niedrigen Ausbildung entsprachen.
Aber dazu in der nächsten Folgen mehr.

Williamsburg Story: Teil I

From “No Go” to “Must Be” in New York City – Die Williamsburg-Story Teil 1

williamsburg_bridgeIch erinnere mich noch sehr genau, wie ich zum ersten Mal nach Williamsburg kam. Es war im Sommer 85 an einem dieser feucht-heißen „Nothing is hotter than July“ Tagen. Die damals ziemlich runter gekommenen Waggons der JMZ-Linie, auf der NYC-Subway-Map auch heute noch braun eingezeichnet, hielten kreischend an der ersten Station in Brooklyn. Sie waren, vollgepackt mit mehrheitlich farbigen, eher ärmlich gekleideten Passagieren, durch das Stahlgestrüpp der Williamsburg-Bridge über den East River gekrochen um danach auf einer aufgeständerten Schienenkonstruktion in einem knappen Bogen über dem Broadway zu landen. Ja, Brooklyn hatte zu meinem Erstaunen auch einen Broadway und der führt tief ins Innere dieses Mehr-Millionen-Boroughs, der vor der Eingemeindung nach New York City die viertgrößte Stadt der USA war.

Über diesem „Broadway für Arme“ scheppert und knirscht bis heute mit ohrenbetäubendem Lärm über viele Kilometer eine der längsten U-Bahnlinien der Stadt hinaus nach Jamaika Center. Fährt man sie in die andere Richtung dann geht es mit ihr über Downtown Manhattan wieder nach Brooklyn bis fast an den Atlantik.

Die Williamsburg Bridge die zu diesem Zeitpunkt, wie die Queensborough Bridge noch heute, vor Rost nur so strotze, ist eine der schönsten Brücken der Stadt. Komplett aus zigtausenden Stahlstäben gebaut die mit Abermillionen von Nieten zu einem gut 2km langen Ingenieurkunstwerk zusammengesetzt worden sind, ist sie nach gut 20 Jahren Reparaturzeit und fast eine Milliarde Dollar Material- und Arbeitskosten jetzt wieder in einem fast neuen Zustand. Sie verbindet Williamsburg mit der Lower-Eastside in Manhattan, damals noch „Loi Saida“ genannt, weil sie zum größten Teil von Latinos bewohnt wurde. Wie zu diesem Zeitpunkt auch ein großer Teil ihres städtebaulichen Gegenübers namens Williamsburg in Brooklyn.

Ihre fußläufige Überquerung galt in der Dunkelheit als lebensgefährlich. Tagsüber war sie die „Poor-People-Bridge“, denn sie wurde vor allem von Leuten begangen die sich nicht mal die U-Bahn leisten konnten, aber trotzdem jeden Tag zur Arbeit nach Manhattan mussten. Wer genug Geld hatte nahm sich nachts ein Taxi über die Brücke und musste sich daran gewöhnen, dass der Fahrer wie automatisch die Sicherheitsknöpfe der Türen betätigte, wenn er ihren Scheitelpunkt passierte.

Manche, in der Regel weiße, Fahrer weigerten sich zu diesem Zeitpunkt sogar überhaupt über die Brücke Richtung Brooklyn zu fahren. Sicherheitshalber nahm man sich einen der schwarzen Chauffeure weil die, bis heute, in der Regel überall hin fahren. Seit einigen Jahren gondeln allerdings alle Cabdriver gerne über die Brücke, weil auf der anderen Seite statt Gefahr eine Menge Touren auf sie warten. Williamsburg ist mittlerweile eines der hippsten Stadtteile vom ganzen Big Apple. Mit Sicherheit aber zur Zeit neben Brooklyn Hights der bekannteste Neighbourhood in Brooklyn.

Was die internationale Kunstszene betrifft, gilt dieser Stadtteil seit der Jahrtausendwende sogar als Must Go Arrea. Als ich dort an diesem Tag zum ersten Mal auftauchte wäre das dort niemand auch nur im Traum eingefallen. Dabei hatte mich ein Künstler dorthin eigeladen, den ich ein paar Tage vorher auf eine Party in Manhattan kennen gelernt hatte und der in den folgenden Jahren ein guter Freund wurde. Er hatte mich allerdings vorgewarnt. Ich sollte möglichst von der U-Bahn aus direkt den Bus benutzen, sprich möglichst wenig zu Fuß gehen.

Das Drive-By-Shooting war zu dieser Zeit in bestimmten Stadtteilen New Yorks bei Drogendealern gerade in Mode gekommen und Williamsburg gehörte dazu. In solchen Fällen hatte man sich nach dem ersten Schuss sofort flach auf den Boden zu werfen und, wenn Kinder dabei waren, diese fest an sich, ja noch besser unter sich zu drücken. Das geschah nicht täglich, aber einmal im Monat konnte man fest damit rechnen, und man wusste nie genau wo. Überfälle waren dagegen in solchen Stadtteilen wie Williamsburg an der Tagesordnung. Aber auch hier gab es Regeln. Geld abgeben und Fresse halten. Kein Versuch sich zu wehren. Keinen einzigen!

Besser war es auch, immer etwas Geld dabei zu haben. Die Superdroge Crack hatte zu diesem Zeitpunkt die Stadt in den Griff zu nehmen begonnen und die Jungs- und Mädels die dringend neuen Stoff brauchten waren nicht zimperlich, wenn es bei den Überfallenen gar nichts zu holen gab. Sie waren selbst für Leute die sich an den Straßenraub gewöhnt hatten nicht mehr einzuschätzen.

Also nahm ich treu den Bus und als ich in der Nähe des uralten Fabrikgebäudes ausstieg, in dem S. wohnte hatte ich gehörigen Schiss. Müll auf der Straße. Jedes dritte Gebäude war zugenagelt oder nur zum Teil bewohnt. Aber die Leute in den Straßen machten nicht den Eindruck, dass sie mich gleich überfallen wollten. Sie waren jedoch sichtlich erstaunt, dass sich ein gut gekleideter Weißer in ihre Gegend wagte.

Ich traute mich nicht nach dem Weg zu fragen und fand, weil ich das New Yorker Straßensystem mittlerweile durchschaut hatte, selbst zur Berry Street Ecke South Third. Ich nahm den kürzesten Weg, was eingeweihte in solchen Stadtteilen nicht unbedingt tun, und zwar genau weil sie sich dort gut auskennen. Zu jeder No-Go-Arrea gehörten nämlich noch die No-No-Go Bereiche, die aber meistens nur einen einzelnen Block oder sogar nur eine Block-Straße oder -Ecke ausmachten. Davon gaben es in Williamsburg einige und einer davon genau da wo ich her spazierte. Aber das Glück ist bekanntlich mit den Anfängern.

Später lernte ich solche Ecken nicht nur in diesem Stadtteil zur riechen bevor ich sie passierte. Über die Monate und Jahre konnte ich alle sozialen und baulichen Symptome lesen, die  die verschiedenen Abstufungen von Gefahr in dieser Stadt sichtbar machten, bevor man so weit drin steckte, dass es wirklich riskant wurde. Ich bin bis heute nicht ein einziges Mal überfallen worden.

Jetzt kann man sich nicht nur durch Williamsburg ohne jede Angst bewegen. Ich habe diesen Wandel von der No-Go- zur Must-Go-Arrea vor allem in diesem Viertel über nun fast 25 Jahre haut nah mit bekommen, denn ich habe seit 1985 fast jedes Jahr für mindestens 2 Monate dort gelebt. Ich werde in weiteren 9 Folgen darüber berichten, wie in dieser Zeit aus dem verrotteten und gefährlichen Viertel, nur eine U-Bahnstation von Manhattan entfernt, ein heute so genanntes Kreativquartier wurde.

Eines über das mittlerweile auch das weltweite Feuilleton und die Reisemagazine berichten, die allerdings sehr wenig darüber wissen, wie so ein Prozess in Wirklichkeit verläuft und was er für die Leute vor Ort bedeutet.

Foto: jontintinjordan

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